Spannund und ungewöhnlich
Zerrüttung„...Es war ein wunderbarer Sonntag. Föhn hatte die Schleier des morgendlichen Nebels zerrissen, und Nechyba spürte an diesem 5. März zum ersten Mal, dass der Frühling nahte. Auf seinem
Spaziergang atmete ...
„...Es war ein wunderbarer Sonntag. Föhn hatte die Schleier des morgendlichen Nebels zerrissen, und Nechyba spürte an diesem 5. März zum ersten Mal, dass der Frühling nahte. Auf seinem
Spaziergang atmete er mehrmals tief durch und empfand tiefe Zufriedenheit mit Gott und der Welt...“
Wie immer war Nechyba auf den Weg ins Café Jelenik. Dort wartete nicht nur ein Kaffee, sondern auch die Zeitung auf ihn. Noch wusste er nicht, dass dieser 5. März 1933 dunkel in Erinnerung bleiben würde. Seit gestern war der österreichische Nationalrat beschlussunfähig. Außerdem waren diesem Tag Wahlen in Deutschland.
Der Autor hat einen spannenden historische Roman geschrieben. Der Schriftstil ist fein ausgearbeitet, der Aufbau des Buches allerdings ungewöhnlich. Drei Personen stehen im Mittelpunkt. Das ist zu meine der pensionierte Ministerialrat Nechyba, zum anderen der Kellner Engelbert Novak im Café Jelenik und zum dritten der Hausmeister Rudolf Loibelsberger.
Während ich erfahre, wie sich diese Personen verhalten, werden gekonnt Zeitungsausschnitte eingeflochten, die die politische Entwicklung in Deutschland und in Österreich wiedergeben. Dabei ist die Regierung in Österreich gerade dabei, sämtliche bürgerlichen Rechte abzubauen. Viele träumen von einem starken Mann, wie er in Deutschland gerade im Kommen ist. Gewalt auf der Straße bleibt nicht aus.
Ab und an durchsetzt ein feiner Humor die Geschichte.
„...Ein Wiener Ober, der sofort herbeieilte, wenn man ihn rief, hatte keine Berufsehre im Leib. Das konnte man Herrn Engelbert nicht nachsagen...“
Noch getrauen sich auch manche Zeitungen in Deutschland unverblümt ihre Meinung zu schreiben.
„...Deutschland ist nur noch ein geografischer Begriff. Aus den Reihen der zivilisierten Menschheit ist es gestrichen und nichts ist für dieses Land mehr übrig, solange es nicht die Herrschaft der Hitler und Göring abschüttelt, als Hass, Verachtung und Abscheu...“
Lange allerdings würde es solche Zeitungsartikel nicht mehr geben. Die Gedanken des Nationalsozialismus und des Antisemitismus schwappen sehr schnell nach Österreich über. Im Parteienspektrum ändert sich einiges. Aus Gegner werden Parteigenossen.
Engelbert hat Angst um seine Verlobte, die Jüdin ist. Zu viele Meldungen aus Deutschland, was mt jüdischen Frauen geschieht, die einen deutschen Freund haben, verunsichern ihn. Er will sie schützen und dringt er auf eine schnelle Heirat. Nechyba wird Trauzeuge.
Der Zerfall der Familie Loibelsberger ist ein Synonym für den Zerfall des Staates. Der Vater fällt immer wieder durch seine Unbeherrschtheit auf. Trotzdem gibt es Szenen, in denen deutlich wird, dass er seinen kleinen Sohn Erich mag.
Ein Personenregister und ein Glossar ergänzen das Buch. Außerdem gibt es Links zum virtuellen Zeitungslesesaal.
Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Sie zeigt auf besondere Weise, wie Österreich sich Schritt für Schritt von der Demokratie entfernt hat. Die politischen Ereignisse haben tief in die Familien eingegriffen.