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Veröffentlicht am 12.10.2024

Was oftmals ungesagt bleibt

Trauriger Tiger
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Genau weiß sie nicht mehr, wie alt sie war, als die sexuelle Gewalt begann. War sie erst sechs Jahre alt oder bereits sieben? Wie ihr Stiefvater sie über etliche Jahre in ihrer Kindheit und Jugend immer ...

Genau weiß sie nicht mehr, wie alt sie war, als die sexuelle Gewalt begann. War sie erst sechs Jahre alt oder bereits sieben? Wie ihr Stiefvater sie über etliche Jahre in ihrer Kindheit und Jugend immer wieder missbraucht und vergewaltigt hat, daran erinnert sie sich detailliert. Die Wahl-Mexikanerin und gebürtige Französin Neige Sinno hat erst als Studentin die Entschlossenheit und den Mut, ihren Peiniger anzuzeigen und vor Gericht gegen ihn auszusagen. Mit Mitte 40 findet sie schließlich die Worte, ihre traumatischen Erlebnisse in schriftlicher Form zu beschreiben…

„Trauriger Tiger“ ist ein autobiografisches Buch von Neige Sinno, das mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet worden ist.

Die Einordnung des non-fiktionalen Werkes in ein Genre ist schwierig: Ist es ein Memoir, wie die Autorin an einer Stelle des Buches behauptet, oder ein Lebensbericht, wie sie es an anderer Stelle tut? Oder handelt es sich gar um ein Essay, wie die letzten Seiten anmuten? Eindeutig lässt sich das Werk nicht zuordnen.

Stilistisch mäandert das Buch. Mal erzählt die Autorin ihre Familiengeschichte und die Missbrauchserlebnisse nach, mal gibt sie auf essayistische Art ihre Reflexionen über Psychologie, Philosophie, Kriminalistik, Justiz und ähnliche Themen wider, mal zieht sie Verbindungen zur Weltliteratur, mal fügt sie Briefe und Zeitungsartikel ein. Zwar ist das Buch in zwei Teile untergliedert, die sie als Kapitel bezeichnet und die aus einigen mit Überschriften versehenen Passagen bestehen. Diese äußerliche Struktur sorgt jedoch nur bedingt für eine inhaltliche. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die Schriftstellerin ihre Gedanken wie bei einem Bewusstseinsstrom nur unzureichend sortiert niedergeschrieben hat, denn sie springt thematisch immer wieder hin und her und erzeugt Redundanzen.

Die Sprache ist schnörkellos, oft nüchtern, sehr offen und direkt, aber nicht effekthaschend oder überdramatisierend. Zwar bedient sich der Autorin mittels Zitaten anderer Werke. Wie sie selbst betont, greift sie aber nicht auf das literarische Schreiben zurück. Manche Formulierungen haben sich mir auch nach mehrfachem Lesen nicht in Gänze erschlossen. Das mag jedoch gegebenenfalls an der deutschen Übersetzung liegen.

Die Stärke des Romans ist darin zu sehen, dass Sinno nicht nur die bloßen Fakten ihres Falls schildert und ihre persönlichen Umstände aufdröselt. Sie zieht auf den rund 300 Seiten Parallelen zu anderen Schicksalen, analysiert die Mechanismen des Missbrauchs und bietet Einblicke, wie es Opfern nach solchen Taten geht und wie sie mit diesen furchtbaren Erfahrungen weiterleben. Ihre Gedanken zu Aspekten wie der Prävention, Bestrafung und Verarbeitung ihrer schlimmen Erlebnisse finde ich sehr erhellend. Damit rüttelt sie nicht nur auf und setzt ein Schlaglicht auf das wichtige Thema des Kindesmissbrauchs, sondern liefert auch Denkanstöße für die Gesellschaft. Gleichzeitig gibt sie anderen Betroffenen, die sich kein Gehör verschaffen konnten, mit ihrem Buch eine Stimme.

Etwas schade ist, dass der Titel, der wortgetreu aus dem Französischen („Triste tigre“) ins Deutsche übertragen wurde, wohl von einem anderen Werk abgekupfert wurde. Das Cover ist in mehrfacher Hinsicht überzeugend, wobei es leider nicht die Autorin selbst darstellt, wie man auf den ersten Blick missverständlicherweise meinen könnte.

Mein Fazit:
Mit „Trauriger Tiger“ hat Neige Sinno einen wichtigen und interessanten Text geschrieben, der mich inhaltlich überzeugen konnte, aber auf sprachlicher und stilistischer Ebene schwächelt. Ein in seiner Form einzigartiges Buch.

Veröffentlicht am 01.10.2024

Nach dem Verschwinden der Schlechtwetterfrau

Verlassene Nester
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Es ist Sommer 1992 im Planort an der Elbe im Gebiet der ehemaligen DDR, wo Pilly Jäckel mit ihrem Vater Martin lebt. Die Mutter der 13-Jährigen ist schon vor der Wende verschwunden, der Vater flüchtet ...

Es ist Sommer 1992 im Planort an der Elbe im Gebiet der ehemaligen DDR, wo Pilly Jäckel mit ihrem Vater Martin lebt. Die Mutter der 13-Jährigen ist schon vor der Wende verschwunden, der Vater flüchtet sich in den Alkohol. Die Teenagerin versucht, die Zuneigung der älteren Schulkameradin Katja zu gewinnen, die jedoch lieber mit einem Jungen anbändelt. Doch das soll nicht Pillys einziges Problem bleiben…

„Verlassene Nester“ ist ein Roman von Patricia Hempel.

Untergliedert in drei Teile und insgesamt 27 Kapitel, umspannt die Geschichte mehrere Monate. Erzählt wird nicht nur in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Pilly, sondern auch aus weiteren Perspektiven, von denen die eine oder andere entbehrlich gewesen wäre.

In sprachlicher Hinsicht hat der Roman seine Stärken. Die anschaulichen Naturbeschreibungen sind besonders gelungen. Kreative Wortschöpfungen stechen hervor. Zudem fallen immer wieder starke Bilder auf. Andererseits haben sich mir spezifisch ostdeutsche Begriffe teilweise nicht aus dem Kontext erschlossen.

Das Personal ist ein wenig zu umfangreich. Zu Beginn fiel es mir nicht leicht, die verschiedenen Charaktere und ihre Beziehungen zueinander zu sortieren. Im Fokus steht Pilly, eine durchaus realitätsnahe und interessante Figur, die mir allerdings bis zum Schluss ein bisschen fremd blieb.

Was die Themen angeht, wirkt der Roman ebenfalls überfrachtet. Es geht um Rassismus, Aspekte des Erwachsenwerdens, wirtschaftlichen Niedergang, Suchterkrankungen, Flucht, Stasi, Gentrifizierung und vieles mehr. Einiges wird bloß angerissen, sodass der Eindruck entsteht, dass die Autorin möglichst viele Themen unterbringen wollte.

Auf den knapp 300 Seiten nimmt die Geschichte nur sehr langsam Fahrt auf. Später wird die Handlung deutlich unterhaltsamer und turbulenter. Sie bietet sogar Überraschungen. Der Schluss hat mich dennoch etwas enttäuscht, da einige Fragen offen bleiben und manche lose Fäden nicht wieder aufgegriffen werden.

Sowohl das Cover als auch der mehrdeutige Titel sind auf positive Weise ungewöhnlich. Sie passen sehr gut zur Geschichte.

Mein Fazit:
Mit „Verlassene Nester“ hat mich Patricia Hempel leider nicht komplett überzeugt. Die Geschichte hält interessante Themen und Ideen bereit, lässt aber zu viele Leerstellen.

Veröffentlicht am 28.09.2024

Auf einer Insel abseits des Kriegsgetümmels

Die Gräfin
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Es ist August im Jahre 1944 auf der deutschen Hallig Südfall, als der englische Pilot John Philip Gunter mit seinem Aufklärungsflieger eine Bruchlandung in der Nähe hinlegt. Der verletzte und bewusstlose ...

Es ist August im Jahre 1944 auf der deutschen Hallig Südfall, als der englische Pilot John Philip Gunter mit seinem Aufklärungsflieger eine Bruchlandung in der Nähe hinlegt. Der verletzte und bewusstlose Kriegsfeind wird von Diana Gräfin von Reventlow-Criminil, der mehr als 80 Jahre alten Hallig-Bewohnerin, im Wattenmeer gefunden. Zusammen mit ihrem Angestellten rettet sie den jungen Fremden vor der Flut und bietet ihm Unterschlupf. Doch was soll nun geschehen?

„Die Gräfin“ ist der Debütroman der Autorin Irma Nelles, die im Jahr 2024 kurz vor der Veröffentlichung verstorben ist.

Die Struktur des Romans wirkt logisch und durchdacht: Auf einen Prolog folgen sechs Teile, die identisch sind mit sechs aufeinanderfolgenden Tagen. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge in auktorialer Perspektive. Die Handlung spielt auf der Hallig und auf Nordstrand.

Der autofiktionale Roman basiert auf historischen Ereignissen und schildert den Absturz eines englischen Kampfpiloten nahe der Hallig Südfall. Darüber hinaus stellt er das Leben von Diana Gräfin von Reventlow-Criminil vor. Eine schöne Idee.

Das Personal der Geschichte ist umfangreicher als vermutet. Neben dem Fremden tauchen mehrere Einheimische auf. Die als „Hallig-Gräfin“ bekannte Persönlichkeit ist allerdings die zentrale Figur des Romans. Eine eigenwillige, aber durchaus interessante Figur, die einer näheren Betrachtung würdig ist. Ihre Vergangenheit und ihr Charakter werden recht ausführlich dargestellt. Die fundierte Recherche der Autorin wird an diesen Stellen immer wieder deutlich. Leider werden diese biografischen Hintergründe sowie andere historische Fakten größtenteils in realitätsfernen und langweiligen Dialogen beziehungsweise ungelenken Nebensätzen untergebracht.

Ohnehin sind Sprache und Schreibstil das große Manko des Romans. Wiederholungen in den Formulierungen und Wörter aus dem Beamtendeutsch wechseln sich ab mit dem Vokabular eines Groschenromans und Widersprüchlichkeiten. Eine klare stilistische Linie ist nicht erkennbar. Ein strengeres Lektorat hätte dem Text gutgetan. Lediglich die atmosphärischen und anschaulichen Naturbeschreibungen sowie die authentischen Zitate aus dem Plattdeutschen sind besonders gelungen.

Auch in inhaltlicher Sicht hat der Roman Schwächen. Die eingebaute Liebesgeschichte kommt wenig glaubhaft daher. Auf den nur knapp 170 Seiten werden mehrere spannende Fragen aufgeworfen und mögliche Querverbindungen und Zusammenhänge angerissen. Das abrupte, sehr offene Ende greift die meisten dieser Fäden jedoch nicht auf, überlässt zu viel dem Ungefähren und lässt mich ratlos zurück. Insgesamt wirkt der letzte Teil des Romans auf mich fast fragmentarisch.

Die Stimmung des Romans nimmt das sehr ansprechende, aber unaufgeregte Cover auf hervorragende Weise auf. Der prägnante Titel ist, streng genommen, nicht ganz korrekt, da die Protagonistin nicht mehr adelig sein kann.

Mein Fazit:
Mit „Die Gräfin“ hat Irma Nelles einer interessanten Persönlichkeit einen Roman gewidmet, der mich auf inhaltlicher und sprachlicher Ebene nicht in Gänze überzeugen konnte. Leider schöpft die Geschichte ihr volles Potenzial nicht aus.

Veröffentlicht am 28.09.2024

Ein unvorstellbarer Verlust

Mein drittes Leben
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Für Linda, einst eine erfolgreiche Kuratorin, ist die Zeit stehen geblieben. Seit dem Unfalltod ihrer 17-jährigen Tochter Sonja hat eine allumfassende Trauer sie fest im Griff. Schon zwei Jahre lang hat ...

Für Linda, einst eine erfolgreiche Kuratorin, ist die Zeit stehen geblieben. Seit dem Unfalltod ihrer 17-jährigen Tochter Sonja hat eine allumfassende Trauer sie fest im Griff. Schon zwei Jahre lang hat sich die Mittvierzigerin auf einen ehemaligen Bauernhof fernab von Leipzig zurückgezogen. Ihr Mann Richard, der sie dort sporadisch besuchen kommt, weiß nicht mehr, wie er ihr helfen könnte. So droht Linda jetzt auch noch, dass ihr die Ehe entgleitet.

„Mein drittes Leben“ ist ein Roman von Daniela Krien, der es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2024 geschafft hat.

Die Struktur des Romans ist wohl durchdacht und schlüssig. Er besteht aus zwei Teilen mit insgesamt 31 kurzen Kapiteln. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Linda - in chronologischer Reihenfolge, aber mit mehreren Rückblicken. Die Handlung spielt in Leipzig und einem Dorf in Ostdeutschland, dessen Name nicht verraten wird. Sie umspannt mehrere Jahre.

Auf sprachlicher Ebene hat mich der Roman komplett überzeugt. Auf den ersten Blick wirkt der Text schnörkellos und unspektakulär, fast nüchtern. Dennoch wird viel Atmosphäre vermittelt. Die Beschreibungen sind wunderbar anschaulich. Die Autorin beweist eine feine Beobachtungsgabe und eine Menge Sprachgefühl. Viele Zeilen sind eindringlich formuliert, gehen unter die Haut. Trotz oder gerade wegen des unaufgeregten Schreibstils konnte mich der Text schnell für sich einnehmen.

Auch die Figuren sind ein Plus des Romans. Sie werden realitätsnah und mit psychologischer Tiefe dargestellt. Protagonistin Linda ist ein interessanter und sympathischer Charakter, in den ich mich gut hineinfühlen und deren Gedanken und Gefühle ich gut nachvollziehen konnte. Positiv aufgefallen ist mir, dass die Personen - wie im wahren Leben - zwar Schwächen und Widersprüchlichkeiten in sich tragen. Weil sie ihre eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten eingestehen und reflektieren können, kommen Linda und Richard besonders menschlich und liebenswert rüber.

Die Geschichte widmet sich der Frage, wie man mit einem unvorstellbar großen Verlust, dem Tod des eigenen Kindes, weiterleben kann. Ihr gelingt es darzustellen, wie scheinbar endlos lange der Trauerprozess dauert, welche Rückschläge und Hindernisse auf diesem schweren Weg liegen und wie stark ein solcher Verlust uns lähmen kann. Das macht den Roman zu einer sehr berührenden, aber kitschfreien Lektüre. Immer wieder hatte ich beim Lesen einen dicken Kloß im Hals.

Obwohl auf den fast 300 Seiten stellenweise gar nicht so viel passiert, hat mich die Geschichte zu keinem Zeitpunkt gelangweilt. Die Handlung bleibt von Anfang bis Ende stimmig und glaubhaft.

Das Covermotiv, eine Hochspringerin, lässt sich vermutlich nur mit viel Fantasie in Bezug zum Inhalt setzen. Mir hat sich der Zusammenhang leider nicht erschlossen. Umso passender ist für mich allerdings der Titel.

Mein Fazit:
Mit „Mein drittes Leben“ hat mich Daniela Krien rundum begeistert. Obwohl es der Roman bedauerlicherweise nicht in die engere Auswahl für den Buchpreis geschafft hat, gehört er schon jetzt zu meinen Lieblingsbüchern 2024. Eine Lektüre, die nachhallt. Große Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 17.09.2024

Vom Leben nach dem Leben

Wir Gespenster
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Lilli Ehrlicher ist verwirrt, als sie sich im Park vor ihrer eigenen Leiche wiederfindet. Sie kann sich nicht erinnern, wer sie ist, und noch viel weniger weiß sie, was ihr zugestoßen ist. Schnell wird ...

Lilli Ehrlicher ist verwirrt, als sie sich im Park vor ihrer eigenen Leiche wiederfindet. Sie kann sich nicht erinnern, wer sie ist, und noch viel weniger weiß sie, was ihr zugestoßen ist. Schnell wird aber klar, dass sie gewaltsam zu Tode gekommen ist. Andrä, ein ehemaliger Kommissar, der ebenfalls in der Geisterwelt wandelt, bietet ihr seine Hilfe und Gesellschaft an.

„Wir Gespenster“ ist ein Roman von Michael Kumpfmüller.

Der Roman verfügt über eine sinnvolle und nachvollziehbare Struktur: Die insgesamt 30 kurzen Kapitel erstrecken sich über drei Teile. Erzählt wird im Präsens und in chronologischer Reihenfolge abwechselnd aus der Sicht von Lilli und der von Andrä. Die Handlung spielt überwiegend, aber nicht ausschließlich in einer nicht näher bestimmten deutschen Stadt und umfasst einige Monate.

Auf der sprachlichen Ebene gibt sich der Autor keine Blöße. Manche Formulierungen klingen zwar ein wenig altbacken, aber nicht unpassend. Der unaufgeregte Schreibstil glänzt mit flotten Dialogen und anschaulichen Beschreibungen. Besonders gut haben mir die subtilen Referenzen und Verweise unterschiedlicher Art gefallen, mit denen aufmerksame Leser belohnt werden und die ich hier nicht vorwegnehmen möchte. Humorvolle Passagen laden zum Schmunzeln ein und nehmen der Geschichte die Schwere. Allerdings lässt die etwas phlegmatische Erzählstimme bei mir keinen Lesesog entstehen.

Die Idee des Romans ist nicht gänzlich neu, aber in ihrer Umsetzung dennoch kreativ und interessant ausgearbeitet. Die Überlegungen zur Zwischenwelt der Geister, mit der wir es in der Geschichte zu tun haben, erscheint auf den ersten Blick gründlich durchdacht und nicht komplett abgedreht. Bei genauerem Lesen ergeben sich jedoch kleinere Logiklücken und Widersprüche, die mich gleichwohl nur minimal gestört haben.

Mit Lilli und Andrä gibt es zwei reizvolle Hauptfiguren. Beide sind mit psychologischer Tiefe ausgestattet. Ihre Gefühle und Gedanken werden sehr gut deutlich. Allerdings wirkt insbesondere Lillis Verhalten auf mich kaum realitätsnah. Ihr überwiegendes Desinteresse an ihrem Mörder, der vergleichsweise geringe Schock über den eigenen Tod und ihre gleichgültige Art, die große Teile ihres früheren Lebens betrifft, erscheint mir wenig glaubhaft. Auch die schon im Klappentext angekündigte Romanze zwischen den beiden erschließt sich mir nicht in Gänze.

Wer sich auf die Geschichte einlässt, sollte keinen Krimi oder Thriller erwarten. Zwar geht es auch um die Aufklärung des Mordes beziehungsweise Totschlages. Vielmehr werden aber philosophische Fragen behandelt. Zum Beispiel die, worum es im Leben geht, was davon letztlich bleibt und was danach kommen könnte. Diesbezüglich sind einige kluge Sätze in den Text eingeflochten. So entsteht eine facettenreiche und tiefgründige Mischung.

Auf den rund 240 Seiten ist die Spannung nicht konstant hoch, was für mich allein kein Manko wäre. Die inhaltlichen Wiederholungen in der Geschichte machen manche Kapitel jedoch etwas langatmig. Mit dem letzten Kapitel setzt die Geschichte einen sprachlich wie inhaltlich gelungenen Schlusspunkt. Trotzdem hätte mir das Ende besser gefallen, wenn nicht ganz so viele Fragen offen geblieben wären.

Das Cover ist eine bearbeitete Version eines Werkes von Künstler Jarek Puczel. Es trifft nicht nur optisch meinen Geschmack, sondern passt auch hervorragend zur Geschichte.

Mein Fazit:
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller ist ein fantasievoller und unterhaltsamer Roman, der einen Kriminalfall mit einer Liebes- und Geistergeschichte kombiniert. In mehreren Punkten konnte mich die Geschichte leider nicht überzeugen.