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Veröffentlicht am 12.11.2018

Wichtig für alle deutschen Himmelsrichtungen

Integriert doch erst mal uns!
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Mit ihrer Streitschrift versucht die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping mit dem Klischee des Jammer-Ossis aufzuräumen. Von der wenig transparenten Abwicklung ehemaliger DDR-Betriebe durch ...

Mit ihrer Streitschrift versucht die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping mit dem Klischee des Jammer-Ossis aufzuräumen. Von der wenig transparenten Abwicklung ehemaliger DDR-Betriebe durch die Treuhand bis zur Abwertung ostdeutscher Bildungsabschlüsse und Berufserfahrung nach der Wende: Sie beleuchtet auf vielen Ebenen, wie der Nachwende-Frust entstanden ist und warum sich so viele Ostdeutsche bis heute abgehängt und ignoriert fühlen. Am stärksten ist das Buch, wenn sie über Schicksale von Personen und Personengruppen wie etwa den ostdeutschen Kohlearbeitern berichtet, mit denen sie im Laufe ihrer Politik-Karriere selbst in Berührung gekommen ist.

Gleichzeitig bleibt Köpping nicht in der Opferrolle, sondern untersucht auch, wie beispielsweise die Naivität und das Verlangen nach Westwaren einige Entwicklungen im Osten begünstigt haben. Sie zeigt, dass es auch in den alten Bundesländern Städte und Regionen gibt, die mit starkem Strukturwandel kämpfen, auch wenn dieser nicht so plötzlich wie im Osten eintrat. Zudem betont sie immer wieder, dass all diese Entwicklungen keinen Fremdenhass rechtfertigen. Damit plädiert Petra Köpping nachvollziehbar für eine gegenseitige Wertschätzung von Menschen in Ost und West.

Einige Argumente werden immer wieder aufgegriffen, sodass das Buch relativ viele Wiederholungen enthält. Köpping schreibt eher locker und teils umgangssprachlich. Man merkt, dass der Autorin das Thema am Herzen liegt und dass sie sich schon sehr lange damit beschäftigt. Die Streitschrift liest sich wie eine Erweiterung von Petra Köppings Rede vom politischen Reformationstag 2016, für die sie damals viel Aufmerksamkeit erhielt. Die Rede ist auch im Anhang abgedruckt.

Veröffentlicht am 07.11.2018

Zwischen Schweiz, Schwarzwald und Syrien

Lenz (Ein Kommissar-Eschenbach-Krimi 6)
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„Lenz“ beginnt zunächst wie ein klassischer Krimi: Nach einem mysteriösen Prolog wird die Leiche eines alten Mannes entdeckt, wobei Kommissar Eschenbach einige Ungereimtheiten auffallen. Seine Stellvertreterin ...

„Lenz“ beginnt zunächst wie ein klassischer Krimi: Nach einem mysteriösen Prolog wird die Leiche eines alten Mannes entdeckt, wobei Kommissar Eschenbach einige Ungereimtheiten auffallen. Seine Stellvertreterin im Polizeipräsidium legt ihm bei der Ermittlung jedoch Steine in den Weg. Parallel dazu entwickelt sich die Handlung in eine ganz andere Richtung: Der titelgebende Ewald Lenz tut einem alten Freund einen Gefallen und bringt der gemeinsamen Freundin Isabela ein Päckchen von der Schweiz in den Schwarzwald, wo sie zurückgezogen im extremen Luxus lebt. Dadurch verwickelt sich Lenz ungeahnt in eine internationale Verschwörung.

Die typische Ermittlungsarbeit fehlt hier, weshalb sich das Buch weniger wie ein typischer Krimi und mehr wie ein gesellschaftskritischer Roman liest. Besonders der Handlungsfaden von Lenz und Isabela ist davon geprägt, dass sie auf ihr Leben zurückblickt und darüber erzählt. Zwar hat sie viel Brisantes erlebt, jedoch fühlt sich die rückblickende Erzählweise nicht besonders spannend an. Zudem kommen einige Passagen etwas oberlehrerhaft daher, wenn der Autor Wissen abspult (z.B. in der Erklärung der Geschichte der Züricher Uni oder in Isabelas Aufzeichnungen zum Syrien-Konflikt). Hier hätte ich mir gewünscht, dass die Informationen besser in die Handlung integriert worden wären. Sie stehen oft einfach nur als separater Absatz da.

Interessant finde ich die gesellschaftskritischen Aspekte des Romans, z.B. die Meinungsmache in Zeiten der Digitalisierung, der Nahostkonflikt etc. Auch wenn ich nicht mit allen Aussagen des Autors übereinstimme, fand ich, dass er einige sehr aktuelle Themen geschickt in die Handlung eingebracht hat. Hier hätte ich mir einen stärkeren Fokus auf die politischen und gesellschaftlichen Aspekte gewünscht. Der Krimi-Teil, der mit dem Fortschritt der Handlung immer weiter vernachlässigt wird, wirkte für mich etwas an den Haaren herbeigezogen, um Eschenbach in die Handlung zu integrieren.

Dies war mein erster Eschenbach-Krimi. Vermutlich fehlte mir ein bisschen die Bindung an die Charaktere, um das Buch richtig genießen zu können. Doch die Geschichte an sich ist in sich abgeschlossen und war auch ohne Kenntnisse über die Vorgänger ohne Probleme verständlich. Michael Theurillat pflegt einen äußerst ansprechenden Schreibstil, sodass sich das Buch schnell lesen ließ.

Veröffentlicht am 25.10.2018

Durchaus unterhaltsam

Chicago
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Der Thriller hat mich gut unterhalten, aber nicht unbedingt vom Hocker gehauen. Insgesamt fehlt es ihm für meinen Geschmack streckenweise deutlich an Spannung, besonders im ersten Teil. Dabei erschien ...

Der Thriller hat mich gut unterhalten, aber nicht unbedingt vom Hocker gehauen. Insgesamt fehlt es ihm für meinen Geschmack streckenweise deutlich an Spannung, besonders im ersten Teil. Dabei erschien mir der Kontrast zwischen dem Lokalreporter Mike Hodge und den ganzen Verbrechern aus der Unterwelt eigentlich vielversprechend. Aber nachdem Mike den Mord an seiner heimlichen Freundin Annie aufklären will, geschehen weitere Morde und Verbrechen, die sich nur sehr langsam zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenschließen. Dieser Aufbau facht normalerweise die Spannung an, aber hier empfand ich ihn als eher anstrengend.

Man merkt allerdings, dass sich David Mamet gut mit der Chicagoer Unterwelt der 1920er Jahre auskennt oder viel über sie recherchiert hat (es geht aus dem sehr kurzen Dankestext nicht hervor, vorher sein Wissen stammt). Dadurch zeichnet er ein lebendiges Bild der teils grausamen Alltagslage zu Zeiten der Prohibition, der Bandenkriminalität und der Nachkriegszeit. Sein klarer und direkter Schreibstil passt sehr gut dazu.

Veröffentlicht am 24.10.2018

Klappentext nimmt fast die ganze Handlung vorweg

Verrat
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Der Verlag hat seinem Autor überhaupt keinen Gefallen getan: Auf der Innenseite des Buchumschlags von „Verrat“ wird fast die komplette Handlung nacherzählt. Das vernichtet leider einen Großteil der Spannung. ...

Der Verlag hat seinem Autor überhaupt keinen Gefallen getan: Auf der Innenseite des Buchumschlags von „Verrat“ wird fast die komplette Handlung nacherzählt. Das vernichtet leider einen Großteil der Spannung. Dabei ist die Geschichte rund um den IRA-Soldaten Francis gerade jetzt wichtig, wo die Brexit-Verhandlungen vieles aus der Zeit der Troubles und des Good-Friday-Abkommens wieder aufwirbeln. Und wer schon mal in Nordirland war, merkt gerade in Städten wie Belfast und Derry sofort, dass die Folgen des Nordirlandkonflikts bis heute spürbar sind und die Probleme keinesfalls komplett der Vergangenheit angehören. Nicholas Searle greift in seinem Thriller viele interessante moralische und zwischenmenschliche Aspekte dieser Zeit auf, ohne sich eindeutig auf eine Seite zu stellen. Dadurch schafft er eine eigentlich fesselnde Geschichte mit komplexen Figuren.

Der Klappentext endet damit, dass Francis aus der Haft entlassen wird und sich an seinem Verräter, den er nicht kennt, rächen will. Ich habe erwartet, dass der Großteil des Buches danach spielt. Aber weit gefehlt. Francis wird auf Seite 297 entlassen – das Buch hat aber nur 342 Seiten. Die wichtigsten Wendepunkte (was passiert mit Francis‘ Bruder Liam, verrät Bridget ihren Mann etc.) werden alle auf dem Umschlag vorweggenommen. Das empfand ich als extrem frustrierend. Der Autor beschreibt beispielsweise höchst intelligent, wie die britische Spionin Sarah schrittweise das Vertrauen von Francis‘ Ehefrau Bridget gewinnt und sie für ihre Seite anwirbt. Da der Klappentext aber direkt bekannt gibt, dass Bridget zur Verräterin wird, baut dieser wichtige Handlungsstrang null Spannung auf. Dabei liest es sich faszinierend, wie aus der lebenshungrigen jungen Bridget eine resignierte Hausfrau wird, die sich zunächst alles von ihrem Mann gefallen lässt und sich plötzlich gegen ihn stellt.

Natürlich kann der Autor nichts dafür – aber mein Lesevergnügen hat das trotzdem stark eingeschränkt. Wirklich schade. Wer „Verrat“ genießen möchte, sollte nur den Klappentext auf der Buchrückseite lesen, aber nicht die lange Zusammenfassung im Inneren des Umschlags. Dann sollte ein spannendes Leseerlebnis möglich sein.

Veröffentlicht am 24.10.2018

Guter historischer Roman, weniger guter Krimi

Alchimie einer Mordnacht
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Christian Stern ist einer der unsympathischsten Protagonisten, die mir in letzter Zeit begegnet sind. Immerhin erkennt er als alternder Ich-Erzähler, der mit Abstand auf die Geschehnisse des Romans zurückblickt, ...

Christian Stern ist einer der unsympathischsten Protagonisten, die mir in letzter Zeit begegnet sind. Immerhin erkennt er als alternder Ich-Erzähler, der mit Abstand auf die Geschehnisse des Romans zurückblickt, dass er in seiner Jugend ziemlich viel Selbstmitleid empfand. Ansonsten tapst er ahnungslos durch die Handlung. Völlig unverdient wird Stern Vertrauter des Habsburger Kaisers Rudolf II, dessen Hof in Prag sitzt. Er soll den Mord an der jungen Geliebten des Monarchen aufklären. Da Stern gerade erst in Prag angekommen ist, hat er keine belastbaren Kontakte. Von offizieller Seite wird er nicht über neue Entwicklungen der Untersuchungen informiert, stattdessen machen ihn mehrere gelangweilte Höflinge zu ihrem Spielball. Zeitweise tritt der Mordfall auch komplett in den Hintergrund, ansonsten entwickelt er sich nur schleppend weiter. Immer wieder stellt sich der Ich-Erzähler die Frage, was denn passiert sein könnte und wiederholt die dürftigen bisherigen Erkenntnisse. Das wird streckenweise ganz schön langatmig.

Die anderen Charaktere sind auch nicht gerade komplex, aber Figuren wie Caterina Sardo und Germanico Malaspina haben immerhin ein höheres Unterhaltungspotential und sind deutlich cleverer als der Protagonist. Der historische Aspekt des Romans ist hingegen gelungen, auch wenn sich der Autor (wie er selbst erklärt) bei den handelnden Personen einige Freiheiten genommen hat. Aber das stört nicht, schließlich handelt es sich hier nicht um ein Sachbuch. Mit Stadtbeschreibungen, Speisen, Bräuchen, Reisearten, Musik, Kleidung und vielem mehr zeichnet Benjamin Black ein lebendiges Bild des Lebens in Prag rund um die Jahrhundertwende 1599/1600.