Profilbild von milkysilvermoon

milkysilvermoon

Lesejury Star
offline

milkysilvermoon ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit milkysilvermoon über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.05.2021

Das Rätsel des menschlichen Glücks

Der Algorithmus der Menschlichkeit
0

Berlin in der Zukunft: Als „Fembot“ arbeitet der Roboter Mari im Rotlichtmilieu. Im „Pygmalion“ ist sie den Kunden zu Diensten. Doch ein Zwischenfall mit dem Arzt Dr. Thaddeus Gottsein bringt die Künstliche ...

Berlin in der Zukunft: Als „Fembot“ arbeitet der Roboter Mari im Rotlichtmilieu. Im „Pygmalion“ ist sie den Kunden zu Diensten. Doch ein Zwischenfall mit dem Arzt Dr. Thaddeus Gottsein bringt die Künstliche Intelligenz plötzlich in einen Konflikt mit dem Gesetz. Für Mari beginnen ein Abenteuer und die Suche nach einer Antwort auf die Frage: Was macht menschliches Glück aus?

„Der Algorithmus der Menschlichkeit“ ist ein Roman von Vera Buck.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus etlichen kurzen Kapiteln. Sie erstrecken sich über drei Teile. Vorangestellt sind zwei Kapitel, die etwas vom späteren Geschehen vorwegnehmen und zunächst ein wenig verwirren. Ansonsten wird in chronologischer Reihenfolge aus auktorialer Perspektive erzählt. Ein schlüssiger Aufbau.

Der Schreibstil ist anschaulich und - dank vieler Dialoge - recht lebhaft. Der Roman ist zudem voller Wortwitz, der manchmal jedoch ein bisschen bemüht wirkt. Das Erzähltempo ist relativ schnell.

Obwohl Mari kein Mensch ist, gibt sie eine interessante und sympathische Protagonistin ab. Schön herausgearbeitet ist, inwiefern sich ihr Denken und Handeln von menschlichen Wesen unterscheidet. Die übrigen Charaktere werden eher überspitzt dargestellt.

Die Handlung an sich ist amüsant und voller kreativer Einfälle, aber auch ziemlich skurril bis absurd. Die Geschichte ist an manchen Stellen zum Schmunzeln, an anderen Stellen für meinen Geschmack zu realitätsfern.

Zwar machen die humorvollen Passagen den Roman sehr unterhaltsam und kurzweilig. Allerdings überlagert die Komik leider die inhaltlich interessanten Fragen, die zwar aufgeworfen, aber nicht genügend ausgeführt werden: Kann Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein entwickeln? Vor welche moralischen Konflikte stellt uns eine KI? Und was unterscheidet menschliche und technische Intelligenz? Auch die immer wieder hervorblitzende Gesellschaftskritik geht beinahe unter. Insgesamt verschenkt die Geschichte Potenzial und kratzt zu sehr an der Oberfläche, um mit Tiefgang zu beeindrucken.

Die Botschaft des Romans, die ich absolut unterschreiben kann, kommt dagegen am Schluss umso plakativer und ausführlicher mit dem Holzhammer daher. Auch dies lässt die Geschichte ein wenig platt erscheinen. Allerdings: Zum Ende hin konnte sie mich noch mit einer unerwarteten Wendung überraschen.

Das stilisierte Cover ist optisch gelungen, wenn auch etwas kitschig. Der Titel klingt ein bisschen zu hochtrabend, ist aber nicht unpassend.

Mein Fazit:
„Der Algorithmus der Menschlichkeit“ von Vera Buck ist ein Roman mit viel Humor und hohem Unterhaltungswert, der mir amüsante Lesestunden beschert hat. Leider schöpft die Geschichte jedoch ihr ganzes Potenzial nicht aus und wird wohl nicht lange im Gedächtnis bleiben.

Veröffentlicht am 30.04.2021

Junge hat schweres Leben

Der Junge, der das Universum verschlang
0

Australien in den 1980er-Jahren: Das Leben von Eli Bell in einem Vorort von Brisbane ist nicht einfach. Der Vater des Jungen ist verschwunden, sein Stiefvater ist ein Drogendealer und auch die Mutter ist ...

Australien in den 1980er-Jahren: Das Leben von Eli Bell in einem Vorort von Brisbane ist nicht einfach. Der Vater des Jungen ist verschwunden, sein Stiefvater ist ein Drogendealer und auch die Mutter ist mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Doch Slim, ein ehemaliger Häftling, passt auf den zwölfjährigen Eli und dessen Bruder August auf. Der Junge hat einen Traum. Aber es gibt noch einige Hindernisse zu überwinden...

„Der Junge, der das Universum verschlang“ ist der Debütroman von Trent Dalton.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus relativ kurzen Kapiteln. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Eli. Die Handlung umfasst mehrere Jahre.

Der Schreibstil ist recht ungewöhnlich und markant. Er ist geprägt von originellen Vergleichen, starken Sprachbildern und Wortneuschöpfungen. Die Sprache ist oft flapsig, teilweise ziemlich derb, wirkt aber durchaus authentisch. Das trifft vor allem auf die zahlreichen Dialoge zu. Kreativ ist auch, dass die Kapitelüberschriften immer aus drei Worten bestehen und fast ausschließlich mit dem Wort „Junge“ beginnen, auf den ein Prädikat folgt. Eingefügt sind mehrere Briefe und Artikel.

Die Protagonisten sind interessante Charaktere. Es fiel mir nicht schwer, mit dem sympathischen Eli mitzufühlen. Auch die Nebenfiguren sind reizvoll ausgestaltet.

Mit rund 500 Seiten ist der Roman recht umfangreich und hat gleichzeitig nur wenige Längen. Der Einstieg war für mich jedoch ein wenig verwirrend. Danach konnte mich die Geschichte immer mehr für sich einnehmen.

Inhaltlich ist die Geschichte ebenfalls sehr speziell. Thematisch geht es um Freundschaft, Familie, das Heranwachsen und wahre Liebe. Darüber hinaus steckt aber auch ernste Problematik in der Geschichte, denn Gewalt und Kriminalität spielen unter anderem ebenfalls eine große Rolle. Das macht den Roman facettenreich und berührend. Anzumerken ist dabei, dass er der Leserschaft einiges abverlangt.

Der deutsche Titel ist erfreulicherweise nahe am australischen Original („Boy swallows Universe“). Das Cover ähnelt ebenso der Gestaltung der Erstausgabe, was mir gut gefällt.

Mein Fazit:
„Der Junge, der das Universum verschlang“ von Trent Dalton ist ein ungewöhnlicher Roman, der trotz kleinerer Schwächen in mehrerer Hinsicht besonders ist.

Veröffentlicht am 30.04.2021

Der verlorene Sohn

Eines Tages für immer
0

Gerade erst ist Luke (27) Vater seines Söhnchens Samuel geworden. Mit seiner Freundin Hannah genießt er das frische Familienglück. Doch eine Frage treibt ihn seit der Kindheit um: Wer sind seine leiblichen ...

Gerade erst ist Luke (27) Vater seines Söhnchens Samuel geworden. Mit seiner Freundin Hannah genießt er das frische Familienglück. Doch eine Frage treibt ihn seit der Kindheit um: Wer sind seine leiblichen Eltern? Tatsächlich gelingt es ihm, seine Mutter Alice Garland ausfindig zu machen, die ihn zur Adoption freigegeben hat, als sie als 19-jährige Kunststudentin in London ungewollt schwanger geworden war. Die Begegnung mit dem verlorenen Sohn reißt bei Alice jedoch alte Wunden auf und lässt bei Luke einige Fragen offen...

„Eines Tages für immer“ ist ein Roman von Clare Empson.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus kurzen Kapiteln, die im Präsens abwechselnd in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Luke und Alice erzählt werden. Dadurch entstehen zwei Erzählstränge, wovon einer im Jahr 2000 („Heute“) und einer im Jahr 1972 („Damals“) spielt, jeweils in London. Der Roman endet mit einem Epilog. Der Aufbau ist durchdacht und funktioniert gut.

Der Schreibstil ist anschaulich, einfühlsam und aufgrund von viel direkter Rede sehr lebhaft.

Sowohl Luke als auch Alice sind zwei interessante Charaktere. Mir gefällt es gut, dass es nicht um Mutter und Tochter, sondern Mutter und Sohn geht, was wesentlich seltener in solchen Romanen der Fall ist. Luke ist ein durchweg authentischer und nicht unsympathischer Charakter mit Ecken und Kanten. Während Alice mir im Jahr 1972 noch zugesagt hat, wirkt ihre Person in der jüngeren Vergangenheit inkonsistent und hat mich zunehmend mit rücksichts- und verantwortungslosem Verhalten geärgert. Ihre Aktionen im aktuelleren Erzählstrang stehen in starkem Kontrast zur Vergangenheit und sind für mich nicht nachvollziehbar.

Das Thema Adoption und die Schwierigkeiten, die damit und mit Familienzusammenführungen einhergehen, bieten viel Stoff zum Nachdenken. Außerdem geht es um psychische Krankheiten und andere heftige Erfahrungen, die eine etwas düstere und schwermütige Atmosphäre schaffen. Zwar beinhaltet der Roman auch eine Liebesgeschichte. Dennoch nimmt die Romantik nicht zu viel Platz ein. Ein weiterer Aspekt, der eine Rolle spielt, ist die Kunst. Das alles macht den Roman facettenreich und tiefgründig.

Der Einstieg ist etwas zäh. Auch im weiteren Verlauf hat die rund 440 Seiten umfassende Geschichte ein paar Längen. Das Tempo nimmt in der zweiten Hälfte zu. Die Handlung gewinnt an Dramatik. Zum Schluss gelingt der Autorin zudem eine überraschende Wende, die für einen alles in allem zufriedenstellenden Ausgang sorgt. In weiten Teilen ist die Geschichte aber weniger geheimnisvoll als erhofft und sogar ziemlich durchsichtig, wenn auch stimmig.

Der deutsche Titel erschließt sich mir leider nicht, der englischsprachige („Mine“) dagegen schon besser. Die Gestaltung des Taschenbuches ist optisch ansprechend, hat aber keinerlei erkennbaren Bezug zum Inhalt.

Mein Fazit:
„Eines Tages für immer“ von Clare Empson ist ein Roman mit mehreren Stärken, aber auch Schwächen. Auch wenn mich die Geschichte nicht in allen Punkten überzeugen konnte, habe ich das Buch gerne gelesen.

Veröffentlicht am 25.04.2021

Die unbekannten Seiten einer Schwester

So wie du mich kennst
0

Drei Wochen ist es her, dass ihre Schwester Marie in New York überfahren wurde. Nun findet sich Karla Staub mit deren Asche in ihrem Heimatdorf Unteroberheim in Unterfranken wieder. Früher verstanden sich ...

Drei Wochen ist es her, dass ihre Schwester Marie in New York überfahren wurde. Nun findet sich Karla Staub mit deren Asche in ihrem Heimatdorf Unteroberheim in Unterfranken wieder. Früher verstanden sich die zwei Frauen bestens. Doch zwischenzeitlich haben sie sich etwas aus den Augen verloren. Wer war Marie wirklich, die als Fotografin im Ausland gearbeitet hat? Karla muss feststellen, dass sie nicht alles über ihre Schwester wusste...

„So wie du mich kennst“ ist ein Roman von Anika Landsteiner.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus Kapiteln und endet mit einem Epilog. Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht von Karla und Marie, jeweils in der Ich-Perspektive. Beide Stränge spielen zu unterschiedlichen Zeiten, sind aber gut miteinander verknüpft. Dieser Aufbau funktioniert prima.

Der Schreibstil konnte mich wieder einmal ab der ersten Seite begeistern. Er ist anschaulich, einfühlsam, atmosphärisch und auf angenehme Weise unaufgeregt. Dabei transportiert er mit wenigen Sätzen viele Bilder und Emotionen.

Im Fokus stehen die beiden Schwestern, zwei gleichsam sympathische wie authentische Protagonistinnen. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich.

Inhaltlich stellt sich die Geschichte als überraschend vielschichtig heraus. Es geht nicht nur um Tod und Verlust, Liebe und Beziehungen, Familie und Kindheitserinnerungen, sondern auch um sehr ernste Probleme. Besonders die Trauerthematik macht den Roman zudem immer wieder berührend, ohne kitschig zu sein. Die Neugier, was die Schwestern voreinander verheimlicht haben und wie es zu dem Unglück kommen konnte, verleiht der Handlung eine gewisse Spannung.

Das an ein Gemälde angelehnte Cover gefällt mir. Der Titel passt ebenfalls zur Geschichte.

Mein Fazit:
Nach „Mein italienischer Vater“ konnte mich Anika Landsteiner auch mit ihrem neuen Roman überzeugen. „So wie du mich kennst“ ist eine facettenreiche, berührende Lektüre, die zudem sprachlich gelungen ist. Schon jetzt eines meiner Lieblingsbücher 2021.

Veröffentlicht am 19.04.2021

Fassadenpolitik

Der ehemalige Sohn
0

Minsk im Jahr 1999: Der 16-jährige Franzisk Lukitsch soll nach dem Willen seiner Großmutter Elvira einmal Berufsmusiker werden. Mit seinen Altersgenossen bereitet er sich auf dieses Karriereziel vor und ...

Minsk im Jahr 1999: Der 16-jährige Franzisk Lukitsch soll nach dem Willen seiner Großmutter Elvira einmal Berufsmusiker werden. Mit seinen Altersgenossen bereitet er sich auf dieses Karriereziel vor und übt Cello auf den Druck seiner Babuschka. Zur Ablenkung will er mit seinen Freunden ein Rockkonzert besuchen. Bevor er aber der Musik zuhören kann, gerät er in eine Massenpanik und wird in dem Gedränge so schwer verletzt, dass er ins Koma versetzt werden muss...

„Der ehemalige Sohn“ ist der Debütroman von Sasha Filipenko, der erstmals schon 2014 erschienen ist.

Meine Meinung:
Der Roman ist in Abschnitte, nicht jedoch in Kapitel eingeteilt. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge, wobei es mehrere Zeitsprünge gibt, da die Handlung mehr als zehn Jahre umfasst.

Der Schreibstil ist - wie vom Autor gewohnt - recht schnörkellos und nüchtern, aber eindringlich und anschaulich. Es gibt immer wieder lange Monologe und Dialoge, jedoch verhältnismäßig wenige beschreibende Passagen. Außerdem sind zwischendurch Gedichte und Liedtexte eingefügt.

Mit Franzisk hat der Schriftsteller einen ziemlich gewöhnlichen, allerdings nicht langweiligen Charakter in den Mittelpunkt des Romans gestellt. Er wirkt realitätsnah. Mehrere der sonstigen Figuren erscheinen dagegen ziemlich überzeichnet, zum Teil auch ein wenig schablonenhaft.

Inhaltlich dreht sich der Roman vor allem um die Politik in Belarus, insbesondere um das diktatorische Regime des Präsidenten. Fast prophetisch wird beschrieben, wie die autoritäre Macht die Bürger einschüchtert, vertreibt und mürbe macht. Dies macht für mich die Stärke des Romans aus und verleiht der Geschichte sieben Jahre nach der Erstveröffentlichung eine größere Aktualität denn je. Schon alleine deshalb lohnt die Lektüre. Allerdings kommt die Regimekritik bisweilen ziemlich plakativ daher.

Wahre Fakten wie die Massenpanik werden mit Fiktion verwoben. Als außenstehende Leserin fiel es mir jedoch in einigen Punkten schwer zu beurteilen, bei welchen Teilen des Romans übertrieben wurde, was als Satire zu verstehen ist und was tatsächliche Begebenheiten sind. Besser verständlich wird der Inhalt durch die Anmerkungen der Übersetzerin, die an den Roman anschließen, aber meiner Ansicht nach eigentlich vor der Geschichte gelesen werden sollten. Interessant ist auch das Vorwort des Autors, das er aufgrund aktueller Ereignisse nachträglich geschrieben hat.

Auf rund 300 Seiten konnte mich die Geschichte mehrfach emotional bewegen. Das recht offene Ende lässt viel Raum für Interpretationen und gleich mehrere Fragen unbeantwortet.

Das vom Verlag gewohnt reduzierte Design des Covers mit dem Männerporträt ist durchaus passend. Auch der Titel erschließt sich beim Lesen. Als völlig missraten bewerte ich die unnötig ausführlichen Klappentexte, die schon vorab zu viel von der Geschichte preisgeben.

Mein Fazit:
Mit „Der ehemalige Sohn“ ist Sasha Filipenko ein Debüt gelungen, mit dem er sein Heimatland auch Westeuropäern nahebringt. Trotz mehrerer Schwächen ist der Roman lesenswert, weil er die Aufmerksamkeit auf die Missstände in Belarus lenkt und zurecht den Finger in die Wunde legt.