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Veröffentlicht am 11.01.2020

Zeitreise vom Feinsten

Reliquiae - Die Konstantinopel-Mission - Mittelalter-Roman über eine Reise quer durch Europa im Jahr 1193. Nachfolgeband von "Der Troubadour"
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„...Unter allen dummen Idee, die ich jemals hatte, nimmt diese unzweifelhaft den Spitzenplatz ein. Was habe ich mir da nur wieder eingebrockt?...“

Währen Niki in der Gegenwart im Koma liegt, findet sein ...

„...Unter allen dummen Idee, die ich jemals hatte, nimmt diese unzweifelhaft den Spitzenplatz ein. Was habe ich mir da nur wieder eingebrockt?...“

Währen Niki in der Gegenwart im Koma liegt, findet sein Leben im Jahre 1193 statt. Gerade hat der päpstliche Legat Ronaldo von Verona Herzog Leopold von Österreich wegen der Inhaftierung von Richard Löwenherz exkommuniziert, da hat Niki die Idee, das sich dies doch sicher rückgängig machen ließe, wenn man in Konstantinopel eine wertvolle Reliquie finden und die dem Papst überreichen würde. Dann aber wird er selbst dazu bestimmt, mit nach Konstantinopel zu reisen -zu Fuß und durch den Balkan. Die Reaktion steht im Eingangszitat.
Der Autor hat erneut einen fesselnden und amüsanten historischen Roman geschrieben. Das Buch zeichnet sich unter anderen durch seine exakte Recherche aus. Sowohl das historische Wien, als auch Konstantinopel werden gut beschrieben.
Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Er unterstützt einerseits die teils rasante Handlung und bietet andererseits etliche Stellen zum Schmunzeln. Der 19 jährige Niki war im Vorgängerband in Dürnstein gelandet. Jetzt ist er erneut hier. Natürlich spielen seine Erfahrungen der heutigen Zeit in der Handlung eine Rolle. Sehr gekonnt finde ich seine Vergleiche zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Bei der Beschreibung der Begleiter des päpstlichen Legaten klingt das so:

„...Wie gut geschulte Leibwächter, dachte Niki. Fehlt nur noch der Knopf im Ohr, das Funkgerät und der Schulterhalfter...“

Sie sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der sich auf den Weg nach Konstantinopel macht. Ihr Führer ist Hadmar, der Sohn des Herzogs. Auch Engeltrud, genannt Engel, Nikis Freundin, lässt es sich nicht nehmen, ihn auf der Reise zu begleiten. Hadmar ist alles andere als begeistert. Doch die junge Frau wird sich als wichtige Stütze erweisen.
Ihr Weg ist gespickt mit Gefahren. Und die schweißen sie zusammen. Jeder bringt sich mit seinen Stärken ein.
Eine wichtige Stelle ist für mich die Situation, als Niki im Kampf erstmals einen jungen Mann tötet, der wenige Jahre jünger ist als er. Darauf war er nicht vorbereitet. Doch Hadmar belehrt ihn:

„...Er wusste genau, was er riskiert, wenn er hierher kommt. Töten oder getötet werden, Nikolaus. Darauf läuft es immer hinaus am Ende des Tages. […] Es wird immer jemanden geben, der mit Neid und Eifersucht auf unser Haus blickt, auf unsere Felder...“

Deutlich wird, dass Niki ab und an die Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation vermisst. Begriffe wie Ritterehre, die für Hadmar sehr hoch angesiedelt sind, sieht er mit kritischen Augen. Auch Niki wächst mit seinen Aufgaben.
In den ersten Kapiteln des Buches werden an wenigen Stellen Informationen zu Reliquien und deren Bedeutung für die damalige Zeit kursiv eingeschoben. Spätestens in Konstantinopel wird klar, welcher Wirtschaftsfaktor sie außerdem sind.
Nebenbei bemerkt lernen auch die anderen von Nikis Ausdrucksweise. Wie sonst käme der Ritter Joachim zu der folgenden Formulierung?

„...Ich würde sagen: Wir machen ihnen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können...“

Das Buch enthält gut ausgearbeitete Dialoge, lässt Raum für selbst tiefe Emotionen der Protagonisten und beschränkt sich bei den Kämpfen auf das Wesentliche, ohne sich im Detail der damals grausamen Verletzungen zu verlieren.
Es gäbe zu dem Buch sicher noch eine Menge zu sagen. Die vielen Feinheiten, zu denen auch die Anspielung auf Literatur unserer Zeit wie Asterix gehören, möge der künftige Leser selbst entdecken. Nikis Lieder im Wiener Dialekt unter anderem von Rainhard Fendrich sind vom Feinsten.
Je eine Karte von Europa und dem Byzantinischen Reich schmücken die inneren Umschlagseiten.
Ein ausführliches Nachwort trennt Realität von Fiktion.
Das Buch hat mich ausgezeichnet unterhalten und mir gleichzeitig eine Menge an Wissen vermittelt. Ich freue mich auf Fortsetzungen.

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Veröffentlicht am 09.01.2020

Schönes Lebensbild

Wiener Lebensspiel
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„...Besonders erfreut schien dieser über jenen hellen und im Vergleich zum Körper der Mutter, dem er gerade zuvor entrissen worden war, kalten Ort nicht zu sein. Und so startete er, wie es sich für einen ...

„...Besonders erfreut schien dieser über jenen hellen und im Vergleich zum Körper der Mutter, dem er gerade zuvor entrissen worden war, kalten Ort nicht zu sein. Und so startete er, wie es sich für einen Wiener gehört, mit einem grundgrantigen ersten Protestschrei in sein Leben...“

Die Rede ist von Eduard Tauber, dessen Geburt im obigen Zitat geschildert wird. Während ich als Leser die Geburt von der ersten Wehe bis zum ersten Schrei verfolgen darf, wird parallel dazu die große Politik geschildert. Eduards Geburtstag fällt mit den Sturm auf den Wiener Justizpalast zusammen. Bei diesem Ereignis steht Alois Mitterhuber an der Seite. Beider Lebensweg sollte sich später kreuzen.
Der Autor hat auf eine sehr eigene Art das Leben des Eduard Tauber lebendig werden lassen. Die Geschichte lässt sich flott lesen und hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Das liegt an den ungewöhnlichen Schriftstil. Er lässt sich schlecht in Worte fassen. Locker und leicht trifft es nicht ganz. Es schwingt eine gewisse Kindlichkeit und Naivität mit. Das ist auf keinem Fall abwertend gemeint. Es gibt der Geschichte ein ganz eigenes Flair.
Eduard unterscheidet eines vom normalen Wiener. Er ist zu freundlich, wie es sein Opa ausdrückt.
Der Junge erlebt eine schöne Kindheit. Vom Vater wird er mit zum Fußballspielen genommen. Dessen Vereinskameraden treffen sich ab und an in Omas Schrebergarten.
Bei einem wichtigen Spiel trifft Eduard auf den Rängen Alois. Der findet Gefallen an dem aufgeweckten Jungen und ermöglicht ihn einen Zoobesuch in Wien. Es sollte nicht der letzte bleiben. Doch am Horizont ziehen dunkle Wolken auf. Die Oma erkennt das und formuliert:

„...Die Freundschaften waren eng und man hat sich an dem Wenigen gefreut, dass man gehabt hat, und das geteilt. Das hat die Mutter immer gesagt und die Oma hat dann in einem bedeutungsschwangeren Ton ergänzt: „Wer weiß, wie lange das noch so sein wird.“...“

Für Eduard geht auch im Krieg das Leben fast normal weiter. Er lernt einen Beruf und bleibt so erst einmal vom Kriegsdienst verschont. Dann aber verliert er seinen besten Freund.

„...Er hatte das Leben gesehen, das Leben, wie es auch sein kann, wenn es grantig ist. Und da er in Wien war, war das Leben natürlich hin und wieder grantig, so wie es die Wiener auch sind...“

Auch in der Nachkriegszeit macht er aus den Verhältnissen das Beste. Als Fußballspieler findet er beruflich Erfüllung. Dabei behält er einen Blick für die Nöte in seiner Umgebung.

„...Die Oma hat immer zum Eduard gesagt, dass Geben seliger ist als Nehmen. Und in diesem Moment spürte er genau, was die Oma damit gemeint hat...“

Besonders gefallen hat mir der feine Humor, der Wiener Eigenarten gekonnt auf die Schippe nimmt und anhand von Eduards Leben zeigt, dass es auch anders geht. Es ist ein Leben mit Höhen und Tiefen und doch ist in jedem Moment spürbar, dass der Protagonist ein zufriedener Mensch ist, der sich bemüht, den geraden Weg zu gehen.
Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen.

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Veröffentlicht am 07.01.2020

Der Wert der Freundschaft

Louisa. Und täglich grüßt das Chaos
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„...Ab heute bin ich, Louisa „Isi“ Winter, kein bemitleidenswerter Lappen mehr, sondern Fame. Angesagt. Cool. Nennt es, wie ihr es wollt, jedenfalls werde ich nicht mehr zu falschen Zeit in den falschen ...

„...Ab heute bin ich, Louisa „Isi“ Winter, kein bemitleidenswerter Lappen mehr, sondern Fame. Angesagt. Cool. Nennt es, wie ihr es wollt, jedenfalls werde ich nicht mehr zu falschen Zeit in den falschen Klamotten am falschen Ort sein und die falschen Sachen sagen...“

Klingt gut, was sich Isi zu Beginn der achten Klasse vornimmt. Ihr kommt entgegen, dass die Klassen neu zusammengestellt werden. Doch sie ahnt nicht, wie steinig ihr Weg werden wird und welche Umwege vor ihr stehen. Sie wird mit Oberzicke Clarissa zusammen in eine Klasse kommen. Und die hält von ihrem neuen Outfit gar nichts.
Die Autorin hat in amüsantes und trotzdem in die Tiefe gehendes Jugendbuch geschrieben. Die Geschichte lässt sich flott lesen. Sie könnte an jedem Ort spielen, so realistisch ist sie über weite Teile, wäre da nicht eine besondere Gabe, die Isi von ihrer Oma geerbt hat. Isi erzählt ihr erleben selbst. Ihr kommt zugute, dass sie über sichselbst lachen kann, auch wenn ihr oft nicht danach ist.
Isis Eltern sind Anwälte. Da sie beruflich stark eingespannt sind, hält sich Isi häufig bei ihrer Oma auf. Als Leser spüre ich, dass die beiden ein gutes Verhältnis haben. Deshalb fällt er Oma auch sofort auf, dass Isi von Blümchenkleidern auf schwarze Garderobe umgestiegen ist. Doch auch die Eltern haben eine Antenne dafür, wenn es ihrer Tochter nicht gut geht. Deshalb lassen sie sich zu deren 14. Geburtstag etwas ganz Besonders einfallen.
Isi kann schlecht mit den Sticheleien von Clarissas Clique umgehen. Die schule wird für sie zum Spießrutenlauf. Und wenn man besonders cool sein will, geht sicher um so mehr schief. Ganz anders ist da ihr Freund Tom. Er lässt sich von den Zicken nicht aus der Ruhe bringen und kontert gegebenenfalls geschickt.
Amüsant finde ich manch Einstellung der jungen Leute.

„...Lehrer sind ja einfach gestrickt: Wenn du keinen Ärger machst, mögen sie dich. Und wenn sie dich mögen, dann bist du klar im Vorteil...“

Herr Gambati, der neue Klassenleiter, unterrichtet Deutsch und Kunst und leitet die Theater-AG. Er möchte an der Schule ein Musical aufführen. Nicht nur Clarissa, auch Louisa hofft auf die Hauptrolle. Und dann gibt es noch Jo, der den männlichen Part spielen soll.
Dann bekommt Louisa zu ihrem 14. Geburtstag ein Handyspiel geschenkt. Es zeigt ihr ihre besondere Fähigkeit und es verändert Louisa. Sie selbst spürt kaum, wie sie mehr und mehr ähnliche Eigenschaften annimmt wie Clarissa.
Es ist ihr Oma zu verdanken, die ihr eine Geschichte erzählt und ihr damit deutlich macht, wie gefährlich ihre Entwicklung ist und wie wichtig wirkliche Freunde sind.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen.

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Veröffentlicht am 07.01.2020

Lesenswerte Lutherbiografie

Luther
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„...Das unterscheidet Luther von modernen Kirchenprominenzen und Politik – Influencern: dass er Popularität nicht mit Wirksamkeit verwechselte und immer mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen stand...“

Das ...

„...Das unterscheidet Luther von modernen Kirchenprominenzen und Politik – Influencern: dass er Popularität nicht mit Wirksamkeit verwechselte und immer mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen stand...“

Das Zitat stammt aus dem Vorwort zur Biografie von Luther. In 22 Kapiteln hat sich der Autor dem Reformator genähert und sein Leben dargestellt. Dabei ging es ihm auch darum, bekannte Legenden kritisch zu hinterfragen.
Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Häufig ist er recht locker gehalten. Das ändert sich, wenn sich der Autor theologischen Themen zuwendet. Hier bevorzugt er wissenschaftlich korrekte und logische Darstellung. An anderen Stellen wiederum treffe ich als Leser auf eine sehr bildhafte Sprache:

„...Sie ließen sich ahnungslos flussabwärts treiben, wo der tödliche Wasserfall auf sie wartete. Luther hoffte inständig, sie aus ihren sorglosen Träumereien aufwecken zu können...“

Auffallend ist schon von Beginn an die ausführliche Recherche des Autors. Dies zeigt sich insbesondere in der Verwendung vieler Originalzitate, nicht nur von Luther, sondern auch von anderen historischen Persönlichkeiten. Dazu gehört ebenso der Originalabdruck der 95 Thesen.
In den ersten Kapitel geht es um Luthers Kindheit und Jugend. Metaxas hält fest.

„...Einmal mehr war Luther nicht einfach der Bergarbeitersohn, sondern bereits mit 14 Jahren ein junger Mann mit Beziehungen und besten Zukunftsaussichten...“

Gleichzeitig werden die Vorläufer Luthers vorgestellt und die Päpste und ihre Dekadenz angeprangert. Als wesentliche Themen der Zeit spielen Humanismus und Scholastik eine Rolle.
Im Gegensatz zu vielen Theologen hat sich Luther ausführlich mit der Bibel beschäftigt. Er gab sich nicht mit vorgefertigten Meinungen zufrieden.
Seine Thesen waren als Diskussionsgrundlage für theologische Dispute gedacht. Luther ging es um eine für die damalige Zeit ungewöhnliche wissenschaftliche Denkweise. Er legte Wert darauf, dass getroffene Aussagen anhand der Bibel zu beweisen waren. Das aber ging beim Thema Ablasshandel gar nicht. Luthers Denk- und Arbeitsweise wird sehr anschaulich und gespickt mit vielfältigen Zitaten wiedergegeben. Gleichzeitig wird deutlich, dass er von mancher Entwicklung faktisch ungewollt überrollt wurde. Der Buchdruck machte es möglich, dass seine Schriften weit verbreitet wurden. Das war von ihm eigentlich anfangs nicht so geplant. Einer seiner festen Standpunkte war:

„...Wenn die Bibel zu einem bestimmten Punkt etwas anderes sagte als die Konzile und die Päpste, dann waren es die Konzile und die Päpste, die im Irrtum waren und ihre Positionen korrigieren mussten...“

Das allerdings stieß der Geistlichkeit sauer auf. Schwierig wurde es, als sich nicht nur die katholische Kirche gegen ihn stellte, sondern auch Diskrepanzen in den eigenen Reihen auftraten. Ein Thomas Müntzer ging den radikalen Weg. Karlstadts Vorstellungen waren mit Luthers Ansichten ebenfalls nicht kompatibel. Erasmus von Rotterdam ging eigene Wege. Zwingli hatte speziell zum Thema Abendmahl eine andere Ansicht. Hier zeigte sich allerdings, dass Luther extrem stur sein konnte. Er hat Zwinglis ausgestreckte Hand eiskalt abgewiesen.
Nicht immer gehe ich mit den Argumenten des Autors mit. Das betrifft insbesondere den Bauernkrieg und Luthers Schriften über die Juden.
Von den gestreiften theologischen Grundfragen werden insbesondere der Begriff der Gnade und Luthers Einstellungen zu Freiheit und freien Willen vielfältig beleuchtet.
Das letzte Kapitel des Buches belegt, welche Auswirkungen Luthers Wirken für die nachfolgenden Generationen hatte.
Zwei historische Karten, eine Zeittafel, Anmerkungen, eine Bibliographie und ein Index ergänzen das Buch.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es zeichnet eine umfangreiches Gemälde der Zeit der Reformation mit all ihren Auswirkungen.

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Veröffentlicht am 05.01.2020

Bewegende Geschichte

Jos Story
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„...Je mehr sich Alina von meiner Ehefrau zu meiner Chefin wandelte, desto mehr verlor sie den Respekt vor mir. Wann immer ich ihr sagte, sie solle langsamer machen, weniger Aufträge annehmen, sich mehr ...

„...Je mehr sich Alina von meiner Ehefrau zu meiner Chefin wandelte, desto mehr verlor sie den Respekt vor mir. Wann immer ich ihr sagte, sie solle langsamer machen, weniger Aufträge annehmen, sich mehr um die Kinder kümmern, wurde sie wütend...“

In Joys Ehe ist Eiszeit eingekehrt. Der Wendepunkt kam mit dem Tod von Alinas Vater. Seitdem zählt für Alina nur noch die Schreinerei, die sie von ihrem Vater geerbt hat. Sie überhäuft Joy mit Aufträgen. Die Zwillinge sehen sie meist nur am Abend. Ansonsten werden sie bei Joys Geschwistern geparkt.
Dann eskaliert die Situation. Alina schmeißt Joy aus der Wohnung. Der fährt nach München und baut sich dort ein neues Leben auf. Jedes Wochenende besucht er allerdings seine Söhne. Dabei erfährt er, dass Alina schwanger ist - nicht von ihm.
Die Autorin hat einen tiefgründigen Roman geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen.
Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Joy ist ein tief verunsicherter junger Mann. Er steckt voller Schuldgefühle. Die Ursache liegt in seiner Kindheit. In mehreren Kapiteln gibt es einen Rückblick in diese Zeit.
Sein älterer Bruder Alex ist Kinderarzt. Seine Frau arbeitet beim Jugendamt. Alex hatte sein Leben lang ein Auge auf Joy. Er war ihm Ratgeber und Helfer. Deshalb fällt es Joy nach wie vor schwer, Entscheidungen zu fällen, ohne Alex zuvor zu kontaktieren.
Der Schriftstil ist ausgefeilt. Passende Sprachbilder loten die psychischen Tiefen der Protagonisten aus.Joy fühlt sich in München wohl. Er hat Freunde. Seine Arbeit mit behinderten Jugendlichen ist für ihn nicht mehr Pflicht, wie es die in der Schreinerei war, sondern Erfüllung.
Doch dann trifft ihn der nächste Schicksalsschlag. Alina kommt bei einem Autounfall ums Leben. Jetzt ist er nicht nur für seine beiden Jungen verantwortlich, sondern auch für Emma, die vor kurzem geborene Tochter seiner Frau. Zu den stilistischen Höhepunkten gehört das Gespräch mit Robin. Sein Neffe möchte, dass er Emma behält.

„...Ich kann all das, was in den letzten Wochen auf mich eingestürmt ist, nicht von heute auf morgen verarbeiten und die richtigen Entscheidungen treffen. Das kann ich nicht. Das kann niemand...“

Als sich Joy ein Wochenende mit seinen Freunden in München gönnt, wird Emma entführt. Joy gibt sich die Schuld. Seine innere Zerrissenheit nimmt zu. Er verletzt die Menschen, die ihm helfen wollen. Besonders hart trifft es seine Schwester. Sie hatte auf Emma aufgepasst. Es ist immer wieder Alex, der ihn auffängt und ihm gegebenenfalls den Kopf wäscht.
Das Wichtigste, was ihm momentan noch Halt gibt, sind seine Söhne. Die Rückblicke in die Vergangenheit zeigen, dass Joy sonst zu Depression neigt. Er kämpft darum seine Wut, die eigentlich eine Wut gegen sich selbst und seine Schuldgefühle ist, in den Griff zu bekommen.
Und er begreift in dieser Zeit, was ihm Emma bedeutet.
An seltenen Stellen schwingt ein feiner Humor in der Geschichte mit.

„...Ich stand im Bad und kämpfte mit der Krawatte. Ich hasste diese Dinger. Wer immer diese Kulturstricke erfunden hatte, musste meiner Meinung nach geistesgestört gewesen sein. Wer band sich schon selbst einen Strick um den Hals?...“

Das Buch verfügt über einen hohen Spannungsbogen. Der ergibt sich aus der inneren Konstellation der Protagonisten. Letztendlich geht es um die Frage, ob es Joy gelingt, seine Schuldgefühle zu überwinden, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen und seine Vergangenheit nicht mehr seine Leben bestimmen zu lassen. Es sind die dunklen Stunden, die seine Entwicklung voranbringen. Durch die Hilfe seiner Familie lernt er zu begreifen, was er kann, was er hat und woran er unbedingt festhalten sollte.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es hat mein Interesse an den beiden Büchern geweckt, die das Leben seiner Geschwister zum Inhalt haben.

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