Ein Roman über einen Roman
INHALT:
"Die Leidenschaft hat Ihrem Leben keinen Sinn gestiftet, sondern wie ein Tsunami alles weggefegt."
Sylvie Schenk hat einen neuen Roman geschrieben, welcher im März 2021 im Hanser Verlag erschienen ...
INHALT:
"Die Leidenschaft hat Ihrem Leben keinen Sinn gestiftet, sondern wie ein Tsunami alles weggefegt."
Sylvie Schenk hat einen neuen Roman geschrieben, welcher im März 2021 im Hanser Verlag erschienen ist. Er trägt den Titel «Roman d’ amour» und kommt als eher schmaler Band mit 128 Seiten daher. Auf dem Titelbild erkennt man das Meer, Steinküste, einen alten, windschiefen Baum und zwei Fahrräder. Was es mit diesem Foto auf sich hat, erschliesst sich den Lesenden, wenn sie in die Geschichte eintauchen: Erinnerungen an eine Fahrradtour durch Irland, welche die Hauptfigur Charlotte vor vielen Jahren mit ihrem Geliebten unternommen hat, bilden das Herzstück der Erzählung.
Um diese herum webt nun Sylvie Schenk in sprachlich poetischer und fesselnder Weise ihren «Liebesroman». Der eigentlich ein Roman im Roman ist. Denn Charlotte ist Schriftstellerin und hat über ihre 25 Jahre zurückliegenden Erinnerungen an die Zeit mit ihrem verheirateten Geliebten Ludo ein Buch veröffentlicht. Dafür soll ihr nun ein eher unbedeutender Literaturpreis verliehen werden. Charlotte ist eigens dafür auf eine Nordseeinsel gereist und soll sich im Vorfeld der Preisverleihung mit einer ihr bis dato unbekannten Journalistin zu einem Interview treffen.
MEINE MEINUNG:
Was zunächst eher als «Bringen wir es hinter uns» - Gespräch zwischen den beiden weiblichen Hauptfiguren beginnt, entwickelt sich im Lauf der Geschichte immer mehr zu einem Verhör, in welchem sich Charlotte zusehends durch die bohrenden Fragen der Anderen in die Enge getrieben fühlt. Denn einerseits wird sie das Gefühl nicht los, dass ihr Gegenüber weiss, dass Charlotte in ihrem Liebesroman im Grunde genommen ihre eigene Autobiographie geschrieben hat. Andererseits fühlt sie sich durch die immer persönlicher werdenden Äusserungen der Journalistin herausgefordert, über das Wesen der Liebe und ihre eigene Rolle darin nachzudenken.
"Ich taumelte vor Einsamkeit und landete immer wieder in seinen Armen, beschämt von so vielen Zwiespälten."
Indem Charlotte ihre Geschichte mit Ludo noch einmal Revue passieren lässt, wird ihr klar, dass es im Grunde beide Frauen waren, welche aus dieser Dreiecksbeziehung sowohl als Leidtragende wie auch als aktiv Handelnde hervorgingen und -gehen mussten. Charlotte erkennt: Die Sprache der Liebe ist nie allein die zwischen den zwei Hauptpersonen, sie wirkt auch in das nahe und weitere Umfeld hinein. Und so wie es in der Übersetzung von einer Fremdsprache in die andere zu Unsicherheiten und Missverständnissen kommen kann, so ist dies auch in der Liebessprache möglich. Charlotte und eine Hauptfigur in ihrem eigenen Roman kennen dies aus eigener Erfahrung, ist doch ihre Muttersprache das Französische (wie es bei Sylvie Schenk selbst übrigens auch der Fall ist). Beide Frauen stellen sich schliesslich die Frage, ob und wie man überhaupt angemessen über die Liebe sprechen kann.
So ist dieser kleine Roman eine Liebesgeschichte, in welcher auch immer wieder über den Begriff "Liebe" nachgedacht und gesprochen wird.
FAZIT:
«Roman d’amour» ist ein vielschichtiger, berührender und nachdenklich machender Liebesroman. Auch die Schilderung der Naturgewalten, vor allem des Meeres, bilden eine sehr schöne Ergänzung zu den Mächten und Gedanken, die sich im Inneren der Protagonistinnen Bahn brechen. Das Buch lebt von der Vermischung der verschiedenen Zeit- und Beziehungsebenen und durch den Wechsel von Fiktion und Realität. Vor allem aber bezieht es seine Substanz aus der Lebensklugheit der Autorin. Empfehlenswert.