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Veröffentlicht am 23.04.2021

Der Raum zwischen Schwarz und Weiß

Die siebte Zeugin
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„Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, so gut es ihm eben möglich war zu plädieren. Und zu hoffen. Zu hoffen, dass am Ende gegen die eindeutigen Normen des Strafgesetzbuches die Gerechtigkeit ...


„Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, so gut es ihm eben möglich war zu plädieren. Und zu hoffen. Zu hoffen, dass am Ende gegen die eindeutigen Normen des Strafgesetzbuches die Gerechtigkeit siegte. Für einen Vater, der sich in seinen Handlungen verrannt hatte. Und für dessen Tochter, die von all den Geschehnissen um sie herum nicht die geringste Ahnung hatte.“

Inhalt

Der Strafverteidiger Rocco Eberhardt hat schon einige Jahre Berufserfahrung und dabei gelernt, dass er sich besser nicht zu persönlich auf die Fälle seiner Mandanten einlassen sollte, weil er sie zwar bestmöglich vor dem Strafgericht verteidigen muss, sie aber dennoch alle irgendeine Form des Verbrechens begangen haben und dadurch Schuld auf sich geladen haben, die selbst das beste Plädoyer nicht ungeschehen machen kann.

Sein aktueller Fall beschäftigt ihn dennoch mehr als beabsichtigt, denn der Täter, von der Presse als „Killer-Beamter“ tituliert, ist ein stiller, unauffälliger Familienvater, der zu allen Vorwürfen schweigt und um keinen Preis sein Motiv offenbaren möchte. Eberhardt bleibt eigentlich nur an dem Fall dran, weil sein Interesse geweckt ist, was Nikolas Nölting tatsächlich zu verbergen hat und warum er mitten am Tag in einer Bäckerei das Feuer eröffnete und zum Mörder wurde. Dank seiner Hartnäckigkeit gelingt es dem Anwalt, die Hintergründe aufzudecken, die weit in das organisierte Verbrechen der Hauptstadt hineinreichen und dennoch ganz gelagert sind, als ursprünglich vermutet …

Meinung

Die beiden Autoren Florian Schwiecker und Michael Tsokos starten mit diesem Justiz-Krimi eine neue Reihe, um den Strafverteidiger Rocco Eberhardt und den Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer. Das ist mein erstes Buch des Autorengespanns und ich bin eher zufällig und ohne große Erwartungshaltung in die Lektüre gestartet. Insgesamt handelt es sich bei diesem Kriminalroman um gute, solide Handwerkskunst, die vor allem durch ihre Realitätsnähe besticht und dadurch interessante Einblicke in das System der Deutschen Rechtssprechung und Gerichtsbarkeit liefert.

Man merkt der Lektüre an, dass die Verfasser selbst über die entsprechende Berufserfahrung verfügen und diese allgemeingültig und plausibel auch an Laien vermitteln können. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sich gerade diese Abläufe in den Büchern wiederholen werden, wenn Eberhardt und Jarmer zu ihrem nächsten Fall aufbrechen und das, was hier in Band eins noch neu und interessant erschien, im Verlauf der Reihe weniger Interesse wecken könnte.

Der Fall selbst ist eher mäßig spannend und dadurch schwankt auch das Spannungsniveau der gesamten Erzählung. Zum Glück legen die Autoren neben der reinen Verhandlung auch ein Augenmerk auf die persönlichen Hintergründe der Protagonisten, die natürlich selbst nicht immer unfehlbar sind und auch die ein oder andere dringende Klärung in familiärer Angelegenheit wahrnehmen müssen. Insgesamt ist es ein gelungener Ausgleich zwischen Fakten, Erlebnissen und persönlichen Erfahrungswerten, der mich größtenteils gut unterhalten konnte.

Der Schreibstil an sich ist klar, sachlich und strukturiert. Dazu tragen auch die kurzen Kapitel und die Übersichtliche Gestaltung des Textes bei, so dass der Leser sowohl der gegenwärtigen Gerichtsverhandlung als auch den Tathintergründen und diversen Nebenhandlungen gut folgen kann. Sowohl zu den Figuren als auch zur Sache an sich bleibt eine gewisse Distanz gewahrt, die Emotionalität gar nicht erst aufkommen lässt. Dieser Tatbestand würde mich normalerweise zu einer schlechteren Bewertung kommen lassen, passt aber hier hervorragend zur erzählten Story, die wesentlich zerfaserter wirken würde, wenn sie nicht so zielgerichtet und neutral geschrieben wäre.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen Reihenauftakt, der ein scheinbar zielgerichtetes Attentat ohne erkennbares Motiv zur Sprache bringt und dessen Wahrheiten sich erst im Laufe der Erzählung gekonnt entfalten.

Man sollte Interesse an Gerichtsverhandlungen mitbringen, sich mit dem Zusammentragen diverser Fakten arrangieren und keinen atemberaubenden Spannungsbogen erwarten. Manchmal gewinnt die Handlung stark an Tempo und man möchte unbedingt weiterlesen, dann stagniert das Ganze wieder und die Energie ist verpufft. An dieser Stelle hätte ich mir persönlich weniger die berichtende Erzählperspektive gewünscht als vielmehr eine Beteiligung mehrerer Personen, vor allem in Hinblick auf ihre inneren Gewissheiten.

Im Zentrum steht hier weniger der Attentäter selbst als die Arbeit des Strafverteidigers, der sich - aus Mangel an Kooperationsbereitschaft seines Mandanten - allein durch die Unwegbarkeiten der Tatumstände kämpfen muss. Prinzipiell habe ich Interesse am Folgeband und würde dann entscheiden, ob ich die Reihe fortsetzen werde oder nicht.
„Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, so gut es ihm eben möglich war zu plädieren. Und zu hoffen. Zu hoffen, dass am Ende gegen die eindeutigen Normen des Strafgesetzbuches die Gerechtigkeit siegte. Für einen Vater, der sich in seinen Handlungen verrannt hatte. Und für dessen Tochter, die von all den Geschehnissen um sie herum nicht die geringste Ahnung hatte.“

Inhalt

Der Strafverteidiger Rocco Eberhardt hat schon einige Jahre Berufserfahrung und dabei gelernt, dass er sich besser nicht zu persönlich auf die Fälle seiner Mandanten einlassen sollte, weil er sie zwar bestmöglich vor dem Strafgericht verteidigen muss, sie aber dennoch alle irgendeine Form des Verbrechens begangen haben und dadurch Schuld auf sich geladen haben, die selbst das beste Plädoyer nicht ungeschehen machen kann.

Sein aktueller Fall beschäftigt ihn dennoch mehr als beabsichtigt, denn der Täter, von der Presse als „Killer-Beamter“ tituliert, ist ein stiller, unauffälliger Familienvater, der zu allen Vorwürfen schweigt und um keinen Preis sein Motiv offenbaren möchte. Eberhardt bleibt eigentlich nur an dem Fall dran, weil sein Interesse geweckt ist, was Nikolas Nölting tatsächlich zu verbergen hat und warum er mitten am Tag in einer Bäckerei das Feuer eröffnete und zum Mörder wurde. Dank seiner Hartnäckigkeit gelingt es dem Anwalt, die Hintergründe aufzudecken, die weit in das organisierte Verbrechen der Hauptstadt hineinreichen und dennoch ganz gelagert sind, als ursprünglich vermutet …

Meinung

Die beiden Autoren Florian Schwiecker und Michael Tsokos starten mit diesem Justiz-Krimi eine neue Reihe, um den Strafverteidiger Rocco Eberhardt und den Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer. Das ist mein erstes Buch des Autorengespanns und ich bin eher zufällig und ohne große Erwartungshaltung in die Lektüre gestartet. Insgesamt handelt es sich bei diesem Kriminalroman um gute, solide Handwerkskunst, die vor allem durch ihre Realitätsnähe besticht und dadurch interessante Einblicke in das System der Deutschen Rechtssprechung und Gerichtsbarkeit liefert.

Man merkt der Lektüre an, dass die Verfasser selbst über die entsprechende Berufserfahrung verfügen und diese allgemeingültig und plausibel auch an Laien vermitteln können. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sich gerade diese Abläufe in den Büchern wiederholen werden, wenn Eberhardt und Jarmer zu ihrem nächsten Fall aufbrechen und das, was hier in Band eins noch neu und interessant erschien, im Verlauf der Reihe weniger Interesse wecken könnte.

Der Fall selbst ist eher mäßig spannend und dadurch schwankt auch das Spannungsniveau der gesamten Erzählung. Zum Glück legen die Autoren neben der reinen Verhandlung auch ein Augenmerk auf die persönlichen Hintergründe der Protagonisten, die natürlich selbst nicht immer unfehlbar sind und auch die ein oder andere dringende Klärung in familiärer Angelegenheit wahrnehmen müssen. Insgesamt ist es ein gelungener Ausgleich zwischen Fakten, Erlebnissen und persönlichen Erfahrungswerten, der mich größtenteils gut unterhalten konnte.

Der Schreibstil an sich ist klar, sachlich und strukturiert. Dazu tragen auch die kurzen Kapitel und die Übersichtliche Gestaltung des Textes bei, so dass der Leser sowohl der gegenwärtigen Gerichtsverhandlung als auch den Tathintergründen und diversen Nebenhandlungen gut folgen kann. Sowohl zu den Figuren als auch zur Sache an sich bleibt eine gewisse Distanz gewahrt, die Emotionalität gar nicht erst aufkommen lässt. Dieser Tatbestand würde mich normalerweise zu einer schlechteren Bewertung kommen lassen, passt aber hier hervorragend zur erzählten Story, die wesentlich zerfaserter wirken würde, wenn sie nicht so zielgerichtet und neutral geschrieben wäre.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen Reihenauftakt, der ein scheinbar zielgerichtetes Attentat ohne erkennbares Motiv zur Sprache bringt und dessen Wahrheiten sich erst im Laufe der Erzählung gekonnt entfalten.

Man sollte Interesse an Gerichtsverhandlungen mitbringen, sich mit dem Zusammentragen diverser Fakten arrangieren und keinen atemberaubenden Spannungsbogen erwarten. Manchmal gewinnt die Handlung stark an Tempo und man möchte unbedingt weiterlesen, dann stagniert das Ganze wieder und die Energie ist verpufft. An dieser Stelle hätte ich mir persönlich weniger die berichtende Erzählperspektive gewünscht als vielmehr eine Beteiligung mehrerer Personen, vor allem in Hinblick auf ihre inneren Gewissheiten.

Im Zentrum steht hier weniger der Attentäter selbst als die Arbeit des Strafverteidigers, der sich - aus Mangel an Kooperationsbereitschaft seines Mandanten - allein durch die Unwegbarkeiten der Tatumstände kämpfen muss. Prinzipiell habe ich Interesse am Folgeband und würde dann entscheiden, ob ich die Reihe fortsetzen werde oder nicht.

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Veröffentlicht am 14.04.2021

Am Puls des Konbini

Die Ladenhüterin
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Morgens war ich dann wieder zur Stelle, ein Rädchen im Getriebe der Welt. Nur das machte mich zu einem normalen Menschen.“

Inhalt

Keiko Furukura war schon immer etwas seltsam und mausert sich schließlich ...

Morgens war ich dann wieder zur Stelle, ein Rädchen im Getriebe der Welt. Nur das machte mich zu einem normalen Menschen.“

Inhalt

Keiko Furukura war schon immer etwas seltsam und mausert sich schließlich zur absoluten Außenseiterin, weil sie mit 36 Jahren nach wie vor keinen Mann hat, keine Kinder bekommt und immer noch den Aushilfsjob im Konbini absolviert und sich tagtäglich mit der optimalen Warenpräsentation und bestmöglichen Verkaufszahlen auseinandersetzt.

Sie hat keine echten Freunde, kein Hobby, ja scheinbar keinen Lebenssinn – nur stört das immer die anderen und niemals Keiko. Ganz im Gegenteil, ihre Arbeit im Supermarkt erfüllt sie mit tiefer Zufriedenheit und gibt jedem Tag eine gleichförmige Struktur, ohne die sie in ein tiefes Loch fallen würde. Aber zuliebe der anderen kündigt sie doch noch und beginnt ein scheinbar gesellschaftlich akzeptiertes Leben, aber der Konbini lässt sie nicht los und sein Takt begleitet sie nach wie vor – Keiko muss sich entscheiden, ob sie weiterhin die verschrobene Einzelgängerin bleiben möchte und ihrer inneren Stimme folgt, oder nicht …

Meinung

Dieses kleine Buch (145 Seiten) steht bereits seit seinem Erscheinungstermin in meinem Regal, weil mich sowohl die Grundidee ansprach als auch die inhaltliche Aufarbeitung der Thematik des „Andersseins“. Und ich wurde nicht enttäuscht, denn die im Kern eher traurige Geschichte der Angestellten Keiko, die so gar nicht zum gesellschaftsfähigen Bild in Japan passt, hat mich nicht nur bestens unterhalten, sondern impliziert trotz der aufgelockerten, fast heiteren Stimmung einen ernsthaften Hintergrund, mit dem ich mich während des Lesens ganz nebenbei beschäftigen konnte.

Zunächst lernt der geneigte Leser die Protagonistin sehr genau kennen, weil die Ich-Perspektive in der Textform gewählt wurde. Zwar bleibt vieles von Keiko im Dunkeln, weil sie tatsächlich wenig Ansprüche zu haben scheint, aber man fühlt sich ihr dennoch nah und akzeptiert ihr Wesen voll und ganz. Umso nervtötender wirken „die anderen“, die hier in Form von losen Bekannten, Arbeitskollegen oder Familienangehörigen daherkommen und sich ununterbrochen einmischen. Irgendwann ist man dann der Überzeugung, dass es für Keiko keinen Sinn macht, sich an die Normen der Gesellschaft anzupassen, weil sie damit ihr innerstes Wesen verleugnet und gleichzeitig fragt man sich, wie viel Wert überhaupt darin liegt, dass die Menschheit immer danach strebt, so gleichförmig und ähnlich sein zu wollen und für Individualismus so wenig Platz bleibt.

Besonders hervorheben möchte ich die für mich absolut unschlagbare humorvolle Umsetzung des Ganzen, denn gerade die einzelnen Szenen im Supermarkt empfand ich, die selbst im Handel tätig ist, wahnsinnig treffend und urkomisch, ich musste sehr oft sehr laut lachen und allein dieser Umstand macht mir das Buch auf der zwischenmenschlichen Ebene sympathisch. Ohnehin überwiegt ein positiver, lebensbejahender Erzählton, der die geschilderten Umstände eher komisch und abstrus wirken lässt als bitterernst und anklagend. Ein Weichmacher, der dafür plädiert, jeden so sein zu lassen, wie er eben ist. Die einen finden Erfüllung daran, sich gesellschaftsfähig hervorzutun, die anderen möchten einfach nur ihre Ruhe und irgendetwas, was sie im Herzen glücklich sein lässt, auch wenn es dabei nur darum geht, möglichst erfolgreich Reistaschen zu verkaufen.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne, aus denen beinahe 5 geworden wären, wenn das Ende nicht ganz so abrupt gekommen wäre und auch die weitere Entwicklung der Protagonistin noch ein paar Seiten länger nachvollziehbar gewesen wäre. Es ist ein witziges, abstraktes und sehr unterhaltsames Buch, welches eine ernstzunehmende Botschaft gekonnt in eine locker-leichte Geschichte verpackt und gerade durch diese ungewöhnliche Kombination das Herz des Lesers erobern kann.

Es gibt weder den erhobenen Zeigefinger, noch die ultimative Lösung des Problems, stattdessen appelliert die japanische Autorin Sayaka Murata an die Fähigkeit des Menschen, auch anders gestrickte Personen hinzunehmen, die sich um Konventionen im herkömmlichen Sinne überhaupt keine Gedanken machen und einfach nur einen Platz im Gefüge möchten, der nicht ununterbrochen in Frage gestellt wird. Ich setze nun „Das Seidenraupenzimmer“, einen anderen Roman der Autorin auf meine Wunschliste, denn dieser hier hat mir sehr gut gefallen.

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Veröffentlicht am 14.04.2021

Wer keinen Schatten wirft, existiert nicht

Roman d’amour
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„Am Meer lernt man am besten, dass man die Welt nicht halten kann, nichts kann man halten, nichts, nichts, nichts.“

Inhalt

Charlotte Moire hat einen Roman geschrieben, in dem sie die Liebschaft zwischen ...

„Am Meer lernt man am besten, dass man die Welt nicht halten kann, nichts kann man halten, nichts, nichts, nichts.“

Inhalt

Charlotte Moire hat einen Roman geschrieben, in dem sie die Liebschaft zwischen einem verheirateten Mann und seiner Affäre beschreibt, natürlich endet es tragisch, natürlich gibt es nicht nur den Betrüger, sondern auch die hintergangene Ehefrau und die unglückliche Zweitfrau, die ihren Geliebten niemals für sich allein haben wird.

Und Charlotte hat ganz bewusst ihre eigenen Erfahrungen mit in die Thematik einfließen lassen, aber so geschickt, dass ein Außenstehender nur mutmaßen kann, wieviel Wahrheit in der fiktiven Erzählung steckt. Dieser Frage geht nun die Journalistin Frau Sittich nach, die die Künstlerin in einem Interview anlässlich einer Preisverleihung genauer charakterisieren möchte. Die beiden Frauen sind sich nicht unbedingt sympathisch und doch scheint es eine besondere Verbindung zwischen ihnen zu geben, denn die eine fragt immer mehr als sie wissen muss und die andere fühlt sich bemüßigt Dinge zu erklären, bei denen kein Erklärungsbedarf besteht. Ein offenes Gespräch über die Liebe und deren Verästelungen nimmt seinen Lauf, bei dem es nicht um die Frage der Schuld, sondern um die Möglichkeiten der Liebe geht …

Meinung

Dies war mein erster Roman der deutsch-französischen Autorin Sylvie Schenk, die hier auf kurzen 128 Seiten ein sehr besonderes Leseerlebnis bietet, welches ganz anders gestrickt ist, als eine Vielzahl der Bücher mit der Thematik des Ehebruchs.

Gerade der Aufbau einer zweiten Geschichte innerhalb eines Romans, mit ähnlichen Protagonisten, bekannten Situationen und verständlichen Entwicklungen, lässt vieles verschmelzen und macht es dem Leser nicht immer einfach, die Situationen auseinander zu halten. Doch hier ist dieses Konstrukt gelungen, denn es spielt überhaupt keine Rolle wer hier wen betrügt und aus welchem Grund – alles sind nur Erinnerungen an eine längst vergangene Liebschaft, die dennoch immer aktuell sein wird, weil sie so universell und altbekannt scheint, wie die Liebe selbst.

Positiv beurteile ich die Aussagekraft der Geschichte, die sich eher nebenbei ergibt, denn man findet zwischen den Zeilen eine Vielzahl philosophischer Gedanken über die Liebe an sich und im Besonderen, man spürt die Lebensweisheit der Erzählenden und genießt außerdem, die Eindrücke der Protagonisten, die kurzzeitig in dieser Affäre aufgehen, sie genießen, sie verachten und schließlich mit ihr vergehen, denn das diese Liebelei endlich sein wird, ist von Anfang an klar. Ohnehin bekommt die Gefühlsebene hier eine wesentliche Rolle, sie ist es, die Menschen in die Verwirrungen der Liebe stürzt und sie dann straucheln lässt, weil sie sich voll und ganz auf den Moment konzentriert haben und sich fortan mit der schnöden Realität abfinden müssen, die es ihnen unmöglich macht für immer den Ausnahmezustand zu genießen. Wie fühlt man sich in dieser Situation, die man zwar von Anfang an durchdacht hat, sie aber dennoch anders erlebt, wenn man sie durchlebt?

Der Sprachstil ist gehoben, wirkt ästhetisch und lädt zum Träumen ein, zum Nachdenken und zum Innehalten, denn es macht wirklich Freude hier ganze Sätze gleich noch mal zu lesen, um sie in ihrer vollen Schönheit zu erfassen. Der Text ist faszinierend dicht geschrieben, die Handlungen greifen wie kleine Rädchen ineinander und dabei können die Gedanken des Lesers wunderbar schweifen. Auf wenig Raum konzentriert sich hier eine vielschichtige Handlung, bei der das Kalkül weniger auf der Anklage liegt als auf den Emotionen, die auch Jahre nach dieser Amour fou noch so präsent sind, dass sie schmerzen. Bei den Charakteren liegen die Sympathien meinerseits bei den weiblichen Figuren, während der Mann doch sehr blass bleibt und für meinen Geschmack zu austauschbar wirkt – vielleicht ein klitzekleiner Kritikpunkt in der sonst so niveauvollen, formschönen Erzählung.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen autofiktionalen Roman, der die Identitäten der handelnden Personen aufweicht und deshalb weniger Nähe und Emotionalität erzeugt als andere Bücher mit ähnlicher Thematik. Dafür liegt die Stärke des Textes darin, Hintergründe und Ursachen viel deutlicher und universeller hervorzuheben und einen höchst interessanten Plot zu entwerfen, der am Ende mit einer Überraschung aufwartet, die gleich dazu animiert, nochmals von vorne zu beginnen, um diesmal alle/ andere Nuancen aufzunehmen. Ein weiteres Buch der Autorin würde ich sehr gerne lesen und kann dieses hier empfehlen.

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Veröffentlicht am 14.04.2021

Die Erdkugel auf ihrer richtigen Bahn

Löwen wecken
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Du begreifst nie, wie komplex die Wirklichkeit ist, solange du nicht versuchst, dir eine alternative Wirklichkeit zu schaffen. Und da war schon was dran, an dem, was er erzählte, etwas, das ihn vom klaren ...

Du begreifst nie, wie komplex die Wirklichkeit ist, solange du nicht versuchst, dir eine alternative Wirklichkeit zu schaffen. Und da war schon was dran, an dem, was er erzählte, etwas, das ihn vom klaren Territorium der Lüge entfernte.“

Inhalt

Etan Grien ist Arzt, liebender Ehemann und Familienvater und war Zeit seines Lebens immer prinzipientreu. Doch als er eines Nachts auf dem Nachhauseweg einen Menschen überfährt, gerät seine so alltägliche, normale Welt vollkommen durcheinander. Etan begeht Fahrerflucht, nachdem er sich kurz versichert hat, dass er dem Eritreer, der vor ihm im Wüstensand liegt nicht mehr helfen kann. Schlagartig wird ihm bewusst, dass er nun lügen muss oder für sein Vergehen alles verliert, was ihm lieb und teuer ist. Als am nächsten Morgen eine dunkelhäutige Frau vor seiner Tür steht und ihm seine verlorene Geldbörse überreicht, die sie bei ihrem tödlich verletzten Mann gefunden hat, begreift Etan, dass er so leicht nicht aus der Situation herauskommen wird, denn die Fremde hat alles, was sie braucht, um ihn zu erpressen und Etan beginnt ein gefährliches Doppelleben, welches ihn bald schon an seine Grenzen bringt …

Meinung

Viel zu lange schon lag dieses Buch auf meinem SUB und nun habe ich es im Rahmen einer Challenge endlich zur Hand genommen und mich in die ferne und auch nahe Welt der Lügen, des Betrugs und der schicksalhaften Begegnungen vorgewagt und mich gemeinsam mit den Hauptprotagonisten auf eine psychologische Reise in ihr Inneres gewagt.

Dieser Roman benötigt nicht allzu viele Zutaten, um seine Durchschlagskraft zu entwickeln, denn eigentlich ist es nur dieser kurze Moment, der Katalysator, den es braucht, um eine Kette an Ereignissen auszulösen, die dieses Buch in vielschichtigen Gedankengängen nach und nach freilegt.

Es sind zwei wesentliche Merkmale, die diese Erzählung so verstörend und gleichzeitig menschlich machen: zunächst ist es das Dilemma eines bisher nie negativ in Erscheinung getretenen Mannes, der sich plötzlich mit der vernichtenden Frage konfrontiert sieht, wieso er zu so einer Tat überhaupt fähig ist, er der nie gelogen hat, der immer auf der Seite der Guten stand und selbst viel Wert auf Integrität und Ehrlichkeit legt. Und dann ist es noch die Gegenseite, die zu Wort kommt, in Form einer Fremden, die bisher niemand wahrgenommen hat, die eine von tausenden Flüchtlingen ist, die in der Masse verschwinden, deren Leben noch nie einfach, schön und voller kleiner Wunder war.

Beide Gegenpole treffen aufeinander und müssen feststellen, dass es dieses Dogma zwischen Recht und Gerechtigkeit nicht gibt. Doch während Etan mit der Entwicklung seines eigenen Charakters zum vermeintlich schlechteren hadert, besinnt sich Sirkit, die Unfallzeugin eines anderen, wohlwissend, dass ihr Handeln immer eine Reaktion beim anderen auslösen wird und sie damit erstmals in ihrem Leben die Macht hat, eine Veränderung willentlich herbeizuführen.

Die in Tel Aviv lebende Autorin Ayelet Gundar-Goshen formt hier ein äußerst interessantes, leicht nachvollziehbares Gedankenkonstrukt zweier Menschen, die ein dunkles Geheimnis teilen, aus dem bald schon neue Entwicklungen entstehen. Dabei wechselt sie gekonnt die Erzählperspektiven, mal aus der männlichen, dann wieder der weiblichen Sicht und sie verwebt die Ereignisse so dicht und massiv, dass auch die Nebenprotagonisten unfreiwillige Zuschauer werden bzw. dazu verdammt sind, unwissend zu bleiben, ungeachtet ihrer Fähigkeit die zahlreichen Veränderungen wahrzunehmen. Im Hintergrund läuft beim Leser ein ganzer Film ab, der sich weniger auf die einzelnen Szenen konzentriert, sondern vielmehr auf die emotionale Ebene, die ungesagten Worten, die nur erdachten Möglichkeiten und den Wunsch, zumindest einem der Protagonisten beizustehen und sei es nur moralisch, selbst wenn das auf Grund der eindeutigen Indizien unverantwortlich erscheint.

Fazit

Ich bin begeistert von dieser Charakterstudie, die ganz nebenbei ein buntes Spektrum an Gedanken und Gefühlen wachrüttelt und vergebe gerne 5 Lesesterne für diese Ausnahmegeschichte. Das Beste daran – sie ist universell, übertragbar und egal wie realitätsnah sie auch sein mag, die Handlungen aller sind nachvollziehbar, empathisch und längst nicht so undenkbar, wie vermutet.

Der Kerngedanke hinter der manchmal abenteuerlichen Erzählung ist wie ein Fels, zunächst steht man vor einer schier unüberbrückbaren Wand, aber je länger man hinschaut, desto mehr Wege werden sichtbar und irgendwann scheint es sogar möglich das Massiv zu umgehen oder zu erklimmen. Es muss einfach wieder möglich sein, dass sich die Erdkugel eines Menschen in der richtigen Bahn bewegt, auch wenn man vorher glaubte, in einem vollkommen anderen Universum gelandet zu sein. In diese Situation darf man als Leser auf gut 400 Seiten eintauchen und wenn man das Buch zuklappt, bleibt nachhaltige Begeisterung für eine kleine Idee und ihre mannigfaltige Entwicklung.

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Veröffentlicht am 14.04.2021

Meine Geschichte zu ihren Ideen

Die Geschichte eines Lügners
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„Ich hatte zu allen eine Meinung und hielt auch nie damit hinter dem Berg, war äußerst zufrieden mit mir, wenn eine meiner wohlplatzierten Herabwürdigungen gelegentlich für Zündstoff sorgte und ich dann ...

„Ich hatte zu allen eine Meinung und hielt auch nie damit hinter dem Berg, war äußerst zufrieden mit mir, wenn eine meiner wohlplatzierten Herabwürdigungen gelegentlich für Zündstoff sorgte und ich dann bei der nächsten Begegnung mit dem jeweiligen Autor behaupten konnte, die Bemerkung sei völlig aus dem Zusammenhang gerissen worden.“

Inhalt

Achtung enthält Spoiler

Maurice Swift hat zwei Ziele im Leben: ein erfolgreicher Romanautor zu werden und Vater eines Kindes. Beides gelingt ihm, allerdings nicht auf dem herkömmlichen Weg, sondern mittels seines Talents, sich anderen erfolgreich zu verkaufen und ihr Vertrauen zu erschleichen, nur um sie dann, nach dem Erreichen des Etappenziels fallenzulassen und sich nach der nächsten lukrativen Möglichkeit umzuschauen. Schon in jungen Jahren schmuggelt er sich förmlich in die Literaturszene, indem er einfach die pikante Lebensgeschichte eines bereits anerkannten Autors aufschreibt und sie ohne dessen Wissen, gewinnbringend vermarktet.

Immer wieder braucht er andere, um sein eigenes künstlerisches Schaffen voranzutreiben, denn ihm fehlen einfach die Ideen für neuen Romanstoff. Dabei ist es ihm gleichgültig, wen er verletzt und ausnimmt, er folgt konsequent seinen Zielen und geht dabei auch über Leichen. Sein skrupelloses Vorgehen kennt keine Grenzen und er verspielt seine Lorbeeren nach und nach, denn irgendwann kommen neue Autoren, die besser sind als er und Kritiker, die seine Vorgehensweise durchschauen. Für Maurice bleibt irgendwann nur noch die Einsamkeit und der Alkohol übrig und sein letzter Wunsch, endlich jene Anerkennung zu finden, nach der er Zeit seines Lebens lechzte …

Meinung

Der irische Bestsellerautor John Boyne gehört zu meinen Lieblingsautoren, denn er vermag es fiktive Geschichten so lebensnah und emotional zu gestalten, wie ich es mag. Deshalb war ich auf sein neuestes Buch sehr gespannt und bin natürlich mit einer entsprechend hohen Erwartungshaltung an die Lektüre gegangen.

Aber schon im ersten Drittel des Buches wurde mir klar, dass die Geschichte um den aalglatten und berechnenden Maurice, nicht in der Liga seiner anderen Romane mitspielen würde. Dabei liegt das nicht mal an dem durch und durch unsympathischen Protagonisten, sondern zunächst an dem scheinbar willkürlichen Aufhänger der Homosexualität. Viel Zeit vergeht im Handlungsverlauf, die mir nur veranschaulicht, wie die Literaturszene gestrickt ist und warum junge, attraktive Männer ein leichtes Spiel haben, zu Emporkömmlingen zu werden. Ganz klar, hier hätte ich mir einen anderen Einstieg gewünscht, zumal die sexuelle Präferenz im Folgenden keine wesentliche Rolle mehr spielt.

In der Folge erzählen dann diverse Protagonisten über ihr Leben in der unmittelbaren Nähe zu Maurice, sie schildern ihn in zahlreichen Facetten und lassen das ganze Ausmaß seiner vernichtenden Ambitionen deutlich werden – dennoch bleibt die zentrale Figur seltsam blass, obwohl mir die Perspektivenvielfalt anderer Erzählstimmen ganz gut gefallen hat. Nach der Hälfte des Romans hätte ich am liebsten das Prädikat – langweilig - vergeben, auch wenn es das nicht ganz trifft, aber die Gründe weiterlesen zu wollen, haben nur indirekt mit dem Roman zu tun. Eher die Hoffnung auf eine klare Wende im Buch haben mich bei der Stange gehalten.

Nach wie vor bin ich großer Fan des Erzählstils des Autors, seine Wortwahl, seine bildhaften Szenen, seine detaillierten und anschaulichen Darstellungen sowohl von Menschen als auch von Situationen gefallen mir ausgesprochen gut, sicherlich ein Bonus, der sich über die Zeit entwickelt hat, aber auch hier in der schriftstellerischen Umsetzung positiv erwähnt werden sollte, eben deshalb, weil der Plot um Maurice Swift so wenig vereinnahmend ist.

Fazit

Das war mein bisher schwächstes Buch von John Boyne und ich kann wirklich nur 3 Lesesterne vergeben, zu Vieles hat nicht gepasst. Vielleicht kann man mit dem Text mehr anfangen, wenn man ein echtes Interesse am Funktionieren des Literaturbetriebes hat oder wenn man einem Menschenfeind durch sein Leben folgen möchte und dessen Handlungsmuster verstehen will. Dadurch das ich schon zahlreiche Bücher mit der Thematik des Betrugs gelesen habe, bringt mir dieses hier keine neuen Erkenntnisse und spricht mich in seiner behäbigen, ausufernden Umsetzung auch nicht an.

Handlung und Charaktere sind wenig ansprechend umgesetzt und wirklich gefesselt hat mich das Gelesene nicht. Ein klarer Fall von: Kann man lesen, muss man aber nicht. Leider komme ich mir selbst etwas betrogen vor, hatte ich doch eine ganz andere Vorstellung von dieser Lektüre - nun gut damit schließt sich der Kreis: ein Betrüger betrügt auch den Leser, in diesem Fall um eine gute Geschichte.

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