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Veröffentlicht am 05.05.2019

Sie ist nun mal, wie sie ist.

Mein Leben als Sonntagskind
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Sie ist nun mal, wie sie ist.

„Ich war das stille Wesen mit dem durchdringenden Blick, das Kind, das lieber mit einem Hund zusammen war, als mit anderen Menschen.“

Jasmijn Vink ist an einem Sonntag geboren ...

Sie ist nun mal, wie sie ist.

„Ich war das stille Wesen mit dem durchdringenden Blick, das Kind, das lieber mit einem Hund zusammen war, als mit anderen Menschen.“

Jasmijn Vink ist an einem Sonntag geboren und anders als die Kinder in ihrem Alter. Obgleich sie bereits mit drei Jahren nichts lieber tat, als in Büchern zu schmökern, ist sie hinsichtlich sozialer Kontakte unbeholfen. Sie spricht ausschließlich mit ihren Eltern, ihrem Bruder Emiel und ihren Großeltern. So lange sie sich in ihrem geschützten Umfeld zu Hause befindet, ist Jasmijn glücklich. Doch mit dem Eintritt in die Vorschule begannen die Schwierigkeiten, sich in einer schier erdrückenden Welt der Reize – Licht, Lärm, und Gerüche – zurechtzufinden. Lehrerschaft und Mitschüler reagieren überwiegend mit Unverständnis auf dieses stille Mädchen, das sich im Unterricht wie ein Vogel im Käfig fühlt, so gut wie niemals spricht und die Pausen lieber an einem abgeschiedenen stillen Ort mit einem Buch verbringt.

„Ich bin kein Schaf. Ich gehöre nicht in eine Herde. Warum darf ich nicht ein einziges Mal meinen eigenen Weg gehen?“

Dieser autobiographische Roman von Judith Visser ist in den Niederlanden bereits ein prämierter Bestseller. Das Buch thematisiert die Kindheit und Jugend eines Mädchens mit dem Asperger-Syndrom. Die tiefen Einblicke, die sie in die Gefühls- und Gedankenwelt ihrer Protagonistin gewährt, sind faszinierend und werden eindrucksvoll und mit einer unglaublichen Authentizität vermittelt. Man merkt, dass die Autorin ganz genau weiß, wovon sie schreibt.

Die Handlung dieses über sechshundert Seiten zählenden Werkes umfasst zwar lediglich den Zeitraum von 1997 – 1999, die Rückblenden erzählen jedoch die Lebensgeschichte des jungen Mädchens von ihrem vierten bis zum neunzehnten Lebensjahr. Ein Mädchen, das erst mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter zu einer Diagnose fand und ihre Einzigartigkeit fortan auch erstmals benennen kann.

Als Hauptfigur dieses Romans fungiert die Ich-Erzählerin Jasmijn, die stets im Zentrum des Geschehens steht. In einem wundervollen Schreibstil und mit beinahe akribischen Beschreibungen von Emotionen und Handlungen darf man Jasmijns Sicht auf die Welt sowie ihr gesamtes soziales Umfeld hautnah miterleben. Man erfährt, weshalb sie bestimmte Dinge nicht ertragen kann, und wie sie lernt, eine drohende Reizüberflutung rechtzeitig abzuwenden. Sie erzählt von ihrem Festhalten an der Logik, den komplexen Gedankengängen und ihrer Beschäftigung mit Dingen, an die andere nicht einmal denken, während sie zugleich unfähig scheint, verbal mit anderen Menschen zu kommunizieren. Mit fortschreitendem Alter bemüht Jasmijn sich immer mehr, ihr Verhalten an jenes der anderen anzupassen, muss dabei aber auch so manches Scheitern in Kauf nehmen. Von ihren Eltern Paulien und Wim Vink sowie ihren Großeltern erfährt sie liebevolle und vorbehaltslose Annahme. Das Elternhaus ist Jasmijns Rückzugsort, wo sie Erlebtes gedanklich und emotional verarbeitet kann und wo niemand ihr Verhalten in Frage stellt. Im Zuge ihres Heranwachsens tauchen verschiedene Mitschüler, Lehrkräfte und Verwandte als Nebenfiguren auf, die für Jasmijn eine große Herausforderung darstellen. Im Umgang mit ihnen muss sie sich sozialen Kontakten mit anderen Menschen stellen, aus sich herausgehen und letztendlich über sich selbst hinauswachsen. Es fiel mir ehrlich gesagt sehr schwer, mich nach der letzten Buchseite von dieser außergewöhnlichen jungen Frau verabschieden zu müssen, ich hätte gerne noch viel mehr über Jasmijn gelesen.

Fazit: „Mein Leben als Sonntagskind“ überzeugt durch ein hoch interessantes Thema und eine außergewöhnliche und hervorragend gezeichnete Protagonistin. Ich empfand die Einblicke in die Welt eines Menschen mit Asperger-Syndrom sowie die Darstellung ihrer Gefühls- und Gedankenwelt als unglaublich bereichernd. Dieses Buch stellte ein sehr intensives Lesehighlight der ganz besonderen Art dar und ist für mich die bislang beste und faszinierendste Lektüre zum Thema Autismus. Ich kann dieses beeindruckende Werk jedem ans Herz legen, der sich mit dieser Thematik auseinandersetzen und die Welt aus der Sicht einer Betroffenen erleben möchte.

Veröffentlicht am 04.05.2019

Bei manchen Dingen gibt es kein Zurück mehr

Das Wispern der Schmetterlinge
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Bei manchen Dingen gibt es kein Zurück mehr

Ava Barret, die große Liebe des Protagonisten Pacey Morgan, ist tot, gestorben durch seine Schuld. Bereits der Prolog dieser Neuerscheinung konfrontiert den ...

Bei manchen Dingen gibt es kein Zurück mehr

Ava Barret, die große Liebe des Protagonisten Pacey Morgan, ist tot, gestorben durch seine Schuld. Bereits der Prolog dieser Neuerscheinung konfrontiert den Leser mit diesem tragischen Schicksal, das Pacey mit einer schier unerträglichen Last und immer wiederkehrenden Albträumen zurückgelassen hat. Pacey vermisst die Liebe seines Lebens schmerzhaft, er schafft es nur mit großer Mühe, die Tage ohne sie durchzustehen. Auf Anraten seiner Therapeutin entschließt sich der Journalist zu einem kurzen Ortswechsel. Auf der Insel Madeira angekommen stellt er jedoch rasch fest, dass es ihm dabei nicht gelungen ist, seinen Kummer und seine Schuldgefühle in Amerika zurückzulassen. Unvermutet blickt er beim Besuch des hoteleigenen Frisiersalons schockiert und vollkommen aus der Fassung gebracht in Avas wunderschöne dunkle Augen.

Maria Medina Alves ist Ava wie aus dem Gesicht geschnitten, sie spricht mit derselben Stimme, zeigt die gleiche Mimik und hat dasselbe markante Lachen. Einzig ein winziges Muttermal auf dem rechten Augenlid überzeugt Pacey davon, dass er keinen Wunschträumen erlegen ist oder gar Avas Geist vor sich hat. Maria indes ist verunsichert durch das eigenartige Verhalten ihres Kunden. Die alleinerziehende Mutter eines aufgeweckten kleinen Jungen erklärt sich jedoch nach anfänglichem Zögern bereit, einige Fragen des amerikanischen Berichterstatters zu beantworten. Pacey ist sich rasch sicher, durch einen unglaublichen Zufall die eineiige Zwillingsschwester Avas gefunden zu haben. Eine Nachricht aus Amerika versetzt ihn jedoch erneut in einen Schockzustand…

Susanna Ernst schafft es immer wieder, mich mit ihren emotionsgeladenen Romanen tief zu berühren. Die vorliegende Geschichte erzählt von einer großen Liebe, die tragisch endete. Und sie erzählt von Schuldgefühlen, die weit über den Tod des geliebten Partners hinaus reichen. In Pacey präsentiert die Autorin einen sympathischen Protagonisten. Durch Rückblenden in die Vergangenheit in Form von Avas Hörtagebücher erhält man die Möglichkeit, Ava Barret ebenfalls näher kennenzulernen. Freimütig sprach sie von Kindheitstagen an ihre Gedanken und Gefühle auf Band – nach ihrem Unfall ein kostbares Geschenk für Pacey. Maria ist neben Pacey und Ava die dritte Hauptfigur dieses Buches. Auch ihre Vergangenheit wird im Zuge der Gespräche mit Pacey nach und nach aufgerollt. Die Autorin beschränkt sich auf einige wenige Nebenfiguren aus Paceys, Avas und Marias Umfeld. Einzig die Figur von Paceys bestem Freund Ryan Barret enttäuschte mich durch eine derbe, unflätige Sprache und zahlreiche Kraftausdrücke – ein Faktor, den ich von den bisher gelesenen Büchern der Autorin nicht gewohnt bin.

Dem flüssigen und einnehmenden Schreibstil der Autorin ist es geschuldet, dass man sich vom ersten Augenblick an in die Handlung hineinversetzen kann. Susanna Ernst ist eine Autorin, die den unliebsamen Schreibstil „Präsens“ favorisiert. Dennoch schafft sie es mit ihren zutiefst berührenden Geschichten immer wieder aufs Neue, mich mit den großen Emotionen ihrer Bücher zu überzeugen.

Fazit: Mit „Das Wispern der Schmetterlinge“ hat Susanna Ernst es durch liebevoll gezeichnete Protagonisten und einem gefühlvollen Plot erneut geschafft, sich direkt in mein Herz zu schreiben. Dieses Buch hat mir sehr gut gefallen wurde zu einem pageturner, den ich schlichtweg nicht mehr aus der Hand zu legen vermochte. Die Worte der Autorin haben mich bewegt, betroffen gemacht, und letztendlich zu Tränen gerührt – und ich empfand besonders die letzten Seiten als einen bittersüßen Abschluss.

Veröffentlicht am 04.05.2019

Wie habe ich vergessen können, dass das Paradies so nah ist?

Der Duft von Gras nach dem Regen
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Wie habe ich vergessen können, dass das Paradies so nah ist?

Annabelle Dumas ist eine erfolgreiche, von ihrer Arbeit besessene Karrierefrau. Als Gründerin einer Bank vernachlässigte sie zugunsten ihres ...

Wie habe ich vergessen können, dass das Paradies so nah ist?

Annabelle Dumas ist eine erfolgreiche, von ihrer Arbeit besessene Karrierefrau. Als Gründerin einer Bank vernachlässigte sie zugunsten ihres fordernden Berufes sowohl ihren Ehemann Francois, als auch ihre achtjährige Tochter Léna. Eine Scheidung und ein geteiltes Sorgerecht sind die Folgen ihres leistungsorientierten Lebens. Annabelle leidet an Schlafstörungen, fühlt sich verloren und stellt ihr Leben infrage. Kurz vor dem drohenden Burn-out beschließt sie, einige Tage auf dem Land zu verbringen. Sie trifft auf einen siebzigjährigen archaisch lebenden Einzelgänger namens Georges Lesage, der ein ungewöhnliches Leben führt. Anabelle fühlt sich mehr und mehr zu diesem einfachen und stillen Dasein hingezogen und beneidet den alten Mann um seinen Seelenfrieden. Die Natur ist das Lebenselixier von George, ebenso wie die Welt der Bücher, in die er sich leidenschaftlich vertieft. Obgleich er sehr gebildet, einfühlsam und galant ist, zieht er das Leben abseits anderer Menschen vor. Doch Georges besitzt eine außergewöhnliche Gabe, die – wie sich nach und nach herausstellt – auch in Annabelle schlummert. Die faszinierende Zufallsbekanntschaft mit George stellt Annabelles Leben völlig auf den Kopf. Sie hinterfragt ihre bisherigen Lebensziele und führt sich endlich die wirklich wichtigen Dinge vor Augen.

Patrick Jacquemin stellt im vorliegenden Roman zwei völlig konträre Welten gegenüber. Seine lebhafte, charmante und äußerst zielstrebige Protagonistin Annabelle versinnbildlicht das hektische, nach finanzieller Sicherheit, Geld und Macht strebende Denken und Handeln der modernen Zeit. Im Gegensatz dazu lebt George in ruhigem Einklang mit der Natur, verzichtet gerne auf die neuen technischen Errungenschaften und geht achtsam mit seinem Land, der Tier- und Pflanzenwelt um.

Der Autor wartet mit sehr gut charakterisierten handelnden Figuren auf, beschränkt sich hierbei jedoch auf die beiden Protagonisten. Etwaige Nebenfiguren tauchen lediglich in Form von kurzen Erwähnungen auf und spielen kaum eine Rolle in diesem Buch. Dialoge mit der Natur und die Gedankenwelt der beiden Hauptfiguren wurde kursiv dargestellt, viele Lebensweisheiten in die Handlung eingebaut. Dennoch vermochte der Autor mich nicht ganz von seiner Geschichte zu überzeugen. Der atemberaubenden Schönheit der Natur wurde beispielsweise durch die akribische und bildhafte Beschreibung von Blumenwiesen oder ruhigen, meditativen Begegnungen mit Bäumen Ausdruck verliehen. Trotzdem fehlte mir bei diesem Buch etwas, das ich nicht wirklich zu benennen vermag. Ich konnte keine richtige Sympathie für Annabelle und George aufbringen, sie bezogen mich emotional nicht genügend ein. Dies könnte vielleicht auch der Kürze dieser Geschichte von nur etwas über einhundert Seiten (E-Book) geschuldet sein. Auch das Ende, auf das ich aufgrund etwaiger Spoiler nicht näher eingehen möchte, empfand ich als zu rasch herbeigeführt und wenig zufriedenstellend, es war für mich ebenfalls nicht ganz zufriedenstellen.

„Der Duft von Gras nach dem Regen“ ist eine durchaus lesenswerte Geschichte, die den Fokus auf die Verbundenheit mit der Natur lenkt. In einem einnehmenden Sprachstil lässt Patrick Jacquemin das Leben und das Umfeld seines Protagonisten Georges Lesage bildhaft vor den Augen des Lesers erscheinen, auch die eingebauten Lebensweisheiten fand ich zum Teil bereichernd. Mit gemischten Gefühlen möchte ich daher eine etwas eingeschränkte Leseempfehlung und drei Bewertungspunkte für dieses Buch vergeben.

Veröffentlicht am 01.05.2019

Wo bist du, Grace? Und wer bist du?

Als Grace verschwand
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Wo bist du, Grace? Und wer bist du?

„Sie müssen mir helfen, Simone. Ich glaube, dass ich Ihre Tochter bin, und Sie müssen mir helfen herauszufinden, was mit mir passiert ist.“

Das Auftauchen einer jungen ...

Wo bist du, Grace? Und wer bist du?

„Sie müssen mir helfen, Simone. Ich glaube, dass ich Ihre Tochter bin, und Sie müssen mir helfen herauszufinden, was mit mir passiert ist.“

Das Auftauchen einer jungen Frau mit langem schwarzem Haar lässt in Simone Porter alte Wunden aufreißen. Vor achtzehn Jahren wurde ihre sechs Monate alte Tochter Helena während einer Spazierfahrt im Park entführt und blieb fortan spurlos verschwunden. Simones Bemühungen, diesen unfassbaren Schicksalsschlag zu verarbeiten und irgendwie weitermachen zu können, scheinen auf einem Schlag zunichte gemacht. Denn die junge Frau übergibt Simone einen Beweis für ihre Identität, den sie nicht so einfach ignorieren kann. Doch kurze Zeit später erscheint Grace nicht wie vereinbart bei Simone – ihre vermeintliche Tochter ist erneut verschwunden. Simone wendet ihre ganze Energie auf, um endlich die Wahrheit herauszufinden. Dabei stößt sie jedoch auf unvorstellbar grausame Tatsachen, die sie selber in Lebensgefahr bringen.
Diese Neuerscheinung aus der Feder von Kathryn Croft weckte aufgrund der interessanten Thematik mein Interesse. Ein lange zurückliegender Entführungsfall, und die Hoffnung, die vermisste Tochter wieder in die Arme zu schließen, erzeugten große Erwartungshaltung. Mein Wunsch, an der Seite der Protagonistin die Wahrheit über Helenas Verbleib herauszufinden, ließ mich sogar die Tatsache akzeptieren, dass die Autorin ihre Geschichte im Präsens erzählt, ein Schreibstil, den ich ansonsten ablehne. Dennoch gestaltete sich bereits der Einstieg ins Buch als äußerst spannend. Die Autorin baut rasch einen Spannungsbogen auf, der schließlich in einem rasanten Finale endet. Das Buch besteht aus zwei Handlungssträngen. Während der erste sich mit dem Entführungsfall und der Geschichte von Simone und Matthew Porter befasst, liegt der Fokus im zweiten Teil auf die zum Teil sehr detaillierte Beschreibung sadistischer Störungen und sexuell motivierter Morde. Es folgen grauenhafte Szenen brutaler Vergewaltigungen wehrloser Frauen mit tödlichem Ausgang, die dieses Buch zu einer deprimierenden und erschütternden Lektüre machen.

Die handelnden Figuren sind zwar gut ausgearbeitet, vermochten es jedoch nicht ganz, mich zu überzeugen. Simone Porter wird als eine aktive und erfolgreiche TV-Producerin dargestellt, die ihren Mann Matthew, einen praktischen Arzt mit eigener Praxis, sehr zugetan ist. Sowohl für Matthew, als auch für Simone steht nach dem Verschwinden ihres Babys die berufliche Pflicht an erster Stelle. Von Grace Rhodes, der eigentlichen Protagonistin dieses Buches, hätte ich gerne mehr erfahren. Sie wird nur oberflächlich gezeichnet und ich hatte bis zuletzt das Gefühl, sie trotz einiger Rückblenden gar nicht wirklich kennengelernt zu haben. Als interessante Nebenfiguren würde ich auf jeden Fall Virginia „Ginny“ Rhodes und Simones Arbeitskollegen Abbot Jackson bezeichnen. Die beiden werden in Simones Ermittlungstätigkeit involviert und waren für mich Sympathieträger. Die hübsche Charlotte Bray blieb mir lange ein Rätsel, und hinsichtlich Miriam Porter bedauerte ich es ganz besonders, dass sie lediglich eine winzige Nebenrolle im Geschehen innehatte.

Fazit: „Als Grace verschwand“ war eine Lektüre, die sehr widersprüchliche Emotionen in mir erzeugte. Einerseits hat mir der Entführungsfall um Helena Porter mit dem großen Spannungsfaktor und dem völlig überraschenden Ausgang sehr gut gefallen. Den zweiten Handlungsstrang mit den perversen sexuell motivierten Gräueltaten und den derben Ausdrücken hätte ich mir jedoch gerne erspart. Da es zu meinem Bedauern nicht möglich ist, diese beiden Teile unabhängig voneinander zu beurteilen, kann ich für dieses Buch nur eine eingeschränkte Leseempfehlung aussprechen.

Veröffentlicht am 30.04.2019

Wo du hingehst, da will auch ich hingehen

Wo der Tag beginnt
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Wo du hingehst, da will auch ich hingehen

Die tatkräftige und hübsche Bäckerstochter Ruth Helwig fällt aus allen Wolken, als sie von den Plänen ihres Freundes David Mühlen erfährt. Anstatt Ruth endlich ...

Wo du hingehst, da will auch ich hingehen

Die tatkräftige und hübsche Bäckerstochter Ruth Helwig fällt aus allen Wolken, als sie von den Plänen ihres Freundes David Mühlen erfährt. Anstatt Ruth endlich den ersehnten Heiratsantrag zu machen und die elterliche Schmiede zu übernehmen, schloss der tief gläubige junge Mann sich einigen Gleichgesinnten an, die im Zuge der Goßner-Mission ausziehen und das Evangelium unter den Maori und Moriori verkünden möchten. Die vier enthusiastischen jungen Deutschen werden jedoch rasch mit der grausamen Realität konfrontiert, als es auf den Chatham-Inseln zu einer blutigen Invasion kommt. Ein Großteil der ansässigen Moriori wird brutal ermordet, die Überlebenden von kriegerischen Maori versklavt. Auch die zierliche Häuptlingstochter der Moriori namens Kimi te Whangaroa wird gefangengenommen. Ihre exzellenten Sprachkenntnisse sind für die Maori unentbehrlich, und ihre Ausbildung als „tohunga ahurewa“ macht Kimi zu einer Hoffnungsträgerin für ihre unterdrückten Stammesgeschwister. Erst als Ruth beschließt, ihrem geliebten David zu folgen und mit zwei weiteren Krankenschwestern auf Chatham Island eintrifft, verändert sich das Leben auf der eroberten Insel zum Besseren. Ruths Diplomatie und das unerschrockene Vorgehen ihrer beiden Begleiterinnen beeindrucken nicht nur die fünf Brüder im Glauben, sondern auch die kampfeslustigen Maorikrieger. Doch die Unruhe unter den Maori-Stämmen verheißt nichts Gutes. Eine Provokation des Maori-Häuptlings Hone Heke führt zu einer Eskalation mit schrecklichen Folgen, und niemand ist sich seines Lebens mehr sicher.


Sarah Lark erzählt in diesem imposanten Roman die Geschichte der Moriori, die auf den Chatham-Inseln im Südpazifik lebten. Ihr Aussehen und ihre spezielle Kultur unterschieden sie von den Maori, sie lebten im Einklang mit der Natur und ihren Göttern, waren gastfreundlich und sehr friedliebend. „Nunukus Gesetz“ untersagte dem Stamm zu töten und gebietet, Frieden um jeden Preis zu halten.

Die Autorin beschreibt in eindringlichen Worten die Invasion durch die Maori, das grauenhafte Massaker an den friedlichen Moriori und das elende Sklavendasein der wenigen Überlebenden. Durch hervorragend charakterisierte handelnde Figuren erhält man einen facettenreichen Einblick in das Leben dieses Volkes, erfährt von ihrem Alltag und ihren Bräuchen. Die Tochter des Moriori-Häuptlings namens Kimi te Whangaroa ist eine der Protagonistinnen dieses Buches. Gespannt darf man das Schicksal des Moriori-Mädchens von ihrem vierzehnten Lebensjahr beginnend verfolgen, erlebt hautnah die Auslöschung ihres Stammes und die Ankunft der weißen Missionare mit. In Ruth Helwig findet man die zweite Protagonistin dieses Buches, die Kimi mit ihrem starken Charakter und stillen Würde in nichts nachsteht. Ruth kämpft um die Liebe eines Mannes, und weiß dabei genau, dass der Weg zu seinem Herzen ausschließlich über den Glauben führt. Ihr Aufbruch in eine völlig ungewisse Zukunft zeugt von Ruths Stärke, das Schicksal formt sie im Verlauf dieser Geschichte zu einer unerschütterlichen und mutigen Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt. David Mühlen und Brandon Halloran, die Männer an der Seite dieser imponierenden Frauen, könnten jedoch charakterlich nicht unterschiedlicher sein. Während Brandon alles versucht, um Kimi zu beschützen, bleibt David ein lebensuntüchtiger Träumer. Er stellt seine Liebe zu Gott über alles andere, verliert jedoch dabei die Realität völlig aus den Augen.

Sarah Lark hat ihre Hauptfiguren mit einer beeindruckenden Authentizität ausgestattet. Die gleiche Aufmerksamkeit wird jedoch auch den zahlreichen Nebenfiguren dieses Buches zuteil, die ich allesamt hervorragend charakterisiert empfand. Liebenswürdige Unterstützer und Helfer, aber auch harte und grausame Figuren machen dieses Buch zu einem faszinierenden Abenteuer, das dem Leser an einigen Stellen regelrecht den Atem anhalten lässt. Die Autorin beschönigt das tragische Schicksal des Moriori-Stammes in keiner Weise, und schreckt auch nicht vor bildhaften Beschreibungen im Zuge der Invasion zurück. Das harte Leben der Menschen in dieser unwirtlichen Gegend, die Konflikte zwischen den Weißen – „pakeha“ und den verschiedenen Maori-Stämmen sowie die Geschichte der Goßner-Mission sind zentrale Themen dieses Buches.

Die Autorin präsentiert mit „Wo der Tag beginnt“ einen Roman mit großer Sogwirkung, der durch einen wundervollen und sehr flüssigen Schreibstil, eine interessante Thematik und große Emotionen besticht. Ich möchte dieses Buch jedem ans Herz legen, der historische Fakten in Romanform lesen und Geschichte hautnah miterleben möchte. Die Moriori als Ureinwohner der Chatham-Inseln waren mir bis zu dieser Lektüre gänzlich unbekannt. Sarah Lark hat dies jedoch geändert. Ich wurde nicht nur ausgezeichnet unterhalten, sondern erfuhr – ganz nebenbei – eine Menge über die deutschen Laien-Missionare, die im Zuge der protestantischen Gossner Mission auf die Chatham Inseln kamen, über die Invasion der kriegerischen Maori im Jahr 1835, die beinahe zur Auslöschung der Moriori führte, sowie den neuseeländischen Maori-Häuptling und Auslöser des Fahnenmast-Krieges Hone Heke.

Genauso sollte man Geschichte erleben dürfen – interessant, unterhaltsam, mit Abenteuer und großen Emotionen verbunden. Fünf Bewertungssterne für dieses beeindruckende und fesselnde Buch!