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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.04.2018

Krisenmanager

Riskante Manöver
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Zum Inhalt:
Mats Holm ist PR-Agent. Aber nicht irgendein PR-Agent, sondern der beste. Der, den man holt, wenn man als Konzern tief in einer braunen Masse steckt, aus der man sich selber nicht befreien ...

Zum Inhalt:
Mats Holm ist PR-Agent. Aber nicht irgendein PR-Agent, sondern der beste. Der, den man holt, wenn man als Konzern tief in einer braunen Masse steckt, aus der man sich selber nicht befreien kann. So geht es dem Pharmakonzern Wenner, der mit Komplikationen bei Krankheitsverläufen von Kindern in Verbindung gebracht wird. Mats versucht, das Kind zu schaukeln, bevor es ganz im Brunnen versinkt, - wenn nötig, auch am Rande der Legalität.

Mein Eindruck:
Das Feld der Wirtschaftskriminalität ist es wert, beackert zu werden. Dabei gestalten sich die Suche nach der Wahrheit und das Streben Mats’, seinen Auftraggeber aus den negativen Schlagzeilen zu holen, so spannend, dass es die übliche Krimihandlung mit Mord und Entführung gar nicht gebraucht hätte. Ganz im Gegenteil, diese Teile der Geschichte wirken fast wie Fremdkörper und sind eher Stichwortgeber für den echten Thriller um Medikamente für Kinder. Glücklicherweise führen sie aber auch die interessante Figur eines Kommissars ein, die bei weiteren Krimis aus der Feder Bingüls bestimmt Verwendung finden wird.
Die grobe Einteilung des Buchs in Tage (mit einer Feineinteilung in Zeitpunkte), welche die Vorkommnisse strukturieren, verleiht dem Drama zusätzlichen Zug. Doch auch ohne dieses Stilmittel blickt die Leserschaft teilweise entsetzt, teilweise neugierig und teilweise wie vor den Kopf geschlagen durch das Schlüsselloch des Raums, in dem die Macht eines Konzerns sitzt. Die Tatsache, dass der Autor selber Unternehmenssprecher war, verleiht diesem Blick eine Art Ritterschlag und das Gefühl der Wahrhaftigkeit, - was einen noch zusätzlich Galle schmecken lässt. Leider kann der Autor nicht dem Drang widerstehen, seine Hauptpersonen mit einem komplizierten Privatleben auszustatten, welches die in sich abgeschlossene Geschichte um einen unnötigen Cliffhanger bereichert. Denn dieser Krimi ist es wert, einen Nachfolger zu bekommen, - ganz ohne Privatgedöns.

Mein Fazit:
Ein sehr lesenswerter Blick auf das, was hinter verschlossenen Türen großer Konzerne passiert, - obwohl man es manchmal wohl lieber nicht wissen möchte

Veröffentlicht am 23.04.2018

Geld allein macht nicht glücklich....

Blumen des Todes
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... wie Archie nach seinem Millionengewinn merken muss.

Zum Inhalt:
Archie Wilson wird tot auf einem Friedhof aufgefunden, - mit einem Kreuz im Kopf und Blüten des Judasbaums in der Hand. Was war das ...

... wie Archie nach seinem Millionengewinn merken muss.

Zum Inhalt:
Archie Wilson wird tot auf einem Friedhof aufgefunden, - mit einem Kreuz im Kopf und Blüten des Judasbaums in der Hand. Was war das Motiv für den Mord: Das viele Geld oder doch etwas, das in Archies Vergangenheit zu suchen ist?

Mein Eindruck:
Es hätte so schön sein können. Lindsay hat eine gute Ausgangsposition für seinen Krimi geschaffen, die Beschreibungen von Plätzen und Stimmungen gelingen ihm und die Einführung der beiden Ermittler gestaltet er mit Wärme und Augenzwinkern. Doch nach einem wirklich fulminanten Beginn lässt die Güte des Romans immer weiter nach und nur an wenigen Stellen blitzt die Genialität des Beginns auf: Die Ermittlung gestaltet sich nicht zielgerichtet, sondern eher wie das Flügelschlagen auf dem Hühnerhof: Viel Getöse, großes Geschnatter, keinerlei Wirkung! Seine Figuren sind entweder schlecht gelaunt, unausstehlich, depressiv und/oder von der Situation überfordert - ein echter Sympathieträger ist an keiner Stelle zu finden. Insbesondere das Verhalten der Zeugen gegenüber den Ermittlern ist verstörend und unglaubwürdig: Alle erzählen Lügen und verhalten sich äußerst feindselig, obwohl bei den meisten keinerlei objektiver Grund für dieses Gebaren vorliegt.
Ein weiteres Manko ist das Augenmerk, das Lindsay auf sein Ermittler-Paar richtet: Wirkt die Aufschrift „Perreira und Bain“ noch gleichberechtigt, erfährt die Leserschaft über Bain so gut wie gar nichts, während Perreiras unkonventionelles Privatleben inklusive daraus resultierender Verwicklungen einen Raum einnimmt, der fast die Krimihandlung überstrahlt. Das sorgt für Verärgerung bei denjenigen, die sich eine spannende Mörderjagd versprochen haben und höchstens am Rande für die Sorgen und Nöte von Menschen Verständnis aufbringen, die diese sich höchst selbst eingebrockt haben.
Aber der Typ „Ermittler mit Problemen“ findet in vielen Büchern Verwendung, - warum stört das in „Blumen des Todes“ fast noch mehr als sonst? Weil es keinen roten Faden gibt, der die Kriminalgeschichte durchzieht. Es gibt viele Motive, viele Verdächtige, viele Spuren, die im Nichts versanden und – teilweise zu Unrecht - nicht mehr aufgegriffen werden; die Inkompetenz des Polizeiapparates schreit dabei zum Himmel… der grau ist… und wolkenverhangen…

Mein Fazit:
Guter Beginn mit schönen Ideen, die leider nicht weiterverfolgt werden

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Atmosphäre
  • Charaktere
  • Spannung
  • Stil
Veröffentlicht am 19.04.2018

Kein großer Wurf

Blutschatten
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Zum Inhalt:
Sunday Night lebt in einem selbst gewählten Exil, als sie die Bitte ihres Ziehvaters erreicht: Sie soll für eine sehr reiche alte Dame deren Enkelin suchen, welche vor einem Jahr spurlos verschwand, ...

Zum Inhalt:
Sunday Night lebt in einem selbst gewählten Exil, als sie die Bitte ihres Ziehvaters erreicht: Sie soll für eine sehr reiche alte Dame deren Enkelin suchen, welche vor einem Jahr spurlos verschwand, nachdem unter anderem ihre Mutter und ihr Bruder bei einem Bombenanschlag getötet wurden. Gestählt durch ihre Vergangenheit bei Militär und Polizei und mit ihrem Bruder an der Seite geht Sunday auf die Suche und sieht sich bald einem Netz von religiös motivierten Attentätern gegenüber, die vor nichts zurückschrecken, um ihr Ziel zu erreichen.

Mein Eindruck:
Unendlich cool oder unendlich blöd – Kathy Reichs ist keine Autorin für Zwischentöne, was ihre Figuren in diesem Krimi betrifft. Differenziert ist anders – hier fühlt man sich an einen Groschenroman erinnert. Mit einer sehr, sehr, sehr... also so etwas von gebrochener Heldin mit schwerer Kindheit, vernarbtem Gesicht und Seele, roten Haaren und perfekter Ausbildung als Killermaschine. Zwar absolut emotionslos gegenüber den Bösen, aber mit einem goldenen Herzen und immer einem Spruch auf den Lippen – den die Ich-Erzählerin Sunday in unnachahmlicher Weise den Lesern und ihren Gegenübern um die Ohren haut. Ansonsten wird viel observiert, geballert und geprügelt – und in aller Ausführlichkeit beschrieben; glücklicherweise hat unsere Heldin gutes Heilfleisch und eine noch bessere Kondition. Wenigstens verzichtet Frau Reich darauf, den Polizeiapparat als einen Haufen von Dumpfbacken darzustellen, - die Beamten müssen zwar natürlich von Sunday angeleitet werden, bestehen aber nicht aus drögen Paragraphenreitern, sondern sind offen für Hilfe von außen. Der einzige Pluspunkt des Buchs lässt sich in der Idee finden, die Anschläge vom 11. September für eine besondere Idee eines Privatkrieges zu verarbeiten.

Mein Fazit:
Der erste Thriller mit neuer Heldin – es darf auch gern der letzte sein.

Veröffentlicht am 18.04.2018

Wa(h)re Arktisliebe

Das Eis
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Zum Inhalt:
Durch das Kalben eines Gletschers findet die Leiche von Tom Harding ihren Weg an die Luft und in die Augen der Reisenden eines Kreuzfahrtschiffes. Drei Jahre war Tom verschollen, nachdem er ...

Zum Inhalt:
Durch das Kalben eines Gletschers findet die Leiche von Tom Harding ihren Weg an die Luft und in die Augen der Reisenden eines Kreuzfahrtschiffes. Drei Jahre war Tom verschollen, nachdem er und sein Freund Sean in einer Höhle verschüttet worden waren. Beide befanden sich gemeinsam mit drei Geschäftspartnern in der Arktis in einer exklusiven Unterkunft, welche der Umweltaktivist Tom und der Arktisliebhaber Sean als lauschigen Treffpunkt für die Reichen und Mächtigen der Welt aufgebaut hatten. Und nun stellt sich die Frage, ob wirklich alles so friedlich, freundschaftlich und reibungslos vonstatten ging, wie Sean es nach dem Unfall der Welt geschildert hat.

Mein Eindruck:
Paull gelingt es, ein wichtiges Thema so aufzubereiten, dass der erhobene Zeigefinger ein wohltuendes Kribbeln im Bauch auslöst und nicht wie sonst ärgerliche Schmerzen in der Magengegend. Sie konzentriert sich dabei ganz auf ihren Protagonisten Sean, aus dessen Sicht – wenn auch in der dritten Person – die Geschichte entwickelt und aufgerollt wird. Die einzelnen in ihrer Länge absolut schmackhaften Kapitel werden von Reminiszenzen an vergangene Arktisforscher unterbrochen: Zitate, kurze Abhandlungen oder Erzählungen.
Sean wird als Mensch beschrieben, mit Ecken und Kanten, mit guten und schlechten Eigenschaften, ehrgeizig und naiv, manchmal ehrlich, manchmal gerissen, manchmal ein wahrer Freund, manchmal ein wahrer Dreckskerl. Das hebt ihn wohltuend vom Rest der Charaktere ab, über die der Leser schneller den Stab brechen kann.
Neben den menschlichen Schicksalen gibt es jedoch etwas, dass das ganze Buch überstrahlt – die Arktis in ihrer Schönheit, Größe, Klarheit und Verwundbarkeit. Die Liebe Paulls (und Seans) und ihre Ehrfurcht spürt man in jeder einzelnen Zeile, auf jeder einzelnen Seite – selbst, wenn aus einem Londoner Gericht berichtet wird. Und dass sich dieses Gefühl auf den Leser überträgt, ist ein großer Verdienst einer wunderbaren Geschichte um Freundschaft, Verrat, Geld, Politik und Machtstreben.

Mein Fazit:
Umweltkritik bravourös verpackt

5 Sterne

Veröffentlicht am 08.04.2018

Kleinstadttragödie

Kleine Feuer überall
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Zum Inhalt:
Elena ist zufrieden mit ihrem Leben. Ihr Mann ist erfolgreicher Anwalt, drei ihrer Kinder beliebt und wohlgeraten, die jüngste Tochter zwar aufmüpfig, aber Kinder in der Pubertät sind nun ...

Zum Inhalt:
Elena ist zufrieden mit ihrem Leben. Ihr Mann ist erfolgreicher Anwalt, drei ihrer Kinder beliebt und wohlgeraten, die jüngste Tochter zwar aufmüpfig, aber Kinder in der Pubertät sind nun einmal so. Doch dann vermietet sie eine Wohnung an die Künstlerin Mia mit einer vollständig anderen Sicht auf Glück und muss feststellen, dass ihre Idylle vielleicht doch nicht so perfekt wie gedacht ist.

Mein Eindruck:
Celeste Ng hat ein Händchen dafür, die Beweggründe ihrer Personen dem Leser tief in Herz und Hirn zu stopfen, so dass er gar nicht anders kann, als die Handlungen dieser Charaktere zu verstehen, wenn auch nicht unbedingt gut zu heißen. Dabei brilliert sie insbesondere bei den Grautönen, denn trotz absolut gegensätzlicher Lebensansätze und Sichten wollen Mia und Elena niemandem etwas Schlechtes und sorgen trotzdem mit ihren Handlungen für Kummer bei einem Teil ihrer Umgebung. Der Schreibstil Ngs ist intensiv, aber nicht verschwurbelt, ihre gutbürgerliche Kleinstadt ist zwar sehr deutlich gezeichnet, könnte aber tatsächlich überall auf der ganzen Welt angesiedelt sein, wo Menschen auf eine gewisse Etikette und Umgang miteinander Wert legen.
Die Story ist sehr schön aufgebaut, mit einem Beginn, der ein Ende markiert, auf das in der folgenden Geschichte hingesteuert wird. Bedächtig, unaufhaltsam und mit einer Warnung an Helikoptereltern, die manchmal gar nicht wissen, was sie ihrem Nachwuchs mit übertriebener Fürsorge antun. Zwischenspiele in der Vergangenheit verraten unauffällig, warum der Weg in die zum Glück dann doch zu überstehende Katastrophe folgerichtig scheint und welche Lehren die Charaktere daraus ziehen können – sofern sie denn wollen. Da Ng ihren Figuren Vielschichtigkeit und Wille, über den Tellerrand zu schauen, zubilligt, sollte der Brand zu Beginn des Buches ein reinigendes Feuer und kein zerstörerisches sein.

Mein Fazit:
Ein ruhiges Buch, trotz aller Hitze