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Veröffentlicht am 12.08.2018

Ungewöhnlicher Schriftstil

Das Sacher
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„...Der Tod, geschmeidig, etwas zu dünne Glieder im schwarzen Anzug, eine erkaltete Zigarette im Mundwinkel, streifte umher, durchaus nicht ziellos.
Sie, die Liebe, bewegte sich kokett am Lärm und Schmutz ...

„...Der Tod, geschmeidig, etwas zu dünne Glieder im schwarzen Anzug, eine erkaltete Zigarette im Mundwinkel, streifte umher, durchaus nicht ziellos.
Sie, die Liebe, bewegte sich kokett am Lärm und Schmutz der großen Stadt vorbei ins goldene Licht des Vestibüls im Hotel de l`Opera, das in wenigen Jahren „Sacher“ heißen würde...“

Wir schreiben den 28. November 1892. Im Hotel l`Opera kommen Martha und Maximilian Aderhold an. Das junge Paar hatte vor wenigen Tagen einen Verlag in Berlin gegründet.
Im gleichen Hotel wohnen Prinz und Prinzessin von Traunstein. Die junge Prinzessin und Martha wechseln einen Blick.
Eine Etage obendrüber sitzt Franz Sacher am Bett seines Sohnes. In wenigen Stunden wird er seinen Sohn und Anna Sacher ihren Mann verlieren.
Die 11jährige Marie Stadler arbeitet im Hotel. Sie wird an diesem Abend verschwinden. Alle Suche bleibt ergebnislos.
Die Autorin hat einen beeindruckenden historischen Roman geschrieben. Die obige Einführung stellt die wichtigsten Personen der Handlung vor. Doch das Besondere des Buches ist nicht nur der Inhalt, sondern vor allem der Schriftstil. Der hat mich sofort in seine Bann gezogen.
Das Eingangszitat stammt aus dem Prolog. Es stellt zwei Protagonisten vor, die wie eine roter Faden immer wieder im Handlungsverlauf auftauchen, dann eher wie Zuschauer wirken und doch unsichtbar, aber entscheidend in die Handlung eingreifen. Liebe und Tod sind die wesentlichen Akteure der Geschichte.
Anna Sacher gelingt das Unwahrscheinliche. Sie darf als Frau das Hotel weiterführen. Sie wird es einige Jahre später umbenennen. Welchen Rang sie in Wien erreicht, kommt in dem folgenden Zitat zum Ausdruck:

„...Russisch, Polnisch, Tschechisch, Serbisch, Ungarisch, Österreichisch, Jiddisch. Wien war der Schmelztiegel. Und im Sacher kam zusammen, was sich im Vielvölkerstaat Österreich argwöhnisch auf Abstand hielt....“

Über die Verstrickungen und komplexen Beziehungen zwischen Martha, Maximilian und den Ehepaar von Traunstein möchte ich nicht näher eingehen. Sie ermöglichen aber der Autorin, die historischen Veränderungen zu thematisieren. Bis 1918 darf ich die Lebensläufe der Protagonisten verfolgen. Deutlich wird, wie sich diese Generation von den Anschauungen der Eltern abkoppelt und eigene Wege geht.
Die Autorin gliedert das Buch in drei große Abschnitte: der Tod, das Leben, die Liebe. Dazwischen werden ab und an ein paar Jahre ausgespart. Es ist eine Ironie der Handlung, dass gerade im letzten Teil der Tod die Hauptrolle spielt, denn es sind die Jahre des Ersten Weltkrieges.
Politische Diskussionen spielen genauso eine Rolle wie das Thema Literatur.
Der Schriftstil ist sehr detailliert. Handlungsschritte folgen logisch aufeinander. Dialoge sind gekonnt ausgearbeitet und vielschichtig. Manchmal sind es fast philosophische Inhalte, die besprochen werden. Das folgende Zitat steht als Beispiel dafür:

„...Der Frieden scheint niemanden zu interessieren, wenn Frieden ist...“

Es ist eine Zeit voller Widersprüche. Genau das wird durch den Handlungsverlauf deutlich. Ewiggestrige treffen auf junge Leute mit neuen Gedanken. Die Frauen wollen eigene Wege gehen und stellen sich gegen alte Zöpfe. Die Jahrhundertwende birgt Hoffnung und trägt doch schon den Keim des Krieges in sich.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ein Zitat möge meine Rezension beenden, dessen erster Satz bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat:

„...Kein Problem hat sich je durch einen Krieg gelöst! Und die europäischen Staaten stehen sich wie Raubtiere gegenüber...“

Veröffentlicht am 11.08.2018

Spannender historischer Krimi

Mord im Balkanexpress
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„...Ich will über alles informiert sein, hörst du? Über alles, was du in dieser Sache denkst und tust. Wenn du meinst, du müsstest etwas unternehmen, einverstanden. Aber schließ mich nicht aus...“

Wir ...

„...Ich will über alles informiert sein, hörst du? Über alles, was du in dieser Sache denkst und tust. Wenn du meinst, du müsstest etwas unternehmen, einverstanden. Aber schließ mich nicht aus...“

Wir schreiben das Jahr 1895. Die Schauspielerin Christine Mayberger lässt sich zum Burgtheater fahren. Dort findet eine Gala zur Inthronisation des neuen Intendanten Ferdinand Hackenberg statt.
Alles, was Rang und Namen hat, ist vertreten. Man wartet auf den Kaiser. Doch kurz bevor der erscheint, explodiert in einem Servierwagen eine Bombe. Christine überlebt, der neue Intendant nicht. Albrecht Prinz von Schwarzenburg-Rudolstadt, Neffe des Kaisers, deutscher Agent und Freund von Christine, fährt sofort nach Wien, als ihm die Nachricht vom Selbstmordattentat erreicht.
Die Autoren haben einen spannenden historischen Krimi geschrieben. Die Geschichte lässt sich gut lesen.
Im Mittelpunkt stehen Albrecht und Christine, eine Gruppe von Anarchisten und Lazar, der serbische Oberst der Geheimpolizei.
Kurz nach dem Attentat lassen mich die Autoren wissen, dass Christine und Albrecht schon mehrmals zusammen als Agenten tätig waren. Auch in diesen Fall lässt sich Christine nicht an den Rand schieben, wie das Eingangszitat beweist. Sie ist selbstbewusst, trifft schnelle Entscheidungen und hat eine Blick für ungewöhnlicher Ereignisse. Albrecht befindet sich im Ausland und muss deshalb auf politische Befindlichkeiten Rücksicht nehmen.
Der Schriftstil ist den historischen Gegebenheiten angepasst. Kurze Kapitel mit schnell wechselnden Handlungsorten und Personen, sorgen für einen hohen Spannungsbogen. Die politischen Verhältnisse sind genauso kompliziert, wie die persönlichen Beziehungen der Protagonisten. Wer da eigentlich wen benutzt, wird erst am Schluss vollständig klar. Im Wesentlichen besteht das Buch aus zwei Handlungssträngen, die sich an mehreren Stellen überlappen. Zum einen begleite ich als Leser Christine und Albrecht auf ihrem Weg von Wien nach Serbien, auf dem sie den Anarchisten folgen, zum anderen darf ich die Gedanken und Vorhaben der Anarchisten verfolgen. Bei letzteren ist man sich über das Vorgehen nicht immer einig. Die Gruppe ist sehr inhomogen zusammengesetzt, was Nationalität, Motiv, Intelligenz und Gewaltbereitschaft betrifft. Ab und an spielen dann noch Oberst Lazar und Oskar Glawatsch, österreichischer Agent, eine tragende Rolle. Spannend wird das Ganze auch dadurch, weil sich alle im gleichen zug befinden.
Gut ausgearbeitete Dialoge sorgen einerseits für einen Fortgang der Handlung, dienen aber andererseits ab und an zum Verschleiern des eigenen Vorhabens. Durch Christine werde ich außerdem in die Welt des Theaters mit ihren Intrigen eingeführt. Allerdings lerne ich dabei auch einiges über die Arbeiten, die einer Aufführung vorausgehen. Da das erste Attentat im Burgtheater stattfand, liegt die Vermutung nahe, dass jemand aus dem Theater über das Vorhaben Bescheid wusste.
Die Autoren verstehen es, Stimmungen gut wiederzugeben. Außerdem schwingt an einigen Stellen ein feiner Humor mit.
Zwei Karten in den inneren Umschlagseiten und ein Personenverzeichnis zu Beginn ergänzen die Geschichte. Ein kurzes Nachwort des Autors trennt Realität von Fiktion.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es werden erste Spannungen deutlich, die knapp 20 Jahre später zum Weltbrand führen.

Veröffentlicht am 09.08.2018

Glasklare Analyse

Eiszeit
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„...Die große Aufgabe dieses Jahrhunderts scheint mir zu sein, Feindbilder abzubauen und sich Realitäten zu stellen, statt mit einer westlichen Werteideologie Kreuzzüge anzuzetteln, die nirgendwo auf der ...

„...Die große Aufgabe dieses Jahrhunderts scheint mir zu sein, Feindbilder abzubauen und sich Realitäten zu stellen, statt mit einer westlichen Werteideologie Kreuzzüge anzuzetteln, die nirgendwo auf der Welt im Sinne von Menschenrechten und Menschlichkeit irgendetwas gebracht haben...“

Die Autorin analysiert in beeindruckender Art das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland. Dabei hinterfragt sie das Verhalten beider Seiten und zeigt auf, wo die eigentlichen Probleme liegen. In sechs Abschnitten widmet sie sich den wichtigsten Feldern der Weltpolitik.
Sie beginnt mit der Entwicklung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Dabei geht sie auf das Chaos unter Jelzin ein und zeigt, wie und warum sich die Politik Putins in den letzten Jahren geändert hat.

„...Bei uns besteht derzeit die Neigung, nur einen Teil der Geschichte zu erzählen und die Elemente wegzulassen, die nicht in das Bild vom friedlichen Westen und vom aggressiven Russland passen...“

Genau diese Elemente stellt die Autorin in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Einer der Schwerpunkte ist dabei die Osterweiterung der NATO. Die Vorgänge in Georgien und der Ukraine werden detailliert auseinander genommen. Sie weist mit Quellenangaben nach, wie der Wunsch nach Aufnahme von außen gekonnt stimuliert wurde.
Das Thema Syrien nimmt ebenfalls einen weiten Raum ein. Auch hier wird belegt, dass die Massenmedien nur einen Teil der Wahrheit erzählen.
In einem Kapitel setzt sich die Autorin mit der Frage auseinander, wer wen bedroht. Sie vergleicht die Rüstungsausgaben, die Stärke des Militärs und die Militärbasen.
Sehr gekonnt spielt die Autorin mit dem Worten Aktion und Reaktion. Mehr und mehr wird dabei deutlich, dass das Verhalten Russlands eine Reaktion auf die Aktionen der NATO sind.
Ihre Schlussfolgerung klingt hart:

„...Der Westen ist zu echten Kompromissen nicht mehr in der Lage, weil er die eigene Weltsicht für alternativlos hält. Das hat was von missionarischen Eifer, der schon immer das beste Rezept war, um große Katastrophen herbeizuführen...“

Doch die Autorin analysiert nicht nur die Situation. Sie bezieht historische Vergleiche ein und macht Vorschläge, wie ein Aufeinander – zu – gehen aussehen könnte. Ein Vorbild dafür ist für sie die damalige Entspannungspolitik von Willy Brandt.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.

Veröffentlicht am 07.08.2018

Klasse Krimi

Das letzte Schweineohr
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„...Diese total fanatischen Frauen existieren doch überall auf der Welt. Die, die selbst beim Tanzen versagt haben und daher jetzt alles dafür geben, dass ihre kleinen Lieblinge im Rampenlicht stehen...“

Linn ...

„...Diese total fanatischen Frauen existieren doch überall auf der Welt. Die, die selbst beim Tanzen versagt haben und daher jetzt alles dafür geben, dass ihre kleinen Lieblinge im Rampenlicht stehen...“

Linn nimmt an einem Tanzkurs teil. Dabei hört sie, wie sich eine Mutter aufregt, dass ihre Tochter nur in der zweiten Reihe tanzen darf. Kira, die Tanzlehrerin, bleibt bei ihrer Meinung. Wenige Tage später kommt Linn dazu, wie Kira fast erhängt gefunden wird. Die schnelle Reaktion sorgt dafür, dass sie noch lebt und ins Krankenhaus kommt.
Die Autorin hat erneut einen unterhaltsamen Krimi geschrieben.
Linn ist Deutsche und lebt nun in Kanada in einer WG. Dort arbeitet sie in einem Cafè. Dummerweise stolpert sie aber gern in Kriminalfälle. Bas, Polizist und ihr Freund, ist davon nicht begeistert.
Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Dazu trägt auch bei, dass es eben nicht nur um die Ermittlung des Täters geht, sondern dass ich auch Linns alltägliches Leben in der WG verfolgen darf. Außerdem erfahre ich in den vielen gut ausgearbeiteten Gesprächen eine Menge über die Unterschiede des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland und Kanada. So wusste ich nicht, dass viele Krankenkassen in Kanada keine Medikamente bezahlen. Das kann bei chronischen Erkrankungen richtig teuer werden. Deshalb war es für Kira auch ein Schock, als bei ihr Prädiabetes diagnostiziert wurde.
Schnell stellt sich heraus, dass Kira keinen Selbstmord begangen haben kann. Die Verletzungen weisen auf Fremdeinwirkungen hin. Die Zahl der möglichen Täter ist von Anfang an sehr hoch. Dazu gehören die übereifrigen Mütter, ein Nachbar, dem das Tanzstudio schon lange ein Dorn im Auge ist, und Gloria, Kiras Partnerin. Das sind bei weitem noch nicht alle.
Die Geschichte durchzieht ein feiner Humor. Dafür sorgen Engelchen und Teufelchen, die sich gedanklich auf Linns Schultern befinden und ihr Verhalten oft gegensätzlich kommentieren. Auch das folgende Zitat steht für die amüsanten Stellen:

„...Es sind immer die Männer, die uns an den Rand des Wahnsinns treiben...“

Immer wieder gern lese ich Linns geschickte Art, Menschen Informationen zu entlocken. Sie geht auf jeden ganz speziell ein, zeigt Verständnis und durchbricht so das Schweigen.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist eine gekonnte Kommunikation aus spannender Ermittlung, Leben in einer WG und Wissensvermittlung über Kanada.

Veröffentlicht am 07.08.2018

Gelungener Abschluss

Das Erbe der Tuchvilla
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„...Du möchtest alle Probleme einfach mit der Hand wegwischen, wie man eine beschlagene Fensterscheibe sauber wischt. Der Frost ist weg, die Sicht ist klar - aber die Kälte dahinter verschwindet nicht...“

Wir ...

„...Du möchtest alle Probleme einfach mit der Hand wegwischen, wie man eine beschlagene Fensterscheibe sauber wischt. Der Frost ist weg, die Sicht ist klar - aber die Kälte dahinter verschwindet nicht...“

Wir schreiben das Jahr 1920. Paul Melzer hat in Augsburg zusammen mit Ernst von Klippstein die Leitung der Tuchfabrik übernommen. Es geht aufwärts. Deshalb richtet Paul für seine Frau Marie ein Atelier ein. Dort kann sie Garderobe entwerfen, herstellen und verkaufen. Allerdings ist Pauls Mutter Alicia von Anfang an dagegen. Sie lässt keine Möglichkeit aus, gegen Marie zu sticheln. Dafür stellt sie ohne Rückfrage Serafina von Dobern als Kindermädchen ein. Damit eskaliert die Situation. Kitty ist die erste, die die Villa verlässt, Marie wird ihr bald folgen.
Auch der letzte Teil der Trilogie gibt es einen guten Einblick in die Zeitverhältnisse und in das Leben einer Fabrikantenfamilie. Die Geschichte lässt sich flott lesen.
Der Schriftstil ist ausgereift. Das Eingangszitat ist eine Aussage von Marie gegenüber Paul. Der geht mir von Seite zu Seite mehr auf die Nerven. Anstatt seiner Frau beizustehen, zieht er gegenüber seiner Mutter den Kopf ein, nimmt sich ihrer Argumente an und versucht, deren Willen durchzusetzen. Dabei verschließt er die Augen gegenüber den Manipulationen von Serafina, die sich sehr viel herausnimmt und glaubt, sich über die anderen Bediensteten erheben zu können.
Entgegen kommt ihr dabei, dass Pauls Zwillinge sich nicht so entwickeln, wie er es gern hätte. Seine Tochter Dodo interessiert sich für Technik und Flugzeuge, sein Sohn Leo spielt mit Begeisterung Klavier. Das stellt für Paul die Welt auf den Kopf. Er hätte es gern umgekehrt, denn Leo soll eines Tages die Fabrik übernehmen. Dass Serafina mit körperlichen Misshandlungen erzieht, die so geschickt gehandhabt werden, dass sie nicht auffallen, bekommen weder Paul noch Marie mit. Das folgende Zitat stammt von Serafina:

„...Kinder sollten frühzeitig lernen, die Wünsche ihrer Eltern zu respektieren...Das mag ihnen nicht gefallen, ist aber eine Notwendigkeit...“

Kittys lockerleichte Art muss man nicht mögen. Sie ist aber diejenige, die die Probleme unverfälscht sieht und anspricht.
Elisabeth, die älteste Tochter, verlässt Pommern, stellt ihre Mutter auch für ungeahnte Herausforderungen, als sie wieder in der Tuchvilla erscheint.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es ist ein gelungener Abschluss der Trilogie.