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Veröffentlicht am 18.11.2021

Familienschicksal während der NS-Zeit

Das Haus auf dem Wasser
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Joel Bloom ahnt nicht, dass seine Lesereise nach Amsterdam seine Familiengeschichte neu schreiben wird. Im Holocaust-Museum sieht er sich nämlich einem alten Familienfoto gegenüber, auf dem seine Familie ...

Joel Bloom ahnt nicht, dass seine Lesereise nach Amsterdam seine Familiengeschichte neu schreiben wird. Im Holocaust-Museum sieht er sich nämlich einem alten Familienfoto gegenüber, auf dem seine Familie mit einem Baby zu sehen ist. Jedoch findet er in den Zügen des Kindes so gar keine Ähnlichkeit mit ihm selbst. Es beginnt in Joel zu rumoren und er geht der Frage nach, wer dieses Kind auf dem Foto wirklich ist und vor allen Dingen, wer ist er selbst ?



Ich habe schon viele Bücher über Familienschicksale in der NS-Zeit gelesen und viele ergreifende Lesemomente erlebt. Durch die vielen positiven Meinungen über "Das Haus auf dem Wasser" sind meine Erwartungen natürlich unendlich hoch gewesen und ich bin mit einer entsprechenden Haltung an das Buch herangegangen.

Aber wenn ich ganz ehrlich bin, hat mich dieser Roman nicht wirklich packen können, auch wenn die Handlung auf wahren Begebenheiten beruht. Die Geschichte in der Geschichte kann mich nicht fesseln und ich betrachte eher von außen die Suche nach der eigenen Identität , als mich von dem Schreibstil mitten ins Geschehen hineinziehen zu lassen.

Der Schreibstil ist für mich eher getragen und schwerfällig, die Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit sind fließend und es fällt mitunter schwer, die Abgrenzung zu finden und eine klare Linie zu erhalten. Es erfordert viel Aufmerksamkeit der Leser:innen, hier den ineinandergreifenden Bewegungen der Zahnräder logisch folgen zu können.

Auch das titelgebende Haus auf dem Wasser suche ich vergebens - zwar kommt ein Gedankengang bzgl. eines Hausbootes kurz vor, wird aber wieder fallen gelassen, verflüchtigt sich somit und findet keine weitere Beachtung.

Mir fehlt der Einklang mit dem Buch, um hier vollkommen von dem ergreifenden Schicksal beeindruckt zu sein.

Zwar ist dieser Roman geschrieben, um zu erinnern, reicht aber in meinen Augen nicht an die vielen sehr guten Bücher heran, die ich bereits kenne.

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Veröffentlicht am 17.11.2021

Doch mit den Clowns kamen die Tränen (J.M.Simmel)

Träume aus Papierschnee
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Rose und Pierrot verbindet ein gemeinsames Schicksal, das sie ein Leben lang nicht mehr loslassen wird - sie sind Waisenkinder und wachsen unter dem strengen Regiment der Nonnen im Waisenhaus auf. Tagträume ...

Rose und Pierrot verbindet ein gemeinsames Schicksal, das sie ein Leben lang nicht mehr loslassen wird - sie sind Waisenkinder und wachsen unter dem strengen Regiment der Nonnen im Waisenhaus auf. Tagträume und eine ungeheure Fantasie sind die einzigen Möglichkeiten, aus dem Martyrium zu flüchten. Daraus entsteht eine wunderbare Kombination aus Tanz und Musik, die beiden Kindern ermöglicht, dem Waisenhaus den Rücken zu kehren und eigene Wege zu gehen. Doch beide verlieren sich aus den Augen und das Leben meint es nicht wirklich gut mit ihnen - bis sie sich eines Tages wieder gegenüber stehen...



Wer "Träume aus Papierschnee" in die Hände nimmt, der wird mit Haut und Haaren in eine Geschichte hineingezogen, die den Leser:innen alles abverlangt, was es auf der Gefühlsskala zu erleben gibt. Unendlich viele Hochs und Tiefs gibt es zu überstehen und grausame Szenen zu verarbeiten, die Narben auf der Seele hinterlassen.

Sexualisierte Gewalt an Kindern im Waisenhaus wird ebenso angesprochen wie Drogenabhängigkeit, Prostitution, Mord, Diebstahl und Vergewaltigung - um all diese furchtbaren Fratzen der Erinnerungen aushalten zu können, brauchen die Leser:innen gut Nerven und müssen sich ein Stück weit auf die Geschichte einlassen, um dann von dem wortgewaltigen und metaphorischen Schreibstil schießpulvergraues Haar, Töne trippelten wie kleine Mäuse) mitgerissen zu werden.

Die Charaktere sind extrem scharf gezeichnet und gerade Pierrot und Rose bieten einen tiefen Einblick in ihre geschunden Seelen. Ihre Beziehung zueinander und auch zu anderen Personen ist hoch toxisch und zeigt das ganze Spektrum menschlicher Abgründe und Abhängigkeiten auf, die es im Verlauf eines Lebens zu durchlaufen gilt.

Dann wiederum schlägt O'Neill gekonnt einen Bogen und spinnt ein zauberhaftes Märchen für Erwachsene - Melancholie, Romantik und innige Gefühle erobern im wahrsten Sinne des Wortes die Bühne und entführen die Leser:innen in eine ganz andere Welt . Die Tänzerinnen, Clowns und Akteure der Revue agieren vor einer traumwandlerische Kulisse und ziehen die Leser:innen in ihren Bann.

Der Wechsel zwischen Hass und Liebe, Abneigung und Sympathie aber auch das schmerzhafte Erwachen aus den eigenen Träumen wirkt wie eine längst vergessene Geschichte, die mit einzigartigen musikalischen Klängen untermalt wird.

Wer den Mut hat, sich den Extremen dieses Romans zu stellen, wird mit einer Geschichte belohnt werden, die verstörend, provakant und trotzdem mitreißend ist.

Für mich ein Highlight 2021!!

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Veröffentlicht am 15.11.2021

Das sind die Starken der Welt: die unter Tränen lachen, eigene Sorgen verbergen, und andere glücklich machen.

Gebrauchtes Glück
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In ihren Träumen malt sich Florentine alles knallbunt und voller glücklicher Momente aus, doch die Wirklichkeit ist kalt, grau und von Armut durchzogen. Ihr komplettes Einkommen al Kellnerin muss sie dazu ...

In ihren Träumen malt sich Florentine alles knallbunt und voller glücklicher Momente aus, doch die Wirklichkeit ist kalt, grau und von Armut durchzogen. Ihr komplettes Einkommen al Kellnerin muss sie dazu verwenden, damit ihre Eltern die vielköpfige Familie durchbringt. Aber wie kann eine junge Frau auf der Suche nach der großen Liebe ihre Träume verwirklichen, wenn auf der einen Seite der Krieg in Europa tobt und auf der anderen Seite ein Tunichtgut die Finger im Spiel haben...



Gabrielle Roy schreibt bild- und wortgewaltig über das Schicksal einer jungen Frau, die auf der Suche nach einem Ausweg aus Not und Elend ist und doch immer wieder feststellen muss, dass ihr Lebensweg vorgezeichnet zu sein schient.

Dabei gelingt es der Schreibenden, die starken Frauencharaktere Florentine, Rose-Anna und Yvonne sehr glaubhaft darzustellen und mit ihnen gemeinsam den Weg durch Not und Elend zu gehen.

Die Armut ist so deutlich spürbar, dass sie förmlich aus den Seiten springt - die ärmliche Behausung, das spärliche Mobiliar und die immer währende Geldnot machen auch vor den Leser:innen nicht halt. Der schwarze Ruß legt sich wie ein kalter Mantel über alles und sorgt zusätzlich dafür, dass die Leere und Kälte dauerhafter Begleiter sind.

Rosa-Annes Lebensgeschichte projiziert sich auf Florentine, denn die Gefühlskälte der Mutter scheint einen unguten Einfluss auf die Tochter auszuüben. Doch ab und zu blitzt immer ein bisschen von den alten Emotionen auf, die über die Jahre unterdrückt worden sind.

Auch wenn die Stimmung insgesamt seht düster und schwer ist, packt die Autorin mitunter poetische Worte in die Handlung ein (...."und er schob die zarte, von Schnee überzuckerte Schattengestalt, die nach Winter, Eis und Kälte roch, vorsichtig von sich").

Ich bewundere Florentine für ihren Mut, ihr Vorhaben so straight durchzuziehen und so ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges flicht die Schreibende die einzelnen Handlungsstränge wie die Stränge eines Zopfes ineinander und zeichnet so ein Sitten- & Familiengemälde, das mit dramatischen und emotionalen Ereignissen überzeugt.

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Veröffentlicht am 14.11.2021

Dieser Drops ist ausgelutscht

Die Schokoladenfabrik - Die Tochter des Apothekers
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Anna Sophia fühlt sich in der Apotheke ihres Vaters rundherum wohl und kann auch eigene Ideen mit einbringen. Ihr ganzer Stolz sind die Brustkamellen, die sie selbst zubereiten darf und die beiden Kunden ...

Anna Sophia fühlt sich in der Apotheke ihres Vaters rundherum wohl und kann auch eigene Ideen mit einbringen. Ihr ganzer Stolz sind die Brustkamellen, die sie selbst zubereiten darf und die beiden Kunden sehr beliebt sind, da sie schnelle Linderung der Beschwerden herbeiführen. Als ihr Vater erkrankt liegt der Verdacht nahe, dass August, ein Angestellter, dieses Komplott schmiedet, um sich die Apotheke unter den Nagel zu reißen. Mit der Heimkehr von Franz Stollwerck, der auf Wanderschaft seine Fertigkeiten im Handwerk des Zuckerbäckers vertieft hat, schlägt nicht nur Anna Sophias Herz höher. Das Schicksal nimmt seinen Lauf...

Wer den Namen Stollwerck hört, denkt unweigerlich an zartschmelzende Schokolade, Trüffel und Pralinés. Rebekka Eder möchte mit dem Beginn ihrer Saga über das Familienimperium Stollwerck die Leser verzaubern und begeistern und in die Anfänge der Schokoladendynastie entführen.

Jedoch gelingt ihr das nur leidlich, denn der erste Band handelt auschließlich von der Produktion und den Intrigen rund um die heißbegehrten Bonbons, die Anna Sophia kreiert. Die Schokolade bekommt leider erst ihren Auftritt auf der letzten Seite....

Anna Sophie entspricht so gar nicht dem gängigen historische Frauenbild und bricht aus allen Konventionen aus. Sie könnte so sympathisch sein, jedoch verliert sie sich ganz häufig im sagenhaften Teil - Heilkunst, Hellsehen und Kräuterwissen werden hier recht dick aufgetragen und drängen sich in den Vordergrund, anstatt die Figur sanft und ergänzend zu begleiten.

Die Geschichte wird durch die vielen Nebenfiguren und die daraus resultierenden Handlungen extrem langatmig und es hätte das weitschweifende Ausholen nicht gebraucht- immer wieder werden Intrigen von Victor und August geschürt, Inzest und Missbrauch durch den eigenen Vater werden thematisiert, die Stellung der Frau in der Gesellschaft, Antisemitismus und die politische Lage werden von der Schreibenden ebenso mit eingebunden wie der Kampf ums geschäftliche und private Überleben.

Ich habe ziemlich lange gebraucht, um mich durch den Roman zu kämpfen und immer mehr die Neugier auf die Geschichte verloren. Rebekka Eder kann sich leider nicht in die Riege der großen Autorinnen (Riebe, Graw, Lüders) von historischen Romanen einreihen und mich als Leserin für sich gewinnen. Schweren Herzens vergebe ich hier 2 Sternchen, denn der Roman hat meine an ihn gestellten Erwartungen überhaupt nicht erfüllen können.

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Veröffentlicht am 12.11.2021

Liebe ohne Grenzen

Die Heimkehr der Störche (Die Gutsherrin-Saga 2)
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Auch wenn Dora mittlerweile mit ihrer Familie in der Lüneburger Heide lebt, kann sie Curt nicht vergessen. Aber warum meldet er sich nicht ? Und wie kann Dora den großen Traum, Tierärztin zu werden, endlich ...

Auch wenn Dora mittlerweile mit ihrer Familie in der Lüneburger Heide lebt, kann sie Curt nicht vergessen. Aber warum meldet er sich nicht ? Und wie kann Dora den großen Traum, Tierärztin zu werden, endlich verwirklichen, denn die Zulassung an Universitäten in Westdeutschland scheint aussichtslos. Doch plötzlich scheint alles ganz einfach zu sein, denn in Ost-Berlin wird Dora zum Studium zugelassen und eine Nachricht, dass Curt in einem Stasi-Gefängnis einsitzt, bringt die Kehrtwende. Aber werden die Hürden, die die Stasi errichtet hat, zu umschiffen sein, damit dem großen Glück nichts mehr im Weg steht ?



Mit dem zweiten Band der Gutsherrin-Saga lässt Theresie Graw die Zeit um die Aufstände des 17.Juni 1953 wieder aufleben und zeigt mit ihrer lebendigen und äußert bildhafte Sprache, die weit die Arme der Stasi tatsächlich reichen und was alles von ihrem Wohlwollen abhängig gewesen ist.

Die Druckmittel, die hier gegen Dora und ihre Kommilitonen eingesetzt werden, sind schon hart am Rande des Ertragbaren und es wird deutlich, wie sehr die Stasi die Daumenschrauben anziehen kann, um zu ihrem gewünschten Erfolg zu kommen.

Inmitten all der politischen darf aber die Liebe nicht fehlen und hier holt die Schreibende ihre Leser:innen mit ihrer gefühlvollen Schreibweise ganz schnell ins Boot - eine Liebe, die selbst (politische) Grenzen überwindet und fortbesteht ist unumstößlich. Dora kämpft um Curt - diese Szenen gehen direkt ins Herz und lassen die Leser:innen mitfiebern.

Die Autorin zeichnet ein sehr realistisches Bild der frühen 50erJahre des letzten Jahrhunderts, lässt zu den mitreißenden Klängen von Swing und Rock 'n Roll nicht nur den Petticoat wippen. Es entsteht ein gelungener Mix aus historischem Roman, Romanze und gesellschaftskritischen Blick und dadurch bewegen sich die Figuren alle sehr sicher auf ihrem Terrain.

Die Einzelschicksale berühren und gehen zu Herzen, aber erst das Gesamtbild ermöglich den Leser:innen einen direkten Blick auf reale (Juni-Aufstand, Fußballweltmeisterschaft) und fiktive Ereignisse (die Fohlengeburt, Missverständnis bei Curts Rückkehr aus dem Gefängnis) .

Die Figuren haben sich weiterentwickelt, dürfen den Mut zur Schwäche ausleben und können so zeigen, dass sie Personen mit Ecken und Kanten sind, die die Leser:innen ein Stück weit auf ihrem Lebensweg mitnehmen.

Die Fortsetzung steh in der Qualität von Band eins in nichts nach und lässt sich wunderbar lesen.

Großes zeitgeschichtliches Kino!

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