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Veröffentlicht am 27.04.2022

Die Waise von Kirchheim

Gretas Erbe
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„Gretas Erbe“ ist ein großes und welcher Art bzw. wem sie dieses Erbe zu verdanken hat, daran besteht schon sehr früh im Roman kein Zweifel – dies ist leider dem Spannungsbogen nicht sonderlich zuträglich, ...

„Gretas Erbe“ ist ein großes und welcher Art bzw. wem sie dieses Erbe zu verdanken hat, daran besteht schon sehr früh im Roman kein Zweifel – dies ist leider dem Spannungsbogen nicht sonderlich zuträglich, ebenso wenig wie die sehr klar definierte Liebesgeschichte zwischen Greta und Robert, dem Sohn der Pflegefamilie, in der sie. Leider hat Robert im Verlauf der Geschichte keine echten Nebenbuhler, denn Gretas Herz ist fest an ihn vergeben – auch das ist ebenso von Beginn an klar, wie das Robert sich gleichermaßen für Greta interessiert wie sie für ihn. Die Dramatik der Story muss also anderweitig hergestellt werden und wird daher aus der der Beziehung feindlich gesinnten (Pflege-)Familie und zahlreichen Missverständnissen zwischen den Liebenden generiert. Ansonsten erinnert der Plot sehr stark an Aschenputtel. Greta ist das ungeliebte Pflegekind, dass von der Familie Hellert nach allen Regeln der Kunst als kostenlose und fügsame Arbeitskraft ausgenutzt wird. Greta wird vor allem beim Weinanbau eingesetzt und so erfährt der Leser ganz nebenbei zahlreiche interessante Details der Weinlese. Allerdings dehnt sich die Handlung auch immer wieder sehr in die Länge, viele Episoden gleichen sich und bestimmte Versatzstücke der emotionalen Befindlichkeit Gretas werden immer und immer wieder wiederholt, sodass man so manches Mal das Gefühl hat sich im Kreis zu drehen. Auch ihren Zusammentreffen mit Robert fehlt mitunter die Variation. Unbefriedigend oder aber auch überraschend ist außerdem die Tatsache, dass eigentlich im Text angelegte Elemente nicht ganz zu Ende geführt werden, wie z.B. Gretas Wunsch, das Abitur zu machen.
Bei der Figurenkonzeption muss man feststellen, dass Greta etwas zu strahlend, märchenhaft schön und engelsgleich gut geraten ist. Fast nie durchzuckt ein abschätziger Gedanke ihren Geist, sie setzt sich kaum zur Wehr, kämpft gegen Eifersucht, da Eifersucht keine Zierde ist, ihr einziger Traum ist, von ihrer Pflegefamilie als eine der ihren anerkannt zu werden. Da muss ich mich allerdings schon stark fragen, warum. Denn selbst wenn man die Ungleichbehandlung und „Versklavung“ Gretas außer Acht lassen würde, bliebe immer noch die Tatsache, dass die Hellerts ein äußerst unsympathischer, engstirniger, bigotter, unsympathischer und noch dazu sehr eindimensionaler Haufen sind, denen man eigentlich schnellstmöglich den Rücken kehren sollte. Daran können weder der überaus egoistische Robert noch der sensible Matse etwas ändern.

Aber auch wenn die Handlung oftmals vorhersehbar ist, die Figuren sehr einfach konzipiert sind und die zeitgeschichtlichen Einsprengsler doch recht bemüht wirken, habe ich „Gretas Erbe“ gern gelesen und auch gemocht. Es hat etwas Märchenhaftes und die Geschichte eines jungen Mädchens, das quasi alle gegen sich hat und diesen Widerstand immer wieder überwindet, bietet eine nette Alltagsflucht. Ich hadere allerdings noch ganz schwer mit den Optionen, die das Ende andeutet – das erscheint mir doch zu nah am Märchen oder Groschenroman und völlig unrealistisch – aber bis dahin war es bis auf die eine oder andere Länge gute Unterhaltung.

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Veröffentlicht am 28.03.2022

Sehnsucht nach den 80ern

Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn
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Ach, was habe ich diesen zweiten Ausflug auf die zu Tode geliebte Insel im Norden Deutschlands genossen! Nachdem ich schon in „Ozelot und Friesennerz“ in den 70ern unterwegs war, haben mich nun auch die ...

Ach, was habe ich diesen zweiten Ausflug auf die zu Tode geliebte Insel im Norden Deutschlands genossen! Nachdem ich schon in „Ozelot und Friesennerz“ in den 70ern unterwegs war, haben mich nun auch die 80er völlig eingeholt. Wie der Vorgängerband auch, leben die Jugenderinnerungen der Autorin von diesem besonders leichten, flüssigen, ungemein humorvollen Plauderton, der ganz trocken zahlreiche Bonmots zum Besten gibt und mit großartigen Anekdoten, auch aus der ganz privaten Familienwelt, unterhält. Dabei gelingt es Matthiessen ganz fulminant die Lebenseinstellung der Norddeutschen herauszuarbeiten, viele Dinge sind mir (Norddeutsche im Exil) so allerbestens bekannt: sei es das notorische Tiefstapeln und damit verbundene Verstecken von Luxus oder die großartige Silberhochzeitsfeier, die ohne Girlandebinden und Köm direkt nach dem Frühstück gar nicht erst in Schwung kommt, da wird getanzt und Jägermeister getrunken, als gäbe es kein Morgen mehr…Für mich ist auch dieses Buch eine herrlich nostalgische, durchaus auch melancholische Zeitreise in eine gefühlt unbeschwertere, einfachere Zeit, eine Begegnung mit den Dingen, die ich schon so lange vergessen hatte (Konsul Weyer! Punker!! Robben!!!) und ein vergnüglicher Ausflug, der der Seele einfach wohltut. Allerdings hat dieser Band im Gegensatz zum Vorgänger eine ausgeprägt dunklere Seite: das Schicksal der Jugendfreundin Pfuschi durchbricht all den Witz und mit berührt mit Ernsthaftigkeit und Bedauern – eine große Leistung angesichts der ansonsten gegebenen Leichtigkeit des Erzähltons. Dazu kommen noch die Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie, die von der Autorin ausgiebig beleuchtet werden: für Sylt erscheint das Virus Fluch und Segen zugleich zu sein. Schließlich ist das Schicksal der Insel mit ihrem Autokennzeichen gleichzusetzen: NF = No Future – die Sylter wandern aus, geben auf, die Insel wird verbaut, zerbaut, verkauft, von den Urlaubern und Möchtegern-Syltern und Immobilienspekulanten versklavt, sodass sich echte Sylter (die natürlich am „Untergang“ der ursprünglichen Insel rege beteiligt waren) nicht mehr heimisch fühlen können. Ein tragisches Schicksal für diese illustre, einst glamouröse Königin der Nordsee, das man mit viel Trauer im Herzen beobachtet, gerade wenn man nicht zu den Sylt-Jüngern gehört. Ein tolles Buch, nicht ganz so fröhlich wie „Ozelot und Friesennerz“, aber sehr gute Unterhaltung.

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Veröffentlicht am 22.03.2022

Mit Alkohol durch die Nacht

Love in the Big City
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Für „Love in the Big City” habe ich leider nicht allzu viel Liebe zu verschenken. Nach 250 Seiten mit Alkohol (in Strömen) durch die Nacht, einem Protagonisten auf der Suche nach der Liebe und dabei immer ...

Für „Love in the Big City” habe ich leider nicht allzu viel Liebe zu verschenken. Nach 250 Seiten mit Alkohol (in Strömen) durch die Nacht, einem Protagonisten auf der Suche nach der Liebe und dabei immer nur weitere Sexpartner verschleißend, konfrontiert mit Krebs und Aids, stehe ich der koreanischen Jugend doch eher skeptisch gegenüber und kann auch nicht behaupten, dass ich den Roman gern gelesen hätte. Das ziellose Segeln der Hauptfigur durch das Seouler Nachtleben, von Club zu Club und von Mann zu Mann mag ja durchaus etwas über die Befindlichkeiten jungen homosexuellen Lebens in Korea aussagen, für einen Roman mit literarischem Anspruch und aussagekräftiger Tiefe ist es mir aber einfach zu wenig. Das haben andere Autoren in anderen Ländern schon hundert Mal anders und leider auch literarisch besser, ansprechender und schöner gemacht. Das, was der Klappentext erahnen lässt – die Konfrontation zwischen Tradition und Moderne und einen Blick in die gesellschaftlichen Erwartungen Koreas – habe ich auch sehr vermisst. Die interessante Figur der Jaehee, deren Lebensweg eine finale Verhaftung in den überkommenen Normen erahnen lässt, taucht nach dem ersten Teil fast vollkommen ab, der Protagonist bleibt sich selbst überlassen und taumelt weiter ziellos durch die Welt. Inhaltlich kann man nur eine ziemliche Eintönigkeit konstatieren, die der Roman durch seine leider nicht wirklich geglückte Struktur wieder wettmachen will. Die Gliederung in unterschiedliche Teile, die nur lose verbunden sind, führt dazu, dass die Handlung nicht immer zeitlich logisch erscheint, dass wesentliche Aspekte, die einen Teil beherrschen, später überhaupt keine Relevanz mehr haben und nicht einmal mehr erwähnt werden – so als hätten sie überhaupt keinen Einfluss mehr – und dass andere bekannte Aspekte detailliert wiederholt werden. Dadurch, dass die Teile so nebeneinanderstehen, kommt auch kein übergreifender Handlungsfluss zustande – sieht man mal vom Alkoholgenuss und Sex ab. Auf Seoul und Korea als Setting hatte ich mich sehr gefreut, aber sehr viel mehr als koreanisches Essen, die Namen verschiedener koreanischer Viertel und Universitäten und der Währung erfährt man eigentlich nicht. Die kleinen politischen Bezüge, die an zwei Stellen aufblitzen, sind dazu noch für deutsche Leser in der Regel kein Begriff, da hätte ich mir eine Anmerkung ebenso gewünscht wie für die verschiedenen Sprachstufen des Koreanischen, die zwar im Text selbst angesprochen werden, aber für den Leser ein mit wenig Information gefülltes Konzept bleiben.
Leider trotz des mit seiner Melancholie noch recht überzeugenden letzten Teils keine Leseempfehlung von mir.

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Veröffentlicht am 19.03.2022

Lasst mir ein Like da!

Die Kinder sind Könige
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Meine Lieben, gerne teile ich meine Rezension zu Delphine de Vigans „Die Kinder sind Könige“ mit Euch und bitte schenkt mir ein Like, wenn sie Euch gefällt…so würde sich wahrscheinlich Mélanie Claux/Diores ...

Meine Lieben, gerne teile ich meine Rezension zu Delphine de Vigans „Die Kinder sind Könige“ mit Euch und bitte schenkt mir ein Like, wenn sie Euch gefällt…so würde sich wahrscheinlich Mélanie Claux/Diores Anfang einer Buchbesprechung lesen. Mélanie ist die Protagonistin des neuen Romans von de Vigan. Als junge Frau war sie süchtig nach Reality-TV-Formaten und nachdem sie selbst in einer Show sehr kläglich scheiterte, strebt sie nach Ruhm, Liebe und Followern auf Social-Media-Plattformen. Schnell erkennt sie, dass ihre Kinder die eigentlichen Stars sind und so beginnt sie diese mehr oder weniger rund um die Uhr zu filmen, zu streamen, herauszufordern auf der Jagd nach Abonnenten und Likes. Als ihre Tochter verschwindet, nimmt sich die gewissenhafte Procédurière Clara des Falls an und entdeckt die Schattenseiten einer Berühmtheit im Internet.

Ich mag grundsätzlich eigentlich keine Romane, die mir klar und deutlich etwas vermitteln wollen, mir ihre Weltsicht aufzwingen und dazu auch noch zu recht überspitzten Maßnahmen greifen. „Die Kinder sind Könige“ fällt in jeglicher Hinsicht in diese Kategorie, und dennoch hat er mir ausgesprochen gut gefallen. So muss ich als erstes zugeben, dass ich mir nach der Lektüre gar nicht mal so sicher bin, dass das Leben der Instagram-Ikone Mélanie wirklich übertrieben dargestellt wird. Die Selbstinszenierung, das Teilen und Teilhabenlassen sind wesentlich, um den Algorithmus und die Abonnenten glücklich zu machen und bei Mélanie entwickelt sich das zu einer Sucht, die ein Teil ihres Lifestyles zu sein scheint. Die begründet und angebrachte Kritik, die der Roman in den Mittelpunkt stellt, beruht natürlich besonders auf der Tatsache, dass die Protagonistin ihre Kinder gnadenlos zur Schau stellt. Hier haben mich besonders die Blindheit der Mutter für die Bedürfnisse ihrer Kinder erschreckt und die geschilderten potenziellen (fiktiven?) psychologischen Folgeerscheinungen einer dauerhaften Ausstellung bei Instagram und Co. sehr fasziniert. De Vigan bringt gerade diesen psychologischen Kontext so überaus glaubhaft zur Darstellung, dass einem schon angst und bange werden kann. Als Kommentar zu unserer heutigen medienhörigen Zeit, in der ein Leben nur eine Wertigkeit zu haben scheint, wenn es öffentlich gelebt wird, funktioniert der Roman in seiner ganzen Bitterkeit trotz seiner Holzhammermethode ausgezeichnet.

Die Figurenkonzeption ist insofern spannend, als dass sie zwar auf eine starke Kontrastierung zwischen der Polizistin Clara und der Influencerin Mélanie setzt, aber eine allzu deutliche Gut-Böse-Differenz ausgespart wird. Auch wenn die Autorin mit stereotypen, genretypischen Merkmalen (die einsame, arbeitswütige Polizistin und die oberflächliche, gefilterte Fee) arbeitet: die Innensichten in die beiden Frauenfiguren sind absolut glaubwürdig und dienen natürlich auch wieder der nachdrücklichen Darstellung des eigentlichen kritischen Ansinnens des Romans.

Der Text ist gut geschrieben und sehr lesbar, das Verschwinden des Mädchens ausgezeichnet und spannend inszeniert, sodass man mit großem Interesse der Handlung folgt. Hierzu tragen auch die eingefügten Polizeiberichte Claras bei und die Aufteilung der Handlung auf verschiedene Zeitebene.

Ein nachdenklich stimmender Roman, den ich trotz seiner allzu bekannten und offensichtlichen Kritik empfehlen kann, weil er einfach gut zu lesen ist.

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Veröffentlicht am 14.03.2022

Zwischen Amt und Selbst

Die Diplomatin
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Was soll ich sagen? Toller Roman, gute Story, interessantes Setting – ich habe mich nicht eine Sekunde gelangweilt und würde sofort einen zweiten Band von „Die Diplomatin“ lesen, wenn es denn einen gäbe.
Lucy ...

Was soll ich sagen? Toller Roman, gute Story, interessantes Setting – ich habe mich nicht eine Sekunde gelangweilt und würde sofort einen zweiten Band von „Die Diplomatin“ lesen, wenn es denn einen gäbe.
Lucy Fricke begleitet „Fred“ Andermann auf ihrem nicht sehr glatten Karriereweg von ihrem ersten Posten als deutsche Botschafterin in Montevideo, den sie aufgrund eines unkontrollierbaren Kriminalfalls sehr schnell wieder verliert, zu ihrem nächsten Einsatz als Konsulin in Istanbul mit einem nicht nennenswerten Zwischenstopp in der Zentrale in Berlin.

Der Roman pflegt einen ganz eigenen, ungemein lesbaren Ton. Fred wird als Erzählinstanz mit einer unverwechselbaren Stimme ausgestattet, die ausgesprochen authentisch und plausibel, zwischen Humor und Resignation schwankend, auf den Punkt genau die Stimmung eines Posteninhabers des „Amtes“ einfängt. Dominiert im ersten Teil ein großartiger, trockener Humor, der die ersten Kapitel gleichsam zu einem Schmunzelfeuerwerk macht, ändert sich nur Freds Einstellung, sondern auch ihre Erzählweise sehr glaubhaft im in Istanbul spielenden Teil. Allein anhand ihrer Stimme, der Art ihres Berichtens, kann man erkennen, wieviel Kraft, Energie, Einsamkeit und Enttäuschung ihr Job, dem sie ihr Leben verschrieben hat, kostet. Zwar blitzt auch hier immer wieder der ihr eigene Witz auf, aber die politischen Realitäten der Türkei lassen nicht viel Raum für Vergnügen.
Im Istanbul-Teil kann der Leser einen spannenden und aufschlussreichen Blick hinter die Kulissen der Diplomatie, ihre Möglichkeiten und vor allem ihre Grenzen im Angesicht eines immer repressiver agierenden Systems werfen, der, wenn auch fiktiv, absolut nachvollziehbar und denkbar inszeniert wird. Die Seiten fliegen nur so vorbei, während Fred an einer gegen alle Grundsätze des Auswärtigen Amtes verstoßenden Lösung zur Befreiung unrechtmäßig Inhaftierter arbeitet. In diesen Kapiteln verfügt der Roman fast über eine Handlungskurve, die einem Thriller entnommen sein könnte, wird aber niemals reißerisch oder überzogen, die Handlung bleibt stets dem Grundsatz der Realitätsnähe treu. „Die Diplomatin“ bietet beste Unterhaltung auf hohem Niveau und kommt vollkommen ohne Kitsch und Verklärung des angesehenen Jobs im Dienste Deutschlands aus.
Ein absolut lesenswerter, angesichts der Thematik überraschend leichtfüßiger Roman, der humorvoll mit Resignation und Enttäuschung umgeht und sich insgesamt durch ein hohes Maß unterschwellig eingebrachter Ernsthaftigkeit auszeichnet.

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