Erinnerungen
TalsommerMizzi lebt gemeinsam mit ihrer Mutter im Gasthaus ihres Onkels. Auch wenn sie hart arbeiten muss und die Schule ihr manchmal ein Graus ist, verbringt sie doch meist schöne Kindheitstage. Sie wächst zwischen ...
Mizzi lebt gemeinsam mit ihrer Mutter im Gasthaus ihres Onkels. Auch wenn sie hart arbeiten muss und die Schule ihr manchmal ein Graus ist, verbringt sie doch meist schöne Kindheitstage. Sie wächst zwischen Mythen und Legenden, gottesfürchtigen Dorfbewohner;innen und einer großen Portion Aberglauben auf und lernt, dass es manchmal besser ist, auf das zu hören, was Pfarrer und Erwachsene sagen. Mit den Sommergästen weht ordentlich Abwechslung in den Ort, die bei manchen nur Kopfschütteln hervorruft. Die unbeschwerte Kindheit ist jäh zu Ende, als Mizzis Freundin Lisei tot aus der Ache gezogen wird. War es ein tragischer Unfall oder hat jemand nachgeholfen ? Mizzi weiß, was passiert ist und will Licht ins Dunkel bringen, aber niemand hört auf die Worte, die das Mädchen spricht...
Manchmal gibt es Bücher, die zwar mit leisen Worten geschrieben sind, aber beim Lesen eine solche Wucht entfalten, dass sie unter die Haut gehen und nicht mehr loslassen. Und genau so ein Buch ist "Talsommer" von Sandra Altmann, denn die Autorin bezirzt regelrecht ihre Leser;innen und lässt sich eine sehr emotionale und aufwühlende Zeitreise erleben.
Es gelingt Altmann, die Gegebenheiten im kleinen Gebirgsdorf so bildhaft und lebendig darzustellen, dass das Kopfkino direkt anspringt und die Lesenden ein Teil der verschworenen Dorfgemeinschaft werden. Sie sitzen gemeinsam mit Mizzi auf der harten Schulbank und hören den Worten des Lehrer und des Pfarrers zu, die auf der einen Seite weltliches Wissen vermitteln und auf der anderen Seite geistliche Weltanschauung regelrecht eintrichtern.
Von Mythen, Legenden, Sagen und Vorurteilen begleitet, wächst Mizzi ohne Vater auf und muss lernen, sich in der Welt der Erwachsenen zurecht zu finden und trotzdem Kind zu bleiben. Hier gelingt es der Schreibenden, den Alltag und das mühsame Tagwerk Ende des 19. Jahrhunderts nachvollziehbar zu beschreiben. Eine Kindheit zwischen Pflichterfüllung, körperlicher Züchtigung, klerikaler Machtausübung und dem Einfluss der Dorfgemeinschaft, die mal wie ein Schraubstock, mal wie eine schützende Umarmung das Mädchen umgibt.
Die Kapitel sind kurz gehalten, die Ereignisse mitreißend und dramatisch geschrieben, sodass sich die Seiten fast wie von selbst umblättern. Die Leser:innen erhalten einen sehr intensiven Einblick in Mizzis Leben, werden im Zeitraffer mit ihr erwachsen, durchfliegen Zeitgeschichtliches, ohne dabei Wichtiges zu verpassen. Die letzten Seiten gehen mir unendlich nah und lassen sogar die Tränen fließen, denn hier werden die Stufen des schrittweisen Vergessens beschritten.
"Talsommer" ist keine leichte unbeschwerte Lektüre, sondern intensive, prägende Erinnerungen einer Generation, die den Wandel der Zeit viel zu schnell hinnehmen musste.