Ein ziemlich holpriger Start
Abschied von der HeimatWir denken oft und gerne an den böhmischen Wind.
Uns war sein Lied vertraut, daheim schon als Kind.
Weit in der Ferne rauscht nun leis' der böhmische Wind.
Er wird noch wehen wenn wir längst nicht mehr ...
Wir denken oft und gerne an den böhmischen Wind.
Uns war sein Lied vertraut, daheim schon als Kind.
Weit in der Ferne rauscht nun leis' der böhmische Wind.
Er wird noch wehen wenn wir längst nicht mehr sind.
(Ernst Hutter)
Erika ist gerade einmal fünf Jahre alt, da beschließen die Eltern, sie nach Böhmen zu Tante Mimi zuschicken, um daheim im Rheinland dem nagenden Hunger zu entfliehen. In der Fremde gelingt es ihr, trotz der harten Hand ihrer Tante, zu einer selbstbewussten jungen Frau heranzuwachsen, die gemeinsam mit ihren Freundinnen das Leben genießt. Das ändert sich jedoch, als das Sudetenland 1938 von den braunen Fantasten besetzt wird. Und wieder einmal steht Erika vor dem Nichts, denn sie soll der böhmischen Heimat den Rücken kehren...
Gabriele Sonnberger verarbeitet in der Böhmen-Saga Erinnerungen ihrer Mutter und lässt ihre Leser:innen daran teilhaben. Daraus formt sie die Figur Erika, die die Leser:innen durch die Geschichte führen soll, um ihnen die bewegte Vergangenheit näher zu bringen. Und da liegt auch schon das Problem - kann ich mich zu Beginn noch mit der kleinen Erika anfreunden, verliert sie mit der Zunahme an Lebensjahren immer mehr Sympathiepunkte, da sie ein recht wankelmütiger Charakter wird.
Auf der einen Seite kann sie es nicht ausstehen, wenn Ungerechtigkeit herrscht und andere benachteiligt werden. Auf der anderen Seite scheint sie sich sang- & klanglos ihrem Schicksal zu ergeben. Passt nicht wirklich zusammen und es fällt mit schwer, ihre Handlungen als glaubhaft zu beschreiben. Kann es sein, dass sich die Schreibende nicht traut, die Rückschau ihrer Mutter mit all den Fehlentscheidungen, schmerzhaften Narben und widersprüchlichen Gefühlen aufzuarbeiten, da sie ihr zu nahe steht ?
Auch missfällt mir, dass die Autorin hier die Wesenszüge ihrer Figuren sehr dramatisch kippen lässt. Gerade bei Coele, der zu Beginn ein sehr, sehr guter Freund von Erika ist, wird das deutlich. Die Schere spreizt sich bei seiner Verwandlung zum Bösen extrem und fast könnte man meinen, dass hier ein kompletter Austausch seines Wesens stattgefunden hat.
Es folgt eine Aneinanderreihung von Ereignissen, die in Erikas Leben eine Rolle spielen, ohne dass auf sie näher eingegangen wird. Sie beginnen und enden abrupt, ohne dass eine gewisse Verbindung besteht und sich die Leser:innen erst zusammenreimen müssen, in welchem Zusammenhang das Gelesene zu verstehen ist.
Manchmal habe ich das Gefühl, auf einem galoppierenden Pferd zu sitzen, das mich in rasender Geschwindigkeit durch die Geschichte bugsiert, weil sich Ereignisse, Schicksalsschläge und Emotionen regelrecht im Schnelldurchlauf an mir vorbei ziehen.
Es gibt unendlich viele Bücher, die sich mit der Thematik Vertreibung aus der Heimat unter der Herrschaft des braunen Sumpfes befassen, aber dieses hier gehört leider in die Kategorie nicht empfehlenswert.