„Eiszeit“ von Gabriele Krone Schmalz (GKS) habe ich sehr gern gelesen und empfehle weiter, insb. an diejenigen, die sich mit der Thematik noch nicht so intensiv auseinandergesetzt haben und ihre Meinung über Russland und damit verbundenen Konflikte aus Leitmedien erfahren. Für solche Leser kann das Buch zum Augenöffner werden, denn GKS füllt in ihrem Buch die Lücken aus, die die Meinungsmacher in den letzten Jahren durch ihre einseitige und fragmentierte Berichterstattung hinterlassen haben. Das Buch liefert viel mehr als man vermutet: Daten, Fakten, Hintergründe, Ursachen der Konflikte, Zusammenhänge, messerschafte Analysen uvm. Großes Kino.
Die Art der Stoffdarbietung ist optimal: GKS schildert nicht nur die fehlenden Puzzleteilchen der Konflikte in Syrien, Ukraine, Georgien (Blitzkrieg 2008) usw., sie ergänzt das Erzählte durch Vorgeschichten, um die Lage verstehen zu können, durch Nennung von Russlands geopolitischen Interessen und damit verbunden Unsicherheiten und Risiken. GKS stützt zudem ihre Ausführungen auf zuverlässige Quellen, u.a. den Dokumenten der Wikileaks, die mal als secret eingestuft waren. So ergibt sich Gesamtbild der komplexen Situationen, die ihre Wurzeln in der Geschichte und der Politik haben.
Im Kap. „Wer bedroht wen“ geht GKS auch auf die heutige angespannte Situation ein und führt bildhaft vor Augen, anhand konkreter Beispiele, die gefährliche Vorgehensweise des Westens, die seit geraumer Zeit praktiziert wird, z.B.: Russland wird in Sachen NATO-Osterweiterung oft vor beschlossene Tatsachen gestellt und so getan, als ob russische geopolitische Interesen nicht von Belang wären und nicht berücksichtigt werden müssten. So entsteht tiefes Misstrauen auf beiden Seiten, das bereits zu Konflikten und Auseinandersetzungen geführt hat und noch sehr gefährlich werden kann.
GKS messerscharfen polit. Analysen, die Probleme aufs Korn nehmen und wie nebenbei vieles richtig stellen, haben mir viel Respekt abverlangt.
GKS beschränkt sich aber nicht darauf, das Vorgehen des Westens zu kritisieren und die Dreistigkeit mancher Politiker vor Augen zu führen: Die mehr als fragwürdigen Machenschaften von McCain und H. Clinton sorgen dabei für manche brisante Informationen, u.a. wie viel USD an Steuergeldern in die Finanzierung des ukrainischen Konflikts und anderen „Demokratisierungsprozessen“ geflossen sind, uvm.
GKS schlägt Lösungen, Auswege aus der heutigen Situation vor. Die Studie des Harvard Professors Stephen M. Walt stellt hier eine gute Grundlage dar. Sehr interessante Ausführungen, die vom Westen genau das Gegenteil der gegenwärtigen Handhabe der Beziehung zu Russland fordern.
Nach jeder Ausführung eines Sachverhalts stellt GKS Fragen, um dem Leser die Chance zu geben, selbst die Schlüsse zu ziehen und zu eigenem, tieferen Verständnis der Lage zu kommen. Diese Fragen habe ich genossen! Stets auf den Punkt, manchmal mit einer Prise feiner Ironie. Großartig!
Die dt Leitmedien kommen bei GKS nicht so gut weg: Sie schildert anhand von vielen konkreten Beispielen, wie diese durch ihre fetzigen Schlagzeilen und lückenhafte Schilderungen die ohnehin gefährliche heutige Situation anheizen und insg. die Hetze gegen Russland aktiv vorantreiben.
Kostproben: „Bei uns besteht derzeit die Neigung, einen Teil der Geschichte zu erzählen und die Elemente wegzulassen, die nicht in das Bild vom Friedlichen Westen und vom aggressiven Russland passen. Wer aber die eigenen Handlungen unerwähnt lässt und nur die Reaktionen Russlands benennt, der verwischt Ursache und Wirkung und verfehlt den bereits erwähnten Erfahrungshintergrund, vor dem die russische Politik handelt. Wenn daher in diesem Buch die Aktionen des Westens im Vordergrund stehen, dann nicht deswegen, weil Russland lediglich das wehrlose Opfer westlicher Aktionen wäre…, sondern weil der andere Erzählstrang bei und viel zu oft überhaupt keine Berücksichtigung findet.“ S. 28.
„Auch heute befinden sich die NATO und Russland wieder in einer Eskalationsspirale. Gegenseitige fehlerhafte Annahmen über die Absichten des jeweils anderen spielt dabei eine große Rolle. Wohin soll das führen? Ist es wirklich unvermeidlich, dass sich Spannungen immer weiter hochschaukeln? Mit allein damit verbundenen Risiken, bis hin zur versehentlichen Vernichtung der Welt durch einen Atomkrieg, den zwar keine Seite wirklich will, der aber durch eine Verkettung unglücklicher Umstände eben doch möglich ist.“ S. 228.
„Wollen wir wirklich darauf vertrauen, dass auch diesmal wieder irgendwie alles gut geht? Nehmen wir an, Putin würde entsprechende erste Schritte auf den Westen unternehmen – wären wir überhaupt noch in der Lage, sie als solche zu erkennen? Und gibt nicht normalerweise der Klügere nach? Wir halten uns doch eindeutig für die Klügeren, die moralisch Überlegenen, oder nicht? Dann müssten die Schritte zur Entspannung eigentlich vom Westen ausgehen. Zumal er in den letzten Jahren agiert hat, während Russland reagierte.“ S. 229.
GKS beschönigt nichts, die nennt die Dinge beim Namen, und was noch wichtiger, sie lässt nichts Relevantes aus: Ihre Schilderungen sind adäquat, differenziert, die Sachverhalte sind klar, logisch und leicht verständlich dargestellt, in einer aussagestärken, griffigen, knappen Sprache. Der Ton ist ruhig, besonnen, sachlich, auch bei all der Brisanz. Feine Ironie blitzt hier und dort durch. Herrlich.
Zu dem in den Leitmedien zu einem Helden aufgebauten Nawalny gibt es auch Pikantes, was man sonst von den Meinungsmachern nicht erfährt. Da drängt sich die Frage auf: Unter der Berücksichtigung seiner stark nationalistischen Gesinnung, und vielen anderen weniger heldenhaften Dingen, ob das so gut wäre, wenn er nach vorn käme.
Das letzte Kapitel ist auch toll:
„Wenn Denken in Zusammenhängen als Verschwörungstheorie denunziert wird, wer will dann noch abseits vom politisch akzeptierten Mainstream selber denken und das dann auch noch sagen? Aber selber denken gehört zur Demokratie, sonst ist diese Etikettenschwindel.“ S. 258.
„Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich zudem das journalistische Selbstverständnis gewandelt hat. Es geht nicht mehr in erster Linie darum zu informieren, sondern darum, die Menschen auf den „richtigen“ Weg zu bringen. Eine solche Haltung … scheint mir grenzwertig. Auf welches Recht könnten sich Journalisten in pluralistischen demokratischen - und nicht diktatorisch geführten – Gesellschaften dabei berufen? … Demokratie ist auf ein breites Meinungsspektrum angewiesen und darauf, dass angstfreie Debatten möglich sind. Es ist ein Jammer, dass dieser Luxus einer Demokratie von zwei Seiten in die Zange genommen wird. Auf der einen wettern rechte Demagogen und hasserfüllte Wutbürger, auf der anderen intolerante Mainstream-Journalisten und überhebliche Expertokraten, die alles zu wissen meinen, in den letzte Jahren immer wieder spektakulär danebenlagen.“ S. 259.
„Warum finden Bürger, die von den Sanktionen gegen Russland nichts halten und diese gerne abschaffen möchten, in den sogenannten etablierten Parteien keinen Resonanzboden, obwohl Einzelne dort die Sanktionen längst für eine fehlgeleitete Politik halten, sich aber nicht trauen, damit offensiv an die Öffentlichkeit zu gehen, weil sie sonst politisch kein Bein mehr auf die Erde bekämen?“ S. 261.
Ein gutes Buch ist gut auf jedes Seite. Gut wäre hier aber eine glatte Untertreibung: Es ist ganz große Klasse. Ein klares must read in diesem polit. Leseherbst.
Man muss kein Studium der Politikwissenschaften abgeschlossen haben, um diese Inhalte zu begreifen, jeder wird klarkommen, wer wissen will „Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist.“
Fünf wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung!