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Veröffentlicht am 18.01.2018

Variationen eines fragilen modernen Lebens

Nussschale
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„Meine getreue Schnur, die Lebensader, die mich nicht erwürgte, stirbt plötzlich den ihr bestimmten Tod. Ich atme. Köstlich. Mein Rat an Neugeborene: Schreit nicht, schaut euch um, schmeckt die Luft.“


Inhalt


Trudy ...

„Meine getreue Schnur, die Lebensader, die mich nicht erwürgte, stirbt plötzlich den ihr bestimmten Tod. Ich atme. Köstlich. Mein Rat an Neugeborene: Schreit nicht, schaut euch um, schmeckt die Luft.“


Inhalt


Trudy und Claude führen eine halboffizielle Liebesbeziehung, mit familiärem Hintergrund. Denn während Trudy hochschwanger mit ihrem Schwager verkehrt und ihr neues Liebesglück feiert. Wächst der ungeborene Sohn in ihrem Bauch als ein Überbleibsel der vergangenen Beziehung. Aber der gehörnte Ex namens John gibt nicht so schnell auf, schließlich ist er Dichter und konnte Trudy bereits vor einiger Zeit mit Poesie begeistern. Doch diesmal hat er die Rechnung ohne seine Frau und seinen Bruder gemacht, ganz zu schweigen von dem kleinen Menschlein mit seinem Erbgut, eines ist mehr als klar – John Cairncross muss endgültig von der Bildfläche verschwinden, diesmal jedoch für immer …


Meinung


Ich mag den besonderen Schreibstil des britischen Autors Ian McEwan sehr gern, in seinen Romanen gelingt es ihm menschliche Gefühle regelrecht zu sezieren und die Bedeutsamkeit der Emotionen an die Oberfläche zu holen. Auch hier in der abgeschirmten Welt eines noch ungeborenen Kindes tobt ein wahrer Sturm an diversen Befindlichkeiten, doch leider konnte mich seine „Nussschale“ nicht so gefangen nehmen, wie ich es mir erhofft habe. Schon seit seinem Erscheinen 2016 schlummerte der Roman in meinem Bücherregal und ich freue mich, ihn nun gleich zu Beginn des Lesejahres ans Licht geholt zu haben, selbst wenn es meinerseits so einige Kritikpunkte gibt.


Erzählt wird die Geschichte aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive, nämlich aus Sicht eines ungeborenen Kindes, welches auf Gedeih und Verderb den Befindlichkeiten und der hormonellen Achterbahnfahrt seiner hochschwangeren Mutter ausgesetzt ist. Gerade dieser Blick auf einen Hauptprotagonisten ohne Namen, macht den eigentlichen Reiz dieser Erzählung aus. Denn irgendwie finde ich diese Idee sehr alternativ und überaus spannend. Rückblickend war sie tatsächlich das ausschlaggebende Erzählelement, welches mich dazu bewogen hat, das Buch zu beenden.


Die Handlung selbst ist wahrlich nichts Neues und birgt keine Überraschungen. Der Leser trifft eine Frau, die sich einen Liebhaber genommen hat, der sie sexuell beglückt. Das dieser nun gerade der Bruder ihres Noch-Ehemannes ist, scheint eher ein Zufall zu sein als Beabsichtigung. Auch der betrogene Ehemann wirkt nicht gerade ambitioniert, mal abgesehen von seiner dichterischen Ader, die er in selbstgeschriebenen Reimen zum Besten gibt. Und der ungehobelte Klotz von Mann, der nun der Auserwählte ist, verfügt nach Meinung des Erzählers nicht einmal über Benehmen, geschweige denn über Stil oder Grips.


Leider konnte mich die aufgegriffene Geschichte ganz und gar nicht begeistern. Denn obwohl es um einen Mord geht, noch dazu einen absolut sinnlosen, bleibt die Story so schwammig wie nur denkbar, möglicherweise ist das durch die Verbindung aus dem Mutterleib nicht anders denkbar, vielleicht sogar gewollt, doch dann hätte der Umfang einer Kurzgeschichte ausgereicht. Sehr bitter aufgestoßen haben mich die vielen Nebensächlichkeiten, die tatsächlich keine sind: die werdende Mutter hängt an der Flasche, aber der Embryo schätzt die Vorzüge eines guten Weines und ist Kenner auf diesem Gebiet. Die Mutter selbst empfindet zwar Wollust beim Liebesspiel, doch kümmert sie sich nicht einmal emotional um das kleine Wesen in ihrem Bauch. Und so wird das Baby zum ungeliebten Mittelpunkt dieser Erzählung, ungewollt, immer im Weg und dann auch noch in der Lage dazu, seine Mutter und ihren neuen Gefährten aufzuhalten, indem es die Fruchtblase zerstört. Einmal abgesehen von einigen humoristischen Passagen, die mich zum Lachen gebracht haben, finde ich wenig lobenswerte Punkte. Es hätte keinen Unterschied gemacht, ob ich das Buch nun gelesen hätte oder nicht, in Erinnerung bleibt es nicht und wenn dann eher mit negativen Attributen versetzt.


Fazit


Ich vergebe müde 2 Lesesterne für diesen ungewöhnlichen Roman, bei dem die Idee zur Umsetzung noch das Beste war. Wenig Aussagekraft, eine Handlung, die man bereits zu Beginn voraussehen kann und sehr idiotische Charaktere – alles wird bewusst überspitzt dargestellt. Ein bitterböser Humor kommt noch dazu, der mir doch das ein oder andere Lächeln entlocken konnte. Insgesamt leider eine schwache Leistung, die ich nur widerwillig beendet habe. Sehr schade, denn aus dem Ansatz hätte eine wunderbare Geschichte werden können, zumindest in meiner Vorstellung. Möglicherweise kann man dieses Buch in der Interaktion mit anderen Lesern besser verstehen. Ich könnte es mir sehr gut als Oberstufenlektüre vorstellen, vielleicht habe ich den Knackpunkt der Story nur ganz falsch verstanden …

Veröffentlicht am 22.10.2017

Wenn du Freunde hast, brauchst du keine Feinde

Und es schmilzt
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„Letztlich war der Unterschied zwischen Lachen und Weinen gar nicht so groß. Sie verhielten sich zueinander wie Weggehen und Heimkommen – auch dafür brauchte es lediglich ein Haus.“


Inhalt


Eva kehrt ...

„Letztlich war der Unterschied zwischen Lachen und Weinen gar nicht so groß. Sie verhielten sich zueinander wie Weggehen und Heimkommen – auch dafür brauchte es lediglich ein Haus.“


Inhalt


Eva kehrt nach vielen Jahren in ihren kleinen Heimatort zurück, nachdem sie eine Einladung von ihrem ehemaligen Klassenkameraden Pim erhalten hat. In Bovenmeer einer beschaulichen belgischen Gemeinde, in der jeder Jeden kennt und man sich über nachbarschaftliche Lebensläufe unterhält, ruht Evas Vergangenheit mit all ihren dunklen Geheimnissen. Doch diesmal kommt die junge Frau nicht nur zur Gedenkfeierstunde anlässlich des Geburtstages eines längst verstorbenen Schulfreundes, sondern sie kommt ein letztes Mal, um aufzuräumen, was geblieben ist, um wahr zu machen, was einst ein Rätsel war und um endlich einen Schlussstrich unter all die Verfehlungen ihrer Jugend zu ziehen. Dazu hat sie sich einen riesigen Eisblock in den Kofferraum gelegt, der hoffentlich bis zum Zielort seine Form behält und damit seinen Zweck erfüllt.


Meinung


Aufmerksam geworden bin ich auf diesen Roman durch die vielen eindrücklichen Rezensionen, die mich wirklich neugierig gemacht haben, was es denn nun mit diesem Eisblock auf sich hat. Aber mir war auch von Anfang an klar, dass die Lesermeinungen hier sehr weit auseinanderdriften, insbesondere was die Thematik und Bedeutsamkeit der Erzählung anbelangt. So habe ich eine ambivalente Stimmung erwartet und war in gewisser Weise „vorgewarnt“ – dieser Roman begeistert die einen, während er die anderen enttäuscht. Und nach der Lektüre kann ich nur so viel sagen: Lize Spit will schockieren, sie fordert den Leser heraus und konfrontiert ihn mit menschlichen Abgründen. Dieses Buch eignet sich hervorragend für Diskussionsrunden, weil es unheimlich schwer ist, bei dem Gelesenen eine neutrale Haltung zu bewahren. Ich glaube man liebt es, oder man schüttelt nur noch den Kopf – lesen sollte man es aber auf jeden Fall.

In ihrem Debütroman sticht die junge belgische Autorin unmittelbar in ein Wespennest und scheut vor Dramatik, Abscheu und Ekel nicht zurück. Sie forciert Grenzen regelrecht und überschreitet sie stellenweise auch. Was wie ein normaler Sommer mehrerer Jugendlicher beginnt, entwickelt sich zu einem Schreckensszenario, welchem der Leser erst nach und nach auf die Spur kommt. Eine Zufallsfreundschaft, geboren aus der räumlichen Nähe und den fehlenden Alternativen führt Eva und ihre beiden Freunde Pim und Laurens zusammen. Gemeinsam beschließen sie ihren Alltag mit einem Spiel zu bereichern und ebenso wie die berühmten Musketiere zusammenzuhalten, egal was passiert. Doch wie so oft im Leben ist es nicht diese Momentaufnahme, die Veränderungen bringt, sondern viele, kleine Risse im zwischenmenschlichen Bereich, die schließlich zur fatalen Wende führen.

Erzählt wird einzig aus Sicht der Hauptprotagonistin, was dazu führt, dass alle anderen Charaktere im Hintergrund bleiben und nur die eingeschränkte Sichtweise eines verstörten, tief verletzten jungen Mädchens zur Sprache kommt. Sichtbar wird zwar das Fehlverhalten aller Beteiligten, doch als Leser gelingt es nicht, die wahren Beweggründe zu erforschen. Diese bewusst gewählte Einseitigkeit hat mich etwas gestört und konnte auch nicht über die beiden Zeitebenen hinwegtrösten, die sehr gut gewählt wurden. Denn nicht nur der Sommer 2002 ist Handlungsschwerpunkt, sondern auch die Gegenwart, die durch die Präsenz des Eisblocks für den nötigen Unterhaltungswert sorgt. Denn eines kann man diesem Buch nicht absprechen: es fesselt ungemein und lässt den Leser nicht mehr los, solange bis man alle Schichten der Wahrheit aufgedeckt hat.

Sehr intensiv und ausdauernd beschreibt Lize Spit ein Verlorensein, eine zerrüttete Familiensituation, eine dörfliche Gemeinschaft, die zwar funktioniert aber keinen Platz für wahre Nähe zulässt. Menschen, deren Desinteresse so stark ist, dass sie nie nachfragen, sich nie erkundigen und eigentlich für immer Fremde bleiben, die sich eher zufällig den gleichen Lebensraum teilen und nun gezwungen sind, oberflächlich miteinander auszukommen. Aber auch die zentralen Themen der Jugend, die zwischen dem Wunsch nach Zugehörigkeit und der Chance auf Abgrenzung basieren, kommen zur Sprache, wenn auch beides in gewisser Weise unbefriedigt bleibt.


Fazit


Leider kann ich für diesen ungewöhnlichen Roman nur 2 Lesesterne vergeben, weil mir die inneren Beweggründe aller Beteiligten so wahnsinnig fremd geblieben sind, weil die Autorin einen kalten, distanzierten Erzählton wählt und dadurch weder mein Verständnis noch eine innere Beteiligung wecken konnte. Streckenweise ist der Text sehr langatmig und verweilt bei unrelevanten Dingen, während die wichtigen Ereignisse zwar detailliert dargestellt werden jedoch ohne die notwendige Beurteilung. Am meisten frustriert hat mich die Tatsache, dass die Protagonistin so stillschweigend, so passiv bleibt und sich nicht wehrt, keine Selbstreflexion vornimmt und sich auf eine fragwürdige Zukunft einlässt, bei der man schon ahnt, wie fragil sie sein wird. Dieser Roman bleibt mir sicherlich in Erinnerung allerdings befremdet mich das Gesamtkonzept im Wesentlichen, so dass ich nur wenig Gesagtes in die Realität mitnehmen werde.

Veröffentlicht am 10.04.2017

Trauer, um ein viel zu kurzes Leben

Ein fauler Gott
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„Die ewigen Jagdgründe musst du dir wie eine Lücke in der Zeit vorstellen. Dort wird Jonas ewig so bleiben, wie du ihn erinnerst.“

Inhalt

Als sein 8-jähriger Bruder Jonas stirbt, steht Benjamin an der ...

„Die ewigen Jagdgründe musst du dir wie eine Lücke in der Zeit vorstellen. Dort wird Jonas ewig so bleiben, wie du ihn erinnerst.“

Inhalt

Als sein 8-jähriger Bruder Jonas stirbt, steht Benjamin an der Schwelle zur Pubertät. Nach einem Anfall im Schwimmbad, geht es dem Kleinen immer schlechter und schließlich stiehlt er sich klammheimlich aus dieser Welt, in der es für ihn noch so viel zu entdecken gab. Für Benjamin und seine Mutter Ruth beginnt nun eine andere Zeitrechnung, ein Leben, in dem ein geliebter Mensch einfach so fehlt und nur der Besuch auf dem Friedhof bleibt. Während Benjamin sich strukturiert mit der Sache auseinandersetzt und ihn seine Freunde, aber auch der Schulalltag vom Unglück ablenken. Verfällt seine alleinstehende Mutter immer mehr in eine Depression, die sie auch an Selbstmord denken lässt. Doch Benjamin steht ihr bei, weckt neuen Lebensmut in ihr und zeigt ihr, wie sie ihr jüngstes Kind weiterleben lassen kann, wenn auch nur in Gedanken und Erinnerungen an eine Zeit, in der Jonas noch unter ihnen weilte.

Meinung

Zum Thema Trauer, Sterben und dem Umgang der Hinterbliebenen mit der Lücke nach dem Tod eines geschätzten Menschen, habe ich dieses Jahr bereits zahlreiche Bücher gelesen. Ihnen allen war eins gemeinsam, sie konnten in mir Gefühle wecken, die mich gerührt haben, oftmals sogar zu Tränen. Nur „Ein fauler Gott“ reiht sich zu meinem Leidwesen nicht in diese traurig-emotionale Achterbahnfahrt der Gedanken ein.

In seinem Debütroman bleibt der Autor Stephan Lohse geradezu unheimlich sachlich und verpasst es damit, mein Leserherz zu überzeugen. Denn wenn man durch Trauer und Verlust überhaupt nicht berührt wird, sei es durch Gesten, Worte oder Taten, dann stellt sich mir die Frage, welcher Inhalt sich dem Leser erschließen soll?

In erster Linie jedoch, fehlt es diesem Roman an einer klaren Erzählstruktur. Immer wieder verliert sich der Autor in Nebenhandlungen, immer wieder ergreift er Erzählstränge, die für den Fortgang der Erzählung keine Bedeutung haben und schafft damit einen sehr zerfaserten, fast durcheinandergeratenen Text, dem ich nur mühsam folgen konnte.

Tatsächlich fand ich den Einstieg ins Buch noch am gelungensten, weil dort die Qualität der Formulierungen wirken kann, weil ersichtlich wird, wie schwer es den Protagonisten fällt, ihr Leben nach dem Tod des Angehörigen zu akzeptieren. Doch bereits nach wenigen Kapiteln konzentriert sich der Autor auf das Erwachsenwerden von Benjamin, eben jenem Jungen, der gerade seinen Bruder verloren hat.

Und mit dieser Haupthandlung verschwindet die Basis der Geschichte. Es folgen Eindrücke eines Pubertierenden, seine Erlebnisse und Probleme, Geschichten seiner Freunde, die erste Eroberung des weiblichen Geschlechts. Nur in minimalen Sequenzen schimmert die Aussage, die eigentliche Bedeutung des Textes durch und das war mir definitiv zu wenig.

Fazit

Ich vergebe 2 Lesesterne für einen Roman, der sich nur wenig an trauernde Menschen richtet dafür aber gekonnt das Leben eines Teenagers in den 70-iger Jahren beleuchtet. Wenn man keine emotionale Geschichte erwartet und sich auf das kunterbunte Geschehen einlassen mag, so findet man an der Schreibweise und der Geschichte mit Sicherheit mehr Gefallen, was auch die Mehrheit der Leserstimmen reflektiert. Mir hat dieses Buch leider nicht zugesagt, weil ich mir etwas vollkommen Anderes davon erhofft hatte.

Veröffentlicht am 27.03.2017

Das menschliche Projekt

Die Terranauten
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„Aber wir waren schon zu lange miteinander eingesperrt und kannten einander zu gut, jede Eigenart und Geste, jede Phrase, jede Sprechgewohnheit, jede hundertmal gehörte Geschichte zerrte an unseren Nerven, ...

„Aber wir waren schon zu lange miteinander eingesperrt und kannten einander zu gut, jede Eigenart und Geste, jede Phrase, jede Sprechgewohnheit, jede hundertmal gehörte Geschichte zerrte an unseren Nerven, bis das Prinzip der Kameradschaft nur noch ein Witz war.“

Inhalt

Es ist ein Pilotprojekt mitten in der Wüste von Arizona, dort wo die Sonne brennt, wurde unter dem Namen „Ecosphere“ eine riesige Glaskuppel errichtet, in der 8 Menschen für jeweils 2 Jahre hermetisch abgeschlossen sind und für wissenschaftliche Zwecke ein Leben außerhalb der Erdatmosphäre proben. Unter der Schirmherrschaft von Mission Control, einem kommerziellen Unternehmen, wird das Leben im inneren der Kuppel streng überwacht und für Marketingzwecke ausgenutzt. So gibt es Videoübertragungen, Ansprachen der Bewohner an die Menschen draußen und natürlich die Möglichkeit für Interessierte, direkt in den künstlich geschaffenen Lebensraum zu schauen. Für die „Terranauten“ im Inneren gestaltet sich das Leben alles andere als einfach, denn sie leiden alsbald unter Hunger, fühlen sich schlapp und ausgelaugt und fiebern dem Ende der Mission entgegen. Als die ersten Liebesspiele in der Kuppel stattfinden und sich Paare bilden, ergibt sich ein voyeuristischer Effekt, den der Boss, zu nutzen weiß. Doch als eine „Terranautin“ schwanger wird, geraten alle an ihre Grenzen und es fragt sich, ob sie ihre Mission beenden können …

Meinung

Die war mein erster Roman des Autors T.C. Boyle, auf den ich durch die zahlreichen begeisterten Leserstimmen aufmerksam wurde und den ich unbedingt selbst kennenlernen wollte. Doch leider konnte mich weder der Inhalt des Buches, noch die schriftstellerische Umsetzung überzeugen, so dass die über 600 Seiten für mich leider alles andere als ein Lesevergnügen wurden.

Die drei gewählten Erzählperspektiven aus Sicht eines männlichen und eines weiblichen Bewohners der Glaskuppel, sowie einer Frau, die es leider nicht in das „Heiligtum“ geschafft hat, sind gut gewählt, denn dadurch entsteht für den Leser ein gewisser Rundum-Blick. Man erfährt im Folgenden sehr wenig über den wissenschaftlichen Aspekt, dafür aber umso mehr über die zwischenmenschlichen Beziehungen der Projektteilnehmer. Da ist Dawn, die sich ehrgeizig in ihre Aufgabe stürzt und durch einen Verhütungsfehler zur Mutter wird und Ramsey, der Playboy, dem es in erster Linie um seine Bedürfnisbefriedigung geht und der fast alle Frauen liebt, bis er gezwungenermaßen zum Vater abgestempelt wird. Und dann gibt es Linda, die immerfort in der zweiten Reihe steht und zwischen naiven Racheakten, gezielten Eifersüchteleien und bösartigen Kommentaren schwankt. Und sie alle zeigen nur eines: Man kann in „E2“ durchaus überleben, doch man wünscht sich sehnlichst ein Ende des Projektes, um die geschundenen Seelen reparieren zu können.

Meine schlechte Bewertung beruht im Wesentlichen auf einem Mangel an wirklicher Handlung. Boyle bildet das tägliche Leben ab, beschreibt Alleingänge der Bewohner und teils handfeste Auseinandersetzungen, immer vor dem gleichen Hintergrund: arbeiten, essen, schlafen. Nur wenige Highlights, wie ein lebensbedrohlicher Stromausfall erhöhen die Lesefrequenz. Die vorherrschende Stimmung ist: Langeweile. Und daraus resultierende Ränkespiele, sexuelles Begehren und persönliche Fehltritte. Dieser Roman nimmt nicht nur unsympathische Protagonisten für sich in Anspruch, sondern sorgt dafür, dass ich mich immer wieder gefragt habe: „Warum tun sich Menschen freiwillig etwas Derartiges an, nur um sich dann fortwährend zu beklagen?“. Inhaltlich hätte sich das Buch mit der Hälfte der Seitenzahl begnügen können.

Fazit

Ich vergebe bescheidene 2 Lesesterne für einen im Grundsatz interessanten Roman, der sich in Kleinlichkeiten, Detailverliebtheit und Langeweile verliert. Wer gerne in die Abgründe der menschlichen Seele blicken möchte, wer es mag, wenn Protagonisten so geradlinig gestrickt sind, wie man es von Anfang an erwartet, wer Sex statt Wissenschaft sucht, dem könnte dieses Buch durchaus gefallen. Für mich lässt sich nur ein negatives Fazit ziehen. Schade!

Veröffentlicht am 17.12.2016

Auch eine gute Idee hat ihre Konsequenzen

Widerfahrnis
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„Manchmal sind Dinge, die lange unmöglich erschienen, zeitlebens fast, plötzlich ganz leicht, wie sich selbst loszulassen oder, aus umgekehrter Sicht, von sich abzurücken und für jemanden da zu sein, nicht ...

„Manchmal sind Dinge, die lange unmöglich erschienen, zeitlebens fast, plötzlich ganz leicht, wie sich selbst loszulassen oder, aus umgekehrter Sicht, von sich abzurücken und für jemanden da zu sein, nicht irgendwann und irgendwo auch nicht in Gedanken, also später, sondern gleich.“

Inhalt

Julius Reither hat seinen unrentablen Verlag geschlossen, ebenso Leonie Palm ihren Hutladen, weil es keine Leute mehr gibt, die Hüte tragen. Und so begegnen sich zwei Menschen in der zweiten Hälfte ihres Lebens, die weder einen bestimmten Plan noch ein Ziel verfolgen. Gemeinsam ziehen sie mitten in der Nacht los, um ein wenig herumzufahren und dann noch ein Stück weiter, bis sie schließlich auf einer Route nach Italien sind und immer nur für den Moment leben, für die einfachen Dinge des Seins. Ihre Gespräche drehen sich um persönliche Erfahrungen, um missglückte Beziehungen und gescheiterte Existenzen, doch finden sie kurzfristig in der Nähe des Anderen wieder näher zu sich selbst. Als sich ihnen ein Flüchtlingsmädchen anschließt, die weder ihre Sprache spricht, noch einen Namen zu haben scheint, spitzt sich die Situation zu, denn Leonie und Reither wollen plötzlich nicht mehr dasselbe und bemerken, wie fremd sie sich doch eigentlich sind. Ihr Trip endet so, wie er begann: schicksalhaft aber einsam.

Meinung

An diesem Buch scheiden sich wohl die Geister, dieses Phänomen haben mir zumindest die stark schwankenden Lesermeinungen nahegelegt. Denn während einige in höchsten Tönen schwärmen, grenzt diese Novelle für andere an ein Fiasko. Schon allein deswegen wollte ich mir unbedingt eine eigene Meinung bilden. Leider konnte mich „Widerfahrnis“ nicht für sich einnehmen, da mir vieles zu vage und unbestimmt blieb und das in Kombination mit einer mäßig interessanten Handlung. Ganz besonders schade fand ich die unrealistische Verbindung zwischen beginnender Liebesgeschichte und einer unglücklich gewählten Flüchtlingsproblematik.

Bodo Kirchhoff schafft in diesem Roman zwei sehr eigenständige Protagonisten, die meines Erachtens so wenige Gemeinsamkeiten haben, dass ihre aufkeimenden Gefühle füreinander äußerst fremd wirken. Beim Lesen empfand ich den gemeinsamen Nenner als die Zigarette, die beide ununterbrochen in Kette rauchen und dabei ihre Gedanken wandern lassen. Von Nähe, Begeisterung und Lebensfreude spürt man so wenig, dass es fast schmerzt. Banale Dinge, wie das Einkaufe oder das „Frischmachen“ auf einer öffentlichen Toilette stellen zentrale Erzählinhalte dar und mir fehlt hier auf jeder Zeile der Blick fürs Große und Ganze.

Einzig die Erzählweise, sehr still und sinnierend, voller formvollendeter Sätze und einer intensiven Auseinandersetzung mit den Feinheiten der Deutschen Sprache haben mir gefallen. Ein unaufgeregtes, wertungsfreies Schreiben, welches zugleich auffallend anders aber auch einprägsam wirkt.

Fazit

Die Bewertung fällt mir nicht leicht, weil ich zwar keine spezielle Erwartungshaltung hatte, aber während des Lesens fortwährend Enttäuschungen erlebte. Angefangen von unsympathischen Protagonisten über eine eher sinnfreie Reise bis hin zu äußert konstruierten Situationen haben mir das Verständnis, den Sinn der Erzählung immer fremder werden lassen. Ein Buch, welches mit zunehmender Seitenzahl an persönlichem Wert verloren hat und dessen Gesamturteil mit 2 Sternen ins untere Mittelfeld einzuordnen ist. Vielleicht kann man Julius Reither mögen, mir viel es einfach nur schwer …