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Veröffentlicht am 04.12.2023

Der Geist der Erinnerung ist schön und schrecklich zugleich

Aenne und ihre Brüder
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Reinhold Beckmann erzählt in leisen, aber sehr eindringlich Worten seine Familiengeschichte und lässt die Generation der Nachkriegskinder und - Enkel:innen an schönen, aber auch sehr schmerzhaften Erinnerungen ...

Reinhold Beckmann erzählt in leisen, aber sehr eindringlich Worten seine Familiengeschichte und lässt die Generation der Nachkriegskinder und - Enkel:innen an schönen, aber auch sehr schmerzhaften Erinnerungen seiner Mutter teilhaben. Schon als Kind erlebt Aenne zwei Verluste, die erschütternd sind und doch verliert sie nie den Glauben an das Gute, hat Gottvertrauen und sieht positiv ihrer Zukunft entgegen.

Es ist schön, die Geschwister aufwachsen zu sehen und ihre Entwicklung miterleben zu dürfen und Beckmann findet auch hier jederzeit die richtigen Worte, um die Leser:innen nicht auf Distanz zu halten, sondern sie mit in eine Zeit zu nehmen, als sich in Deutschland der Wind dreht und von rechts weht.

Die Erinnerungen seiner Mutter gehen zu Herzen und bringen eine Saite zum Klingen, die voller Emotionen und Mitgefühl schwingt. Dabei drückt Beckmann nicht auf die Tränendrüse, sondern schreibt die Gedanken und Gefühle seiner Mutter nieder und veröffentlicht die Feldpost seiner Onkel. Es schwingt Empathie, Achtung und Respekt mit und die Leserschaft spürt deutlich das innige Band zwischen Mutter und Sohn, aber auch zwischen Aenne und ihren Brüdern, das viel erträgt, duldet und verarbeitet.

Es sind die Stimmen derer, die im Krieg geblieben sind, die hier wieder laut werden dürfen um zu erzählen, welche grausame Fratze das Nazi-Regime zeigt und was Krieg und Soldat sein wirklich bedeutet. Es sind Fragen, die in vielen Familien nie gestellt oder nicht beantwortet wurden, die hier ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden. Fragen, die uns Nachkommen ermöglichen, ein wenig zu verstehen, was sich ereignet hat und wie geliebte Menschen in den Herzen derer weiterleben, die sie allzu früh loslassen mussten.

Gerade weil das Buch auch einen näheren Bezug zu meiner unmittelbaren Umgebung hat, gehen mir gewisse Schilderungen unglaublich nah und lassen mich mehr als einmal das Buch aus der Hand legen. Bilder, die sich vor dem inneren Auge abspulen, wirken noch lange nach und machen betroffen.

Es gelingt Beckmann, seine Onkel als die Menschen darzustellen, die sie wirklich gewesen sind - mit all ihren Ecken, Kanten, Sorgen, Ängsten und Träumen. Menschen, die zum Dienst an der Waffe gegen ihren Willen gezwungen wurden und mit ihrem Leben bezahlt haben.

Gerade weil aktuell der Krieg in der Ukraine und am Gaza-Streifen wieder unschuldige Menschenleben fordert, geht dieses Buch unter die Haut und sendet eine unausgesprochene Botschaft aus, die wir alle im Herzen tragen sollten.

Eine sehr intensive und nachdenklich stimmende Lektüre

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Veröffentlicht am 03.12.2023

Wo bin ich zuhaus‘, wo gehör‘ ich hin`? (Betina Graf)

Das versunkene Dorf
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Wo bin ich zuhaus‘, wo gehör‘ ich hin`?
Wo such‘ ich ihn, wo find‘ ich ihn,
den Ort, wo ich aufgehoben bin? (Betina Graf)


Für viele von uns ist er ein Wegweiser Richtung Süden, ein Hotspot für Motorradfahrer:innen ...

Wo bin ich zuhaus‘, wo gehör‘ ich hin`?
Wo such‘ ich ihn, wo find‘ ich ihn,
den Ort, wo ich aufgehoben bin? (Betina Graf)


Für viele von uns ist er ein Wegweiser Richtung Süden, ein Hotspot für Motorradfahrer:innen und ein bekanntes Postkarten-Motiv - der Kirchturm im Reschensee. Die wenigsten kennen die emotionale und grausame Geschichte, die dahinter steckt.

"Das versunkene Dorf" mit seinem stummen Zeitzeugen mitten im See ist ein Tourist:innen-Magnet und zugleich ein Mahnmal, erzählt von Heimat- & Identitätsverlust, Macht- & Geldgier, Zwangsenteignung und dem verzweifelten Versuch, zu retten, was noch zu retten ist. Ein Buch, das nicht nur Zahlen und Fakten bietet, sondern viel tiefer geht - nämlich unter die Haut, mitten ins Herz und es berührt die Seele.

Stimmen von Zeitzeug:innen, die miterleben mussten, wie alles, was sie sich mühsam aufgebaut haben, teilweise über Generationen hinweg, dem Untergang geweiht ist. Mitspracherecht - Fehlanzeige ! Anspruch auf Entschädigung - nur nach großen Protestaktionen ! Und wofür das alles ? Für Macht, Einfluss und ein Prestigeobjekt, das die Bewohner:innen der Dörfer nicht gewollt haben.

Doch Geld kann die Heimat nicht ersetzen, gibt den Toten nicht ihr Leben zurück und trocknet nicht die Tränen, die die Hinterblieben weinen. Das Autoren-Duo geht sehr einfühlsam und mit viel Fingerspitzengefühl vor, um nicht Wunden aufzureißen, die sowieso nie ganz verheilt sind. Spätestens dann, wenn der See wieder trocken fällt und die Überreste von Alt-Graun und Alt-Reschen wie Atlantis aus den Tiefen auftauchen, werden Ungerechtigkeit und das traurige Schicksal wieder greifbar.

Ein Buch, das von Leid und Rücksichtslosigkeit erzählt, von der Sehnsucht nach einem Ankommen und dem Gefühl, doch nie ganz Zuhause zu sein. Die Zeitzeug:innenberichte und viele Schwarz-Weiß-Fotografien machen Geschichte lebendig, wirken wie ein stummer Schrei, der nie ganz verhallt und geben denjenigen ein Gesicht, die bis heute nicht mit dem Schiff über den See fahren - aus Respekt und Ehrfurcht vor dem, was war. Für sie gibt es keine Zeit des Loslassens, sondern immer wieder nur den Versuch, sich mit der Tragödie auseinanderzusetzen und die Lücke im Herzen mit Erinnerungen zu füllen.

Ein sehr eindringliches Zeitdokument, das zum Nachdenken und Diskutieren anregt - sehr lesenswert !

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Veröffentlicht am 03.12.2023

Leider ein technisches Foul auf ganzer Linie

BOCK AUF HANDBALL. Krass und kurios, bewegend und berührend
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Handball ist eine faszinierende und temporeiche Sportart und begeistert immer mehr Fans. Was liegt da also näher, als pünktlich zu Weihnachten und kurz vor dem Start der Handball-WM 2024 in Deutschland ...

Handball ist eine faszinierende und temporeiche Sportart und begeistert immer mehr Fans. Was liegt da also näher, als pünktlich zu Weihnachten und kurz vor dem Start der Handball-WM 2024 in Deutschland ein Buch herauszubringen, das Fans - und solchen, die es noch werden wollen - "Bock auf Handball" macht.

Das Cover ist optisch ein Schmankerl, absolut vielversprechend und macht Lust, noch ein wenig tiefer in die Welt auf der Platte einzusteigen und ein bisschen Hallenluft zu schnuppern. Doch schon nach den ersten Seiten macht sich ganz viel Enttäuschung breit, denn so farbenfroh und üppig wie das Cover auch ist, so trist und grau ist das Innenleben. Fotos, die qualitativ absolut unprofessionell und schlecht sind, dass auf ihnen kaum oder nichts mehr zu erkennen ist. Auch sind die Fotos in Schwarz-weiß und grobkörnig, sodass hier der Spaß am Betrachten sich freiwillig verabschiedet.

Die Geschichten von, mit und hinter den Spielgrößen sind ganz nett, aber reißen mich wirklich nicht vom Hocker. Der Funke springt nicht über, weil alles irgendwie ohne Herz verfasst ist. Die Texte wirken daher lieblos zusammengestellt und mir fehlen noch ein paar echte Größen oder auch aktuelle Spieler, die in ein paar Wochen die Hallen zum Toben bringen werden.

Der Werbeslogan "Weil du das Spiel liebst" wird überhaupt nicht umgesetzt und das Buch wird uninteressant. Ein Buch für Fans sollte ansprechend, temporeich und voller trickreicher Spielzüge sein - genau wie der Handballsport. Aber hier wird aus "Bock auf Handball" ganz schnell kein Bock auf dieses Buch.

Leider ein absoluter Fehlgriff

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Veröffentlicht am 03.12.2023

Geheimnisvolle Streifzüge ins Ungewisse

Verbotene Orte
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Funkelnde Kristalllüster, die schon lange nicht mehr romantisches Licht verbreiten; von Staub ummantelte Handläufe, die niemals mehr von unzähligen Händen blank poliert werden, Autos, die still und heimlich ...

Funkelnde Kristalllüster, die schon lange nicht mehr romantisches Licht verbreiten; von Staub ummantelte Handläufe, die niemals mehr von unzähligen Händen blank poliert werden, Autos, die still und heimlich vor sich hin rosten oder eine Geisterstadt, in der statt Kinderlachen auf Jahre nur noch der Geigerzähler zu hören ist - sie alle sind stumme Zeitzeugen einer längst vergangenen Epoche.

Roman Robroek unternimmt mit seiner Kamera geheimnisvolle Streifzüge durch die verlassenen Orte dieser Welt und erzählt mit seinen Fotos Geschichten und Geschichte, die von verblasstem Ruhm, falschen Ideologien, menschlichem Versagen oder Misswirtschaften handeln. Seine Aufnahmen lassen den Geist der Lost Places lebendig werden und verzaubern mit Lichtmalerei, Vielfalt im Verfall und sind Grundstock für Übernatürliches und Gänsehautmomente.

Dem Fotografen gelingt es, die Geschichten hinder den Gebäuden wieder lebendig zu machen, sodass aus dem Schimmel, der auf den Wänden blüht, mit ein wenig Fantasie eine schimmernde Seidentapete wird, die über und über mit üppigen Blüten bestückt ist. Die knirschenden Glassplitter unter den Schuhen verwandeln sich in großflächige Panoramafenster, die den Blick sehnsuchtsvoll in prachtvoll blühende Gärten schweifen lassen.

Das Rattern der Maschinen dröhnt plötzlich wieder in den Ohren, während aus den gut gestimmten Tasten des Klaviers die leisen Töne von Chopin, Strauß und Vivaldi die Zuhörenden verzaubern. Orte irgendwo im nirgendwo, die aus der Hochglanzwelt verschwunden sind und zwischen Asche, Staub und Verfall ihr Dasein fristen. Geheimnisvolle Lost Places, die in Wort und Bild ihren morbiden Charme ausbreiten und trotz Vandalismus und Vergänglichkeit nichts von ihrer Opulenz und ihrem Luxus eingebüßt haben.

Zwar finden sich im Buch tatsächlich nur zwei echte "Verbotene Orte", sodass der Titel nicht ganz so glücklich gewählt ist, aber nichtsdestotrotz ist dieser Bildband ein echtes Sahnestückchen, das das Herz von Urbexer:innen höher schlagen lässt.

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Veröffentlicht am 03.12.2023

Zauber vergessener und vergangener Schönheit

Verlassenes Italien
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Einst waren sie prunkvolle Pallazi, Orte der Ruhe und Entspannung oder auch Heimstätten für eher unschöne Ereignisse, die in der Geschichte Italiens eher einen dunklen Fleck in der Erinnerung hinterlassen. ...

Einst waren sie prunkvolle Pallazi, Orte der Ruhe und Entspannung oder auch Heimstätten für eher unschöne Ereignisse, die in der Geschichte Italiens eher einen dunklen Fleck in der Erinnerung hinterlassen. Doch was sie alle eint ist die Melancholie des Verfalls und der Zauber der Vergänglichkeit, die aus jedem Winkel, aus jeder Ritze hervordringen.

Es ist ein prunkvoller Spaziergang auf zugewucherten Wegen und staubbenetzten Treppen, der hinter jeder Tür, die schief in den Angeln hängt ein neues Geheimnis offenbart. Die Farbe an den Wände blättert ab und wirkt, als würden sich die nackten Grundmauern dahinter dagegen wehren, dass diese Narben entstehen.

Die Staubpartikel tanzen fröhlich in der Luft, begleitet von magischen Farbspielen aus Sonnenlicht und Buntglasfenstern, die die einst imposanten Eingangshallen mit ihren stuckverzierten Decken und schmiedeeisernen Treppengeländern in fast surreale Welten verwandeln.

Leerstehende Villen, Kirchen, Fabrikhallen oder Hotels wispern leise ihren Geschichten, erzählen Episoden aus einer längst vergangenen Zeit und doch wirken manche Lost Places so, als seien ihre Besitzer gerade erst aus der Tür gegangen, um nur mal kurz eine Besorgung zu machen. Traumhafte Ausblicke von den weitläufigen Terrassen auf das Meer, weitläufige Gartenanlagen oder brei geschwungene Treppen, die nur darauf warten, dass die Dame des Hauses in einer festlichen Abendrobe feierlich die Stufen hinab schreitet, um ihre Gäste zu begrüßen.

Und doch holt sich die Natur Stück für Stück wieder, was ihr einst genommen wurde. Robin Brinaert lässt daraus Fotos entstehen, die Licht und Schatten der verlassenen Bauten widerspiegeln und die Betrachtenden vollkommen für sich einnehmen.

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