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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.10.2022

Sehr einfühlsam

Auf Wiedersehen, kleiner Bruder
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„...Meine Mutter redet immer mit allen Menschen, sie sprudelt nur so. Wie eine Quelle, aus der Wasser blubbert. Paps ist wie ein Fischer. Er fischt die Worte erst vom Meeresgrund. Das dauert länger...“

Mit ...

„...Meine Mutter redet immer mit allen Menschen, sie sprudelt nur so. Wie eine Quelle, aus der Wasser blubbert. Paps ist wie ein Fischer. Er fischt die Worte erst vom Meeresgrund. Das dauert länger...“

Mit diesen kindlichen Worten beschreibt Leo seine Eltern. Leo lebt an er Küste Dänemarks. Er hat zwei jüngere Geschwister.
Die Autorin hat ein stimmige Kinderbuch geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen.
Durch die Wahl von Leo als Ich – Erzähler wird die Zielgruppe direkt angesprochen. Ab und an erfindet er völlig neue Worte wie „schleckmaulhungrig“.
Schnell tauche ich als Leser in das Familienleben von Leo ein. Sie unternehmen viel zusammen. Leo freundet sich mit Josie an. Sie ist erst vor kurzem zugezogen.
Doch kaum sind die ersten Ferientage vorbei, wird Leos kleine Bruder Paul krank. Er ist müde, hat keinen Appetit und klagt über Kopfschmerzen.
Dann stellt sich heraus, dass eine ernste Krankheit dahintersteckt. Noch gibt es Hoffnung. Trotzdem ist Leo wütend. Mir gefällt, wie behutsam der Vater mit seinem Sohn spricht. Er nimmt sich Zeit und macht ihm deutlich, dass viel passieren kann.

„...Niemand weiß, wie viel Zeit er hat. Ob man alt wird wie Frau Larsen, die schon hundert geworden ist, oder ob man jung stirbt. Keiner weiß das...“

Als klar wird, dass Paul sterben muss, nimmt sich die Familie Zeit für ihn. Trotzdem ist das für Leo nicht einfach.

„...Trotzdem bin ich sauer. Stinksauer. Warum musste ausgerechnet Paul krank werden? Mein kleiner Bruder?...“

Sehr berührend finde ich den wütenden Brief, den Leo an Gott adressiert. Josie steht Leo zur Seite. Sie weiß, was Verlust und Trauer bedeutet, denn ihr Vater ist verstorben.
Das Buch enthält sehr schöne Schwarz – Weiß - Illustrationen, die das Geschehen widerspiegeln und Raum für Emotionen lassen.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Einerseits zeigt auf, wie man mit Trauer und Verlust umgehen könnte, andererseits erlebe ich eine Familie, deren letzte Zeit mit ihrem Jungen voller bleibender Erlebnisse ist.

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Veröffentlicht am 24.10.2022

Gelungener Auftakt

Die Wintergarten-Frauen. Der Traum beginnt
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„...Lassen Sie sich ein Nacht lang aus ihrem Alltag entführen – bei uns ist nichts wirklich, aber alles ist echt, nichts gelogen, aber alles erfunden, nichts unschätzbar, aber alles unwiederbringlich...“

Mit ...

„...Lassen Sie sich ein Nacht lang aus ihrem Alltag entführen – bei uns ist nichts wirklich, aber alles ist echt, nichts gelogen, aber alles erfunden, nichts unschätzbar, aber alles unwiederbringlich...“

Mit diesen Worten lädt mich die Autorin selbst ein, in die Welt des Varieté und des Berliner Wintergartens einzutauchen. Sie aht einen spannenden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben.
Der Schriftstil hat mich begeistert. Die Autorin beherrscht das Spiel mit Worten und kreiert eine Einheit von Form und Inhalt.
Das Buch beginnt Heftig. Die 16jährige Nina wartet 1917 sehnsüchtig darauf, dass der Vater nach Hause kommt. Doch der Reiter, der vor dem Haus hält, bringt eine Todesnachricht.
Mittlerweile sind 4 Jahre vergangen. Oma Hulda und Carlo, Ninas Zwillingsbruder kümmern sich um das Gut. Sie wollen Reitpferde züchten. Hulda charakterisiert die Frauen der Familie so:

„...Meine Schwiegertochter ist ein Prinzesschen und meine Tochter ein Sperling – beide entzückend, aber ganz und gar lebensunfähig. Ich kann es mir schlicht nicht leisten, alt zu werden...“

Nina hat schon als Kind Theaterstücke auf dem Hof inszeniert. Nun macht ihr die Familie ein besonderes Geschenk. Vor allem Carlo glaubt, dass dies auch im Sinne ihres Vaters ist. Nina soll nach Berlin gehen und ihr Glück am Theater versuchen.
An ihrer Seite tauche ich tief in das Berlin der 20er Jahre ein. Alles ist möglich, so scheint es. Doch für Nina kommt eine harte Zeit. Sie muss sich durchbeißen. Eine Frau am Regiepult? Das geht gar nicht!

„...Theater ist eine Illusion, Theater ist ein Festival für die Sinne. Theater hat nichts mit Alltag und schon gar nichts mit Politik zu tun...“

Das galt viele Jahre. Aber die Zeiten haben sich geändert. Man will vergessen und sich amüsieren. Doch das Leben wird von Tag zu Tag teurer. Nina kann nicht nur ihrer Kunst leben, sie nimmt einen Job an.
Als Nina eine Aufführung im Wintergarten sieht, weiß sie, was sie will. Sie sucht sich Frauen und fördert deren Begabung. Sie bereitet eine Show vor. Mit ihnen will sie einen Vertrag im Wintergarten.

„...Es ist alles im Entstehen, im Fluss, noch nicht festgelegt. Ein Gebilde aus Leichtigkeit, dass sich jeder Zeit ändern kann, wenn einem eine bessere Idee kommt oder man die alte satt hat. So habe ich Theater gespielt, als ich ein Kind war...“

Es zeigt sich, dass Berlin ein Schmelztiegel vieler Nationen ist. Jede Person, mit der Nina arbeitet, stammt aus einer anderen Ecke der Welt. Es sind spannende Schicksale, die da erzählt werden.
Ganz nebenbei wird auch die aktuelle Politik gestreift.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.

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Veröffentlicht am 23.10.2022

Amüsanter Krimi

Nur Rita raste rasanter
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„...Jupp ließ die Zeitung endgültig sinken und sah seine Inge tadelnd an. „Falsch! Mit Martinshorn und Blaulicht auf dem Dach kann ich faktisch alles.“ „Aber doch nur in Notfällen!“ beharrte Inge. „Tja, ...

„...Jupp ließ die Zeitung endgültig sinken und sah seine Inge tadelnd an. „Falsch! Mit Martinshorn und Blaulicht auf dem Dach kann ich faktisch alles.“ „Aber doch nur in Notfällen!“ beharrte Inge. „Tja, was ist schon ein Notfall? Das definiert jeder Mensch anders“...“

Inge will endlich den Führerschein machen. Sie träumt von einer Autofahrt nach Paris. Doch dann ist ihr Fahrlehrer tot. Was nun?
Der Autor hat erneut einen amüsanten Krimi geschrieben. Auf Jupp wartet dieses Mal eine besondere Überraschung. Ole, ein schwedischer Kommissar, soll ihn eine Woche begleiten. Jupps Kumpel Waldi hat ihn geschickt und teilt dies Jupp mit.

„...Das kriegst du schon hin, mein lieber Jupp. Der Junge ist total motiviert, wissbegierig und sehr ehrgeizig...“

Das sind genau die Eigenschaften, die Jupp nicht für sich verbuchen kann. Und sich mit jemanden abzusprechen, gehört auch nicht zu seinen Kernkompetenzen. Während Ole Henriksen schnell auf den Punkt kommt, tut Jupp alles, um ihn auszubremsen.
Für die Tat kommen zum einen die Fahrschüler infrage, zum anderen wird in dem privaten Umfeld des Fahrlehrers recherchiert. Bei den Befragungen wird gelogen, dass sich die Balken biegen.
Ziemlich schnell redet Ole Klartext, als sich Jupp immer noch nicht kollegial benimmt.

„...“Henriksen, hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie zu viel denken?“ „Ich bin bei der Mordkommission“, erwiderte er grinsend. „da gehört Fragenstellen zum Berufsbild!“...“

Natürlich gibt es auch in Jupps privaten Umfeld wieder eine Menge an Problemen. Seine Schwiegermutter hat große Pläne. Und Inge hofft, dass ihr Jupp bei der Fahrprüfung hilft.
Die Geschichte lebt durch die zugespitzten Dialoge und Jupps Diskrepanz zwischen Anspruch und Können. So nach und nach arrangiert er sich mit Ole, wohl wissend, dass es ihn sonst den Job kosten könnte.
Es ist ein cleverer Schachzug, der die Fälle zum Abschluss bringt.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Jupp mit Partner war dabei eine völlig neue Konstellation.

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Veröffentlicht am 22.10.2022

Spannender historischer Roman

Die letzte Fehde an der Havel
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„...Das Dorf, in dem sie lebten gehörte dem Grafen von Ruppin, dem die Bauern zwar nicht hörig, aber abgabepflichtig waren. In den Urkunden der Grafschaft wurde die Siedlung unter dem Namen Luchow geführt...“

Carl ...

„...Das Dorf, in dem sie lebten gehörte dem Grafen von Ruppin, dem die Bauern zwar nicht hörig, aber abgabepflichtig waren. In den Urkunden der Grafschaft wurde die Siedlung unter dem Namen Luchow geführt...“

Carl und Rudi sind Freunde. Gemeinsam waren sie auf den Feldern unterwegs. Noch ahnen sie nicht, dass sich an diesem Tag ihr Leben für immer verändern wird.
Die Autorin hat einen spannenden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. Im Mittelpunkt steht zum einen Dietrich von Quitzow, der wirklich gelebt hat, zum anderen Carl.
Dem Roman ist eine Karte vorangestellt.
Der Schriftstil ist ausgereift und passt in die Zeit.
Wir befinden uns im Jahre 1401. In der Mark Brandenburg liegen die Adligen häufig miteinander in Fehde. Leidtragende sind die Bauern, aber auch die Kaufleute in den Städten.
Auch Luchow wird überfallen. Rudi stirbt, seine Schwester Anne wird geschändet. Carl, der aufbegehrt, wird mitgenommen. Anführer ist Dietrich von Quitzow. Er macht deutlich, was er von Bauern hält.

„...Ungewaschenes Gesindel, zu nichts zu gebrauchen. Eine Beleidigung fürs Auge. Diese unförmigen, farblosen Kutten!...“

Aus heutiger Sicht würde man Dietrich von Quitzow als Raubritter bezeichnen. Er macht Carl zu seinem Waffenknecht, nachdem der mehrmals bei Ausbrüchen gescheitert ist. Als Leser lerne ich nun das Leben auf einer Burg kennen, aber auch die Kampftechnik der damaligen Zeit. Zwischen Carl und Dietrich entwickelt sich eine Art Hassliebe. Carl will Rache für Annes Schändung, empfindet aber das Leben als Waffenknecht zunehmend als angenehm.

„...Der Krieg ist gnadenlos. Es geht um Leben und Tod. Ein Fehler, und du stehst nicht wieder auf. Aber der Lohn ist ungleich höher...“

Plötzlich hat Carl Geld in den Händen und muss sich nicht um seine Speise und Unterkunft sorgen. Töten wird sein Handwerk. Dann aber kommt mit Friedrich von Hohenzollern ein neuer Landesherr. Wird Carl seine Chance zur Flucht nutzen?
Es ist beeindruckend, wie die Autorin die Entwicklung ihrer Protagonisten aufbaut. Das gilt nicht nur für Carl, sondern auch für die Frauenfiguren im Roman. Nur einer scheint sich nicht zu verändern – Dietrich von Quitzow. Für ihn sind Menschen Spielfiguren in seinem Leben, die er gekonnt manipuliert und nach seinem Bilde formt.
Auch in Adelskreisen ist Treue kein Wert. Man folgt dem, der größere Beute verspricht.
Ein Personenregister und ein Nachwort ergänzen das Buch.
Die Geschichte hat mir sehr gtu gefallen.

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Veröffentlicht am 20.10.2022

Harte Kost

Das Wolfsmädchen
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„...Über 20000 verwahrloste deutsche Kinder flüchteten infolge des Zweiten Weltkriegs ab 1946 aus dem sowjetisch besetzten, nördlichen Ostpreußen nach Litauen, um nicht den Hungertod sterben zu müssen. ...

„...Über 20000 verwahrloste deutsche Kinder flüchteten infolge des Zweiten Weltkriegs ab 1946 aus dem sowjetisch besetzten, nördlichen Ostpreußen nach Litauen, um nicht den Hungertod sterben zu müssen. Man hat sie Wolfskinder genannt...“

Mit diesen Sätzen beginnt das Vorwort des Autors. Es deutet an, was einen als Leser erwartet. Ursula, eines der Wolfskinder, steht im Mittelpunkt. Das Buch ist eine Kombination aus Lebensbeschreibung und Sachbuch. Ursulas Geschichte wechselt mit Fakten zum Zeitgeschehen.
Das Buch ist keine leichte Lektüre. Die realistische Schilderung der Verhältnisse ist teilweise extrem heftig. Es war mir nicht bewusst, was Hunger mit Menschen machen kann.
Nach Vorwort und Einleitung erfahre ich als Leser einiges über die Historie von Königsberg. Dort wurde Ursula 1935 geboren. Schon früh kümmert sich das Mädchen um die jüngeren Geschwister. Das Verhalten der Mutter ist schwer verständlich. Der Vater ist im Krieg.

„...Warum ist ihre Mutter so gefühlskalt? Warum so egoistisch?...“

Nach der Bombardierung Königsbergs spitzt sich die Situation zu. Der Mutter wird die Abreise gen Westen nahegelegt, da sie vier Kinder hat. Doch sie lehnt ab. Das wird ihr Ursula ihr Leben lang nicht verzeihen, denn sie ist es, die sich mit ihren neun Jahren nun um Lebensmittel für die Familie kümmern muss.
Immer wieder untersetzt der Autor mit Zahlen und Fakten, was das Kriegsende für Königsberg bedeutete. Hier wird nichts beschönigt, die Verbrechen beim Namen genannt. Doch dazwischen gibt es kurze Episoden der Menschlichkeit.
Ursula gelingt es, mit dem Zug nach Litauen zu kommen. Dort kann sie sich satt essen. Litauen gilt unter den Wolfskindern als das gelobte Land. Sie kehrt mit Lebensmitteln zu ihrer Familie zurück. Einer zweite Reise nach Litauen, bei der sie die Mutter begleitet, ist keine Rückkehr mehr beschieden. Die jüngeren Kinder bleiben bei einer Bekannten zurück. Das Verhältnis zur Mutter wird zunehmend ambivalenter. Ursula ist die Handelnde, die Mutter die Nutznießerin.
Nur kurze Kapitel sind der erzwungene Ausreise in die DDR gewidmet. Dort besucht Ursula die Schule und macht eine Ausbildung. 1953 flieht sie mit der Mutter in die BRD. Auch hier ist der Anfang kein Zuckerschlecken.

„...Während viele Geflüchtete aus der DDR bald leidvoll erkennen müssen, dass sie auch im Westen nicht sonderlich willkommen sind und erneut mit Vorurteilen zu kämpfen haben, wird Ursula und Martha bewusst, dass sie als Heimatvertriebene unter den Flüchtlingen sogar noch weiter unten stehen. An unterster Stelle...“

Ursula gelingt es, sich von der Mutter zu lösen. Sie heiratet und baut sich ein eigenes Leben uaf. Erst nach der Wende arbeitet sie ihre Vergangenheit auf. Dazu gehört ein Dankschreiben an Litauen, das Land, das sie in schwerer Zeit aufgenommen hat.
Im Buch werden einige weitere Schicksale von Wolfskinder kurz skizziert. Deutlich wird, dass die Zeit tiefe Spuren hinterlassen hat. Vieles ist bis heute nicht aufgearbeitet.
Das Buch arbeitet ein dunkles Kapitel der Geschichte auf. Es sind Einzelschicksale, die berühren.

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