Platzhalter für Profilbild

leseleucht

Lesejury Star
offline

leseleucht ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit leseleucht über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.05.2023

Musikalische Höhen und Tiefen

Straßenmusik
0

Jonas und Chiara machen Musik. Beide befinden sich in einer Übergangsphase und fragen sich, wohin das Leben gehen soll. Jonas’ Bandkollegen haben sich gerade auf wenig freundschaftliche Art von ihm getrennt ...

Jonas und Chiara machen Musik. Beide befinden sich in einer Übergangsphase und fragen sich, wohin das Leben gehen soll. Jonas’ Bandkollegen haben sich gerade auf wenig freundschaftliche Art von ihm getrennt und er sich von seiner Freundin. Er macht sich auf den Weg nach Amsterdam, muss einfach mal raus. Dorthin unterwegs ist auch Chiara. Sie hat sich gerade in Graz auf einen Studienplatz für Psychologie beworben und ist nun unterwegs mit ihrer Gitarre, um ein wenig Straßenmusik zu machen. Nach einer zufälligen Begegnung im Zug bringt Chiaras Gitarre, die sie in einer Amsterdamer Kneipe vergessen hat und die Jonas dort findet, die beiden wieder zusammen und sie experimentieren ein wenig damit herum, gemeinsam Musik zu machen. Dabei sind beide sehr unterschiedlich: Jonas wirkt sehr unsicher im Umgang mit Menschen und sucht immer wieder die Flucht, wenn er sich von ihnen überfordert fühlt. Chiara hingegen sucht ihre Aufmerksamkeit und reagiert mit unkontrollierter Wut, wenn sich die Dinge ihrem Willen entziehen. Eine schwierige Konstellation, zumal Jonas Chiaras Wesen wenig entgegenzusetzen hat und ihm in seiner Unsicherheit der ein oder andere Fauxpas unterläuft.
Markus Behr erzählt in seinem schmalen Band „Strassenmusik“ von zwei Menschen, die noch nicht wissen, wohin mit sich. Er entwirft zwei interessante Charaktere, die zeigen, dass Jugend kein Garant für Unbeschwertheit und Glück sein muss. Beide tun sich schwer, ein Ziel zu entwickeln, einen Weg zu finden und sich in den vielfältigen Konzepten von Beziehungen zurecht zu finden. Aber was sie bewegt und zueinander führt, ist ihre Musik. Und im Laufe des Romans finden sie zumindest hier ihren Standpunkt und wissen, was sie wollen und was auch nicht. Die Musik ist ihnen Rückzugsort und Ausdrucksmöglichkeit und – auch in Zeiten des pandemiebedingten Lockdowns – Ort der Begegnung.
Markus Behr schreibt flüssig und auch bei der Widerständigkeit mancher Szenen im Roman immer so, dass es den Leser weiterzieht. Die Figuren sind sehr plastisch und interessant gewählt, auch wenn sich bis zum Ende hin nicht immer die Motivation für ihr Verhalten verständlich zeigt. Aber wer weiß schon immer, warum er sich gerade wie verhält. Für mich sind die Sympathien klar verteilt zugunsten des etwas übervorsichtigen, verträumten, insgesamt recht ungeschickten Jonas gegenüber einer etwas überdrehten, leicht narzisstisch angelegten Chiara. Aber auch das ist Geschmackssache. Das Musikerbusiness gerät bisweilen etwas zum Klischee, das insgesamt aber sicherlich nicht unzutreffend ist. Was aber immer zu erkennen ist, ist die Liebe zur Musik.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.05.2023

Ins gelobte Land

Polnischer Abgang
0

Jarek reist mit seinen Eltern aus Polen aus nach Deutschland. Ermöglicht wird ihnen dies durch eine Einladung von Jareks Großmutter, die schon Jahre zuvor nach Deutschland verschwunden war. Eigentlich ...

Jarek reist mit seinen Eltern aus Polen aus nach Deutschland. Ermöglicht wird ihnen dies durch eine Einladung von Jareks Großmutter, die schon Jahre zuvor nach Deutschland verschwunden war. Eigentlich haben Jareks Eltern mit ihr keinen Kontakt mehr, weil sich Jareks Vater von ihr verraten würde. Nun erhofft sich Jarek, seine Großmutter endlich wieder sehen zu können. Doch die Einreise nach Deutschland und der Neustart dort gestalten sich schwerer, als die Familie gedacht hat. Zunächst stranden sie in einem Auffanglager und müssen sich erst als „gute Deutsche“ erweisen, die sie als Schlesier einst gewesen sind. Dabei stellt sich Jarek immer mehr die Frage, ob Deutschland wirklich das gelobte Land ist, von dem er und seine Freunde in Polen immer geträumt hatten.
Die Erzählung ist gerade zu Anfang sehr episodenhaft angelegt. Sie wechselt zudem zwischen verschiedenen zeitlichen Ebenen: die Ausreise der Sobotas, ihr Leben zuvor in Polen, das Leben und die Ehe von Oma Agnieszka und ihre Flucht. Auch sind die Figuren anfänglich noch ein wenig klischeehaft und bisweilen zu sehr komikerhaft angelegt. Da gibt es den deutschen Schlepper, den polnischen Aussiedler mit Westware und -wagen auf Heimaturlaub, den versoffenen Onkel, den schlitzohrig-pfiffigen Freund von Jarek. Und Jarek selbst sowie sein Vater wirken bisweilen sehr naiv und komisch ungeschickt.
Aber spätestens mit dem Erreichen des Auffanglagers entfaltet sich eine Handlung, der man besser folgen kann. Der Leser begleitet die Familie in eine für sie ungewisse Zukunft in einem doch mehr als erwartet fremden Land. Die Aufnahme sowohl von Seiten der Behörden als auch der Bewohner ist nicht immer herzlich, und es schlagen ihnen viele Vorurteile und typische Klischees entgegen. In der Erzählung klingen nun auch nachdenkliche und mal ganz dezent versteckte, mal recht offen formulierte kritische Zwischentöne an. Und Jareks ganz eigene Art, die Dinge zu sehen und einzuordnen, mal naiv staunend, mal etwas schalkhaft, aber immer großherzig und ohne bösen Hintergedanken lässt ihn das Herz des Lesers dann doch gewinnen. Und am Ende vermisst man ihn und wüsste dann doch gerne, wie seine Geschichte und die seiner Famile weitergeht in Deutschland, dem einst so gelobten Land.
Nachbemerkung: Das Cover ist einfach umwerfend. Solch wunderschöne Farben! So ein sattes, warmes Gelb und Braun der Streifen des weiten Feldes. Das schafft eine ganz tolle Atmosphäre!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.05.2023

Eine böse Saat auf fruchtbaren Boden

Josses Tal
0

Der kleine Josef, der sich später Josse nennt, findet in seiner Familie nur Kälte, Ablehnung und Gewalt, da er unehelich geboren ist und der Großvater ihn für den sozialen Niedergang der Familie verantwortlich ...

Der kleine Josef, der sich später Josse nennt, findet in seiner Familie nur Kälte, Ablehnung und Gewalt, da er unehelich geboren ist und der Großvater ihn für den sozialen Niedergang der Familie verantwortlich macht. Bei seinen neuen Nachbarn findet der kleine Junge, der trotz allem lebensfroh, aufgeweckt, freundlich und aufgeschlossen ist, das, was er im eigenen Haus entbehren muss: Zuwendung, Fürsorge und Interesse. Insbesondere Wilhelm ist dem Jungen sehr zugetan, nimmt sich seiner an und fördert ihn. Allerdings ist Wilhelm auch Anhänger der aufkommenden nationalsozialistischen Bewegung und macht Josef zu seinem Instrument, ihrer beider Heimatdorf auszuspionieren und somit auf Linie der neuen Partei zu bringen. Josef steigt dabei in der Hitlerjugend immer weiter auf, beginnt aber zugleich auch immer wieder zu hinterfragen, ob das, was Wilhelm von ihm verlangt und was Josef aus Bewunderung und Liebe zu ihm immer wieder tut, wirklich das Richtige ist. Dann macht er eines Tages eine Entdeckung, die seine ganze Existenz und seine Beziehung zu Wilhelm infrage stellt.
Aus der Sicht des Jungen schildert die Autorin, wie sich der lange Schatten des Nationalsozialismus über das Land ausbreiten, wie die giftige Saat langsam gerade in den Köpfen der Unschuldigen ausbreitet. Von Anfang an begleitet den Leser, der sich zunächst darüber freut, dass es jemanden gibt, der sich für Josef einsetzt, ein unangenehmes Gefühl, das umso bedrückender wird, je offensichtlich die Parolen der Nazis Eingang finden in die Lebenswelt des Jungen. Die Bücherverbrennung ist ein erster Höhepunkt in der Fanatisierung der Anhänger der Bewegung. Dabei bezieht sich die Autorin vielfach auf originale Quellen, was das Geschehen authentischer wirken lässt. Keimen in Josef erst langsam kleine Zweifel, so gibt es in seinem Dorf doch auch viele beeindruckende Beispiele für Zivilcourage, die sich dem unmenschlichen Regime in vielen kleinen Akten der Humanität entgegenzuwerfen versucht.
Sehr anschaulich, lebendig und gut nachvollziehbar zeigt Angelika Rehse mit ihrem Buch auf, wie so etwas wie der Nationalsozialismus „passieren“ konnte. Es ist ein wichtiges Buch, das nachfolgenden Generationen deutlich macht, wie das Gefühl des Ausgestoßenseins, der Unzulänglichkeit und der Demütigung den Nährboden bereitet für die verführerischen Parolen eines Regimes, das seinen Anhängern auf Kosten anderer, ausgewählter Sündenböcke und Feindbilder das Gefühl von Stärke, Macht, Überlegenheit, Stolz, Zusammengehörigkeit und Volksgemeinschaft vermittelt. Diese Bewegung verstand es auf sublime Art, ihre böse Saat in einen nahrhaften Boden zu legen. Und nur das Wissen darum kann verhindern, dass eine solche Saat zukünftig noch einmal aufgehen kann. Von daher ist der Roman „Josses Tal“ ein wichtiges Buch, weil es dieses Wissen nicht einfach nur zu vermitteln sucht, sondern es anschaulich, erlebbar und nachvollziehbar macht und somit umso beeindruckender ist.
Einzig der Schluss, der für mein Gefühl die Geschichte zu schnell zu einem Ende führt und die Dinge zu unvermittelt auflöst und die Fratze des Bösen zu demonstrativ bloßlegt, lässt Wünsche offen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.05.2023

Gemeinsam durch schwierige Zeiten

Hinter den Wolken wartet die Sonne
2

Als Beth mit dem schweren Unfall ihrer Schwester konfrontiert wird, bei dem ihr Schwager stirbt und seit dem ihre Schwester im Koma liegt, verändert sich ihr ganzes Leben mit einem Schlag. Die eher chaotische ...

Als Beth mit dem schweren Unfall ihrer Schwester konfrontiert wird, bei dem ihr Schwager stirbt und seit dem ihre Schwester im Koma liegt, verändert sich ihr ganzes Leben mit einem Schlag. Die eher chaotische Beth, die nichts länger durchhält, keinen Job, keine Beziehung, und immer noch in ihrem Mädchenzimmer bei den Eltern wohnt, muss sich auf einmal um ihre 14jährige Nichte Polly und ihren um einiges jüngeren Neffen Ted kümmern. Ihre Eltern, insbesondere ihre Mutter, sehen dies mit Sorge, da Beth über wenige hausfrauliche und mütterliche Qualitäten verfügt. In ihrem langjährigen Jugendfreund Jory wähnt Beth eigentlich einen Verbündeten, doch hat dieser gerade ganz andere Sachen im Kopf, nämlich seine Kollegin Sadie, was Beths Gefühlsleben zudem mächtig durcheinander wirbelt. Vielleicht kann Albert ihr helfen, der seit dem Tod seiner Frau sehr zurückgezogen lebende 80jährige Nachbar ihrer Schwester? Wird Beth die verantwortungsvolle Aufgabe meistern oder wird sie auch diesmal alles hinschmeißen?
Mit einer bewundernswerten Stilsicherheit weiß die Autorin Sarah Turner in ihrem Roman „Hinter den Wolken die Sonne“ die Traurigkeit und die Verzweiflung, die der schreckliche Unfall über Beths Familie bringt, mit warmherzigen Humor zu verbinden. Dem Leser wächst beim Lesen die chaotische, von Selbstzweifeln geplagte Beth ans Herz, die alles daran setzt, das Vertrauen, das ihre Schwester in sie gesetzt hat, als sie sie zum Vormund ihrer Kinder bestimmt hat, zu erfüllen. Auch wenn sie mit ihrer Mutter nicht immer einer Meinung ist, wenn der pubertierende Teenager Polly ihr das Leben schwer macht und der kleine Ted sie mit seinen Fragen nach dem Verbleib seiner Eltern in Erklärungsnot bringt und sie sich mit der Wut und Trauer der beiden Kinder überfordert fühlt, da ja auch sie in Sorge und Trauer um Schwester und Schwager lebt, so zeigt der Roman, wie viel Hoffnung und Trost eine Familie spenden kann. Und dass Fürsorge und Zuwendung nicht unbedingt in gesunden warmen Mahlzeiten, aufgeräumten Häusern und dem Besuch von Elternabenden bestehen, sondern dass das Zuhören, das Dasein, das Verständnis, das gemeinsame Erinnern und das gemeinsame Feiern sowie das gemeinsame Meistern eines Ausnahmezustandes, der alle immer wieder aufs Neue fordert, das ist, was Familie ausmacht und was Menschen auch über Gartenzäune, Fehlkommunikation und Missverständnisse hinweg verbindet. Eine berührende Geschichte, die bei der Schwere der Ereignisse doch leicht und schön zu lesen ist.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 07.05.2023

"Andersiger" gemacht werden

Wolf
0

Der Ich-Erzähler wird von seiner Mutter ins Ferienlager geschickt. Gegen seinen Willen. Mit einem Bus, jeder Menge ungeliebter Mitschüler und vier schrägen Betreuern geht es los in eine Siedlung von Holzhütten ...

Der Ich-Erzähler wird von seiner Mutter ins Ferienlager geschickt. Gegen seinen Willen. Mit einem Bus, jeder Menge ungeliebter Mitschüler und vier schrägen Betreuern geht es los in eine Siedlung von Holzhütten mitten im Wald voller ungeliebter Plagegeister wie Mücken und ungeliebter gesellschaftlicher Verpflichtungen, die eine solche Reise so mitbringt: das Zimmer mit jemanden teilen, die Mahlzeiten mit anderen einnehmen, an Gemeinschaftsaktivitäten teilnehmen … Und dabei wäre der Erzähler doch am liebsten allein. Weil er anders ist als die anderen. Und weil er gern anders ist. Er geht gern in die Schule, liest gerne Bücher, macht gerne mit seiner Mutter Salat und ist sich selbst genug. Aber auf der Fahrt muss er sich auseinandersetzen mit anderen aus seiner Gruppe: z. B. Jörg, der auch anders ist als die anderen, den die anderen darunter aber leiden lassen. Insbesondere Marko und die Dreschke-Zwillinge. Und der Erzähler muss sich entscheiden, ob er sich aus allem raushält oder ob er für den anderen, für Jörg eintreten will und für das Recht, anders zu sein. Denn jeder ist schließlich anders und eigentlich hat keiner ein Recht, andere „andersiger“ zu machen. Wenn da nur der Wolf nicht wäre ...
Das Buch „Wolf“ von Saša Sanišić ist ein tolles Buch über das Recht auf Individualität und die Notwendigkeit von Solidarität. Es erzählt eine spannende Geschichte über Außenseiter, die ganz unterschiedlich mit ihrer Rolle umgehen, aber beide bewundernswert stark damit umgehen. Beide wirken sehr gefestigt und reifer als mancher Erwachsene, der in diesem Buch mit pseudo-pädagogischer Gesprächsführung klar zu erkennen gibt, dass er nicht im Ansatz gecheckt hat, was in den Jungs vorgeht und was ihnen blüht. Klug und voller Wortwitz ergibt sich der Erzähler in sein Schicksal im Wald und in der Gruppe sein zu müssen und dort etwas zu finden, was er wohl nie erwartet hätte: einen Freund. Auf lustige, unterhaltsame und spannende Weise und ohne pädagogischen Zeigefinger, dafür aber mit wunderbaren Illustrationen, macht das Buch Mut, anders zu sein, sich aber von anderen nicht „andersiger“ machen und sich dabei von anderen helfen zu lassen oder selbst zu helfen. Klare Leseempfehlung nicht nur für Kindern, sondern auch für Erwachsene, damit sie auch mal was checken!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere