Profilbild von klaraelisa

klaraelisa

Lesejury Profi
offline

klaraelisa ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit klaraelisa über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.01.2019

Die kleine und die große Geschichte

Der Apfelbaum
0

Mit “Der Apfelbaum“ legt der bekannte Schauspieler Christian Berkel seinen Debütroman vor. Viele Jahre hat er es vermieden, dieses Buch zu schreiben, und dennoch ließ ihn die bewegte Geschichte seiner ...

Mit “Der Apfelbaum“ legt der bekannte Schauspieler Christian Berkel seinen Debütroman vor. Viele Jahre hat er es vermieden, dieses Buch zu schreiben, und dennoch ließ ihn die bewegte Geschichte seiner Familie nicht los. Er recherchierte gründlich, reiste an viele Schauplätze des Geschehens und führte Gespräche, u.a. auch mit seiner 91jährigen Mutter Sala, deren Erinnerung allerdings nicht ganz zuverlässig war, z.B. wenn sie behauptete, mit Carl Benz verheiratet gewesen zu sein, der ihr ein Millionenvermögen hinterlassen habe oder dass der Vater des 1953 geborenen Christian im Krieg gefallen sei.
Berkel erzählt die Geschichte seiner Familie über drei Generationen, angefangen mit der jüdischen Urgroßmutter Alta, dann Großmutter Isa und Mutter Sala, die durch die Heirat mit einem Nicht-Juden Halbjüdin war. Es war dem Autor ein dringendes Bedürfnis, mit 60 endlich die verstörenden Leerstellen der ihm bekannten Geschichte zu füllen und seine eigene Identität zu begreifen und zu akzeptieren – das alles vor dem Hintergrund der schrecklichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Die Frauen der Familie wurden verfolgt und inhaftiert. Großmutter Isa war als Anarchistin in Francos Gefängnissen inhaftiert, Mutter Sala überlebte die Lagerhaft in den Pyrenäen. Der Vater geriet als Arzt der Wehrmacht kurz vor Ende des Krieges in russische Gefangenschaft. Es grenzte an ein Wunder, dass die Eltern, die sich 1932 mit 13 und 17 Jahren kennengelernt hatten, nach einer wahren Odyssee Anfang der 50er Jahre überhaupt wieder zusammenkamen.
Der Autor betont mehrfach, dass man den Nationalsozialismus nicht verdrängen oder vergessen dürfe, sondern ihn als Teil der deutschen Identität begreifen müsse. So heilt der Autor für sich den in seiner Kindheit durch Informationsbröckchen – ein bisschen jüdisch, nicht ganz deutsch – verursachten Identitätsbruch, indem er durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte seiner Familie zu seiner Identität findet.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Er ist interessant und gut geschrieben und berührt, weil er zwar ein Werk der Fiktion ist, aber auf der Basis der Fakten dem Leser reale Personen näherbringt. Ein beeindruckender Romanerstling.

Veröffentlicht am 21.10.2018

Zwei Geschichten

Königskinder
0

In seinem Roman “Königskinder“ verwöhnt der Alex Capus den Leser mit zwei Geschichten: eine spielt in der Gegenwart, die andere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Ehepaar Max und ...

In seinem Roman “Königskinder“ verwöhnt der Alex Capus den Leser mit zwei Geschichten: eine spielt in der Gegenwart, die andere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Ehepaar Max und Tina ist in den Schweizer Alpen mit dem Auto unterwegs, als sie auf einer eigentlich gesperrten Alpenstraße im Schnee steckenbleiben. Bis zum Morgen müssen sie sich irgendwie die Zeit vertreiben. Also erzählt Max seiner Frau eine Liebesgeschichte, die teilweise in der Schweiz, zum Teil aber am Hof von Versailles spielt. Der arme Kuhhirte Jakob verliebt sich in Marie, die Tochter eines reichen Bauern. Für den Vater des Mädchens ist Jakob natürlich kein geeigneter Ehekandidat. Der Bauer verhindert diese Verbindung. Marie wartet dennoch viele Jahre auf ihren Jakob, der inzwischen Soldat geworden ist und nach sieben Jahren zwar zurückkehrt, aber dann bald an den französischen Königshof geschickt wird, weil Prinzessin Elisabeth, die Schwester von Ludwig XVI., jemanden braucht, der sich mit Schweizer Kühen auskennt. Als die Prinzessin von den getrennten Liebenden hört, nutzt sie ihren Einfluss und holt Marie nach Versailles. Das Glück dauert jedoch nur bis zur Französischen Revolution. Dann müssen sich die Liebenden neu orientieren.
Capus hat einen gut lesbaren Roman geschrieben, bei dem sowohl das authentische Porträt des zeitgenössischen Versailles als auch die sprachliche Virtuosität auffallen muss. Capus schafft eine Wortkulisse, die das höfische Leben inklusive damalige hygienische Verhältnisse lebendig werden lässt. Das Ergebnis ist kein trockenes Geschichtsbuch, sondern eine Geschichte voller Humor und Satire. Ich habe diesen Roman gern gelesen, obwohl ich ihn nicht für sein bestes Werk halte. Trotzdem ist das Buch eine Empfehlung wert.

Veröffentlicht am 03.10.2018

Ein alles veränderndes Ereignis

Ein Winter in Paris
0

“Ein Winter in Paris“ von Jean-Philippe Blondel beginnt mit einer Art Prolog. Der Ich-Erzähle Victor findet bei seiner Rückkehr aus dem Urlaub den Brief eines alten Mannes vor, der ihn in einer Fernsehsendung ...

“Ein Winter in Paris“ von Jean-Philippe Blondel beginnt mit einer Art Prolog. Der Ich-Erzähle Victor findet bei seiner Rückkehr aus dem Urlaub den Brief eines alten Mannes vor, der ihn in einer Fernsehsendung gesehen hat und seine Bücher liest. Dieser Brief versetzt ihn schlagartig zurück in die Vergangenheit. Victor hat nie vergessen, was 30 Jahre zuvor geschah. Um diese Geschichte geht es im Roman.
Der 19jährige Victor hat die Provinz verlassen und besucht im zweiten Jahr eine Vorbereitungsklasse, die ihm bei erfolgreichem Bestehen der Auswahlprüfung Zugang zum Studium an einer renommierten Universität verschaffen soll. Victor hat es wider Erwarten in die zweite Klasse geschafft, aber einen hohen Preis dafür bezahlt: Ein Jahr lang hat er in völliger Isolation verbissen gearbeitet. Er ist sichtlich anders als alle anderen, was ihn gewissermaßen unsichtbar macht. Victor stammt aus sehr einfachen Verhältnissen, und diesen Rückstand an Kultur und Lebensart holt keiner so schnell auf. Doch dann scheinen sich die Dinge zu ändern. Beim Rauchen in der Mittagspause lernt er den jungen Mathieu kennen, der wie er ein Außenseiter im Jahrgang unter ihm ist. Sie wechseln ein paar belanglose Sätze. Victor kann sich eine Freundschaft mit Mathieu vorstellen, doch dazu kommt es nicht mehr. Eines Tages begeht Mathieu in der Schule Selbstmord, weil er den Leistungsdruck und die Schikanen nicht länger erträgt. Alles ändert sich plötzlich für Victor. Alle interessieren sich für ihn, suchen seine Nähe, auch Pierre Lestaing, der Vater des Toten. Er erhofft sich von Victor Informationen über seinen Sohn und Aufschluss über die Gründe seines Selbstmords. Der verwaiste Pierre und Mathieu, der nie einen solchen Vater hatte, kommen sich immer näher, bis Mathieus Mutter der in ihren Augen kranken Beziehung ein Ende setzt. Victor hat inzwischen Abschied von der Idee einer akademischen Karriere genommen und wird Englischlehrer und Schriftsteller – genau wie der reale Autor Jean-Philippe Blondel.
Blondel erzählt die kurze, zumindest teilweise autobiografische Geschichte in beeindruckender Weise. Er berührt dabei Themen wie Freundschaft und Familie, die Schwierigkeit für einen jungen Menschen, sich außerhalb seines Milieus neu zu orientieren und den gnadenlosen Konkurrenzkampf um einen der wenigen Plätze an einer Elite-Universität. Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen. Es wird nicht mein letztes Buch von diesem Autor sein. “6 Uhr 41“ liegt schon bereit.

Veröffentlicht am 03.10.2018

Das Verborgene unter der Oberfläche

Manhattan Beach
0

Jennifer Egans neuer Roman „Manhattan Beach“ ist im New York der 30er und 40er Jahre angesiedelt. Die Menschen leben mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt ...

Jennifer Egans neuer Roman „Manhattan Beach“ ist im New York der 30er und 40er Jahre angesiedelt. Die Menschen leben mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt steht die junge Anna mit ihren Eltern Eddie und Agnes und der jüngeren behinderten Schwester. Als 11jähriges Mädchen begleitet sie ihren Vater eines Tages zu dem reichen Gangster Dexter Styles. Worin die Arbeit ihres Vaters für diesen Mann besteht, weiß das Kind nicht. Vier Jahre später verschwindet der Vater spurlos, und Agnes und ihre Töchter sind auf sich allein gestellt. Mit 19 arbeitet Anna in der Werft. Sie nimmt Messungen vor, möchte aber viel lieber eine Tauchausbildung machen und Kriegsschiffe in der Werft reparieren. Es dauert eine Weile, bis ihre Hartnäckigkeit zum Erfolg führt und man sie einstellt. Sie schließt Freundschaft mit einer jungen Frau, die sie in eine Bar mitnimmt. Dort sieht sie Dexter Styles wieder. Sie sucht Kontakt zu ihm, weil sie zu Recht vermutet, dass er etwas über den Verbleib ihres Vaters weiß. Dexter und Anna kommen sich näher.
„Manhattan Beach“ ist ein historischer Roman mit Krimielementen. Einerseits bekommt der Leser ein Bild vom Leben in der damaligen Zeit: den Lebensbedingungen der Menschen zu Kriegszeiten, der Stellung der Frau in der amerikanischen Gesellschaft und der Macht der Gangstersyndikate. Andererseits wollen Anna und der Leser wissen, was mit ihrem Vater passiert ist. Erzählt wird aus drei verschiedenen Perspektiven, der von Anna, Dexter und Eddie und auf wechselnden Zeitebenen. Wichtige Informationen hält die Autorin bis fast zum Schluss zurück. Auch dadurch wird Spannung aufgebaut, denn der Leser begreift nur allmählich, wie eng die drei Schicksale verknüpft sind und welche Geheimnisse die Protagonisten sorgsam verbergen.
Egan legt einen sehr interessanten Roman vor, der allerdings wegen der sehr detaillierten Beschreibung von Tauchgängen und der benötigten Tauchausrüstung etwas Geduld und Durchhaltevermögen erfordert. Mir hat das Buch gut gefallen.

Veröffentlicht am 14.09.2018

Der ultimative Überlebenstest

Liebe und Verderben
0

Im Zentrum von Kristin Hannahs neuem Roman stehen Ernt und Cora Allbright und ihre Tochter Leni. Die eigentliche Romanhandlung setzt 1974 ein, als Leni 13 Jahre alt ist. Ernt und Cora haben schwere Zeiten ...

Im Zentrum von Kristin Hannahs neuem Roman stehen Ernt und Cora Allbright und ihre Tochter Leni. Die eigentliche Romanhandlung setzt 1974 ein, als Leni 13 Jahre alt ist. Ernt und Cora haben schwere Zeiten hinter sich. Die schwangere 16jährige Cora hatte damals mit ihren Eltern gebrochen und ist dem Mann gefolgt, den sie mehr liebt als ihr Leben, wie der Roman sehr deutlich macht. Seit seinem Kriegseinsatz und der Gefangenschaft in Vietnam ist Ernt nicht nur äußerlich stark verändert. Er leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, hat Albträume, leidet unter Verfolgungswahn, Ruhelosigkeit und neigt zu Ausbrüchen von unkontrollierbarer Gewalt. Nirgendwo hält er es längere Zeit aus, nirgendwo behält er seinen Job. So erscheint es den Allbrights als Glücksfall, als sie von seinem verstorbenen Freund Bob ein Stück Land in Alaska erben. Es ist ein Neuanfang in einer etwa 30 Personen zählenden verschworenen Gemeinschaft, wo Nachbarschaftshilfe selbstverständlich ist. Das Leben in der rauen Wildnis ist hart, das Überleben zu keiner Zeit gesichert. Schon bald zeigen sich neue Probleme. Ernt schließt sich an Bobs Vater “Mad Earl“ an, einen extremen Rassisten, der hasserfüllte Reden hält und jeden drängt, ständig auf die Verteidigung im Ernstfall – einer Invasion von Fremden oder einen Atomkrieg – vorbereitet zu sein. Zudem setzen Ernt die endlos langen Winter zu, die die Dunkelheit in ihm ans Licht bringen. Acht Monate dauert der Winter mit 6 Stunden Tageslicht und 18 Stunden Dunkelheit. Immer häufiger wird Leni Zeugin häuslicher Gewalt. Lenis einziger Freund ist der 14jährige Mathew, Sohn des von Ernt und Mad Earl gehassten reichen Tom Walker. Cora ist nicht bereit, ihren Mann zu verlassen, gibt sich stattdessen lieber selbst die Schuld an den gewalttätigen Übergriffen. Ernt ist eine tickende Zeitbombe, und alle wissen davon. Dem Leser kommt es so vor, als seien die wilden Tiere, vor denen sich alle mit ständig getragenen Waffen schützen, weniger gefährlich als das wilde Tier im Haus der Allbrights. Wer wird überleben? Hat die Liebe zwischen Leni und Mathew eine Chance?

Häusliche Gewalt ist jedoch nicht das einzige Thema des Romans. Noch wichtiger ist das Loblied auf die Liebe. Wahre Liebe stirbt nicht, sie überlebt alle Katastrophen, überwindet alle Hindernisse. Hannahs Roman ist sehr gefühlvoll, um nicht zu sagen ziemlich sentimental. Die detaillierten Beschreibungen Alaskas - Klima und Wetter und der Kampf der Menschen ums Überleben fern der Zivilisation, ohne Elektrizität und fließendes Wasser – sind eindrucksvoll und zum Verständnis der Geschichte notwendig. Weniger gelungen finde ich die Charakterzeichnung. Es gibt nur schwarz und weiß, gut und böse, eindimensionale, keine komplexen, runden Charaktere, die sich entwickeln und den Leser in irgendeiner Weise überraschen. Von daher fällt der neue Roman im Vergleich zu Hannahs großartigem Bestseller “Die Nachtigall“ etwas ab. Ich habe das Buch trotzdem nach anfänglichen Schwierigkeiten gern und zügig gelesen.