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Veröffentlicht am 21.04.2024

Weiterleben

Windstärke 17
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Mit großer Begeisterung habe ich Caroline Wahls ersten Roman „22 Bahnen“ gelesen und die Fortsetzung mit Spannung erwartet. Letztlich bin ich in meinen Erwartungen nicht enttäuscht worden. Auch „Windstärke ...

Mit großer Begeisterung habe ich Caroline Wahls ersten Roman „22 Bahnen“ gelesen und die Fortsetzung mit Spannung erwartet. Letztlich bin ich in meinen Erwartungen nicht enttäuscht worden. Auch „Windstärke 17“ hat in mir einen Lesesog ausgelöst, und ich habe das Büchlein nur ab und an ungern aus der Hand gelegt. Die Autorin hat ein Talent, schwere Dinge in lakonischen, aber dennoch nicht weniger eindringlichen Sätzen zwischen Kindheitswohlfühlmomente wie pinken Nikianzug oder Botincheneis zu verpacken. Manchmal schon so, dass man sich als Leser nicht verleiten lassen darf, Ida als verwöhntes Ferienmädchen bei Marianne und Knut zu sehen, sondern sich bewusst zu machen, was es für ein Mädchen von Anfang 20 bedeuten muss, die eigene Mutter nach einem Streit und einem besonders schönen Wochenendtrip nach Prag in der Wohnung tot aufzufinden: Tablettenüberdosis.
Darum geht es in dem zweiten Roman von Caroline Wahl: um Ida, Tildas jüngere Schwester. Tilda hat ihren Lebensweg gefunden. Ida haut nach dem Tod der Mutter ab, nach Rügen, möglichst weit weg. Und trifft dort auf Knut und Marianne, die sie bei sich aufnehmen, ohne Fragen zu stellen. Und auf Leif, aufgewachsen auf der Insel, eigentlich international erfolgreicher DJ, aber aus nur angedeuteten Gründen gerade bei seinem dementen Großvater auf der Insel. Eigentlich jemand, den Ida im Moment so gar nicht gebrauchen kann. Und als dann auch Marianne ein schwerer Schicksalsschlag trifft, bricht Idas fragile Welt erneut in sich zusammen, und all ihre Schuldgefühle hinlänglich des Todes ihrer alkoholabhängigen Mutter brechen wieder hervor. Wie lässt es sich weiterleben in einer solchen Welt?
Man muss Caroline Wahls ersten Roman nicht kennen, um „Windstärke 17“ lesen und verstehen zu können. Ida hat ihre ganz eigene Geschichte. Und auch ihren ganz eigenen Charakter. Wirkte Tilda so überlegt und handfest und ruhig und fand in Viktor ihr Pendant, so ist Ida das genaue Gegenteil. Sie schwankt, durchlebt ihren ganz eigenen Hypertornado mit Windstärke 17, und lässt sich treiben und ordentlich durchschütteln. Auch sie sucht nach Linderung in exzessiven Waldläufen und im Schwimmen, strebt aber mehr als bei Tilda danach, ihre physischen und psychischen Grenzen zu überschreiten. Auch die Beziehung zu Leif ist fragil, kein Fels in der Brandung. Und so bleibt konsequenter Weise das Ende offen. Schade ist nur, dass Ida das Malen – zugunsten des Schreibens – aufgegeben hat. Denn die Schilderung der Bilder, die die junge Ida im ersten Roman malt, waren ein Lesevergnügen für sich. Ob Ida der Autorin mehr ähnelt als Tilda mag Raum für Spekulationen bieten.
Die beiden Romane verknüpfen der Caroline Wahl eigene Schreibstil und die beiden Schwestern Tilda und Ida. Aber „Windstärke 17“ ist nicht einfach eine Neuauflage des Erfolgsromanvorgängers, sondern eine Geschichte, die es um ihrer selbst willen wert ist, gelesen zu werden.

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Veröffentlicht am 14.04.2024

Endlich erzählt

Gussie
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Die Geschichte der Gussie Adenauer, der zweiten Frau von Konrad Adenauer, war mir bisher nicht bekannt und ist in Buchform meiner Kenntnis nach auch noch nicht erzählt worden. Diese bedauerliche Lücke ...

Die Geschichte der Gussie Adenauer, der zweiten Frau von Konrad Adenauer, war mir bisher nicht bekannt und ist in Buchform meiner Kenntnis nach auch noch nicht erzählt worden. Diese bedauerliche Lücke schließt der Autor Christoph Wortberg mit dem vorliegenden Roman dankenswerter Weise.
Auf zwei Zeitebenen lässt er Gussie ihr Leben mit und für Konrad Adenauer erzählen. Einmal nach dem Ende der Schreckenszeit während Krieg und Drittem Reich, hierbei auch mit Rückblicken auf ihre Kindheit, was die Chronologie bisweilen etwas verwirrt. Und dann während der Jahre der Machtergreifung bis zur letzten Inhaftierung Adenauers in einer Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald.
Die Beziehung zu Adenauer ist zugleich Gussies größte Herausforderung und sinnstiftende Konstante in ihrem reichen, aber auch gefahrenreichen Leben. Als junges Mädchen entscheidet sie sich für die Ehe mit einem bereits verwitweten Mann, Vater von drei Kindern, Oberbürgermeister von Köln, Gegner der Nazis, Katholik und ein verschlossener Charakter. Durch die Machtergreifung Hitlers gerät er in große Gefahr, muss mehrfach abtauchen, umziehen und wird immer wieder abgeholt und verhört. Eine Herausforderung auch für seine junge Frau, die ihm selbst noch vier weitere Kinder geboren hat. Immer in Angst um ihn, aber auch um ihre Kinder versucht sie ihren „Mann“ an seiner Seite zu stehen, ohne allzu sehr einem eigenen Leben, vielleicht als Musikerin, nachzutrauern. Sie geht mit ihm alle schweren Wege bis zu dem Moment, an dem sie zwischen ihm und ihren Kindern wählen muss.
Christoph Wortberg gelingt es, das eindrückliche Porträt einer beeindruckenden Frau zu malen. Er bedient sich der Informationen aus familiären Quellen und ihren Briefen und verwebt sie mit Fiktion zu der Gedanken- und Gefühlswelt einer Frau, in die der Leser sich gut eindenken und -fühlen kann. Beeindruckend ist ihre Lebenshaltung wider alle Repressalien und Gefahren, ihre tiefe und bodenständige Liebe zu einem Mann, den sein politisches Leben zu einer gewissen Härte und zum Verschließen seiner Gefühle zwingt, ihr Familiensinn, ihre aufrechte Haltung und ihre Liebe zum Leben.
Der Autor verwendet eine klare, gut lesbare Sprache, ohne dabei auf Emotionalität, eindrückliche Bilder und lebensphilosophische Betrachtungen zu verzichten. Vielleicht wird das Buch an einigen Stellen zu sentimental, aber im Nachklang bleibt auf jeden Fall die starke Intensität der Beziehung zwischen Gussie und Konrad Adenauer, die Sympathie für eine bewundernswerte, starke, mutige, lebenskluge und -hungrige Frau, der zu Unrecht zu lange kein ehrenvolles Denkmal gewidmet wurde. Das hat der Autor mit seinem Roman zu Recht nachgeholt.

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Veröffentlicht am 07.04.2024

Der Neid der Götter

Elyssa, Königin von Karthago
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Der Roman „Elyssa“ schreibt die Geschichte der unglückliche Liebe zwischen Elyssa und Aeneas neu. Doch das Grundgerüst bleibt: Aeneas wird mit seinen Versprengten nach dem Untergang Troias und langer Odyssee ...

Der Roman „Elyssa“ schreibt die Geschichte der unglückliche Liebe zwischen Elyssa und Aeneas neu. Doch das Grundgerüst bleibt: Aeneas wird mit seinen Versprengten nach dem Untergang Troias und langer Odyssee an die Küsten Afrikas gespült. Er ist auf göttlicher Mission, soll er doch ein neues Land für sein restliches Volk im fernen Italien finden. Da kommt ihm die Liebe der Karthager Königin Elyssa dazwischen. Könnte Karthago die neue Heimat sein? Oder muss er wieder in See stechen mit ungewissem Ausgang? Aber auch vor den Toren Karthagos lauert der missgünstige Feind, der sich die Königin und ihre Karthager und damit ihren Reichtum und ihre Macht unterwerfen will. Droht Aeneas das Schicksal eines zweiten Troia?
Irene Vallejo erzählt die Geschichte aus vielen verschiedenen Perspektiven: aus der weiblichen Sicht der Königin Elyssa, die nach Flucht und Jahren als Herrscherin unter Männern, ohne Nachfahren, aus einer nicht aus Liebe geschlossenen Ehe nun Liebe und Begehren in Aeneas findet, doch von ihren Selbstzweifeln und der Sehnsucht nach Ankommen weiter geplagt. Aus der Sicht der jungen Anna, die die Rolle einer Prophetin zukommt. Als Außenseiterin, Verstoßene hat sie einen distanzierten Blick auf die Menschen. Aber auch sie sehnt sich nach Gemeinschaft und eine Heimat in Frieden und Ruhe. Auch Aeneas ist ein Vertriebener, kriegsmüde und zugleich auf der rastlosen Suche nach einer Heimat, in der Gesetze regieren sollen und nicht mehr die Waffen, in der es keine Gewalt und keinen Krieg mehr geben soll.
Auch der Dichter Vergil kommt zu Wort: Er soll ein Epos zu Ehren des Augustus, des Bringers der pax Augusta, schreiben, doch fehlen ihm lange die Worte, fühlt er sich doch verraten und verkauft an die Gunst des Augustus und unfrei und auch auf eine gewisse Art heimatlos.
Am Interessanten für mich ist die Perspektive des Gottes Eros. Der Liebesstifter betrachtet mal philosophisch versonnen, mal mit einer gewissen Selbstironie die Menschen und die Götter. Er fragt sich nach der Rolle der Götter in der Welt der Menschen. Schon ihm gelingt es nicht, dass sich die Menschen seinem Liebeswillen beugen. Als Liebesstifter versagt er immer wieder, die Menschen sind zu komplex für eine einfache Liebesspielerei. Aber sind nicht alle Götter Illusionen der Menschen, ihr eigenes Tun zu legitimieren? Zugleich beneidet Eros die Menschen um ihre Fähigkeit zu Liebe und Leidenschaft, um ihre Vergänglichkeit, aus der allein Neues entstehen kann, im Gegensatz zur ewig gleichbleibenden Unsterblichkeit der Götter, und vor allem um ihre Fähigkeit, Geschichten zu erfinden und so das Vergangene und das Gegenwärtige zu verweben und der Vergänglichkeit zu entrücken.
In schönen Bildern und anmutiger Sprache, die auch die Übersetzung zu wahren weiß, spinnt Irene Vallejo genauso wie einst Vergil eine dieser Geschichten, um die uns die Götter durchaus beneiden können.

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Veröffentlicht am 04.04.2024

Okay

Ostseefinsternis
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Ein Überfall und ein Mord in dem kleinen Ostseestädtchen Kaltenbrode, in dem Pia Korittki mit ihrer Familie Urlaub macht und in dem sie ihren 19. Kriminalfall lösen muss. Und beides scheint miteinander ...

Ein Überfall und ein Mord in dem kleinen Ostseestädtchen Kaltenbrode, in dem Pia Korittki mit ihrer Familie Urlaub macht und in dem sie ihren 19. Kriminalfall lösen muss. Und beides scheint miteinander in Verbindung zu stehen und mit einer alten Fehde der Familien der Hagendorfs und Böttchers zusammenzuhängen.
Die Zahl der möglichen Täter ist groß, die falschen Fähren, denen die Ermittler nachspüren vielfältig. Als einer der Hauptverdächtigen Pias Sohn bedrohlich nahe kommen könnte, liegen nicht nur ihre eh schon angeschlagenen Nerven blank, sondern auch ihre Beziehung erfährt eine Belastungsprobe.
Der Krimi ist solide gemacht.
mit spannenden Momenten wie dem Bewegungsprofil des Täters, aber auch Längen, dem Hin und Her zwischen verschiedenen Verdächtigen. Mit interessanten Figuren, wie der blinden Helmgard Böttcher, der für mein Gefühl mehr Raum hätte gegeben werden können. Mit den üblichen Verdächtigen, enttäuschten Liebhaber:innen, zwielichtigen Geschäftspartnern, Macht ausübenden Familienangehörigen, aber auch überraschenden Wendungen. Ob man mit dem Ende als Leser zufrieden ist, möge jeder am Ende der Lektüre selbst entscheiden.

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Veröffentlicht am 04.04.2024

Fremd

Kantika
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Rebecca Cohens ist immer die Fremde: fremd in ihrer Geburtsstadt als Jüdin in der Türkei, fremd als Jüdin in Spanien, das die Juden einst gewaltsam vertrieb und in das Rebecca mit ihrer Familie nun ziehen ...

Rebecca Cohens ist immer die Fremde: fremd in ihrer Geburtsstadt als Jüdin in der Türkei, fremd als Jüdin in Spanien, das die Juden einst gewaltsam vertrieb und in das Rebecca mit ihrer Familie nun ziehen muss, als ihr Vater alles Hab und Gut verliert und die Zeichen für die Juden in der Türkei ungünstig stehen. Fremd in ihrer Ehe mit einem Mann, den sie kaum kennt, mit dem sie zwei Kinder hat und der mehr in der Welt herumstreift als zu Hause zu sein. Fremd dann auch in Amerika, wohin sie aufgrund der sich zuspitzenden Lage für die Juden in Europa von ihrer Familie geschickt wird. Als Witwe nun auch Fremde in einer neuen Ehe mit einem Fremden mit einer fremdartigen Tochter, die durch einen Geburtsfehler an einer Gehirnerkrankung leidet.
Auch wenn es ihr vielleicht nicht gelingt, heimisch zu werden, so verlässt Rebecca Cohens doch nie der Mut und die Kraft, sich den Schwierigkeiten zu stellen und die Herausforderungen anzupacken, die ihr das Leben stellt. Bis zum Schluss bewahrt sie sich dabei auch so etwas wie Lebensfreude, der sich in ihren Liedern äußert, die einen roten Faden durch ihre Odyssee darstellen könnten.
Auch wenn ein Roman, so enthält er doch viele reale Züge aus der Familiengeschichte der Autorin, die sich in dem Buch auf zu den Wurzeln ihrer Geschichte macht.
Bewundernswert ist sie auf jeden Fall, die Heldin ihrer schweren Lebensgeschichte, Rebecca Cohen. Doch bleibt sie auch mir fremd bis zum Schluss, sowie auch ihr Leben in den verschiedenen Ländern, das so ganz anders ist: eine Mischung aus Aberglauben, Spiritualität und Religion auf der einen Seite und Pragmatismus, Alltagstauglichkeit und Eigenständigkeit auf der anderen. Befremdend finde ich auch manche im Buch geschilderte Szene, befremdlich auch die Charaktere des merkwürdigen ersten Mannes von Rebecca, ihres eigenwilligen Vaters, ihres gut, aber auch sehr rigide wirkenden zweiten Mannes, ihrer Söhne sowie ihrer Stieftochter Luna. Ich habe mich nicht leicht eingelesen in dieses Leben.

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