Guter historischer Roman, weniger guter Krimi
Alchimie einer MordnachtChristian Stern ist einer der unsympathischsten Protagonisten, die mir in letzter Zeit begegnet sind. Immerhin erkennt er als alternder Ich-Erzähler, der mit Abstand auf die Geschehnisse des Romans zurückblickt, ...
Christian Stern ist einer der unsympathischsten Protagonisten, die mir in letzter Zeit begegnet sind. Immerhin erkennt er als alternder Ich-Erzähler, der mit Abstand auf die Geschehnisse des Romans zurückblickt, dass er in seiner Jugend ziemlich viel Selbstmitleid empfand. Ansonsten tapst er ahnungslos durch die Handlung. Völlig unverdient wird Stern Vertrauter des Habsburger Kaisers Rudolf II, dessen Hof in Prag sitzt. Er soll den Mord an der jungen Geliebten des Monarchen aufklären. Da Stern gerade erst in Prag angekommen ist, hat er keine belastbaren Kontakte. Von offizieller Seite wird er nicht über neue Entwicklungen der Untersuchungen informiert, stattdessen machen ihn mehrere gelangweilte Höflinge zu ihrem Spielball. Zeitweise tritt der Mordfall auch komplett in den Hintergrund, ansonsten entwickelt er sich nur schleppend weiter. Immer wieder stellt sich der Ich-Erzähler die Frage, was denn passiert sein könnte und wiederholt die dürftigen bisherigen Erkenntnisse. Das wird streckenweise ganz schön langatmig.
Die anderen Charaktere sind auch nicht gerade komplex, aber Figuren wie Caterina Sardo und Germanico Malaspina haben immerhin ein höheres Unterhaltungspotential und sind deutlich cleverer als der Protagonist. Der historische Aspekt des Romans ist hingegen gelungen, auch wenn sich der Autor (wie er selbst erklärt) bei den handelnden Personen einige Freiheiten genommen hat. Aber das stört nicht, schließlich handelt es sich hier nicht um ein Sachbuch. Mit Stadtbeschreibungen, Speisen, Bräuchen, Reisearten, Musik, Kleidung und vielem mehr zeichnet Benjamin Black ein lebendiges Bild des Lebens in Prag rund um die Jahrhundertwende 1599/1600.