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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.09.2018

Eine lange Reise durch Zeit und Raum

Das rote Adressbuch
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Doris Alm ist die Protagonistin in Sofia Lundbergs Debütroman “Das rote Adressbuch“. Sie ist 96 Jahre alt, schwach und krank. Deshalb hat sie einige Zeit vor Einsetzen der Handlung in der Erzählgegenwart ...

Doris Alm ist die Protagonistin in Sofia Lundbergs Debütroman “Das rote Adressbuch“. Sie ist 96 Jahre alt, schwach und krank. Deshalb hat sie einige Zeit vor Einsetzen der Handlung in der Erzählgegenwart begonnen, die Geschichte ihres Lebens anhand der Namen und Adressen von meist längst verstorbenen Menschen aufzuschreiben, die in ihrem Leben in irgendeiner Weise eine Rolle gespielt haben. Die Namen sind in ihrem roten Notizbuch aufgelistet, ein Geschenk ihres früh verstorbenen Vaters zu ihrem 10. Geburtstag. Doris möchte nicht, dass ihre Erinnerungen mit ihrem Tod verloren gehen. Sie will sie ihrer geliebten Großnichte Jenny hinterlassen, die mit ihrer Familie in den USA lebt. Jenny ist die Enkelin ihrer im Kindbett verstorbenen Schwester Agnes, Tochter der drogensüchtigen Elise, die ebenfalls schon lange nicht mehr lebt.
Doris´ bewegtes, fast ein Jahrhundert dauerndes Leben beginnt in den 20er Jahren Stockholm, führt sie als junges Mädchen im Dienst ihrer Arbeitgeberin nach Paris, wo sie bis zum Zweiten Weltkrieg als Model arbeiten wird, später in die USA, nach England und zurück nach Schweden. Ihr ganzes Leben lang wird sie versuchen, ihre große Liebe, den Amerikaner Allan Smith, wiederzufinden. Sie verlieren sich aus den Augen und können wie die zwei Königskinder nicht mehr zueinanderkommen, obwohl sie auch für Allan die Liebe seines Lebens ist.
Lundbergs Roman war zu Recht ein großer Erfolg. Die Geschichte ist wunderschön und ohne jeden Kitsch erzählt und berührt nicht zuletzt wegen ihrer Botschaft: Wahre Liebe stirbt nicht, sie übersteht Krieg und jahrzehntelange Trennung. Diese von der Autorin eindrucksvoll vermittelte Überzeugung versöhnt den Leser mit den vielen traurigen Ereignissen im Leben von Doris Alm. Ich habe diesen Roman gern gelesen und empfehle ihn ohne Einschränkung.

Veröffentlicht am 13.08.2018

Welchen Preis hat die Liebe?

Uns gehört die Nacht
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In Jardine Libaires Roman “Uns gehört die Nacht“ begegnen sich in New Haven zwei sehr verschiedene junge Menschen Anfang 20. Der Yale-Student Jamie Hyde ist der Nachkomme einer reichen Banker-Dynastie, ...

In Jardine Libaires Roman “Uns gehört die Nacht“ begegnen sich in New Haven zwei sehr verschiedene junge Menschen Anfang 20. Der Yale-Student Jamie Hyde ist der Nachkomme einer reichen Banker-Dynastie, die Halb-Puerto-Ricanerin Elise Perez stammt aus der South Bronx, hat keinen Schulabschluss und hat ihre Mutter, den kriminellen und gewalttätigen Partner der Mutter und die jüngeren Geschwister verlassen, um diesem von Alkohol, Drogen und Gewalt beherrschten Leben zu entkommen. Die Beiden verlieben sich ineinander, aber die superreiche Familie setzt von Anfang an alles daran, die Beziehung zu stören und zu beenden – sogar Jameys Mutter Tory, die als Schauspielerin ebenfalls keine standesgemäße Partie für Alex Hyde war und nie gesellschaftlich akzeptiert wurde. Jedoch lässt sie es sich auch nach der hässlichen Scheidung von Jameys Vater nicht nehmen, von Reichtum und Privilegien der Hydes zu profitieren.
Der Roman zeichnet die Entwicklung dieser zunächst nur obsessiven sexuellen Beziehung nach, die sich allmählich zu einer tiefen Liebe entwickelt. Die sexuell erfahrene Elise verführt den naiven, schüchternen Jamey, stellt aber fest, dass dieser sie nach dem Sex zu hassen scheint. Ihr Defizit an Bildung und ihre typischen Verhaltensweisen eines Mitglieds der unkultivierten Unterschicht stoßen ihn ab. “Uns gehört die Nacht“ beschreibt die Entwicklung dieser problematischen Liebe über einen Zeitraum von 1 ½ Jahren, von Januar 1986 bis Juni 1987. Es ist spannend zu lesen, wie Jamey versucht, sich aus dem Klammergriff seiner Familie zu befreien und schließlich mit Elises Hilfe um sein Überleben kämpft. Ist er willens und in der Lage, alle Brücken hinter sich abzubrechen und mit Elise einen Neuanfang zu wagen?
Teilweise berührt diese Geschichte, sie ist aber streckenweise auch brutal und grausam, die Sprache mal poetisch, dann wieder überaus derb, zum Beispiel in der expliziten Beschreibung von Sexszenen. Das Buch ist nicht uninteressant, aber insgesamt bin ich doch ein bisschen enttäuscht.

Veröffentlicht am 30.07.2018

Kommissar Camille Verhoeven ermittelt

Opfer
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Pierre Lemaitre hat die Trilogie um Kommissar Camille Verhoeven vor den Romanen geschrieben, die ihn auch bei uns berühmt gemacht haben: “Wir sehen uns dort oben“ und “Drei Tage und ein Leben“. “Opfer“ ...

Pierre Lemaitre hat die Trilogie um Kommissar Camille Verhoeven vor den Romanen geschrieben, die ihn auch bei uns berühmt gemacht haben: “Wir sehen uns dort oben“ und “Drei Tage und ein Leben“. “Opfer“ erschien schon im Jahr 2012 unter dem Titel “Sacrifices“. Es ist der dritte Band der Reihe. Hier geht es um einen Raubüberfall auf einen Juwelierladen in Paris. Anne Forestier, eine gutaussehende, etwa 40jährige Frau wird Zeugin und Opfer dieser Straftat. Die Täter gehen mit äußerster Brutalität vor und verletzen die Frau schwer. Anne Forestier überlebt, ist aber dennoch nicht außer Gefahr, weil einer der Täter sie immer wieder aufspürt und bedroht. Das Besondere an der Situation ist, dass Anne Forestier seit einigen Monaten die Freundin des Kommissars ist. Verhoeven dürfte wegen seiner engen Beziehung zum Opfer den Fall gar nicht übernehmen, aber er ist nicht bereit zurückzutreten, zumal er schon einmal ins Visier von Verbrechern geraten ist, die vier Jahre zuvor seine Frau Irene ermordet haben.
Der Roman umfasst eine Zeitspanne von drei Tagen, die durch Zeitangaben untergliedert werden. Erzählt wird aus drei verschiedenen Perspektiven – der von Anne, Camille und außerdem aus der Sicht des Gangsters, dessen Identität erst ganz zum Schluss enthüllt wird. Die Dinge entwickeln sich sehr schnell und Verhoeven wird zeitweise unwissentlich zum Handlanger der Gangster, bis er allmählich begreift, wie alles zusammenhängt und wer wirklich hinter dem rabiaten Überfall steht. Unter Missachtung aller Regeln lügt und betrügt der Kommissar sogar seine Freunde bei der Pariser Polizei und nimmt dabei bewusst das Ende seiner Karriere in Kauf.
Lemaitre lässt den Leser in dieser Geschichte in menschliche Abgründe blicken und schont ihn nicht, was die explizite Darstellung von Gewalt betrifft. Das ist im Übrigen typisch für den Autor, in dessen Büchern immer wieder brutale Szenen vorkommen, erstaunlicherweise begleitet von Humor und witzigen Dialogen. Dadurch wird unter Umständen das Entsetzen des Lesers ein wenig gemildert. Mir hat dieser spannende Roman Noir sehr gut gefallen. “Opfer“ wird sicherlich nicht mein letztes Buch dieses Autors sein.

Veröffentlicht am 15.07.2018

Wie naturnah und gesund sind Blutwurst und Schokolade?

Naturnahes Kochen – einfach, gut, gesund
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In seinem Buch “Naturnahes Kochen – einfach, gut, gesund“ kombiniert der Gourmetkritiker und gelernte Koch Erwin Seitz eine gut informierte Warenkunde mit einem Rezeptteil von 24 Rezepten. Nach meinem ...

In seinem Buch “Naturnahes Kochen – einfach, gut, gesund“ kombiniert der Gourmetkritiker und gelernte Koch Erwin Seitz eine gut informierte Warenkunde mit einem Rezeptteil von 24 Rezepten. Nach meinem Empfinden wecken Buchbeschreibung und Titel beim Leser falsche Erwartungen. Längst nicht alle Zutaten sind gesund, naturnah oder saisonal, zum Beispiel Blutwurst, Bratwurst oder Schokolade. Es mag sein, dass die gut erklärte Zubereitung nur 30 Minuten dauert, aber was ist mit der Beschaffung der teils ungewöhnlichen Lebensmittel? Saibling gibt es bestimmt nicht an der nächsten Ecke. Von daher kommen einige der Gerichte für Berufstätige von vornherein nicht in Frage. Ich hätte mir wesentlich mehr Rezepte mit leicht zu beschaffenden frischen und kostengünstigen Zutaten gewünscht.
An der Optik des Bandes ist nichts auszusetzen. Ich habe auch nichts gegen einen Zugewinn an Wissen in der Warenkunde, aber ich sehe in dem Band eher eine Ergänzung meiner Kochbuchbibliothek und nicht einen Ersatz für bewährte Standardwerke.

Veröffentlicht am 18.04.2018

Was lange währt, wird endlich gut

Unter der Mitternachtssonne
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Keigo Higashinos Roman „Unter der Mitternachtssonne“ erschien in Japan schon im Jahr 1999, wurde 2015 ins Englische übersetzt und kommt erst jetzt in der deutschen Übersetzung auf den Markt.
In Osaka wird ...

Keigo Higashinos Roman „Unter der Mitternachtssonne“ erschien in Japan schon im Jahr 1999, wurde 2015 ins Englische übersetzt und kommt erst jetzt in der deutschen Übersetzung auf den Markt.
In Osaka wird 1973 der Pfandleiher Yosuke Kirahara in einem leer stehenden Gebäude ermordet aufgefunden. Kommissar Sasagaki und sein Team ermitteln ohne Erfolg. Zwei Verdächtige kommen einige Zeit später ums Leben, andere haben ein Alibi. Der Fall wird zu den Akten gelegt. Nur der Polizist verfolgt die Lebenswege der übrigen beteiligten Personen über einen Zeitraum von fast 20 Jahren - sogar noch nach seiner Pensionierung - und stößt immer wieder auf Unstimmigkeiten und Bezüge zu dem ungelösten Fall. Ganz besonders hat er Ryo, den Sohn des Opfers und Yukiho Nishimoto, die Tochter einer mittellosen Frau, in deren Haus das Opfer häufig ging, im Blick. Beide sind in mehrfacher Hinsicht auffällig. Ryo und die schöne, charismatische Yuhiko verfügten schon frühzeitig über sehr viel Geld unbekannter Herkunft. Sie waren allerdings Kinder, als der Mord geschah. Ryo schlägt schon in jungen Jahren eine kriminelle Laufbahn ein. Er stiehlt u.a. die Software von Computerspielen in der Entwicklung, die noch nicht urheberrechtlich geschützt sind. Sasagaki fällt auf, dass im Lauf der Jahre eine große Zahl von Personen aus dem Umfeld dieser Beiden zu Schaden oder ums Leben kommt und für immer verschwindet. Seiner Ansicht nach existiert zwischen ihnen eine geradezu symbiotische Beziehung, die der Autor anhand eines Beispiels aus dem Tierreich leitmotivisch immer wieder aufgreift. Sie sind wie der Knallkrebs und die Wächtergundel. – ein Paar fürs Leben. Der Leser dieses ungewöhnlich umfangreichen, nicht ganz leicht zu lesenden Krimis folgt den Ermittlungen des Kommissars mit nie nachlassendem Interesse. Für ihn kommt die Auflösung nicht völlig überraschend. Der kompliziert aufgebaute Roman ist spannend und besticht durch eine sorgfältige Charakterzeichnung auch bei den Nebenfiguren. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven, so dass sich allmählich die vielen Mosaiksteinchen zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Nicht alles wird jedoch aufgeklärt, vor allem nicht für die Beteiligten. Die umfassendsten Informationen hat am Ende der Leser. Sehr gut gelungen ist auch die Einbeziehung des zeitgeschichtlichen Hintergrunds – vom Riesenerfolg des Nintendo-Spiels Super Mario Bros., einem der einflussreichsten Spiele aller Zeiten, bis zur unaufhaltsamen Verbreitung von Computern in Privathaushalten, vom wirtschaftlichen Boom in Japan bis zur Flaute und zum Ölpreisschock.
Mir als Higashino-Fan hat auch dieser Roman sehr gut gefallen und ich warte schon sehnsüchtig auf die nächste deutsche Übersetzung eines Titels aus dem umfangreichen literarischen Schaffen des zu Recht berühmten Autors.