Platzhalter für Profilbild

meriberisuperlight

Lesejury Profi
offline

meriberisuperlight ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit meriberisuperlight über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.05.2017

humorvoll geschrieben

Glennkill
0

Eine Herde irischer Schafe wird durch einen Mord um ihren Schäfer gebracht und macht sich, da von den Menschen keine Aufklärung zu erwarten ist, selber an die Ermittlungen. Dabei erweist sich die ermittlerische ...

Eine Herde irischer Schafe wird durch einen Mord um ihren Schäfer gebracht und macht sich, da von den Menschen keine Aufklärung zu erwarten ist, selber an die Ermittlungen. Dabei erweist sich die ermittlerische Logik der Schafe Miss Maple, Mopple, Othello und ihrer Freunde als frappierend ungewöhnlich.

Am Anfang ist es manchmal ein bisschen anstrengend. So viele Andeutungen, von denen man als Leser teilweise genauso wenig versteht wie die Schafe. Wobei diese wenigstens glauben, zu verstehen. Hin und wieder aber darf der Leser seinen Helden auch mal um eine Nasenlänge voraus sein. Herrlich, wie die Schafe aus ihren Beobachtungen der Menschenwelt so völlig andere Schlussfolgerungen ziehen als die Menschen. Und damit trotzdem zum Ziel kommen. Die Schafslogik ist schon sehr speziell, angefangen bei ihrem viel besseren Geruchssinn. Leonie Swann schreibt sich in diesem Buch gekonnt ihre ganze Liebe zu Schafen von der Seele, nicht ohne eine wunderbare Beigabe von feinstem Humor. Ein Buch zum Genießen, trotz einer gewissen makaberen Komponente. Ein Buch, dass wirklich großen Spaß macht.

Veröffentlicht am 26.04.2017

hervorragende biografie

Karl der Große
0

Nun habe ich mich also aufgemacht, um eine riesige Bildungslücke zu füllen, einen unangenehmen weißen Fleck in meinem ohnehin recht patchworkartigen Geschichtsverständnis. Ich wollte endlich wissen, was ...

Nun habe ich mich also aufgemacht, um eine riesige Bildungslücke zu füllen, einen unangenehmen weißen Fleck in meinem ohnehin recht patchworkartigen Geschichtsverständnis. Ich wollte endlich wissen, was es mit Karl dem Großen auf sich hat. Nur? Welche Biographie soll man aus dem Wust von Veröffentlichungen wählen? Nun, zunächst einmal aktuell sollte sie sein, den aktuellen Stand der Forschung berücksichtigen können. Außerdem wollte ich weder eine blauäugig glorifizierende Lobeshymne noch einen wütenden Verriss lesen. Daher entschied ich mich für dieses erst 2015 erschienene und außerdem bezahlbare Taschenbuch. Bereits das erste Kapitel bestärkte mich in der Hoffnung, richtig gewählt zu haben. Der Biograph zählt zunächst einmal alle positiven wie negativen Vorurteile über Karl den Großen auf und verspricht ausdrücklich nicht, die Frage nach "gutem Kaiser" oder "bösem Kaiser" eindeutig zu beantworten. Man darf sich also auf einen differenzierten und informativen Lesegenuss freuen.

Nachdem die karolingische Grundhaltung des Strebens nach "Eindeutigkeit" erläutert wurde, ohne deren Berücksichtigung man man dieses Zeitalter nicht verstehen könne und nach Aufzählung und Einordnung der zur Verfügung stehenden Quellen wird im dritten Kapitel mein erstes Karlsbild erzeugt, ein widersprüchliches Bild des toten Herrschers. Wurde er auf seinem Thron sitzend begraben, wie ihn angeblich Zeitzeugen 200 Jahre später bei der Graböffnung vorgefunden haben? Oder liegend in einem Sarkophag, wie die neuere Forschung behauptet? Ich merke mir zunächst einmal beide möglichen Ansichten... Meine Kopfbilder werden zu Reliquien. Der Autor führt aus, wie Kaiser Friedrich Barbarossa diese benutzt, um den Papst in seiner Vormachtstellung zu bremsen, und wie Karl der Große über die Legendenbildung der folgenden Jahrhunderte immer mehr zum Mythos wird.

Aus Karls Kindheit ist nicht viel bekannt, aber die Verklammerung von Herrscher und Kirche wurde während der Kindheit Karls des Großen entwickelt, und dass dies auf den späteren Kaiser einen großen Einfluss hatte, ist unumstößlich. Sechsjährig wird Karl als Empfangskomittee dem Papst entgegengeschickt, mit 12 erhält er herrschaftliche Rechte über ein Kloster, dreizehnjährig zieht er zum ersten Mal mit dem Vater in eine Schlacht. Mit 15 wird ihm die Verwaltung von Grafschaften übertragen, mit zwanzig wird er zum König gekrönt. Karl war eine imposante Erscheinung. Er soll 1,90 m groß gewesen sein, wohingegen sein Stimme wohl eher im Tenorbereich angesiedelt war. Das Bild des verklemmten, zu kurz gekommenen Möchtegern-Machos aus einer der letzten Arte-Dokumentationen passt so gar nicht zu dem des hier beschriebenen souveränen Staatsmannes, von dem Autorität und Würde ausgingen. Karl war ein Familienmensch und liebte die Gesellschaft, interessierte sich für Astronomie und glaubte fest an das göttliche Auserwähltsein seiner Familie.

Was nicht heißt, dass es keine dunklen Flecken gibt in der Biographie des großen Herrschers. Dunkel muss die Geschichte um den mysteriösen Tod seines Bruders und Rivalen Karlmann bleiben. Es sieht ganz danach aus, als wären unliebsame Konkurrenten und Erben frühzeitig ausgeschaltet worden. Hier und andernorts finde ich die Biographie immer wieder sehr glaubwürdig, da sie sich nie urteilend auf eine Seite schlägt, sondern differenziert die Quellenlage wiedergibt.

Interessant für mich war, dass die Idee des "Heiligen Krieges" nahezu zeitgleich von christlichen und muslimischen Herrschern verfolgt wurde. Das von Karl häufig konsultierte Werk des Augustinus "De civitate Dei", "Vom Gottesstaat" scheint mir eine Art Gegenentwurf zum Kalifat zu sein, das sich damals stark ausgebreitet hatte. Im Jahr 710 hatten islamische Heere begonnen, Spanien zu erobern, 772 zog Karl zum ersten Mal gegen die Sachsen und 778 über die Pyrenäen, um Teile Spaniens zurückzuerobern, was allerdings nur mäßig gelang. Spanien befreien ist eine Sache, es dem Frankenreich einverleiben eine ganz andere. Da wollten zum Beispiel die Basken nicht mitspielen und brachten seiner Nachhut in den Pyrenäen die legendäre im Rolandslied besungene Niederlage bei.

Im achten Kapitel erfahren wir, dass die Töchter Karls zu seinen Lebzeiten offiziell ledig blieben - Karl wollte offensichtlich verhindern, dass sich Adlige durch Einheiraten in die Königsfamilie Vorteile verschafften. Inoffiziell allerdings lebten die Töchter in eheähnlichen Verhältnissen, zeugten Kinder und standen sogar in dem Ruf, zu ausschweifend zu leben. Solche Freiheiten genossen Karls Ehefrauen nicht. Ich fürchte, spätestens hier nimmt mein Karlsbild ernsthaft Schaden. Seine erste Frau Himiltrud verstößt er zugunsten einer Langobardenprinzessin, deren Name noch nicht einmal überliefert ist und die er nach kurzer Zeit ebenso verstößt, da sich die politische Lage verändert hat - oder bessergesagt, weil Karl sich entschlossen hat, die politische Lage zu ändern. Himiltrud wurde später von Karls Biographen Einhart zur Konkubine degradiert. Man kann noch so sehr entschuldigend anführen, dass unter den Merowingerkönigen die Vielweiberei durchaus noch verbreitet gewesen war - man kann sich schlecht einen Christen nennen und gleichzeitig so beschämend wie Karl mit dem anderen Geschlecht umgehen. Dennoch bleibt es ein Verdienst der Biographie, dass sie auch hier nicht anklagt, sondern nur informiert. Alle eventuell noch folgende Polemik stammt aus der Feder der Rezensentin. Hildegard, die gerade mal 14 war, als Karl sie ehelichte, diente zwölf Jahre lang als königliche Gebärmaschine, bis sie nach neun Schwangerschaften mit ca. 25 Jahren starb. Trotz dieser vordefinierten Rolle war sie aber auch politisch und wohltätig aktiv. Ihre Nachfolgerin an der Seite Karls war Fastrada, zu der er ein inniges Verhältnis gehabt haben muss. Karls Biograph Einhard nannte sie eine "grausame Königin", was wohl der Tatsache geschuldet war, dass sie von Karl hin und wieder mit der Regentschaft betraut wurde und durchaus durchgreifen konnte. Das hatte man offensichtlich von einer Frau nicht erwartet. Unter denen, die sich gegen die Königin erhoben, war ihr eigener Stiefsohn Pippin der Bucklige (Sohn der Himiltrud). Zur Strafe wurde er zu lebenslanger Klosterhaft ins Kloster Prüm geschickt (da hab' ich mal übernachtet! - unqualifizierte Sponti-Bemerkung einer mitfiebernden Rezensentin...).

Auch kleine unscheinbare Details werden berichtet und machen das Bild lebendig, wie zum Beispiel, dass der heilige Goar von Goarshausen Königin Fastrada vorübergehend von ihrem Zahnweh geheilt haben soll. In den Jahren nach ihrem Tod verlagerte Karl den Familiensitz nach Aachen, wo er sich in Folge häufig mit seinen Töchtern aufhielt. Dort lebte er einige Jahre in einer Beziehung mit einer Alemannin namens Liutgard, deren Schönheit von vielen Dichtern besungen wurde. Es ist nicht ganz klar, ob eine Ehe geschlossen wurde oder nicht. Nach dem frühen Tod Liutgards, die kinderlos blieb, heiratete Karl nicht mehr, hatte aber uneheliche Beziehungen zu mindestens vier weiteren Frauen.

Nachdem man als emotional veranlagter Leser ein wenig auf Distanz zum Helden der Biographie gegangen ist (auch seine Feldzüge gegen die Sachsen zeugen von einer unglaublichen Brutalität und machen ihn dem Leser nicht gerade sympathisch), erfährt man in den folgenden Kapiteln staunend von Karls gigantischer Bildungsreform, die durch Vereindeutlichung des geschriebenen und gesprochenen Wortes die Gottesverehrung fördern sollte ("...damit nicht wegen fehlerhafter Bücher jemand seine Bitten fehlerhaft an Gott richte.") Ich finde diesen Versuch anrührend. Manch einer, der das heute liest, mag die Stirn runzeln, aber das ist wieder etwas, was ich an Karl bewundere: während heute Bildung mehr und mehr auf ihre wirtschaftlichen Auswirkungen abgeklopft wird, sollte sie unter Karl dazu dienen, das Verständnis des Menschen von einer höheren Macht zu erweitern bzw. zu präzisieren. Es folgt eine ausführliche Beschreibung und Aufzählung all der berühmten Gelehrten, die mit Alkuin Einzug an Karls Hof hielten. Schon bald gab es neue Rituale der Gelehrten wie die Erfindung von Spitznamen für jeden Kollegen oder den Dichterwettstreit, eine Art altertümlichen Poetry Slam. Hin und wieder musste Karl sogar eingreifen, wenn sich die Gelehrten zu heftig in den Haaren lagen. Die Gelehrten sollten vor allem für eine korrekte Lehre der lateinischen Sprache sorgen, damit die Bibel nicht mehr durch Übersetzungsfehler in ihrer Bedeutung entstellt werde. Angeführte Beispiele aus dem liturgischen Alltag lassen durchaus Schmunzeln aufkommen. Bezugnehmend auf das Abschreiben tausender Handschriften spricht der Autor von einem "Wissenstransfer mit einzigartiger Nachhaltigkeit" und weist darauf hin, dass uns ohne die karolingischen Bildungsanstrengungen nur ein Bruchteil des antiken Schriftguts erhalten wäre.

Papst Hadrian, mit dem Karl in so enger Verbindung stand, hatte zuvor die Abkehr vom Kaiser von Byzanz vollzogen. Dieser Hadrian scheint ein windiger Bursche gewesen zu sein. Über die gefälschte sogenannte "Konstantinische Schenkung" sicherte und vergrößerte er seine Macht und machte sich einem Kaiser ebenbürtig. Weinfurter nennt ihn den "idealen Partner für Karl den Großen" bezogen auf beider Streben nach Eindeutigkeit.

Im Kapitel "Die Wahrheiten der Kirche und die Deutungshoheit Karls" kriselt's im Gebälk. Kaiserin Eirene von Byzanz, das bisher an einem strikten Bilderverbot festgehalten hatte, bemüht sich in einem nizäanischen Konzil um Lockerung, um freundschaftlich auf Rom zuzugehen. Dumm nur: Man hat Karl und seine Experten nicht eingeladen. Der seinerseits eine Gegenschrift entwirft, in der er sich vehement gegen die Anbetung von Bildern ausspricht. Hier positioniert sich Karl gegen den Papst und behauptet seine eigene Deutungshoheit. Nur um sich kurz darauf mit der nächsten "Attacke" zu befassen: dem aus dem Westgotentum übergeschwappten "Adoptionismus", demnach Jesus als normaler Mensch geboren und erst später von Gott als Sohn "adoptiert" wurde. Karl sorgte dafür, dass der Verfechter dieser Theorie, Felix von Urgel aus den südlichen Pyrenäen, nach einigem Hin und Her aus der Kirche ausgeschlossen wurde. Der Preis der Eindeutigkeit war hoch.

Ende des Jahres 800 erfolgt Karls feierlicher Einzug in Rom und seine Krönung zum Kaiser durch den Papst in der Peterskirche, die, glaubt man dem Biographen Einhardt, unabgesprochen durch den Papst vorgenommen wurde. Karl selbst war mit der Art des Verfahrens alles andere als glücklich. Setzte doch der Papst geschickt Maßstäbe: der Kaiser hatte künftig durch den Papst gekrönt zu werden. Am byzantinischen Kaiserhof hingegen nahm man Rom nun als "unter der Herrschaft der Barbaren" wahr. Das gedemütigte Byzanz bäumte sich noch eine Weile auf, war aber machtlos und musste schließlich das Kaisertum Karls anerkennen.

Gute Beziehungen unterhielt Karl zum Kalifen von Bagdad, Harun ar-Raschid. Auch dieser liebte und förderte die Wissenschaften. So hatten die beiden eine gemeinsame Basis für gute nachbarschaftliche Beziehungen. Karls Motiv für diesen Kontakt war vor allem ein Verantwortungsgefühl und sein Schutzfunktion gegenüber den Christen im Orient. Mit Abnahme der Macht des Kalifen allerdings gegen Anfang des 9. Jh. mehrten sich pogromartige Überfälle auf christliche Einrichtungen, so dass Karl Geld schickte, um Kirchen wieder aufzubauen.

Schicksalsschläge und Verluste suchen den alternden Kaiser in den Jahren 809/ 810 heim, und in ihm vollzieht sich eine Wandlung vom überzeugten Heilsbringer und Weltverbesserer zum Zweifler, vom Äußeren zum Inneren, zur Wahrheit des Herzens. Gleichzeitig will es der alte Karl noch einmal wissen: er erstellt Fragebögen, gibt Untersuchungen in Auftrag, um zu erfahren, wie es tatsächlich um sein Volk steht. Das Ergebnis ist teilweise niederschmetternd: Korruption hat die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert; die Bürger sind weniger willig, dem Kaiser zu dienen, als Jahre zuvor. Das scheint er sich zu Herzen zu nehmen. Der Kaiser beginnt zu zweifeln, gibt eine Menge Bußerlasse heraus, führt weniger Kriege, schließt mehr Friedensverträge. Gesundheitlich geht es seit 810 bergab mit Karl. Im Jahr 811 macht er sein Testament und verteilt erstaunlicherweise den Großteil seiner Güter an die Kirchen und an die Armen; auch das Hofgesinde geht nicht leer aus. Er verstirbt im Jahr 814.

In seiner Schlussbemerkung geht der Autor darauf ein, dass Karl gegen Ende seines Lebens nicht mehr vom Erfolg seiner Bildungsoffensive überzeugt war, führt aber aus, dass sie durchaus nachhaltige Folgen hatte, zum einen in den später auf ihrer Grundlage entstandenen Universitäten, zum anderen in der Entwicklung, die die Klöster in den folgenden Jahrhunderten nahmen und ihrer Eigenschaft als Träger der Bildung, des Wissens und der Wissenschaften.

Dieses Buch hat mich einige Zeit gekostet, aber sie war gut investiert. Die Geschichte Karls des Großen ist keine einfache Schwarz-Weiß-Zeichnung. Und doch wird es nie langweilig. Trotz des wissenschaftlichen Anspruchs versteht es der Autor, vor meinem inneren Auge einprägsame Bilder lebendig werden zu lassen. Stets vergleicht er die verschiedenen Quellen und zieht behutsame, kluge Schlüsse. Ich finde die thematische Chronologie der Kapitel auch gut und logisch aufgebaut. Stefan Weinfurter bringt die Dinge so gut auf den Punkt, dass keine Fragen offen bleiben (gefühlt, denn natürlich bleiben Fragen offen, wie bei jeder Biographie). Der ganz große Verdienst dieser Biographie ist, dass sie umfassend und sachlich informiert, ohne zu beschönigen, aber auch, ohne zu verurteilen. Sie lässt des Leser mit seinem Gewissen allein in der Entscheidung, ob und wie er sein moralisches Urteil über Karl den Großen fällen möchte.

Veröffentlicht am 26.04.2017

eine authentische geschichte

Morgens in unserem Königreich
0

Johanna ist fünfundzwanzig und soll möglichst bald heiraten. Arne arbeitet in einer Imbißbude und steckt in nicht unerheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Johanna geht jeden Sonntag zum Gottesdienst ...

Johanna ist fünfundzwanzig und soll möglichst bald heiraten. Arne arbeitet in einer Imbißbude und steckt in nicht unerheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Johanna geht jeden Sonntag zum Gottesdienst in den Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Arne würde es nicht im Traum einfallen, dort aufzukreuzen. Bis ihn eine Verkettung von unglücklichen Umständen genau dazu zwingt. Zwei Welten prallen aufeinander. Was dann passiert, ist grotesk, spannend, tragisch, beglückend, und immer wieder auch sehr komisch. Arne ist ein echter Sympathieträger. Schnell fasst daher Karsten, Johannas aus der Art geschlagener pubertierender Bruder, zu ihm Vertrauen. Nicht allen in der Gemeinde gefällt dies, wie überhaupt Arnes Auftauchen unter den Gemeindemitgliedern für Verunsicherung sorgt. Und auch Johannas Glaube wird dadurch hart auf die Probe gestellt.

Der Autor scheint die Bewegung der Zeugen Jehovas entweder sehr gut aus eigener Erfahrung zu kennen, oder er hat bemerkenswert gut recherchiert. Jedenfalls ist sein Blick durchaus verständnisvoll, manchmal respektlos, manchmal sehr respektvoll, manchmal schonungslos. Also jedenfalls alles andere als schwarz-weiß. Ein sehr gelungener, kluger, heftiger, ehrlicher Roman.

Veröffentlicht am 24.04.2017

plädoyer für mehr menschlichkeit

Die Aussteigerin. Autobiografie einer ehemaligen Rechtsextremistin
0

Erst 14 Jahre jung, schloss sich Christine Hewicker einer regionalen Neonazi-Bewegung an, mit 23 Jahren wurde sie wegen Beteiligung an einem Banküberfall, der dazu dienen sollte, Geld für die große Sache ...

Erst 14 Jahre jung, schloss sich Christine Hewicker einer regionalen Neonazi-Bewegung an, mit 23 Jahren wurde sie wegen Beteiligung an einem Banküberfall, der dazu dienen sollte, Geld für die große Sache zu aquirieren, festgenommen und als Terroristin zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Während der Zeit im Gefängnis gelang ihr die Umkehr.

Man staunt, wenn man die politische Argumentation der Terroristin liest - es ist nicht immer das, was man von einem typischen Nazi erwartet. Vieles klingt eher ein bisschen links- denn rechtsextrem. Kein Wunder, dass sie im Gefängnis auch schnell Zutrauen zu RAF-Leuten fasste. So weit war man offensichtlich gar nicht voneinander entfernt. Ein Psychologe bescheinigte Christine Hewicker ein ausgeprägtes "Helfersyndrom". In ihrer ausführlichen Verteidigungsschrift, die sie damals dem Gericht vorlegte, und die ungekürzt im Buch wiedergegeben wird, lässt sie auch an der NPD kein gutes Haar. "...habe ich im Laufe unserer Beziehung festgestellt, dass hier auch nur nichts weiter als hohle Phrasen gedroschen wurden." Trotz ihrer Abkehr von den Neonazis wird sie aber weiter als hochgefährlich eingestuft; tatsächlich ist auch ihr anti-imperialistischer Moral-Rundumschlag nach wie vor extremistisch in seiner Argumentation und Pauschalisierung. Von ehemaligen Mittätern wird sie als Verräterin gesehen und erhält Drohbriefe.

Trotz ihrer immer noch extremen Positionen ist sie aber zu vernünftigen Entscheidungen durchaus in der Lage, zum Beispiel, die illegal erworbenen Medikamente, von denen sie sich während des Prozesses Stärkung versprochen hatte, nach einem Fehlversuch umgehend zu vernichten. "...nach dem heutigen Tag war mir klar, dass ich mich niemals solchen Dingen untertan machen würde. Ich wollte die Herrschaft über mich nie wieder verlieren..."

Sehr reif empfinde ich ihre Schilderung der Isolationshaft. Ohne dass sie verbittert wirken würde, bringt sie ihr damaliges Gefühlschaos und die furchtbaren Auswirkungen der Isolierung auf den Punkt. Im Gefängnis ist es ihr stets darum zu tun, die Starke, Unnahbare zu geben. In Wirklichkeit kämpft sie aber mit sich selbst darum, sich nicht zum "eiskalten Monster" zu entwickeln. Zu diesem Zweck beginnt sie, Gedichte und Aufsätze zu schreiben. "Ich schrieb über Hass und Freude, und ich schrieb darüber, wie ich mich in bestimmten Situationen fühlte. Kaum aufgeschrieben, zerriss ich die Blätter wieder und verbrannte sie in der Toilette, damit sie nicht in falsche Hände kamen. Aber ich setzte mich dann auf mein Bett und dachte lange über das Geschriebene nach. Bald merkte ich, dass dies für mich eine gute Methode war, das Menschsein nicht zu verlieren und mir meine restlichen menschlichen Gefühle zu bewahren."

Meistens ist ihr Urteil über ihre damalige Lage eindeutig. Sie beschreibt sich selbst als verbohrt und uneinsichtig, urteilt vom "heute" her auf das "damals". Nur hin und wieder kommen nochmal Dinge durch wie "Eigentlich war ich während der letzten Jahre vom Staat völlig bewegungsunfähig gemacht worden." Wenn man das liest, denkt man, dass sie vielleicht noch nicht alles ganz hinter sich gelassen hat.

Liest man aber von ihrer allmählichen schwierigen Annäherung an den korrekten Staatsanwalt Hecking, den sie zunächst gehasst hatte und den zu respektieren sie allmählich in kleinen Schritte lernt, so ist dies wiederum sehr glaubwürdig. Angesichts eines im Gefängnishof blühenden Fliederbusches schreibt sie später: "Es ist erschreckend, was man verpasst, wenn man vor lauter Frust und Selbstmitleid die Augen verschließt, nur um ja nichts Schönes zu sehen." Geradezu anrührend, obwohl auch hier knapp und unaufgeregt geschildert, ist es, wenn sie während des Hungerstreiks ein ihr vom Gefängnispersonal angebotenes sehr verlockendes Gericht gegen die Gefängnistür donnert und sich danach kommentarlos, zusammen mit zwei Beamten, an die Beseitigung der Sauerei macht.

Gegen gelegentliche Schikanen einzelner Wachleute setzt sie sich zur Wehr. Solche Situationen werden auch genauestens beschrieben. Anders die Konflikte mit den Mithäftlingen. Diese werden stets nur angedeutet. Zu tief sitzt offensichtlich noch die Abneigung, zum Nestbeschmutzer zu werden. Aber genau diese Ungenauigkeit macht die Lektüre etwas zäh. Und zu dieser Konsequenz, was das respektvolle Verschweigen betrifft, passt es dann leider wieder überhaupt nicht, dass einzelne Vollzugsbeamtinnen für ihre unfreundlichen Kleinlichkeiten namentlich auf's Vorzeigetablett gesetzt werden. Mit Respekt spricht sie hingegen von ihren Richtern und Staatsanwälten und schildert ihre eigene damalige Verbohrtheit ihnen gegenüber ohne jegliche Bitterkeit. "Ich war ein Sturkopf", schreibt sie öfter. So legte sie sich während ihrer Haftzeit ständig wieder mit der gesamten Staats- und Bundesanwaltschaft an, weil die ihren Gesinnungswandel nicht ernst zu nehmen scheinen. Ihr Kampf um frühzeitige Entlassung auf Bewährung hat schließlich Erfolg. Die detaillierten Schilderungen sind allerdings auf Dauer etwas ermüdend. Hier hätte eine Straffung geholfen. Leider muss ich auch sagen, dass ich manche Schilderung als etwas arrogant empfinde. Aber auch das ist insofern nur authentisch, da sie selber diese Arroganz als eine der noch nicht ganz ausgestandenen Spätfolgen ihres Lebensweges nennt. Was wieder sehr sympathisch und ehrlich ist. Ehrlich ist es auch, wie sie über ihre heutigen Gefühle gegenüber ihren Ex-Nazi-Kameraden spricht. Sie macht kein Hehl daraus, dass es da auch noch vereinzelte positive Gefühle gibt, auch wenn sie mit der Ideologie abgeschlossen hat.

Ein großes Anliegen von Christine Hewicker ist es, dem inzwischen verstorbenen Richter Gleitsmann ein Denkmal zu setzen, der sie zwar zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt hat, "...der mich aber den Wert des Lebens lehrte und der immer für mich dagewesen war, wenn ich ihn gebraucht hatte." Wenn sie schildert, wie sie mehrere Stunden weinend an seinem Grab verbrachte, ist das schon sehr berührend. Als Außenstehender ist man sich kaum bewusst, welch intensiven Briefkontakt ein Gefangener mit Richtern und Staatsanwälten haben kann, und die stolze, aufmüpfige Strafgefangene (wie sie sich später selber charakterisiert) nutzte diese Möglichkeit exzessiv. Dabei ging sie nicht immer diplomatisch vor. "Ich musste immer mit dem Kopf durch die Wand, aber dieser Richter wusste, wie man mich vor dem Aufprall abbremst."

Was dieses Buch so wertvoll macht, ist seine große Aussagekraft über die Menschlichkeit, über die Kraft der Veränderung, über die Möglichkeit, einen scheinbar unmöglichen Weg der Umkehr zu gehen. Hin und wieder zieht sich die Lektüre für den ereignis- und sensationsverwöhnten Leser ein wenig, wirkt ein wenig unstrukturiert und langatmig. Wirklich interessant ist wiederum die Kurzanalyse der verschiedenen Personen aus ihrer ehemaligen Szene, die sie am Ende gibt. Man erfährt hier, dass es dumpfbackige, frauenverachtende Machtmenschen gab, aber eben auch solche, die der Autorin echte Wertschätzung entgegenbrachten und ihr menschlich einfach wertvoll geblieben sind. Auch das muss man sich erst mal auszusprechen trauen.

Schön ist, dass das letzte Kapitel mit der Versöhnung mit dem Staatsanwalt Hecking endet, dem Menschen, den sie einst als ihren ärgsten Feind angesehen hatte, und dass sie an dieser Tatsache das "Ich habe es geschafft!" misst.

Das Buch ist auch ein eindrückliches Plädoyer dafür, ehemaligen Strafgefangenen alle erdenklichen Hilfen beim Wiedereinstieg in ein Leben in Freiheit zu geben; man hat als Außenstehender keine Vorstellung davon, wie schwer dieser Schritt sein kann.

Veröffentlicht am 24.04.2017

authentisch geschrieben

Freier Fall in den Himmel -
0

Elisabeth Bergner hat einmal gesagt: "Kein Mensch stirbt ohne seine Einwilligung." Dieses Buch scheint das in erstaunlicher Weise zu illustrieren.

Der begeisterte junge Fallschirmspringer Mickey Robinson ...

Elisabeth Bergner hat einmal gesagt: "Kein Mensch stirbt ohne seine Einwilligung." Dieses Buch scheint das in erstaunlicher Weise zu illustrieren.

Der begeisterte junge Fallschirmspringer Mickey Robinson ist mehr tot als lebendig, als man ihn mit schlimmsten Verbrennungen aus dem Wrack eines abgestürzten Flugzeugs birgt. Die Ärzte tun alles, um sein Leben zu retten, aber irgendwann können sie nichts mehr tun. Nach einem außergewöhnlichen Nahtoderlebnis allerdings erwacht der Patient wieder zum Leben und kommt auf wunderbare und unerklärliche Weise Stück für Stück wieder zu Kräften. Das Buch, das in Zusammenarbeit mit mehreren befreundeten Co-Autoren entstanden ist, erzählt seine Geschichte.

Nachdem zunächst die dramatischen Umstände des Flugzeugabsturzes geschildert werden, reißt der Handlungsfaden ab, und man wird in Mickeys Kindheit versetzt. In anschaulicher, flüssiger Sprache werden traumatische, aber auch glückliche Kindheitserlebnisse geschildert. Der Vater war ein hoffnungsloser Alkoholiker; die streng gläubige Mutter sorgte mit konsequenten Kirchenbesuchen dafür, dass Gott ihre Kinder zwar faszinierte, ihnen aber fern blieb, weil seine Erhabenheit so gar nichts mit der Gefühlswelt eines Kindes gemein zu haben schien. Plastisch beschreibt der Autor die religiöse Sackgasse seiner Kindheit mit den einfachen Augen eines Kindes.

Es folgt ein temporeicher Gang durch die Teenagerjahre des Autors. Ich hatte ehrlichgesagt nich erwartet, eine ganze Biographie von der Kindheit bis zum Tag X erzählt zu bekommen. Erst allmählich begreift man, warum dieser große Zusammenhang so unbedingt dazugehört. Mickey Robinson beschreibt diesen durchaus unterhaltsam, und die Berichte über die Suche eines jungen Mannes nach sich selbst mit ihren Höhenflügen und Abstürzen sind eindrücklich.

Später, bei den Beschreibungen der Behandlung des Schwerstverletzten im Krankenhaus dreht sich einem schon mal der Magen um, und man gerät in große Ehrfurcht vor dem Krankenhauspersonal, das so etwas aushält. Auf dem Krankenbett erfährt Mickey, "dass Berührungen, Mitgefühl und bestärkende Worte eine unermessliche Kraft über die Naturgesetze haben."

Und dann erfolgt das, was die Ärzte nicht verstehen. Der Patient scheint zu sterben und kehrt anschließend in seinen Körper zurück. Über sein Erlebnis schreibt er:
"Rationale Schlussfolgerungen, Logik und Verstand sowie Naturgesetze waren wie ausgelöscht durch mein neues Bewusstsein."
"Im Himmel gibt es nichts als absolute Reinheit."
"Es war, als würde mir ein neuer Pass ausgestellt, der mich nun als Bürger des Himmels ausweist."

Für manchen mögen die Nahtoderlebnisse Mickey Robinsons ein Schock sein. Für mich waren sie äußerst schön zu lesen und bestätigten mir in wunderbarer Weise das, womit ich mich seit vielen Jahren beschäftige ("LEBEN ist und war immer von der Materie unabhängig und wird es immer sein; denn LEBEN ist GOTT und der Mensch ist die Idee GOTTES, er ist nicht materiell, sondern geistig gestaltet und unterliegt nicht dem Verfall und dem Staub." - M. Baker Eddy)

"Obwohl mein Körper immer noch unverändert all die tödlichen Symptome und Komplikationen aufwies, verspürte ich einen übernatürlichen, unbegreiflichen Frieden. Die Bibel nennt das den 'Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft'".

Es bleibt nicht bei diesem einen Wunder. Infektionen heilen, Gewebe erneuert sich auf unerklärliche Weise, und den Ärzten gelingt in einer Unzahl von erfolgreichen Operationen, was sie selber kaum für möglich gehalten hatten. Wenige Monate nach dem entsetzlichen Unfall absolviert Mickey wieder seinen ersten Fallschirmsprung. Kehrt zurück ins Leben, trifft sich mich Freunden, besucht Rockkonzerte... und dann muss er doch schon wieder mit psychedelischem Zeug experimentieren. Der Hype im Jahr 1969 muss absolut hypnotisch gewesen sein. Verständnislos starrt die Rezensentin das Buch an und sieht die Sterne ihrer Begeisterung schwinden. Glücklicherweise kommt der Autor nach seiner ersten Hasch-Erfahrung zur Vernunft, erkennt den Unterschied zwischen dem Rausch und dem wirklichen Himmelreich und beschließt, den Drogen den Rücken zuzukehren. "Wieder zu Hause dachte ich bei klarem Verstand darüber nach, was passiert war. Wie konnte dieser Wahnsinn dabei helfen, eine Friedensbewegung in Gang zu setzen? 'Der Dieb kommt, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten. Ich aber bringe Leben - und das im Überfluss.' Diese Person, diesen Retter, sollte man nicht allzu selbstverständlich nehmen." Klare Worte. Die Rezensentin atmet auf, den fünften Rezi-Stern fest mit beiden Händen umklammernd...

Es braucht noch eine ganze Weile, bis er die Drogen wirklich hinter sich lässt. Einmal hat er unter Drogen-Einfluss eine Jesus-Vision. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll. Jesus wurde im Jahr 1969 übrigens auch zum Hype. Der Autor gerät an Hasch-Rauchende Jesus-Freaks, kann dem allerdings nicht viel abgewinnen. Aber irgendwann kommt er in seinem eigenen Leben an den Punkt, wo er nichts mehr anfängt, ohne Jesus zu fragen. Und auch das hat Konsequenzen. Gute Konsequenzen. Heute ist er zu der Überzeugung gekommen, dass das ewige Leben nicht mit dem Augenblick des Todes beginnt, sondern schon jetzt und hier.

Die Erzählweise ist schön, fesselnd, auf den Punkt gebracht, mit einem Blick für das Wesentliche. Letztendlich war die ausführliche Biographie notwendig, um dem Glaubwürdigkeit zu verleihen, was an ihrem Scheitelpunkt geschah.

Es ist ein heftiges Buch. Viele der Berichte gehen, glaube ich, für unvorbereitete Leser etwas weit, wobei ich den Wahrheitsgehalt nicht anzweifle. Ich weiß aus Berichten anderer Menschen mit Nahtoderfahrungen, dass sie durch das Erlebte fähig sind, Dinge anders wahrzunehmen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es klug ist, all diese übernatürlichen Erfahrungen im Buch minutiös zu beschreiben. Am Ende stellt sich der Autor diese Frage selbst: "Muss ich nicht vorsichtiger mit meinen Äußerungen sein, damit ich niemandem Angst einjage?"