Profilbild von luisa_loves_literature

luisa_loves_literature

Lesejury Star
offline

luisa_loves_literature ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit luisa_loves_literature über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.07.2020

Auf der Suche nach den Schwestern

Elijas Lied
0

Elija, Noa und Loth sind als Schwestern untrennbar miteinander verbunden, aber ihre Leben und Werte könnten unterschiedlicher nicht sein. Auf einer Wanderung, die an vergangene Kindheitstage erinnern soll, ...

Elija, Noa und Loth sind als Schwestern untrennbar miteinander verbunden, aber ihre Leben und Werte könnten unterschiedlicher nicht sein. Auf einer Wanderung, die an vergangene Kindheitstage erinnern soll, tritt deutlich zutage, dass man zwar zusammen aufwachsen, aber nicht zusammen erwachsen sein kann.

Der Roman hat mich nachhaltig beeindruckt - und das, obwohl Schwestern-Geschichten mich eher wenig interessieren und der Inhalt mich auf den ersten Blick nicht so sehr angesprochen hat. Amanda Lasker-Berlin ist jedoch ein wirklich bemerkenswerter Roman gelungen, der vor allem erzähltechnisch und sprachlich sehr überzeugt. Sie versteht es, mit wenigen - oft sehr schönen - Worten sehr viel Gefühl und tiefe Emotion unterschiedlichster Färbung zu transportieren. So kann man Noas Leere und Ohnmacht ebenso greifen wie Elijas Nichtverstehen und ihren Wunsch nach Zuneigung oder Loths Wut. Diese Gefühlsebenen werden durch die Erzählperspektive zwar auch durch die Gedanken der Figuren, aber häufiger durch Handeln oder Unterlassen der Figuren illustriert. Der Schreibstil ist für mich besonders deshalb so eindrucksvoll, weil er keine Scheu hat, Dinge auszuformulieren, aber es dennoch oftmals auch dem Leser überlässt, sich einen eigenen Reim auf das Erzählte zu machen.

Das Berückende an der Handlung ist, dass die Wanderung die Rahmenhandlung für die Annäherung des Lesers an die drei Schwestern bildet. So erfährt man Stück für Stück, Fragment für Fragment, immer mehr über jede einzelne der Frauen. Die Art wie dies vonstatten geht, erinnert an menschliche Denkprozesse: erst ist man im hier und jetzt bei der Wanderung und schon driftet die Gedankenwelt in die Vergangenheit oder zu ungelösten Problemen. Das ist schon sehr, sehr gut überlegt und umgesetzt.

Die Figuren sind sehr komplex und damit sehr authentisch und auch hier hat sich die Autorin einer recht schwierigen Herausforderung gestellt. Ihr gelingt es, die Gefühlslage Elijas, die durch ihr Down-Syndrom die Welt anders wahrnimmt, ebenso nachvollziehbar einzufangen, wie die Loths, die vollkommen der rechten Gesinnung verfallen ist - beide sind keine einfachen Charaktere.

Auch wenn der Roman auf subtile Weise distanziert wirkt, so ist man doch emotional berührt - die Geschichte und die Schwestern entfalten eine Sogwirkung. Elijas Lied ist ein sehr lesenswerter Roman mit viel Interpretationspotential. Sehr gelungen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.07.2020

Ein ganz großer Wurf

Fräulein Gold: Schatten und Licht
0

Fräulein Hulda Gold, selbstbewusste und unabhängige Hebamme in Berlin-Schöneberg, beginnt, fasziniert von dem Mord an der Nachbarin einer ihrer Wöchnerinnen, ihre eigenen Ermittlungen. Dabei lernt sie ...

Fräulein Hulda Gold, selbstbewusste und unabhängige Hebamme in Berlin-Schöneberg, beginnt, fasziniert von dem Mord an der Nachbarin einer ihrer Wöchnerinnen, ihre eigenen Ermittlungen. Dabei lernt sie nicht nur einen attraktiven Kommissar kennen, sondern gerät auch in gefährliche Situationen.

Fräulein Gold hat mir goldene Lesestunden beschert. Der Roman ist einfach richtig, richtig gut – und das in jeder Hinsicht.

Es beginnt mit der sehr üppigen und dichten Handlung. So ist der Kriminalfall äußerst spannend und das Gewirr von möglichen Spuren, das sich während Huldas Ermittlungen auftut, so undurchdringlich, dass sich einem die Zusammenhänge nicht vorzeitig erschließen – wie es sich für einen guten Krimi gehört. Neben der Krimihandlung fesselte mich besonders die zarte Liebesgeschichte zwischen Hulda und Karl North sehr, die - unglaublich erfrischend -so ganz ohne Klischees auskam. Das findet man eigentlich kaum noch.

Diese überzeugende und mitreißende Schilderung einer beginnenden Beziehung ist nur möglich, weil die Figuren von Hulda und Karl ausgezeichnet konzipiert sind. Sie sind komplex, haben durchaus charakterliche Schwächen und trotz aller Innensicht, die immer wieder ermöglicht wird, gelingt es dem Leser nicht immer Handlungen und Reaktionen vorauszusehen oder zu verstehen und das ist sehr gut so. Besonders Hulda ist vorzüglich gelungen und die Identifikation mit ihr fällt leicht, da sie durch ihren Beruf und ihren Lebensstil sich eher unserer heutigen Vorstellung der Frauenrolle anpasst, ohne jedoch aus ihrem zeitlichen Handlungskontext zu fallen, denn es gab schon einige unabhängige, „neue“ Frauen in den 20ern. Das Resultat der geglückten Figurenzeichnung sind authentische, sehr menschliche Romanfiguren, die so wirklichkeitsgetreu ausgestaltet sind, dass es mich nicht wundern würde, wenn ich bei einem Berlin-Besuch Fräulein Hulda treffen würde – ich weiß ja, wo sie wohnt. Und auch der Kioskbesitzer Bert z.B. ist für mich eine Figur, die ich gern kennenlernen würde.

Überhaupt ist dies eine der ganz großen Stärken des Romans: die Authentizität der Figuren, der Zwanziger Jahre, des Hebammenwissens, des historischen Kontexts, der Folgen des Ersten Weltkriegs, der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (die damals noch nicht so hießen) bilden zusammen mit der Kulisse Berlins ein fulminantes, realistisches Leseerlebnis, das manchmal vergessen lässt, dass es die Personen des Romans nicht gegeben hat. Meiner Meinung nach gibt es fast keine größere Errungenschaft seitens eines Autors, als den Leser dazu zu bringen, an die Welt und die Figuren seines Romans zu glauben und das hat Anne Stern auf hervorragende Weise erreicht. So hinterlässt der Roman bei mir das Gefühl die Nachbarschaft um den Winterfeldtplatz nun bestens zu kennen. Durch den Roman war ich quasi im Berlin der 20er live dabei.

Doch die beste Handlung und die wunderbarsten Figuren wären nichts ohne die Sprache, die sie zum Leben erweckt. Und auch hier war der historische Roman von Anne Stern ein echtes Erlebnis. Oftmals kann es bei historischen Romanen gerade sprachlich etwas hapern oder die Erzählung gerät zu hölzern, weil sich der Autor zu sehr darauf konzentriert, die historischen Fakten abzuarbeiten. Bei Fräulein Gold wird jedoch auch sprachlich hervorragend abgeliefert. Das „Literarische“ kommt hier keinesfalls zu kurz. So überrascht der Roman mit einer wirklich ausgezeichneten Sprachebene, mit fantastischen Beobachtungen und Details, die immer wieder erstaunen und Formulierungen, die das Lesen zu einer wahren Freude machen.

Fräulein Gold ist für mich bisher DER historische Roman des Jahres (der zweite Teil erscheint im Herbst – da kann also noch etwas kommen). Er ist sprachlich ausgereift, entwirft ein authentisches und überzeugendes Bild der 20er, wartet mit viel Berliner Lokalkolorit auf, hat liebenswerte und lebensechte Figuren und ist einfach ein großer Lesegenuss für alle. Abschließend habe ich nur noch einen Wunsch: Fräulein Gold sollte verfilmt werden!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.07.2020

wenig eindrücklich

Der unsichtbare Garten
0

Der unsichtbare Garten befasst sich mit einem bedrückenden Thema: dem irreversiblen Verlust der Sehkraft und dem Leben mit und nach einer derartigen Diagnose. Um dies zu veranschaulichen, hat die Autorin ...

Der unsichtbare Garten befasst sich mit einem bedrückenden Thema: dem irreversiblen Verlust der Sehkraft und dem Leben mit und nach einer derartigen Diagnose. Um dies zu veranschaulichen, hat die Autorin einen jungen Tennistrainer zu ihrem Protagonisten gemacht, dessen neues Schicksal ohne Augenlicht in einem starken Kontrast zu seinem vorherigen Lebensentwurf steht.

Tja...das ist einer dieser Romane, die gut gemeint und auch gar nicht schlecht gemacht sind, die aber trotzdem nicht das Gefühl auf das Papier bringen, das es braucht, um eine Leserschaft zu überzeugen, mitzureißen und mitleiden zu lassen.

Die Figur Vincent ist zu Beginn des Romans so in seinem Leid gefangen, dass er überstürzt durch alle möglichen Erlebnisse springt, für die er seine Augen noch nutzen möchte. Der Schreibstil passt sich hier dieser Rastlosigkeit an, der Leser wird fast atemlos zurückgelassen. Es fehlt in diesem Teil jedoch an tiefergehenden Reflexionen über den eigenen - auch mentalen - Zustand. Dies mag man alles wohlwollend auf einer Analyseebene dem bewussten Versuch der Autorin zuschreiben, das Ohnmachtsgefühl und den Negationswillen Vincents transportieren zu wollen.

Das Erzähltempo wird erst gedrosselt, als Vincent tatsächlich nicht mehr sehen kann und beginnt, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Hier wird er als Figur auch deutlich nahbarer und der Roman schafft es, den Leser dazu zu bringen, sich zu fragen, wie man selbst mit solch einer Situation umgehen würde. Allerdings herrscht nun auch über weite Strecken Langeweile, da eigentlich kaum noch - außer einem ziemlich abwegigen Anschlag auf Vincent, der im Nachhinein dann auch nicht wirklich wichtig ist, etwas passiert und auch hier keine besonders tiefe Auseinandersetzung mit der Krankheit erfolgt.

Jegliche Wucht und Nachwirkung, die der Roman hätte haben können, wird jedoch durch das Ende ausgelöscht. Die letzten zwei-drei Kapitel bieten einfach zu viel Happy End - manchmal ist weniger/kürzer mehr.

Insgesamt wirkt der Roman trotz der sicherlich guten Recherche der Autorin über weite Strecken nicht authentisch genug, um emotional zu berühren. Stilistisch durchaus ansprechend und thematisch anspruchsvoll, bleibt der Roman weitestgehend gefällig. Gut gefallen haben mir z.B. die Gartenszenen, aber auch hier bleibt der Eindruck verschenkten Potenzials bestehen. Er liest sich gut, aber er beeindruckt nicht und bleibt an der Oberfläche und ist so eher nette Unterhaltung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.06.2020

Der etwas andere Mörder

Achtsam morden
0

Ich habe Achtsam morden als Audiobook gehört und sehr genossen. Zu Beginn bin ich etwas schwer in die Story reingekommen, da mir die Art des Sprechers zunächst nicht zugesagt hatte. Dies hat sich im Verlauf ...

Ich habe Achtsam morden als Audiobook gehört und sehr genossen. Zu Beginn bin ich etwas schwer in die Story reingekommen, da mir die Art des Sprechers zunächst nicht zugesagt hatte. Dies hat sich im Verlauf der Geschichte aber komplett geändert, denn gerade die ruhige, besonnene und achtsame Lesart des Sprechers verstärkt die Wirkung und Bedeutung des Textes. Angesichts der abstrusen, unglaublichen und wahnsinnig unterhaltenden Story ist gerade die vom Sprecher sehr überzeugend ausgestrahlte Achtsamkeit eine wahre Bereicherung. Die Geschichte selbst ist absolut gelungen, da sie nicht nur sehr bissig und schwarzhumorig mit dem ganzen Achtsamkeitshype liebevoll aufräumt, sondern auch äußerst entlarvende und zutreffende Beobachtungen unserer Gesellschaft beinhaltet. Sehr zu empfehlen! Und nun muss ich noch ein wenig meine Begeisterung "wegatmen".

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.06.2020

"Es ist kompliziert..."

Das eiserne Herz des Charlie Berg
0

Charlie Berg und ich - das ist eine schwierige Beziehung, man könnte auch sagen: "es ist kompliziert", denn der Roman hat sozusagen zwei Gesichter.

Das Buch hat mich mit seiner unglaublich schönen Sprache ...

Charlie Berg und ich - das ist eine schwierige Beziehung, man könnte auch sagen: "es ist kompliziert", denn der Roman hat sozusagen zwei Gesichter.

Das Buch hat mich mit seiner unglaublich schönen Sprache begeistert und verzaubert. Es gibt so viele sprachliche Bilder, die überraschen, Wortkombinationen und Gefüge, die man nicht erwartet, und die einen staunen lassen. Und das alles wirkt in keiner Weise gekünstelt. Was also die sprachliche Ebene (dies bezieht sich nur auf die Teile 1, 2 & 5) anbelangt, hätte Charlie Berg fünf Sterne mehr als verdient gehabt und sogar das Zeug dazu gehabt, eines meiner Lieblingsbücher zu werden.

Inhaltlich konnte ich die oben genannten Teile über weite Strecken ebenso genießen. Letztlich ist Charlie Berg für mich in gewisser Weise ein moderner Schelmenroman und allein dieses alte Genre mal auf diese Art anzufassen, ist sehr erfrischend und innovativ. Die Story ist interessant, ungewöhnlich, mitreißend und spannend und beeindruckt durch viele Rückblenden, die virtuos in die Gesamthandlung eingebunden sind. Manchmal fragt man sich schon leicht verblüfft, wie man nun in dieser oder jener Szene gelandet ist, aber die Orientierung verliert man hier (noch) nicht. Auch der letzte Teil des Romans ist (bis auf ein paar Seiten) richtig gut gemacht, da die Ereignisse schlüssig und überzeugend aufgeklärt werden. Die Figuren sind in diesen Teilen eigenwillig, aber nicht zu seltsam, und der Text besitzt das richtige Maß an Verrücktheit.

So - und nun zum ABER oder zum zweiten Gesicht: für mich sind dies das Ende von Teil 2 und die Teile 3 & 4. Ich bin absolut kein Freund von derber Sprache, rustikaler Handlung und komplett sinnfreien Aktionen. Und leider, leider passiert genau dies fortgesetzt und gefühlt fast ohne Pause im gesamten Mittelteil des Romans. Hier fühlte sich der Text an wie eine American Pie-Mega-Extended-Director's Cut-Version an und hat mir alles an Durchhaltevermögen abverlangt, eigentlich war jede Seite zuviel. Im Grunde geht es hier nur um Sex und sexuelles Coming-of-Age, alles gespickt mit brachialem Humor, überflüssig, sinnfrei und regelrecht abstoßend. Das Ganze trägt dabei in diesen Ausmaßen nicht zur Figurenentwicklung bei - wenn es denn unbedingt hätte sein müssen, wäre es völlig ausreichend, gewesen maximal drei Seiten darauf zu verschwenden, statt 300! Beherrscht wird der Mittelteil von der unsäglichen Figur David, bei der ich schon bei ihrem ersten Auftreten darauf gehofft hatte, dass sie schnellstmöglich wieder verschwindet...Darüber hinaus werden die Rückblenden in diesen Teilen zunehmend verwirrend, sodass man nun manchmal doch ein bisschen verloren in der Chronologie der Storyline zurückgelassen wird. Um hier im Bewertungssystem zu bleiben: Teil 3&4 würden bei mir einen Stern bekommen, aber nur weil null Sterne nicht vergeben werden können...

Ich werde den Roman sicher nicht so schnell vergessen und ich würde aufgrund des außergewöhnlichen Sprachgefühls des Autors auch wieder etwas von Sebastian Stuertz lesen, wenn es denn kürzer wäre und ohne Derbheit und Niveauverlust auskäme....Ganz ehrlich: alles, was man in dieser Hinsicht zu Sex sagen kann, ist in Charlie Berg ja auch schon ausgiebig erläutert worden. Das war fürs Leben genug.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere