Rebecca Cohen genießt als Tochter eines sephardischen Unternehmers die Privilegien der Istanbuler Oberschicht. Doch als sich in den 1920er-Jahren die Stimmung in Europa verdüstert, beginnt für sie eine jahrelange Odyssee, die sie über Barcelona und Havanna bis nach New York führt. Auf ihrer Flucht wird Rebecca, kaum Ehefrau und Mutter, zur Witwe, muss ihre Eltern zurücklassen, um ihren Kindern eine Zukunft zu bieten, und ihr Schicksal einem Mann anvertrauen, den sie nur aus Briefen kennt. Doch an jeden neuen Ort trägt sie ihre Erinnerung und ihre Lieder und baut sich daraus gegen alle Widerstände eine neue Heimat.
»Kantika« (»Lied«) ist eine eindringliche, lyrische Erzählung über Identität und Exil und eine inspirierende Geschichte weiblicher Resilienz, mit der Elizabeth Graver ihrer Großmutter Rebecca Cohen ein Denkmal setzt.
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"Kantika" ist eine fesselnde und poetische Erzählung über Identität und Exil einer sephardischen Jüdin. Rebecca, die Protagonistin, die in der Oberschicht von Konstantinopel privilegiert aufwächst, erlebt ...
"Kantika" ist eine fesselnde und poetische Erzählung über Identität und Exil einer sephardischen Jüdin. Rebecca, die Protagonistin, die in der Oberschicht von Konstantinopel privilegiert aufwächst, erlebt in "Kantika" eine bewegende Flucht auf der Suche nach Sicherheit und Glück durch Europa und Amerika. Als Europa in den 1920er-Jahren gefährlich für Juden wird, beginnt Rebeccas Migrationsgeschichte von Barcelona über Havanna bis nach New York. Sie erlebt dabei immer wieder Schicksalsschläge, die ihre Widerstandskraft auf die Probe stellen. Als Witwe und alleinerziehende Mutter muss sie schließlich ihre Eltern zurücklassen, um ihren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen. Trotz aller Widrigkeiten versucht sie an allen neuen Orten, ihre Situation zu verbessern, sodass die Lektüre immer positiv und hoffnungsvoll ist.
Besonders beeindruckend finde ich die Tatsache, dass dies die Familiengeschichte der Autorin ist. Elizabeth Graver hat es geschafft, einen roten Faden in ihrer verwickelten Familiengeschichte zu finden und eine poetische Stimme zu entwickeln, die die Leser:innen durch die Geschichte trägt. Durch die einfühlsame Darstellung ihrer Großmutter schafft Graver eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die mich als Leser tief berührt hat. "Kantika" ist für mich aber auch deshalb eine besondere Lektüre, da ich zuvor noch keinen Roman oder ein Sachbuch zur Geschichte sephardischer Juden gelesen habe. Bringt der Mare-Verlag eigentlich auch mal Bücher heraus, die nicht hervorragend sind? Ich glaube nicht!
Nach "Der Sommer der Porters" ist "Kantika" der zweite Roman aus der Feder der Autorin Elizabeth Graver für mich. Ich erwähne das hier so explizit, da ich eine sehr hohe Erwartungshaltung hatte, bevor ...
Nach "Der Sommer der Porters" ist "Kantika" der zweite Roman aus der Feder der Autorin Elizabeth Graver für mich. Ich erwähne das hier so explizit, da ich eine sehr hohe Erwartungshaltung hatte, bevor ich mit "Kantika" gestartet bin und schon die Leseprobe hatte mich wieder von der ersten Seite an in den Bann gezogen.
Besonders gereizt hatte mich an diesem Buch auch, dass die Autorin die Lebensgeschichte ihrer Großmutter wiedergibt, die auch Protagonistin in "Kantika" ist - Rebecca Cohen.
Beginnend in Konstantinopel zu Beginn des 20. Jahrhunderts führt uns die Geschichte über Spanien nach Kuba und in die USA. Als Tochter eines sephardischen Textilunternehmers wächst Rebecca in wohlhabenden Verhältnissen auf. Sie liebt Mode, näht gerne und ist selbstbewusst. Doch je älter sie wird, desto mehr wird ihr bewusst, dass ihre Herkunft und ihr jüdisches Erbe Probleme bereiten, egal wo sie mit ihrer Familie Wurzeln schlagen möchte.
Es gibt so viele Textpassagen, in denen die Autorin ihr Können beweist und damit der Dramatik der jeweiligen Stelle nochmals auch sprachlich Ausdruck verleiht. Ein Beispiel habe ich mir rausgesucht, bei dem der Protagonistin nahegelegt wird, ihren Namen anzupassen, damit er nicht jüdisch klingt.
So heißt es (S. 99):
"Woher kommst du? Zwischen Leichtigkeit und Dunkelheit, zwischen Israel und den Nationen, zwischen dem siebten Ruhetag und den sechs Arbeitstagen. Wenn sie die Augen schließt, kann sie eingehen in den Klang und eins werde mit der unermesslichen Weite - ein Staubkorn, ein Nadelstich, reiner Atem. Ich komme von blanko, dem Nichts, das Selbst ausradiert, alle Spuren verwischt."
Jetzt nach Auslesen des Buches kann ich eigentlich nur sagen - ich habe es geliebt und meine Erwartungen wurden vollends erfüllt. Die Geschichte ist sehr flüssig geschrieben, größere Kapitel sind mit Original-Fotografien gekrönt, was die Geschichte für mich noch einmal abgerundet hat, da ich nun Gesichter zu den handelnden Personen hatte. Für mich ist "Kantika" ein absolutes Jahreshighlight.
Elisabeth Graver hat mit diesem Roman ihrer Großmutter Rebecca Cohen ein Denkmal gesetzt. Dieses Denkmal hat Rebecca auch verdient. Ihre Odyssee ging von Istanbul über Barcelona und Havanna nach New York. ...
Elisabeth Graver hat mit diesem Roman ihrer Großmutter Rebecca Cohen ein Denkmal gesetzt. Dieses Denkmal hat Rebecca auch verdient. Ihre Odyssee ging von Istanbul über Barcelona und Havanna nach New York. Zwischendurch stirbt ihr erster Mann. Um ihren Kindern eine neue Familie zu bieten und weil es in Spanien für sie immer gefährlicher wird, trifft sie sich mit Sam, dem Ehemann ihrer verstorbenen Freundin, auf Kuba und schließt mit ihm eine neue Ehe. Sie kümmert sehr um Sams behinderte Tochter.
Das Besondere an Rebecca ist, dass sie in jeder ihrer Lebensstationen das Beste aus den Gegebenheiten zu machen weiß. Sie bekommt auch zusammen mit Sam noch weitere Kindern und versucht allen Kindern einen ihren jeweiligen Fähigkeiten entsprechenden Lebensweg zu ermöglichen.
Man merkt, mit welcher liebevollen Nähe Graver den Weg ihrer Großmutter nachzeichnet. Ein Buch das anrührt.
Es sind die Erinnerungen an eine schöne, sorglose Kindheit und an eine Zeit, die so nie wiederkehren wird, die mich zu Anfang fasziniert haben. Sie ließen mich an meine Großmutter denken, die in einer ...
Es sind die Erinnerungen an eine schöne, sorglose Kindheit und an eine Zeit, die so nie wiederkehren wird, die mich zu Anfang fasziniert haben. Sie ließen mich an meine Großmutter denken, die in einer anderen, ebenfalls kosmopolitischen Stadt aufwuchs und in einer ähnlichen Atmosphäre. Da wohnten Menschen unterschiedlicher Religionen und Zugehörigkeit friedlich beisammen, man handelte untereinander und ins Ausland, man half sich gegenseitig, das Motto lautete “Leben und Leben lassen”. Und genauso war es in Istanbul, bis die Politik sich überall einmischte, bis in die privatesten Belange der Menschen. Zuerst verschwanden die Armenier, dann die Griechen, und dann kamen die Juden ran. Es entstand eine Atmosphäre des Hasses, gegen alles, was nicht türkisch war. Die Partei der “Jungen Türken” sorgte dafür. So kam es, dass Rebecca mit ihrer Familie nach Barcelona fliehen musste.
Aber Barcelona liegt in Spanien. Rachels Familie sind Sepharden. Vor 400 Jahren wurden sie aus Spanien brutal vertrieben und der Schock dieser Vertreibung sitzt der Familie immer noch in der Seele. Nach 400 Jahren und so vielen Generationen, ist die Angst vor Spanien eigentlich noch allgegenwärtig. Die wenigen Juden, die nach Spanien kommen, verhalten sich ängstlich, möglichst unauffällig, leben zurückgezogen. Nicht einmal einen Wegweiser zur Synagoge wagen sie aufzustellen. Es ist dieses kollektive Trauma, dass über Generationen hinweg in der Seele der Menschen bleibt. Heute gibt es kaum noch Überlebende von Auschwitz, Dachau, Buchenwald, Treblinka, usw. Doch ihre Kinder, Enkel, Urenkel und viele Generationen die noch folgen werden, werden daran leiden. Die gnadenlose Vertreibung zur Zeit der Reconquista, die vielen Pogrome im mittelalterlichen Europa und die Konzentrationslager des 20. Jahrhunderts sind unauslöschlich in der Seele dieses Volkes eingebrannt.
Als Rebecca jung verwitwet und mit zwei kleinen Jungen nach New York aufbricht, betritt sie, ähnlich wie in Barcelona, eine neue Welt. Sie lernt die Sprache, baut sich eine eigene gut gehende Schneiderei auf, kümmert sich um ihre Söhne und um die behinderte Tochter ihres Mannes. Luna hat eine Zerebralparese. An diesem Kind vollbringt Rebecca ein Wunder, sie bringt das Mädchen so weit, dass sie allein gehen kann, sich allein versorgen kann, einen guten Schulabschluss macht und später eine gute Arbeit findet und auch heiratet. Ohne Rebecca wäre Luna nur dahin gesiecht, ein gequälter Mensch den anderen nur eine Last.
Das sind die Stationen in Rebeccas Leben. Spektakulär? Ja und nein. Flucht aus Istanbul, Leben in einer zunehmend feindlichen Umgebung in Spanien, die Auswanderung in die Staaten und Heirat mit einem unbekannten Mann, dessen Familie ihr zuerst feindlich gegenübersteht. Es ist keine leichte Aufgabe, ein schwerst behindertes Kind zu fördern und zu fordern, in einer Zeit, in der man die modernen Methoden der Betreuung dieser Menschen nicht kannte. Rebecca lässt sich nicht beirren, weder von Schwiegermutter oder Schwägerin, noch von dem Widerstand des Kindes. Und ja, das ist in der Tat spektakulär. “Luna ist schwanger. Es hieß, sie könne nicht laufen, und mit Rebeccas Hilfe lernte sie laufen, und dann hieß es, sie könne nicht zur Schule gehen, und mit Rebeccas Hilfe ging sie zur Schule, und dann hieß es … dass sie nie heiraten würde, doch Rebecca ließ sie Gegenstände für ihre Aussteuer nähen, weil es gut für ihre Hände war und weil … auch die Geringsten unter uns hoffen dürfen und Luna traf Gene” (S. 357)
Kantika ist ein jüdisch-ladinisches Lied, die Worte sind teils jüdisch, teils latein, die Kantikas begleiten Rachels leben, sie singt sie zum Trost oder zur Freude, sie sind Teil ihres Lebens.
Der unaufgeregte, schlichte Stil den Elizabeth Graver verwendet für dieses Buch geht zu Herzen. Man spürt die Verbundenheit der Autorin zu Rebecca, ihre Achtung vor dieser großartigen und doch so bescheidenen Frau.
Kantika ist mehr als ein Roman, es ist eine Hommage an die sephardische Kultur, die Sprache und die Musik, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Die Autorin erzählt die Lebensgeschichte ...
Kantika ist mehr als ein Roman, es ist eine Hommage an die sephardische Kultur, die Sprache und die Musik, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Die Autorin erzählt die Lebensgeschichte ihrer Großmutter Rebecca Cohen, die als junge Frau aus dem kosmopolitischen Istanbul fliehen musste und sich in verschiedenen Ländern eine neue Existenz aufbaute. Dabei verlor sie nie ihren Mut, ihre Hoffnung und ihre Liebe zu ihrer Familie und ihrer Herkunft.
Kantika ist eine reiche und fesselnde Geschichte von mehreren und oft widersprüchlichen Identitäten. Die biblische Rebecca und Kantikas Rebecca kommen jeweils in einem neuen Land an und verdienen sich den Mantel der Matriarchin. Graver überzeugt uns, dass wir ihrer kreativen Vision und ihrer kompromisslosen Stärke verpflichtet sind.
Der Roman ist spannend, berührend und poetisch geschrieben. Die Autorin verwebt historische Fakten mit fiktiven Elementen und schafft so ein lebendiges Porträt einer Frau, die sich immer wieder neu erfinden musste. Die Sprache ist reich an Metaphern, Bildern und Liedtexten, die die sephardische Tradition widerspiegeln. Die Charaktere sind vielschichtig und glaubwürdig, die Schauplätze sind detailreich und atmosphärisch beschrieben.
Die Autorin folgt den Spuren ihrer Großmutter Rebecca, die von Istanbul über Spanien nach Amerika wandert. Rebecca ist wie die biblische Heldin, die ihre Heimat verlässt, um einen fremden Mann zu heiraten. Sie ist eine starke Frau, die sich in jeder neuen Umgebung behauptet. Sie kümmert sich um ihre zwei Söhne und ihre behinderte Stieftochter Luna, die sie zu ihrer eigenen macht. Sie singt die Lieder ihrer Vorfahren und bewahrt ihre Kultur.
Das Buch ist manchmal zu ausführlich oder zu lückenhaft, aber immer packend und poetisch. Es ist eine Geschichte von Identität und Exil, von Musik und Erinnerung, von Matriarchat und Migration. Es ist eine Geschichte, die uns zeigt, wie viel wir Rebecca und ihrer Vision und Stärke verdanken.
Kantika ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt, zum Weinen und zum Lachen bringt, und das vor allem die Kraft der Musik und der Erinnerung feiert. Es ist ein Buch, das man nicht so schnell vergisst. Ich empfehle es allen, die sich für die Geschichte und die Kultur der Sepharden interessieren, oder die einfach eine bewegende und inspirierende Lektüre suchen.