Hartes Leben auf Borkum anno 1775
Die Spur der Sehnsucht„...Mit dem Verstand konnte sie nicht so recht begreifen, dass es hinter der Linie zwischen Wasser und Himmel noch weiter ging. Und irgendwo dahinter fuhr das Schiff, auf dem ihr Ehemann gerade unterwegs ...
„...Mit dem Verstand konnte sie nicht so recht begreifen, dass es hinter der Linie zwischen Wasser und Himmel noch weiter ging. Und irgendwo dahinter fuhr das Schiff, auf dem ihr Ehemann gerade unterwegs war, auf den sie sehnsüchtig wartete. Wieder einmal...“
Sventje lebt auf Borkum. Wir schreiben das Jahr 1775. Ihr Ehemann Lian ist Walfänger. Sventje hofft, dass er zur Geburt ihres vierten Kindes rechtzeitig zurück ist.
Die Autorin hat einen bewegenden historischen Roman geschrieben. Der Schriftstil ist fein ausgearbeitet. Dadurch werden die Zeitverhältnisse erlebbar. Ab und an dürfen Einwohner auch im friesischen Dialekt reden. Die Geschichte wird in drei Handlungssträngen erzählt, die sich von Zeit zu Zeit überlappen.
Einmal erfahre ich durch Sventje vom harten Leben der Fischerfrauen. Wenn der Mann auf See ist, müssen sie allein zurecht kommen. Die Kinder helfen schon frühzeitig, sei es, dass sie Nahrung im Watt sammeln oder Treibgut aus der See holen. Hier wird die Zwiespältigkeit des Lebens deutlich. Einerseits ist Sventje froh über jedes Stück Treibgut, andererseits ist ihr dabei klar, dass in dem Moment Menschen auf dem Meer untergegangen und gestorben sind.
Der zweite Handlungsstrang führt mich an Bord eines Walfängers. Lian ist Offizier. Trotzdem ist das Leben schwierig. Jedes Unwetter kann für Schiff und Besatzung das letzte sein. Doch es gibt weitere Gefahren.
„...Bleiern lag die Silbermond auf dem spiegelglatten Meer, der Himmel eine endlose Weite aus Blau. Unter der Ruhe des Meeres verbarg sich eine Flaute, die die Besatzung mit Unbehagen erfüllte...“
Die Nahrung an Bord ist begrenzt. Außerdem sehnt sich jeder endlich nach Hause. Nebenbei lerne ich, wie die Wale verarbeitet werden.
Der dritte Handlungsstrang hat den Gutsherrn Valentin von Halversberg zum Mittelpunkt. Nach außen hin gilt er als Eismann, hart und unnachgiebig.. In verschiedenen Situationen wird deutlich, dass dies notwendig sein kann, um sich durchzusetzen.
„...Der Bäcker war blind und taub für alles und überzeugt von Fennas Schuld. Alles, was er denken konnte, war Rache an der Hebamme. Und das einzige, was Valentin dem entgegensetzen konnte, war die Sprache, die der Bäcker offensichtlich am besten verstand: Gewalt...“
Seine Drohungen geben Valentin die Möglichkeit, die Hebamme au der Gefahrenzone zu bringen. In seiner Brust aber schlägt ein liebendes Herz. Die Frau seiner Träume jedoch ist verheiratet und für ihn deshalb tabu. Ab und an gleiten seine Gedanken ins Philosophische ab:
„...Gewiss hätte es ohne den Tod kein Leben gegeben. Wäre nicht die Nacht gewesen, hätte es auch keinen Tag geben können. Ganz ohne Leid hätten die Menschen das Glück nicht zu schätzen und pflegen vermocht. Ja, sie hätten gar nicht gemerkt, was Glück eigentlich war...“
Kurze Blicke in die Vergangenheit beleuchten wie Schlaglichter die einstigen Begegnungen von Lian und Sventje bzw. von Valentin und Sventje.
Nicht nur die Winde über Land und See wirbeln das Leben der Protagonisten durcheinander. Es gilt, sich zu bewähren und die Hoffnung nicht aufzugeben. Auch der schöne Schein hat dunkle Seiten.
Es sind manche Gespräche, die einen Einblick in die Psyche der Protagonisten erlauben.
Fenna, die Hebamme, ist wie ein ruhender Pol, die sieht, wo Hilfe gebraucht wird und sich nicht scheut, Valentin darum zu bitten. Berührt hat mich das Gespräch der beiden über Kinder.
„...Ich war in Häusern, die von Licht geradezu durchflutet waren, und auch in Häusern, wo die Luft so dick von Hass erfüllt war, dass ich kaum atmen konnte. Was denken Sie, wie es einem Kind ergeht, das in so einem Haus aufwächst...“
Valentin wusste das nur zu gut.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Die raue Natur des Nordens bildet den Rahmen für eine spannende und inhaltsreiche Handlung. Ich freue mich auf die Fortsetzung.