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Veröffentlicht am 18.01.2018

Der Trost der Wölfe

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
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In Carol Rifka Brunts Romanerstling “Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ (”Tell the Wolves I´m Home”) muss die 14jährige June Elbus mit dem Tod ihres geliebten Onkels Finn fertig werden. Finn Weiss war ein ...

In Carol Rifka Brunts Romanerstling “Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ (”Tell the Wolves I´m Home”) muss die 14jährige June Elbus mit dem Tod ihres geliebten Onkels Finn fertig werden. Finn Weiss war ein bekannter Maler in New York, eine charismatische, brillante Persönlichkeit. Er starb in den 80er Jahren an der zunächst noch weithin unbekannten und unverstandenen Krankheit AIDS. June, ein Mädchen ohne Freunde, hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihrem Onkel , der ihr Interesse für das Mittelalter teilte und ihr bei ausgefallenen Unternehmungen Wissen vermittelte. Vor seinem Tod fertigte der Maler ein Porträt von June und ihrer zwei Jahre älteren Schwester Greta an, was ihm die Möglichkeit gab, die Mädchen bei unzähligen sonntäglichen Sitzungen zu sehen. Nach Finns Tod nimmt sein von den Eltern geheim gehaltener Lebenspartner Toby Kontakt zu June auf. Es entwickelt sich eine tiefe Freundschaft, von der niemand etwas wissen darf. Sie teilen ihre Trauer und ihre Erinnerungen, und June begreift, dass es Geheimnisse in ihrer Familie gibt, von denen sie nichts wusste und dass sich manches ganz anders verhält, als sie dachte. Ihre Schwester Greta, die ihr früheres inniges Verhältnis durch Boshaftigkeit und ständige Schikanen zerstört hat, gerät in eine Abwärtsspirale, die nur June bemerkt.

Die sehr gefühlvolle, aber nicht rührselige Geschichte entwickelt sich auf einen Höhepunkt zu, wo alle Geheimnisse ans Licht kommen und eine Lösung der Konflikte in Sicht ist. Der Roman liest sich hervorragend und überrascht durch sorgfältige Charakterzeichnung. Die Figuren – neben June vor allem Greta und die Mutter der Mädchen – sind runde Charaktere ohne Schwarz-Weiß-Zeichnung, die die tieferen Schichten ihres Wesens allmählich offenbaren. Es geht immer wieder um Verlust und Trauer, Freundschaft und Liebe, um Geschwisterrivalität – nicht nur zwischen June und Greta, sondern auch zwischen Finn und seiner älteren Schwester Danni – , um die zur Heilung tiefer Wunden nötige Empathie und um die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens.

Der Roman ist jedoch nicht nur ein Coming-of-Age-Roman – konsequent aus der Perspektive der jungen Ich-Erzählerin June erzählt, sondern die Autorin setzt sich auch ernsthaft mit dem Phänomen AIDS auseinander, indem sie zeigt, welches Leid die Krankheit in den betroffenen Familien verursacht und mit welcher Ignoranz die Menschen ihr damals begegneten. So sah die Reagan-Administration zunächst keine Veranlassung, Steuergelder für die Erforschung einer Krankheit zu verschwenden, an der (angeblich) nur Homosexuelle litten und die zudem noch als selbstverschuldet galt. Es ist ein Verdienst des Buches, diese vergangene Ära lebendig werden zu lassen.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es beginnt recht gemächlich, wird dann aber zunehmend spannender. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Hannah Rosenthal und Anna Rosen

Das Erbe der Rosenthals
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„Das Erbe der Rosenthals“ ist Armando Lucas Correas Debütroman. Der Roman spielt 1939 in Berlin, 2014 in New York und Havanna und erstreckt sich über 75 Jahre. Die knapp 12jährige Jüdin Hannah Rosenthal ...

„Das Erbe der Rosenthals“ ist Armando Lucas Correas Debütroman. Der Roman spielt 1939 in Berlin, 2014 in New York und Havanna und erstreckt sich über 75 Jahre. Die knapp 12jährige Jüdin Hannah Rosenthal lebt 1939 in Berlin ein gutbürgerliches Leben. Ihre Familie war schon immer wohlhabend. Im November 1938 verliert ihr Vater, ein angesehener Professor, seine Arbeit. Seitdem lebt die Familie zurückgezogen. Hannas Mutter Alma verlässt die Wohnung nicht mehr. Sie schaut nur noch aus dem Fenster und versucht sich zu erklären, was dort draußen geschieht. Mit ihrem einzigen Freund, dem gleichaltrigen Leo Martin, durchstreift Hannah die Straßen von Berlin und macht am liebsten Fotos. Leos verwitwetem Vater gehörten früher die Hackeschen Höfe. Er wurde vor fünf Jahren zuvor von den Nazis enteignet und plant jetzt mit Hannahs Vater die Flucht. Die Familie Rosenthal ist überglücklich, als sie die Ausreisegenehmigungen und die Visa erhält. Jetzt müssen nur noch die Schiffspassagen für die St. Louis gekauft werden. Doch dann kommt alles anders als geplant.
Im Jahr 2014 begegnet der Leser der 12jährigen Anna Rosen in New York. Sie verlor ihren Vater bei den Anschlägen am 9. November 2001. Er hat nicht mehr erfahren, dass er Vater wird. Anna verkraftet den Tod ihres Vaters gut. Ihre Mutter hingegen akzeptiert den Tod ihres Ehemannes nicht. Sie wartet immer noch auf seine Rückkehr. Er wurde nie gefunden und später für tot erklärt. Eines Tages erhält sie einen Brief, der in Kanada abgeschickt wurde, aber aus Havanna stammt. Absender ist Hannah, eine alte Tante, die Annas Vater aufgezogen hat, nachdem seine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren. Da war er gerade mal neun Jahre alt. Anna reist mit ihrer Mutter nach Kuba und erfährt die tragische Geschichte ihrer Familie.
Armando Lucas Correas Roman „Das Erbe der Rosenthals“ liest sich gut. Er basiert auf der wahren Geschichte der Fahrt der „St. Louis“. An Bord des Schiffes waren im Frühjahr 1939 937 deutsche Juden mit gültigen Papieren. Die Passagiere stranden in der Karibik, weil die kubanische Regierung ihre Genehmigung zur Einreise zurückzieht. Nur 29 Passagiere dürfen an Land gehen. Auch der amerikanische Präsident Roosevelt und Kanada nehmen die Flüchtlinge nicht auf. Im Juni 1939 tritt die St. Louis die Heimreise nach Deutschland an. Kurz vor ihrer Ankunft erlaubte die belgische Regierung die Landung in Antwerpen. Die Flüchtlinge wurden auf Belgien, die Niederlande, Frankreich und Großbritannien verteilt. Die Geschichte der Rosenthals ist fiktiv, obwohl der Autor in einem Interview sagte, dass sie mit seiner Familie zu tun hat. Am besten haben mir die Teile des Buches gefallen, die in Berlin und auf der St. Louis spielen. Die Ausführungen über das Leben in Kuba fallen dagegen ab. Der Autor beleuchtet ein weitgehend unbekanntes, trauriges Stück Holocaust-Geschichte. Es geht ihm darum zu zeigen, dass so etwas wieder passieren kann. Es passiert wieder, wie die aktuelle Flüchtlingskrise zeigt, wo Tausende von Flüchtlingen, die die lebensgefährliche Überquerung des Meeres überlebt haben, abgefangen und einem ungewissen Schicksal überlassen werden, das zum Teil noch schlimmer ist, als die Lebensbedingungen, die sie hinter sich gelassen haben, wenn man nur an die lybischen Lager denkt. Correa hat einen packenden und berührenden Roman geschrieben, der dem Leser bewusst macht, dass Flüchtlinge Menschen sind, die Hilfe brauchen. Regierungen müssen zu ihrer Verantwortung stehen, sich menschlich verhalten. Trotz kleiner Schwächen ist dies ein sehr lesenswertes Buch.

Veröffentlicht am 03.12.2017

Ein Leben in Angst

Drei Tage und ein Leben
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Die Handlung des neuen Romans von Pierre Lemaitre "Drei Tage und ein Leben" beginnt 1999, einen Tag vor Weihnachten. Der zwölfjährige unauffällige Schüler Antoine Courtin lebt mit seiner strengen Mutter ...

Die Handlung des neuen Romans von Pierre Lemaitre "Drei Tage und ein Leben" beginnt 1999, einen Tag vor Weihnachten. Der zwölfjährige unauffällige Schüler Antoine Courtin lebt mit seiner strengen Mutter Blanche in Beauval, einem kleinen Ort in der Provinz. Sein Vater hat die Familie vor sechs Jahren verlassen. Blanche arbeitet bei dem Fleischer Andrei Kowalski, der einen Laden in Marmont besitzt. Den Hund der Nachbarn Desmedt, Odysseus, liebt Antoine über alles. Mit ihm und dem sechsjährigen Rémi Desmedt geht er am liebsten in den Wald von Saint-Eustache. Dort baut Antoine heimlich ein Baumhaus, denn die anderen Kinder spielen mittwochs und samstags lieber mit der PlayStation. Eines Tages wird Odysseus von einem flüchtigen Autofahrer angefahren und schwer verletzt, und statt ihn zu einem Tierarzt zu bringen, erschießt Roger Desmedt das Tier vor Antoines Augen und wirft ihn in einen Müllsack. Für Antoine bricht eine Welt zusammen. Aus Wut zerstört er das Baumhaus. Da taucht Rémi im Wald auf. Ihm hatte man nur erzählt, dass der Hund weggelaufen sei, er versteht Antoines Wut nicht. Plötzlich schlägt Antoine mit einem Ast auf Rémi ein und trifft ihn an der rechten Schläfe. Rémi ist sofort tot. Wie in Trance versteckt Antoine das tote Kind in der Höhle eines Baumstumpfes und geht nach Hause. Nach einer großangelegten Suchaktion, an der sich alle aus dem Ort beteiligen, fegt am dritten Tag ein Jahrhundertsturm mit sintflutartigem Regen über das kleine Dorf hinweg. Rémi scheint vergessen worden zu sein, doch nicht von Antoine. Sein Leben hat sich in wenigen Minuten für immer verändert. Er allein kennt die ganze Wahrheit. Wird er erwischt und verhaftet, oder hat das Unwetter alle Spuren des Mordes verwischt, so dass er unentdeckt bleibt?
Pierre Lemaitre beginnt seinen tragischen Gesellschaftsroman im Jahr der Tat und geht später weiter in das Jahr 2011 und 2015. Der Protagonist kann mit niemandem, nicht einmal mit seiner Mutter, über die Tat reden. Er wird von unendlichen Schuldgefühlen geplagt. Der Autor geht der Frage nach, ob man als 12jähriger mit der Schuld leben kann, ein kleines Kind, das man lieb gewonnen hat, getötet zu haben. Was für ein Leben ist mit einer solchen Schuld überhaupt möglich? Angst, Albträume, Lügen und die Frage, ob es außer ihm jemand gibt, der die Wahrheit kennt, bestimmen fortan sein Leben. Der Roman ist hervorragend konstruiert, spannungsgeladen, dialogreich und enthält viele überraschende Wendungen und ein Ende, das man nicht vorhersieht. Für mich eins der besten Bücher dieses Jahres und absolut empfehlenswert.

Veröffentlicht am 03.12.2017

Was geschieht wirklich?

The Ending - Du wirst dich fürchten. Und du wirst nicht wissen, warum
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Der kanadische Autor Iain Reid legt mit “The Ending“ nach zwei sehr erfolgreichen Sachbüchern sein Romandebüt vor. Der deutsche Leser nimmt das Buch unter dem Eindruck von überschwänglichem Lob und reichlich ...

Der kanadische Autor Iain Reid legt mit “The Ending“ nach zwei sehr erfolgreichen Sachbüchern sein Romandebüt vor. Der deutsche Leser nimmt das Buch unter dem Eindruck von überschwänglichem Lob und reichlich Vorschusslorbeeren zur Hand und bekommt nicht genau das, was er erwartet.

Jake und seine Freundin sind in der Weite Kanadas unterwegs zur alten Farm der Eltern des Mannes. Sie kennen sich erst wenige Wochen, und es sieht nicht besonders gut aus für die Beziehung, wie schon der erste Satz des Romans andeutet. “Ich trage mich mit dem Gedanken, Schluss zu machen“ äußert die namenlose Ich-Erzählerin und meint damit ihre Beziehung oder auch nicht. Während der Fahrt sprechen Jake und seine Freundin miteinander, aber sie sind nicht offen zueinander. Es entsteht eine Atmosphäre der Bedrohung und der Angst, die nach ihrer Ankunft auf der Farm und bei der Begegnung mit Jakes Eltern noch verstärkt wird. Das Paar fährt im Schneesturm noch am gleichen Abend zurück. Sie verhalten sich eigenartig, es passieren seltsame Dinge. Das kann kein gutes Ende nehmen. Dies ist dem Leser auch deshalb bewusst, weil zwischen den Abschnitten kursiv gesetzte Dialoge von zwei Unbekannten eingeblendet sind, die von einem Toten sprechen. Wer das ist und warum dieser Tote für Jake und seine Freundin von Bedeutung ist, erfahren wir zunächst nicht.

Die Auflösung erwartet der Leser so nicht und reagiert zunächst verwirrt. Man hat das Gefühl, man müsste das Buch noch einmal lesen, um es besser zu verstehen, weil vielleicht übersehene Details eine schlüssige Erklärung liefern könnten. Auf jeden Fall bleibt der Eindruck, dass es dem Autor gelingt, mittels der Sprache eine immer bedrohlicher wirkende Atmosphäre zu schaffen und damit bei der Protagonistin und beim Leser diffuse Ängste zu erzeugen. Das Buch liest sich nicht schlecht, aber wirklich überzeugt hat es mich nicht.

Veröffentlicht am 03.12.2017

Hausarrest für einen Gentleman

Ein Gentleman in Moskau
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Armor Towles Roman "Ein Gentleman in Moskau" spielt in der Zeit von 1922 bis 1954. Graf Alexander Iljitsch Rostov, Träger des Ordens des Heiligen Andreas, Mitglied des Jockey-Clubs, Meister der Jagd, geb. ...

Armor Towles Roman "Ein Gentleman in Moskau" spielt in der Zeit von 1922 bis 1954. Graf Alexander Iljitsch Rostov, Träger des Ordens des Heiligen Andreas, Mitglied des Jockey-Clubs, Meister der Jagd, geb. am 24. Oktober 1889 in St. Petersburg wird am 21. Juni 1922 für ein 1913 unter seinem Namen veröffentlichtes revolutionäres Gedicht zum Tode verurteilt; die Strafe in Hausarrest in dem luxuriösen Hotel Metropol umgewandelt. Sollte er das Hotel jemals verlassen, wird er erschossen. Nach der Urteilsverkündung kehrt der Graf jedoch nicht in seine herrschaftliche Suite zurück. Ihm wird eine Kammer mit einem Fenster, das nicht größer als eine Briefmarke war, auf dem Dachboden zugeteilt, ein Großteil seines Hab und Gutes geht in Volkseigentum über. Während der nächsten 30 Jahre passt sich der Graf seinem Mikrokosmos an, und vor der Hoteltür nimmt die Geschichte Russlands und der ganzen Welt ihren Lauf.

Amor Towles hat einen wundervollen Roman geschrieben, der dem Leser viele Informationen über die Geschichte Russlands und das Leben des Aristokraten Rostov in seiner Jugend in der Provinz Nischni Nowgorod nahebringt. Der Graf ist ein Ästhet, ein Feingeist, ein sehr gebildeter und kultivierter, höflicher und sympathischer Mann, mit einer großen Leidenschaft für Musik und Literatur. Er hat nicht die Arroganz des Aristokraten, der sich auf seinen Status und seinen Reichtum verlässt. Die hat er ohnehin weitgehend verloren. Stattdessen entwickelt er viel menschliches Mitgefühl und ist zu tiefen Bindungen fähig. Er freundet sich nicht nur mit hochrangigen Persönlichkeiten und der wunderschönen Schauspielerin Anna, sondern auch mit dem Portier Wassili, der Schneiderin Marina, dem Barkeeper Andrei und Emile, dem Maître d’Hôtel an. Auch wenn der Graf sich seiner Gefangenschaft ungebeugt stellt und versucht sich anzupassen, ist er einmal so hoffnungslos, dass er bereit ist, sich das Leben zu nehmen. Er entscheidet sich jedoch dafür weiterzuleben. Er wird der neunjährigen Nina ein wunderbarer Freund und Spielkamerad. Sie zeigt ihm die geheimsten Orte des Metropols, und kehrt Jahre später als junge Frau zurück. Sie ist verzweifelt und bittet den Grafen, sich ihrer Tochter Sofia anzunehmen, der er ein liebevoller und aufopferungsvoller Ziehvater ist. Tief verbunden ist er mit seinem Freund Mischka aus Jugendzeiten, der ihn viele Jahre später als den glücklichsten Menschen Russlands bezeichnen wird, denn trotz seiner eingeschränkten Lebensumstände ist er immer noch fähig, Freude und Glück zu empfinden. Er ist auch nicht völlig von der Realität abgeschnitten. Informationen über das Weltgeschehen und die Lage in Russland erhält er von den Bediensteten und Hotelgästen. Ihm bleibt nur der Blick aus dem Fenster, von dem aus er das Bolschoi-Theater und die Mauern des Kreml sieht. Der Graf ist nicht Ich-Erzähler einer eigenen Geschichte. Der Autor lässt sie von einem allwissenden Erzähler in der dritten Person erzählen.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen und empfehle ihn uneingeschränkt weiter.