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Veröffentlicht am 06.10.2017

Der Mangel, den wir stets empfinden

Außer sich
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„Sie war sich nicht sicher, wem sie schon welche Geschichte erzählt hatte, sie war sich ihrer eigenen Geschichte nicht mehr sicher, was sie eigentlich tat in einer Stadt außerhalb der Zeit, suchte sie ...

„Sie war sich nicht sicher, wem sie schon welche Geschichte erzählt hatte, sie war sich ihrer eigenen Geschichte nicht mehr sicher, was sie eigentlich tat in einer Stadt außerhalb der Zeit, suchte sie wirklich ihren Bruder oder wollte sie einfach nur verschwinden.“

Inhalt

Die Zwillinge Alissa und Anton erleben eine schwierige Kindheit in Russland, ihre Eltern bieten ihnen ein sehr gefühlskaltes Erziehungsklima, geprägt von Gewalttätigkeiten und Übergriffen. Der Vater, ein Alkoholiker, die Mutter sprachlos angesichts der Leere ihres Lebens. Aus diesem Grund klammern sich die beiden so sehr aneinander, dass fast zu einer Person verschmelzen. Doch nun, sind sie junge Erwachsene und streben hinaus in ein eigenes, selbstbestimmtes Leben. Für Alissa, die alle nur Ali nennen, gibt es keine Leichtigkeit, keinen Frohsinn sondern nur eine fortdauernde Suche nach ihrer wahren Identität. Als Mädchen geboren, sucht sie nun den männlichen Teil in sich, bindet sich die Brüste ab, trägt Männersachen und beginnt sich Testosteron zu spritzen und möchte Anton genannt werden. Sie sucht ihren Bruder in Istanbul, sie sucht eine Zuflucht, sie sucht Menschen, die sie lieben wie sie ist, ungeachtet ihres Geschlechts, vorbehaltlos und andauernd. Doch Anton, ihr Bruder möchte genau das Gegenteil – Abstand von der inzestuösen Beziehung, Abstand zur Mutter und seiner Herkunft, ein Leben jenseits seiner Vergangenheit mit anderen Beziehungen, die ihn nicht mehr an seine Kindheit erinnern. Und so begegnen wir den Suchenden, die einen Sinn brauchen, sich eine Heimat wünschen, einen Ort der Akzeptanz, der Innerlichkeit und der Wärme – doch was werden sie finden, wenn sie der Wahrheit ein Stück näherkommen?

Meinung

Sasha Marianna Salzmann, verfasst in ihrem Debütroman ein splitterndes Gesamtbild über Menschen am Rande der Verzweiflung, die sich freistrampeln und innere Ketten sprengen möchten. Denen die Suche wichtiger ist als das Ziel, die sich verlieren, neu erfinden, anders zusammensetzen und sich selbst aus einer äußerst distanzierten Perspektive betrachten. „Ausser sich“ trifft den Kern der Erzählung, ohne klaren Sinn, ohne klaren Willen, doch irgendwie getrieben, wie Körnchen im Getriebe, so klein und unbedeutend und doch von immenser Kraft. Die Wahrheit dieses sehr anspruchsvollen, innovativen Romans, liegt irgendwo zwischen der Assoziation des Lesers und den Momentaufnahmen aus dem Leben der Protagonisten.

Gerade zu Beginn des Textes erfährt der Leser nicht nur etwas über die Hauptfigur des Romans sondern in erster Linie über deren Herkunft, über Repressalien in der Vergangenheit der Familie, die nicht nur mit Gewaltbereitschaft einhergeht sondern auch mit Ausgrenzung, mit sozialer Missachtung und die von politischen Missständen im Heimatland berichtet, die ebenso wie die Willkür im kleinen Familienkreis emotionale Spätschäden verursacht. Beginnend über die Geschichte der Urgroßeltern, hin zu den Großeltern und schließlich zu den eigenen Eltern, greift die Autorin auch gesellschaftliche Entwicklungen auf, vermischt diese mit einer persönlichen Erzählung und entwirft damit ein stimmiges Hintergrundbild, welches der Leser automatisch mit den Ereignissen der Gegenwart verbindet. Gerade diese Familiengeschichte, die sozusagen den Rahmen bildet, hat mir sehr gut gefallen und wirkt wesentlich realistischer und greifbarer als die Haupthandlung.

Sprachlich ist es der Autorin gelungen bleibende, wichtige Sätze in eine ungewöhnliche Form zu bringen, der Fließtext wirkt dicht, ausgereift und stimmig. So dass der Lesefluss trotz einiger auftretender Unverständnisse stets erhalten bleibt. Kleine und größere Leseabschnitte gliedern den Text in sinnvolle kleinere Erzählungen, Zeitsprünge kommen vor, lassen den Leser innehalten, erzwingen aber keine vordergründige Logik. Nicht der Einzelablauf ist entscheidend, sondern die Entwicklung.

Fazit
Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen ungewöhnlichen, stilistisch ansprechenden Roman über die Identitätssuche einer jungen Frau, mit erschreckender Vergangenheit, zielloser Gegenwart und ungewisser Zukunft. Immer vor dem Hintergrund der Fragen: „Welcher Weg ist der richtige? Kann man finden, wonach man sucht? Hat das Leben einen tieferen Sinn? Und wenn ja, wird er sich erschließen?“

Der Gesprächsstoff geht hier nicht so schnell aus, doch die Personen bleiben abstrakt, die Geschlechtsspezifik konnte mich nicht überzeugen und es war stellenweise sehr anstrengend, an der Geschichte dranzubleiben, weil sie eher ein Splitterbild denn ein ansprechendes Gemälde darstellt. Trotzdem oder gerade deswegen sollte man dieses Buch lesen, denn es vermag Literatur auf hohem Niveau auf eine neuartige Sichtweise zu lenken und den Leser nachhaltig zu beeindrucken.

Veröffentlicht am 25.09.2017

Die unheimliche Botschaft aus der Vergangenheit

SOG
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„Für Märtyrer hatte am Ende niemand Bewunderung übrig, höchstens nach ein paar hundert Jahren. Und selbst dann war diese Bewunderung zu teuer erkauft.“

Inhalt

Kommissar Huldar von der isländischen Polizei ...

„Für Märtyrer hatte am Ende niemand Bewunderung übrig, höchstens nach ein paar hundert Jahren. Und selbst dann war diese Bewunderung zu teuer erkauft.“

Inhalt

Kommissar Huldar von der isländischen Polizei steht vor einem weiteren mysteriösen Fall seiner Karriere. Von einem Mann wurden erst die Hände, wenig später die abgetrennten Füße gefunden und vom Opfer fehlt noch jede Spur. In der Zwischenzeit ergeben sich aber weitere Tötungsdelikte, die allesamt zusammenzuhängen scheinen. Nachdem die Opfer eine kurze Warnung erhalten haben, werden sie wenige Tage später selbst grausam hingerichtet. Huldar stößt auf einen Zusammenhang zwischen den Morden, nachdem er einen Fall neu aufrollt, der schon Jahre zurückliegt. Damals hat ein Schüler die Todesfälle aus der Gegenwart angekündigt, indem er die Initialien der Opfer in einem Schulaufsatz verewigte. Ebenjener Schüler scheint nun, als Erwachsener in die Mordserie verwickelt zu sein, doch eine stichhaltige Verbindung lässt sich nicht herstellen. Erst als Huldar entdeckt, wer der Vater des jungen Mannes ist und wie dessen Vergangenheit aussah, scheint sich eine dramatische Verkettung der Umstände abzuzeichnen …

Meinung

Dieser isländische Thriller aus der Feder der bekannten Autorin Yrsa Sigurdardóttir ist mein erstes Buch von ihr und damit auch das erste dieser Reihe, wobei es sich bereits um den zweiten Band rund um den Ermittler Huldar und seine rechte Hand die Psychologin Freyja handelt. Gerade zu Beginn des Buches fehlte mir der persönliche Background und ich konnte das Zusammenspiel der Ermittler nur durch Erahnen erschließen. Deshalb empfehle ich an dieser Stelle die Chronologie einzuhalten. Ansonsten kann man den Fall aber auch sehr gut isoliert lesen, weil er in sich geschlossen ist und keine Fragen offenlässt.

Die Autorin webt ein feines Netz aus kausalen Zusammenhängen und unvorhersehbaren Wendungen, so dass der Spannungsfaktor sehr hoch ist und es von der ersten bis zur letzten Seite Freude macht, den Verlauf der Ermittlungen zu verfolgen. Sie legt dabei großen Wert auf die umfassende Charakterisierung ihrer Protagonisten und widmet sich auch der psychologischen Seite der Verbrechen und ihrer Wurzeln in der Vergangenheit. Dadurch kann der Leser schon bald erahnen, welches Motiv den Verbrechen zu Grunde liegt, auch wenn er noch überhaupt nicht abschätzen kann, welcher Täter in Frage kommt. In angenehmer Reihenfolge wechseln dabei die Passagen zwischen den polizeilichen Fortschritten und den tatsächlichen Bedrohungen des nächsten Opfers. Dieser Perspektivenwechsel wird hier kontinuierlich eingesetzt und ergibt damit ein rundes Gesamtbild, dem man anmerkt, wie viel Hintergrund sich zwischen der Tat und der Ursache eigentlich verbirgt.

Dieses Buch ist für mich dennoch eher ein Kriminalfall als ein Thriller, einmal abgesehen von den grausamen Tötungsmethoden liegt der Fokus doch sehr stark auf der Polizeiarbeit und weniger auf der Motivation und den Gedankengängen des Täters. Außerdem bekommt der menschliche Faktor zwischen den Mitarbeitern der Polizeibehörde einen für mich nicht ganz so interessanten Stellenwert. Zwischendurch unternimmt der Leser immer wieder Ausflüge in das schwierige Privatleben des Kommissars, der zwischen zwei Frauen schwankt und sich mit deren Eifersucht auseinandersetzen muss. Klare Sache, diese kleine aber andauernde Nebenhandlung hat mich ziemlich kalt gelassen, wobei vielleicht genau dieser Punkt die Reihe an sich rechtfertigt. Möglicherweise interessiert es den Leser, wie die Lovestory von Huldar/ Freya/ Erla weitergeht, für mich bringt das keinen Zusatznutzen.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen isländischen Thriller, der mit einer komplexen Handlung aufwartet und sich richtig gut lesen lässt. Ein gelungener Mix aus Ermittlungsfall, persönlichem Schicksal und dem Versagen der Justiz im gesellschaftlichem Rahmen. Den ersten Band „DNA“ möchte ich nun gerne nachträglich kennenlernen, weil mich sowohl der Schreibstil als auch der Fall sehr für sich einnehmen konnten. Eine Leseempfehlung spreche ich für alle Liebhaber von hintergründiger Spannungsliteratur aus, die nicht auf bloße Action und willkürliches Morden setzen, denn hier hat alles eine Bedeutung und einen Sinn.

Veröffentlicht am 21.09.2017

Die lange Flucht im Untergrund

Underground Railroad
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„Die Wahrheit war eine wechselnde Auslage im Schaufenster, von menschlicher Hand verfälscht, wenn man gerade nicht hinsah, verlockend und stets außer Reichweite.“

Inhalt

Cora wird als Kind einer Sklavin ...

„Die Wahrheit war eine wechselnde Auslage im Schaufenster, von menschlicher Hand verfälscht, wenn man gerade nicht hinsah, verlockend und stets außer Reichweite.“

Inhalt

Cora wird als Kind einer Sklavin mitten hinein in ein menschenunwürdiges Leben geboren. Sie wächst auf einer Baumwollplantage in Georgia auf und wird mit 10 Jahren von ihrer Mutter im Stich gelassen, als diese beschließt, zu fliehen und der Farm unerlaubter Weise den Rücken zu kehren. Fortan muss sich das Mädchen allein durchschlagen und wird auch bald unter Ihresgleichen ausgebeutet und in die Hob verbannt, einen Ort an dem all jene leben, von denen niemand etwas wissen will und die gnadenlos aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Demütig erträgt Cora ihr Leid, bewahrt sich aber auch ihren Stolz und beginnt erst ernsthaft über die eigene Flucht nachzudenken, nachdem ihr der junge Sklave Caesar den Vorschlag gemacht hat, mit ihr gemeinsam über die sagenumwobene „Underground Railroad“ – einer Eisenbahnlinie unter der Erde, dem unausweichlichem Schicksal zu entkommen. Gemeinsam gelingt es ihnen dank einiger Verbündeter, die gefährliche Reise anzutreten und weiter nördlich ein besseres Zuhause zu finden. Doch ihre Häscher sind ihnen dicht auf den Fersen und der Abstand wird immer geringer. Als die beiden schließlich getrennt werden, muss sich Cora alleine durchschlagen, wenn sie überleben will. Ihre Odyssee durch das Land beginnt, gebeutelt von Verrat, gemildert durch wenige Menschen, die ein Herz haben, reist sie von Bundesstaat zu Bundesstaat und begegnet dem ganzen Ausmaß der Sklaverei, erkennt die vielen Formen der Gewalt und hofft dennoch auf ein Leben in Freiheit, wenn auch in ferner Zukunft …

Meinung

Der amerikanische Autor Colson Whitehead hat mit diesem Roman ein ganz besonderes Buch geschaffen, indem sich auf angenehme Art und Weise Realität und Fiktion vermischen. Seine erfundene Eisenbahnlinie unterhalb der Erde mit dunklen Stationen in engen Tunneln ist zwar erfunden, doch die Organisation selbst, die es einigen Leibeigenen ermöglicht hat, ein besseres Leben in einem anderen Land zu finden, gab es sehr wohl. Doch nicht nur dieser gelungene Mix macht den Roman so besonders, sondern in erster Linie der schonungslose Blick auf ein düsteres Kapitel der Menschheitsgeschichte. Sehr detailliert und ausdauernd beschreibt er die Sklaventreiberei, die alltäglichen Lebensumstände dieser „Untermenschen“, die von ihren Besitzern schlimmer noch als manches Tier behandelt werden. Und so kommt einen die Aussage des Buches nicht wie ein trauriges Einzelschicksal vor, sondern wie ein Schreckensbildnis der Tyrannei. Gerade dieser historische, undankbare Aspekt, der zwischen Willkür, Gräueltaten und Massenmord angesiedelt ist, untermalt die gesamte Geschichte und brennt sich ins Gedächtnis des Lesers.

Dabei legt Whitehead großen Wert auf die Charakterisierung seiner Protagonisten, die der Geschichte die notwendige Innerlichkeit geben. Ihre Handlungen und Gedanken werden vortrefflich eingefangen und sehr menschlich und direkt wiedergegeben. Fast wie der Tropfen auf dem heißen Stein erscheint dieses willkürliche Betrachten eines erbarmungswürdigen Lebens, doch niemals gewinnt das Mitleid die Oberhand sondern vielmehr die Wut auf all jene, die es vermocht haben, Menschen wie Abfall zu behandeln. Und so offenbart sich dem Leser die Hölle, deren Wurzeln zwar in der Vergangenheit liegen aber auch heute noch unerschütterliche Präsenz haben.

Ein kleiner Makel, der keiner ist, weil er hervorragend zur Geschichte passt, ist diese allesumfassende Schwere, die bedrückende Stimmung und dieser viel zu kleine Hoffnungsschimmer, der nicht einmal glimmt, geschweige denn brennt. Stellenweise mochte ich das Buch mit all seinen Facetten nicht wahrnehmen, weil ich immer noch geglaubt habe, dass am Ende des Weges etwas wartet, für dass sich dieses dargestellte Leben lohnt. Doch so gut, wie sich das Ende des Textes in das Gesamtkonzept des Buches einfügt, mir war die Geschichte etwas zu düster und schwer, auch und vor allem, wegen der Echtheit der Gefühle und der Realitätsnähe, die man trotz aller Fiktion sehr unmittelbar spürt.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen wichtigen zeitgenössischen Roman, der der Thematik Sklaverei, Ausbeute und Misshandlung einen sehr hohen Stellenwert einräumt und Geschichte greifbar macht. Zurecht hat dieses Buch seine Auszeichnungen bekommen und es ist ein nachhaltiges, wenn auch schwer verdauliches Werk über Menschen und die Auswüchse ihrer Unbarmherzigkeit, die sich in einer maßlosen Selbstüberschätzung äußern.

Veröffentlicht am 11.09.2017

Der Held des Widerstands

Der Gefangene des Himmels
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„Wie ein gischtender Wasserfall stürzte die Helligkeit auf die Winkel des großen Labyrinths aus Gängen, Tunnels, Treppen, Bögen und Gewölben, die aus dem Boden zu sprießen schienen gleich einem riesigen ...

„Wie ein gischtender Wasserfall stürzte die Helligkeit auf die Winkel des großen Labyrinths aus Gängen, Tunnels, Treppen, Bögen und Gewölben, die aus dem Boden zu sprießen schienen gleich einem riesigen Baumstamm aus Büchern, der sich in einer unmöglichen Geometrie zum Himmel hin öffnete.“

Inhalt

Fermín Romero de Torres zählt sich zu den guten Freunden von Daniel Sempere, dem jungen Buchhändler, der die Familientradition fortsetzt und in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist. Doch um die Hochzeit mit seiner Angebeteten feiern zu können, benötigt Fermín zunächst eine offiziell bestätigte Geburtsurkunde, die er jedoch nicht mehr besitzt. Denn seine Vergangenheit ist mehr als düster und bedrohlich. Mit Hilfe von David Martín, dem begnadeten Schriftsteller, der immer mehr dem Wahnsinn verfällt, ist es Fermín vor Jahren gelungen, aus dem Gefängnis zu fliehen und seitdem existiert er nicht mehr, denn seine Personalien wurden gelöscht und er ist für tot erklärt worden. Gemeinsam mit Daniel erkundet er die bedrückende Vergangenheit und weiht seinen einzigen Vertrauten in die Ereignisse hinter den Gefängnismauern ein. Eine Zeit, die er nur knapp überlebte und in der andere die Opfer des brutalen Gefängniswärters Mauricio Valls wurden. Und ebenjener hat nach seiner Karriere als Misshandelnder einen wahren Blitzstart in Gunst und Ansehen der oberen Gesellschaftsschichten hingelegt und lebte viele Jahre seine Medienpräsenz, doch nun ranken sich auch um Valls Gerüchte und Fermín kennt die Hintergründe, die schließlich auch Daniel und seine verstorbene Mutter Isabella betreffen …

Meinung

Auch der dritten Band der Reihe um den „Friedhof-der-vergessenen-Bücher“ überzeugt mit erzählerischem Können und einer geheimnisvollen Geschichte hinter Gefängnismauern. Diesmal spielt der Schauplatz Barcelona eher eine untergeordnete Rolle, hier sind es vor allem die Personen, die miteinander in Verbindung gebracht werden und deren vielfältige Interaktionen in der Vergangenheit weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft haben. Ein Buch, in dem man viele „alte“ Bekannte wiedertrifft und sich die Generationenfolge der Buchhandlung Sempere und Söhne offenbart. Dafür verzichtet der Autor etwas auf die gewohnte Mystik und setzt den Schwerpunkt auf ganz menschliche Verhaltensweisen. Aus diesem Grund, empfinde ich Band 3 der Reihe etwas schwächer als seine Vorgänger, weil es an geheimnisvollen Begebenheiten fehlt und auch an der subtilen Gruselatmosphäre, die Zafón bisher gewählt hatte.

Sehr gelungen finde ich hier das Beziehungsgeflecht der Personen, ihre Interaktion aber auch die Rätsel der Vergangenheit, die sich nun wie ein weiteres Puzzlestück zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammensetzen. Empfehlenswert ist es, dieses Buch in der chronologischen Reihenfolge zu lesen, weil es anders als die bisherigen Bücher der Reihe, eine eher unscheinbare Geschichte erzählt, die nur dann ihre volle Bedeutung entfaltet, wenn man die Beteiligten schon kennt und ihre Geheimnisse im rechten Licht erscheinen.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen Roman, der eine ideale Kombination aus bisher Bekanntem und möglichen Folgen im letzten Band der Reihe schafft. Ein Buch, welches die vier Bände verbindet und großen Wert auf die Charaktere und ihre Sichtweisen legt. Kleine Abstriche gibt es nur bezüglich des erhofften mystisch-gruseligen Faktors, der hier etwas zu kurz kommt. Dennoch bin ich mit der Gesamtheit der Geschichte mehr als zufrieden und werde mich demnächst in „Das Labyrinth der Lichter“ wagen, um gemeinsam mit den Bibliothekaren der Buchhandlung Sempere die letzten verborgenen Dinge, die Grenzen der Vorstellungskraft zu entdecken. Eine wirklich beeindruckende Geschichte, deren Erzählniveau mich begeistert.

Veröffentlicht am 07.09.2017

Hüte dich vor Einhorn und Adler!

Aquila
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„Das Blut ist nicht deines. Du weißt, wo das Wasser am dunkelsten ist. Halte dich fern von Adler und Einhorn.“

Inhalt

Die junge Studentin Nika wacht eines morgens auf und stellt fest, dass ihr die Erinnerung ...

„Das Blut ist nicht deines. Du weißt, wo das Wasser am dunkelsten ist. Halte dich fern von Adler und Einhorn.“

Inhalt

Die junge Studentin Nika wacht eines morgens auf und stellt fest, dass ihr die Erinnerung an die vergangenen zwei Tage komplett fehlt. Sie ist in ihrer Wohnung eingeschlossen und von ihrer Mitbewohnerin Jenny fehlt jede Spur. Aber schlimmer noch, auf dem Spiegel im Badezimmer steht eine Drohung und auf dem Wannenrand liegt ein blutiges T-Shirt. Nur mühsam gelingt es Nika, die Umstände zu recherchieren und dann findet sie in ihrer Hosentasche eine merkwürdige Liste, die sie selbst verfasst hat, deren tieferer Sinn sich aber verschließt. Als schließlich Jennys Leiche gefunden wird, steht Nika schon bald als Hauptverdächtige im Zentrum der Ermittlungen. Nur ihr Bekannter Stefano steht noch auf ihrer Seite, doch auch er hat sie ganz bewusst belogen, wie sie schon bald schmerzlich herausfinden muss. Wer steckt wirklich hinter dem Mord und wird es Nika trotz ihres Blackouts gelingen, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen?

Meinung

Ursula Poznanski schreibt für gewöhnlich atemberaubend spannende Geschichten, egal ob es sich dabei um ihre Jugendbücher oder auch Thriller handelt, sie zählt zu meinen Lieblingsautorinnen und mit entsprechend hohen Leseerwartungen habe ich auch dieses Buch begonnen. Allein das Cover strahlt förmlich und zieht die Blicke auf sich, ganz zu schweigen vom schönen Layout – der Loewe Verlag hat sich mit dem Taschenbuch wirklich große Mühe gegeben. Nur leider konnte mich diesmal die Geschichte, die sich als Jugendthriller präsentiert kaum überzeugen.

Am ärgerlichsten fand ich nicht einmal die etwas öde Geschichte, die sich immer wieder um das gleiche Thema dreht, sondern in erster Linie den Handlungsverlauf und die Hauptprotagonistin Nika, die mir über gut 400 Seiten hinweg ganz und gar nicht sympathisch geworden ist. Bis zur Hälfte des Textes dreht sich alles um den Gedächtnisverlust und die ominöse Liste, mit deren Hilfe Nika versucht, ihre Erinnerung zu rekonstruieren. Doch jede Bemühung wird im Keim erstickt und nach weiteren 30 Seiten steht man wieder am gleichen Punkt. Obwohl mir grundsätzlich Thriller mit persönlichem Bezug gefallen und man als Leser zumindest stellenweise mit Nika Mitleid hat, habe ich mich immer wieder gefragt, warum sie so handelt wie beschrieben. Ihre Beweggründe, ihre Ängste aber auch ihre Aktionen ergaben für mich nur bedingt einen tieferen Sinn und in meine Reaktionen auf ähnliche Umstände wären sicher ganz anders ausgefallen. Kurzum, vieles erscheint mir hier sehr konstruiert und damit zu Lasten der Stimmung gehend, die irgendwo zwischen Desinteresse und Kopfschütteln lag.

Trotz all dieser Kritikpunkte muss man diesem Jugendroman zugestehen, dass er sehr gut geschrieben ist und mit einer gelungenen Wortwahl hantiert, die mich dazu veranlasst hat, doch immer weiter zu lesen, einfach weil der Text schön flüssig und gut gegliedert ist. Der Schreibstil von Frau Poznanski spricht mich sehr an, gerade weil er etwas intensiver und weniger umgangssprachlich ist, als man das von manch einem anderen Buch des Genres gewöhnt ist.

Fazit

Ich vergebe 2,5 Lesesterne (aufgerundet 3) für dieses schwächere Buch einer erfahrenen Autorin, welches sich nicht speziell an Jugendliche wendet, aber sicher auch diese Zielgruppe trifft. Für eingefleischte Fans ist es okay, wer die Autorin kennenlernen möchte, sollte ein anderes Buch von ihr wählen. Mir kam Nika in der italienischen Stadt Siena äußerst verloren vor und die Aufklärung des Mordfalls stellt mich nur bedingt zufrieden. Vielleicht hätte mir dieses Buch mit einem Touch Mystik und mehr Atmosphäre gleich viel besser gefallen, so beurteile ich es eher durchschnittlich.