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Veröffentlicht am 17.03.2019

Die Vergangenheit ist ein anderes Land

Das Echo der Wahrheit
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Ich war sehr gespannt auf Chirovicis neuen Roman nach dem Welterfolg  “Das Buch der Spiegel.“  In “Das Echo der Wahrheit“ geht es um Joshua Fleischer, einen reichen alten Mann, der an Leukämie im Endstadium ...

Ich war sehr gespannt auf Chirovicis neuen Roman nach dem Welterfolg  “Das Buch der Spiegel.“  In “Das Echo der Wahrheit“ geht es um Joshua Fleischer, einen reichen alten Mann, der an Leukämie im Endstadium leidet. Vor seinem Tod will er endlich herausfinden, was im Jahr 1976 in Paris geschah, wo er sich als Student mit seinem Freund Abraham Hale aufhielt. Beide liebten die schöne Französin Simone. Eines Morgens liegt die junge Frau ermordet im Hotelzimmer, und ihre Leiche verschwindet. Josh  flieht überstürzt zurück in die USA, ohne zu wissen, ob er sich in irgendeiner Weise schuldig gemacht hat. Sein ganzes Leben ist überschattet von diesem ungeklärten Ereignis. Er spendet sogar das riesige ererbte Vermögen für wohltätige Zwecke, um eine eventuelle Schuld zu begleichen. Fleischer beginnt eine Hypnose-Therapie bei dem bekannten Psychiater Dr. James Cobb, stirbt aber kurz nach der zweiten Sitzung, ohne dass es nennenswerte Erkenntnisse zu den Ereignissen gibt. Cobb will unbedingt der Wahrheit auf die Spur kommen und engagiert einen Privatermittler. Es tauchen immer neue Puzzleteile und Personen auf, ohne dass sich ein Gesamtbild ergibt. Cobb ermittelt schließlich selbst in Frankreich, sucht alle Bekannten und Verwandten der beiden Amerikaner und der Französin Simone Duchamp auf. Fast alle sind unzuverlässige Erzähler. Jeder erzählt seine eigene Geschichte, beruft sich auf verfälschte Erinnerungen und  hat eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit, auch ohne bewusst zu lügen. Erst als Cobb – einem Rat des großen Houdini folgend – den Fokus verändert, sieht er die Wahrheit, begreift, wer was getan hat und warum.
Anfangs fand ich den Roman noch spannend, dann allerdings zunehmend  verwirrend, weil immer neue Handlungselemente bei wachsender Personenzahl es dem Leser unmöglich machen, in den geschilderten Episoden eine klare Linie, geschweige denn die Lösung des Rätsels zu finden. Was da berichtet wird, wirkt oft nicht schlüssig, ist schwer nachvollziehbar oder schlicht unglaubwürdig – auch im Hinblick auf die Charakterisierung einiger Figuren. Mich hat der Roman leider insgesamt enttäuscht.

Veröffentlicht am 23.02.2019

Madeleine Péricourt wehrt sich

Die Farben des Feuers
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Mit "Die Farben des Feuers" setzt Pierre Lemaitre das mit dem Roman "Wir sehen uns dort oben" begonnene Porträt der Epoche zwischen den beiden Weltkriegen fort. Für Frankreich ist das eine Zeit mit großen ...

Mit "Die Farben des Feuers" setzt Pierre Lemaitre das mit dem Roman "Wir sehen uns dort oben" begonnene Porträt der Epoche zwischen den beiden Weltkriegen fort. Für Frankreich ist das eine Zeit mit großen wirtschaftlichen und politischen Problemen. Das Land hatte vergeblich gehofft, dass das unterlegene Deutschland für alle Schäden und Verluste aufkommen müsste.
Als 1927 Marcel Péricourt, der Patriarch des Bankimperiums Péricourt, stirbt, erbt seine Tochter Madeleine einen unermesslichen Reichtum. Sie kann aber nicht einfach die Bank als seine Nachfolgerin leiten, weil Frauen in Führungspositionen damals undenkbar waren und sie zudem völlig unqualifiziert ist. So verlässt sie sich auf den langjährigen Prokurist Gustave Joubert, der eine Zeit lang als möglicher Ehemann für sie gehandelt wurde. Sie vertraut ihm genauso blind wie ihrer Haushälterin Léonce oder André Delcourt, ihrem Geliebten, dem Hauslehrer ihres 7jährigen Sohnes Paul. Dass von ihrem unfähigen Onkel Charles und seiner Familie keine Unterstützung zu erwarten ist, ist nach der für Charles enttäuschenden Testamentseröffnung klar. Nach kurzer Zeit ist Madeleine finanziell ruiniert und sozial ins Abseits geraten. Ihre größte Sorge ist jedoch ihr kleiner Sohn, der seit dem Fenstersturz am Tag der Beerdigung seines Großvaters im Rollstuhl sitzt und nie mehr wird laufen können. Nach dem Verrat all der Menschen, die ihr zuvor nahestanden, beschließt Madeleine zu kämpfen und sich in einem groß angelegten Rachefeldzug zurückzuholen, was ihr genommen wurde. Dabei hilft ihr ein Mann namens Dupré, der die Reichen hasst und Madeleine sehr effektiv unterstützt.
Lemaitres Roman ist sowohl eine interessante Familiengeschichte als auch ein gut recherchiertes, detailgetreues Porträt einer Epoche. Dabei konfrontiert er den Leser nicht nur mit der Gefahr des heraufziehenden Krieges, sondern auch mit dem sich entwickelnden Faschismus in den Nachbarländern. Im eigenen Land herrschen Korruption, Steuerbetrug, Habgier und Neid. Eine käufliche Presse betreibt systematisch Desinformation. Alles geht den Bach runter. Das im französischen und deutschen Titel genannte Feuer bezieht sich auf die landesweit zunehmenden Steuerrevolten, die zu einer Revolution der benachteiligten Klassen zu werden drohen. Die einfachen Leute haben kein Vermögen, das sie auf Nummernkonten in der Schweiz transferieren könnten. Sie fühlen sich ausgebeutet, beraubt und enteignet (S. 342).
Bei aller historischen Genauigkeit vermittelt Lemaitres Roman jedoch kein langweiliges Geschichtswissen. Es gibt zahllose Beispiele für Ironie und Humor, die dieses gut geschriebene Bild einer schweren Zeit nicht in Düsternis versinken lassen. Allerdings war die Lektüre für mich nicht mühelos. Man muss sich einlesen und akzeptieren, dass die Geschichte erst allmählich spannender wird, um schließlich einen regelrechten Sog zu entwickeln. Das Buch ist dennoch eine klare Empfehlung wert.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Ein ganz spezielles Gewerbe

Die Plotter
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“Die Plotter“, der Romanerstling von Un-Su Kim, spielt in Seoul nach dem Ende der Militärdiktatur. Konkreter wird der Autor nicht, was Zeit und Raum betrifft. Es geht um eine hierarchisch aufgebaute Organisation, ...

“Die Plotter“, der Romanerstling von Un-Su Kim, spielt in Seoul nach dem Ende der Militärdiktatur. Konkreter wird der Autor nicht, was Zeit und Raum betrifft. Es geht um eine hierarchisch aufgebaute Organisation, die Auftragsmorde gegen Bezahlung ausführt. Da gibt es Plotter, die die Morde akribisch planen, Killer, die sie ausführen, Tracker, die Zielpersonen aufspüren und den Betreiber einer Art Krematorium, der die Toten einäschert. Im Mittelpunkt des Romans steht Raeseng, Anfang 30 mit etwa 15 Jahren Berufserfahrung. Er wurde als Kind von dem Plotter Old Raccoon aufgenommen und zum Profikiller ausgebildet. Bisher hat Raeseng sein Handwerk ohne Skrupel erledigt. In diesem Gewerbe tötet man nicht, weil man an etwas glaubt, sondern weil einem ein Vorgesetzter den Befehl dazu gibt. Dann wird Raeseng etwas nachdenklich angesichts von Todesfällen in seinem Umfeld, und er bringt sich durch eigenmächtige Veränderungen bei der Ausführung von Aufträgen in größte Gefahr. Der Markt ist in Bewegung, neue Leute drängen an die Macht. Die alten Plotter müssen abtreten, aber nicht etwa in einen beschaulichen Ruhestand. Sie werden ihrerseits eliminiert.
Der Autor zeichnet eine Gesellschaft im Umbruch, wo die Mächtigen nicht vor Verbrechen zurückschrecken, wenn es darum geht, Gegner oder Rivalen auszuschalten, wo die Menschen jede Hoffnung verloren haben und niemandem trauen. Für Raeseng ändert sich alles, als mit Mito eine ehemalige Mitarbeiterin eines hochgestellten Plotters in sein Leben tritt, die ihn ausgerechnet mit einer in seiner Wohnung platzierten Bombe auf sich aufmerksam macht. Sie sucht seine Mithilfe bei ihrer geplanten Vernichtung des gesamten Gewerbezweigs. Beide wissen, dass sie bei einem solchen Unterfangen ihren eigenen Tod von vornherein einkalkulieren.
Der Roman des Koreaners sorgt für Furore, aber ich glaube nicht, dass er einen neuen Trend einleitet, selbst wenn inzwischen eine gewisse Sättigung an skandinavischen Krimis eingetreten ist und viele Leser dieses Genre leid sind. Dafür ist das Thema zu speziell – blutiges Gemetzel und Entsorgung der Leichen gegen Bezahlung – und die Botschaft des Autors zu unklar. Wie real ist die dargestellte Gesellschaft, wo alle korrupt sind und Auftragsmorde nicht die Ausnahme, sondern die Normalität sind? Mir hat der Roman nicht gefallen.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Ein neuer Stern am Kochhimmel

Ofirs Küche
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Auch wenn man eine reichhaltige Kochbuchbibliothek besitzt, hat man bestimmt keins, das so ist wie "Ofirs Küche". Dieses vegetarische Kochbuch des bekannten Filmregisseurs Ofir Raul Graizer überzeugt mit ...

Auch wenn man eine reichhaltige Kochbuchbibliothek besitzt, hat man bestimmt keins, das so ist wie "Ofirs Küche". Dieses vegetarische Kochbuch des bekannten Filmregisseurs Ofir Raul Graizer überzeugt mit 70 israelisch-palästinensischen Rezepten, die mit wenigen Zutaten und unwahrscheinlich vielen Kräutern einfach und relativ schnell nachgekocht werden können. Nach einer umfassenden und sehr interessanten Einführung ist das Kochbuch unterteilt in verschiedene Kategorien, u.a. "Ein Besuch in der Bäckerei", "Gerichte mit Gemüse", "Gerichte mit Eiern" und das wichtigste, was für mich in einem Kochbuch nicht fehlen darf "Desserts, Süßigkeiten und Getränke." Ich habe mehrere Gerichte, die alle hervorragend schmecken, nachgekocht. Angetan hat es mir der geröstete Gemüsesalat Mashwiya auf S. 79, die klassische Shakshuka auf S. 117, Freekeh auf S. 191 und der Kuchen aus Zitrusfrüchten auf S. 215.
Diese und andere Rezepte werden mit Sicherheit Teil meines Repertoires. An diesem neuen Kochbuch gefallen mir jedoch nicht nur die Zutaten und die Rezepte, sondern auch die Optik, vor allem aber die Geschichten, die immer wieder eingestreut werden und das Buch besonders authentisch machen. Ich bin begeistert und werde von den neuen Kochideen reichlich Gebrauch machen.

Veröffentlicht am 21.01.2019

Leben bis zum Tod

Die Unsterblichen
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Im Mittelpunkt von Chloe Benjamins Roman “Die Unsterblichen“ steht die jüdische Familie Gold in der Lower East Side in New York. Die Romanhandlung setzt im heißen Sommer 1969 ein, als die vier Geschwister ...

Im Mittelpunkt von Chloe Benjamins Roman “Die Unsterblichen“ steht die jüdische Familie Gold in der Lower East Side in New York. Die Romanhandlung setzt im heißen Sommer 1969 ein, als die vier Geschwister – Varya, 13, Daniel, 11, Klara, 9 und Simon, 7 – während der langen Sommerferien eine Wahrsagerin aufsuchen. Daniel hat von Freunden gehört, dass diese Frau jedem seinen exakten Todestag vorhersagen kann. Das tut sie auch bei den vier Kindern, deren Leben von diesem Augenblick an für immer verändert ist.
Der Roman ist in vier Abschnitte aufgeteilt. Aus der jeweiligen Perspektive eines Gold-Sprösslings wird ihre Lebensgeschichte erzählt, beginnend mit Simon, der die geringste Lebenserwartung hat. Angesichts seines baldigen Ablebens genießt er das Leben in vollen Zügen, ohne Rücksicht auf mögliche Risiken. Seine Schwester verhält sich ähnlich. Auch für sie ist es wichtig, ihre Träume umgehend zu verwirklichen, nichts auf später zu verschieben, denn sie wird auch schon in den 30ern sterben. Die beiden jüngsten Geschwister gehen mit 16 und 18 Jahren nach San Francisco und überlassen es Daniel und Varya, sich um die verwitwete Mutter in New York zu kümmern.
In den vier Lebensgeschichten ist nicht zu übersehen, dass die Geschwister die Prophezeiungen nicht einen Augenblick lang vergessen und ihre Entscheidungen im Hinblick auf ihren angekündigten Tod treffen. Dieses Wissen ist offensichtlich so belastend, dass sie Auffälligkeiten entwickeln. Klara scheint manisch-depressiv zu sein, während Varya an Zwangsstörungen leidet, durch die sie mehr überlebt als lebt. Sie meidet soziale Kontakte und hat eine übertriebene Angst vor Unsauberkeit, d.h. vor den Gefahren, die von Viren und Bakterien ausgehen. Nicht nur die Protagonisten werden sich fragen, ob es nützlich oder schädlich ist, wenn man das eigene Todesdatum kennt. Lebt man mit diesem Wissen bewusster, intensiver, oder ist es einfach nur eine unerträgliche Belastung?
Neben dieser zentralen Thematik geht es in dem Roman jedoch auch um Liebe und Trauer und vor allem um Geschwisterbeziehungen. Die Golds sind einerseits untrennbar miteinander verbunden, andererseits einander über weite Strecken entfremdet. Daniel fühlt sich schuldig, weil er den Besuch bei der Wahrsagerin organisiert hat, Klara wirft sich vor, dass sie mit dem Umzug nach San Francisco mittelbar den frühen Tod ihres Bruders verschuldet hat. Der Autorin gelingt eine komplexe Geschichte, die ihre Wirkung auf den Leser trotz einiger Längen und der manchmal etwas künstlich wirkenden Anpassung an das Handlungsgerüst nicht verfehlt. “Die Unsterblichen“ ist sicherlich eines der wichtigeren Bücher dieses Jahres.