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Veröffentlicht am 06.03.2022

Der Weg nach oben?

So reich wie der König
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„So reich wie der König“ sollte der Mann sein, den Sarah, die sechzehnjährige Französin aus dem Armenviertel Casablancas, einmal heiraten möchte. Ihr Traum von Reichtum ist so groß, dass sie fast zu allen ...

„So reich wie der König“ sollte der Mann sein, den Sarah, die sechzehnjährige Französin aus dem Armenviertel Casablancas, einmal heiraten möchte. Ihr Traum von Reichtum ist so groß, dass sie fast zu allen Mitteln greifen würde, um ihn sich zu erfüllen. So flattert sie von einem reichen Gönner zum nächsten, um sich über Wasser zu halten, lässt sich mit Paninis und Säften bezahlen und hofft auf ein besseres Leben. Als sie schließlich erfährt, dass der unansehnliche und unattraktive Driss „so reich wie der König“ ist, setzt sie alles daran, ihn für sich zu gewinnen.

Eigentlich ist „So reich wie der König“ von der Anlage her eine raue und kalte Aschenputtel-Story, der Wunsch einer Heranwachsenden nach ein bisschen Märchen. Sarah als Figur ist jedoch schwer einzuordnen. Sie ist hart in ihrem Verhalten, berechnend und klar kalkulierend, Gefühle sind ein Luxus, den sie sich nicht leisten kann. Für den Leser ist sie kaum zu fassen. Ist sie zu Beginn des Romans einfach unsympathisch, greift nach einigen Seiten die Sympathielenkung so manipulierend zu, dass man zwischen Mitleid und Hoffnung für sie schwankt – und dass, obwohl man ihre Vorgehensweise klar erkennen kann. Empathie ist dennoch möglich, denn wer würde dieses mittellose Mädchen aus zerrütteten Verhältnissen, dass mit ihrer schwer übergewichtigen Mutter, die sich von einem „Wohltäter“ nach dem anderen aushalten lässt, in Casablanca gestrandet ist, dafür verurteilen, dass sie etwas an ihrer Lage verändern möchte? Dennoch bleibt die offene und diskussionswürdige Frage bis zum Schluss, wie ihre Gefühle tatsächlich aussehen. Mit Sarah ist Abigail Assor auf jeden Fall eine äußerst spannende Figur gelungen.

Schwierig aus heutiger Sicht ist sicherlich der Umstand, dass Sarah ihre bessere Zukunft ausschließlich in der Ehe mit „einem Reichen“ sieht und nicht einen anderen Weg in Betracht zieht, zumal sie ein sehr gutes Gymnasium besucht. Vermutlich ist das der Grund, warum die Autorin den Roman im Jahr 1994 angesiedelt hat, doch konnte mich genau das als einziger Aspekt an dem Roman nicht vollkommen überzeugen. Wenn ich mich recht erinnere, hatten junge Frauen auch 1994 durchaus Karriereziele und der Feminismus war ebenfalls schon so weit vorangeschritten, dass man sogar als Frau in Erwägung ziehen konnte, selbst etwas aus sich zu machen. Bei Sarah ist der „Karriereweg“ eher durch die Mutter vorgezeichnet, als durch den zeitlichen Kontext gegeben. Auch sonst spürt man die 90er – bis auf den Walkman, das Festnetztelefon und vor allem die Abwesenheit von Handys kaum. Es gibt ein paar archaisch anmutende Momente (wie das Regengebet) aus der marokkanischen Gesellschaft, von denen ich nicht beurteilen kann, ob sie heute noch existieren, aber insgesamt habe ich die Notwendigkeit des zeitlichen Settings nicht ganz nachvollziehen können.

Neben Sarah ist der eigentliche Star des Romans die Stadt Casablanca. Mit Sarah streift der Leser durch jeden Winkel dieser Stadt und lernt an ihrer Seite den Alltag und die verschiedenen Viertel kennen. Hier wird viel Atmosphäre ausgeschüttet, die Stadt kann man riechen und fühlen, die marokkanische Lebensart durchdringt die Seiten. Sprachlich ist der Roman zeitweise so unterkühlt wie seine Protagonistin, dann aber blitzen wieder sprachlich sehr schöne Bilder auf, wenn z.B. die Haarfarbe der Frauen mit der Farbe der Schatten auf den Mauern von Marrakesch verglichen wird. Überhaupt wird „Sprache“ auch im Verlauf des Romans zu einem eigenen Thema. Im übertragenen Sinne ist sie auf einer nonverbalen Ebene Ausdruck der rigiden Schichtentrennung, denn Sarah muss erkennen, dass bei aller Mühe sie die „Sprache der Reichen“, das instinktive Erkennen der Zugehörigkeit zur Oberschicht, nicht beherrscht.

„So reich wie der König“ ist ein sehr lohnenswerter Roman mit Sogwirkung und äußerst spannender Sympathielenkung.

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Veröffentlicht am 18.02.2022

Intensive Innenschau

Das Vorkommnis
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Es gibt manchmal Texte, die einen leer und zugleich übervoll zurücklassen. "Das Vorkommnis" gehört dazu. Der Roman fordert den Leser auf einigen Ebenen heraus und thematisiert Probleme und Gedanken, die ...


Es gibt manchmal Texte, die einen leer und zugleich übervoll zurücklassen. "Das Vorkommnis" gehört dazu. Der Roman fordert den Leser auf einigen Ebenen heraus und thematisiert Probleme und Gedanken, die einem nur allzu bekannt vorkommen, denen man sich aber nur sehr bedingt in dieser Intensität aussetzen möchte.
Die Erzählerin wird durch das Vorkommnis - ein wunderbares Wort, das sowohl Zäsur als auch Banalität suggeriert - aus der Bahn geworfen. Sie trifft ihre Halbschwester, von der sie irgendwie ahnte, aber nicht wirklich wusste, und deren Zugehörigkeit zu ihr nur dadurch besteht, dass der Vater der Erzählerin sich auf der Geburtsurkunde hat eintragen lassen. Bewiesen ist die Verwandtschaft also nicht. Dennoch beginnt die Erzählerin durch die Existenz dieser möglichen neuen Schwester alles zu hinterfragen, ein auf der Spitze fast paranoides Misstrauen sich selbst und anderen gegenüber zu empfinden, den Wert von Erinnerungen auszutesten und ein Leben in Gedankenspiralen und Grübeleien zu führen.

Im Alltag der Erzählerin passiert eigentlich nichts Spektakuläres. Auslandsmonate in den USA ziehen an ihr vorüber, aber sie scheint nur zu funktionieren, während sie sich ihrem eigenen Denken immer stärker annähert, ihr Dasein und ihre Beziehungen in Zweifel zieht.

Als Leser hat man es mit der Erzählerin schon recht schwer, denn sie ist so in sich selbst verstrickt, in einer konstanten Auseinandersetzung mit sich, dass kein Raum für "normales Leben" bleibt. In ihrem Hadern und Hinterfragen schwankt sie zwischen Teilnahmslosigkeit und Selbstzerstörung. Auch wenn auf diese Weise eine Identifikation mit der in ihrer Selbstwahrnehmung schonungslosen und fast schon brutalen Erzählerin ausgeschlossen wird, der Leser konsequent auf Distanz gehalten wird, kann man sich doch einer Betroffenheit nicht entziehen, denn der Roman bewirkt auch beim Leser eine Auseinandersetzung mit den Konzepten von "Vergänglichkeit" und "Erinnerung", mit der Fragestellung, was passiert, wenn alles, worauf man vertraut, umgestoßen wird.

Der Text ist mitnichten positiv oder fröhlich, im Gegenteil, es handelt sich um einen extrem intensiven, sehr dichten und (emotional) fordernden Text, dessen Schluss für den aufmerksamen Leser eine unglaublich gelungene Überraschung im Hinblick auf Lesererwartungen und Gattungszugehörigkeit bietet. Ich bin nicht restlos begeistert, es ist einfach kein schönes Buch, aber trotzdem ein gutes. Ein Lesetipp für alle, die viel Nachdenken, intensive Auseinandersetzungen und Selbstsektion zu schätzen wissen und sich auf das Abenteuer der Autofiktion einlassen wollen.

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Veröffentlicht am 26.01.2022

Nett und naiv

Der kleine Buddha auf der Reise nach Hause
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"Der kleine Buddha" ist ein kleines Büchlein mit netten Geschichten, wie man sie aus der Achtsamkeitspraxis oder auch aus psychologischen Ansätzen kennt, die die Wahrnehmung stärken sollen, essentielle ...

"Der kleine Buddha" ist ein kleines Büchlein mit netten Geschichten, wie man sie aus der Achtsamkeitspraxis oder auch aus psychologischen Ansätzen kennt, die die Wahrnehmung stärken sollen, essentielle Fragestellungen aus dem Leben mittels Gleichnissen aufwerfen und im besten Fall es ermöglichen, etwas für den eigenen Alltag und das persönliche Dasein mitzunehmen.
In diesem Fall muss ich feststellen, dass das Buch seine Aufgabe nicht schlecht macht, mich aber letztlich nur die "Geschichte des Nomaden" und der "Regenliebhaberin" wirklich überzeugt haben. Alle anderen Geschichten sind freundlich und angenehm zu lesen, hinterlassen aber keinen bleibenden Eindruck. Sicherlich kommt es gerade bei Texten dieser Art auch auf die persönliche Lebenssituation an, aber ich hätte mir insgesamt doch kraftvollere und subtilere Episoden gewünscht. Die offensichtliche Naivität und Verniedlichung des kleinen Buddha hat mich dazu tatsächlich eher genervt.
Sicherlich ein nettes, harmloses Buch, wenn man keinen allzu großen Erkenntnisgewinn erwartet, aber es gibt bessere Texte dieser Art.

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Veröffentlicht am 30.12.2021

Feelgood zur Weihnachtszeit

Geld oder Lebkuchen
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„Geld oder Lebkuchen“ ist ein sehr nettes Feelgood-Hörbuch für die Weihnachtszeit, dessen Handlung allerdings nicht sonderlich mitreißt oder überrascht – vielmehr bietet es von der Story her viel wohlig-warme ...

„Geld oder Lebkuchen“ ist ein sehr nettes Feelgood-Hörbuch für die Weihnachtszeit, dessen Handlung allerdings nicht sonderlich mitreißt oder überrascht – vielmehr bietet es von der Story her viel wohlig-warme Weihnachtatmosphäre, ein rundes Happy End und amüsante Figuren. Diese gewinnen mit Sicherheit sehr viel an Charakter und Eigenart, weil sie von Katja Danowski mit so viel Leben, einem Hauch norddeutschem Zungenschlag und (wenn nötig) auch blasiertem Schickimicki in der Stimme gefüllt werden. Man hat sofort konkerte Gesichter zu den Stimmen im Kopf, denn Menschen, die so sprechen, gibt es wirklich. Die Art der Lesung hat mich ehrlich gesagt sehr viel mehr begeistert und interessiert als die eigentliche Geschichte, die zwar humorvolle Momente und viel Gerechtigkeit aufweist, aber einfach nicht so recht Spannung aufzubauen vermag. Das einzige was mich an der Lesart von Katja Danowski gestört hat, waren ihre Kinderstimmen. Die Natürlichkeit und Authentizität, die sie den erwachsenen Figuren verleiht, fehlt den Kindern leider völlig. Hier wirkt es leider oftmals sehr aufgesetzt und übertrieben. Insgesamt aber ein unterhaltendes Hörbuch für die Weihnachtszeit.

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Veröffentlicht am 16.12.2021

Die Geschichte Vietnams hautnah erleben

Der Gesang der Berge
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Xin chào, Việt Nam! Der Gesang der Berge nimmt uns mit auf eine mitreißende, erschütternde, großartige Reise durch die Wirbelstürme der vietnamesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen ...

Xin chào, Việt Nam! Der Gesang der Berge nimmt uns mit auf eine mitreißende, erschütternde, großartige Reise durch die Wirbelstürme der vietnamesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen die junge Hoang (Spitzname Guave) und ihre Großmutter. Überhaupt ist dieser Roman ein Roman der starken Frauen, der sanfte Feminismus, der Mut zur Gleichberechtigung innerhalb der Familie, der ausgeprägte und hier nahezu als Selbstverständlichkeit dargestellte weibliche Bildungswunsch und -drang (in einer Zeit in der ein solcher in Europa z.B. häufig noch als Kuriosität angesehen wurde) lassen den Roman und die Erzählerinnen sehr modern und sehr erfrischend wirken und trotz seiner historischen Thematik äußerst gegenwärtig. Der Gesang der Berge ist ein Buch, das einfach sehr viel auch über das Heute zu sagen hat: über Risse und Verbundenheit in der Familie, über Vergangenheit und Zukunft, über Politik, Niedertracht und Egoismus, über Liebe, Hoffnung und Zusammenhalt.

Beim Lesen des Romans wird man wie ein Spielball durch die Widrigkeiten und leider sehr zahlreichen negativen Höhepunkte der vietnamesischen Geschichte getragen. Erzählt wird nicht chronologisch, Rückblicke der Großmutter in vergangene Zeiten wie z.B. die Landreform wechseln sich mit den Berichten der Enkelin über das zivile Leben im Schatten des Vietnamkrieges ab. Dabei spiegelt das Buch unglaublich gut in seiner Figurenkonzeption, seiner Erzählweise und seiner Kontextualisierung die Geschichte des Landes, seine Kultur und seine Werte wider. Der Roman ist häufig auf recht subtile Weise sehr kritisch, niemals ist die Ablehnung des politischen Systems plakativ oder plump, sie wird stets an Handlungen der Figuren oder Charakterisierungen angebunden.

Trotz der sehr tragischen Ereignisse, die sich hier auf der Inhaltsebene aneinanderketten, trotz der vielen verheerenden Einzelschicksale, die einen beim Lesen manchmal schon furchtsam in Erwartung des nächsten Schlages die Seite umblättern lassen, ist dieser Roman ein optimistischer und ein hoffnungsfroher. Bei aller Verzweiflung bleibt den Figuren und den Lesern immer der sprichwörtliche Silberstreif am Horizont – sicherlich auch einer der Gründe, warum man dieses Buch so ungern aus der Hand legen mag.

Ein toller, lehrreicher, horzionterweiternder Roman, der die Seele Vietnams offenzulegen versucht, bestechend besonders in der Darstellung der Zerrissenheit eines Landes, die sich bis in die Familien fortsetzt. Am Anfang vielleicht minimal verwirrend, wegen der vielen verschiedenen Figuren und auch zahlreicher vietnamesischer Ausdrücke, nimmt der Roman mit jeder Seite mehr Fahrt auf und lässt einen Teil der Familie von Guave und ihrer Großmutter werden.

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