Profilbild von milkysilvermoon

milkysilvermoon

Lesejury Star
offline

milkysilvermoon ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit milkysilvermoon über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.04.2020

Ein englisches Provinzstädtchen während der Industrialisierung

Middlemarch
0

Die englische Kleinstadt Middlemarch in den Midlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Die 17-jährige Dorothea Brooke ist eine Waise, die in einem Internat in der Schweiz erzogen wurde. Zusammen ...

Die englische Kleinstadt Middlemarch in den Midlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Die 17-jährige Dorothea Brooke ist eine Waise, die in einem Internat in der Schweiz erzogen wurde. Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Celia lebt sie bei ihrem Onkel, einem Vertreter des Landadels. Als junger Frau bleibt ihr der Zugang zu Wissen und Bildung verwehrt. Doch damit will sie sich nicht abfinden. Um ihre Wissbegier zu befriedigen, lässt sie sich auf eine Heirat ein. Auch Tertius Lydgate, ein junger Arzt, will Grenzen überschreiten. Er forscht nach neuen Behandlungsmethoden. Beide sind bereit, einiges aufs Spiel zu setzen…

„Middlemarch“ ist ein Roman von George Eliot, der erstmals bereits im Jahr 1874 erschien.

Meine Meinung:
Der Roman ist stark strukturiert. Es besteht aus acht Büchern, die wiederum in insgesamt 86 Kapitel mit einer angenehmen Länge unterteilt sind. Vorangestellt ist ein kurzes „Vorspiel“, dem ich nicht so viel abgewinnen konnte. Der Roman endet mit einem „Finale“, das als Epilog verstanden werden kann und erklärt, was aus den Figuren geworden ist. Erzählt wird aus der Sicht unterschiedlicher Figuren. Teilweise richtet sich der Erzähler direkt an den Leser.

Der Schreibstil ist recht ungewöhnlich, was nicht nur der für Klassiker üblichen etwas antiquierten Sprache, sondern auch der sehr speziellen Syntax geschuldet ist. Komplexe und komplizierte Satzstrukturen sind gleichzeitig ein Genuss und eine Herausforderung für den Leser. Die Beschreibungen sind detailliert, manchmal etwas ausschweifend, aber pointiert. Ein wirkliches Manko ist für mich die Übersetzung, die immer wieder unelegant und nicht besonders idiomatisch klingt. Sie wurde zwar von Rainer Zerbst vollständig überarbeitet. Allerdings basiert der Text nach wie vor auf der ersten deutschen Übersetzung von ihm aus dem Jahr 1985.

Im Mittelpunkt des Romans stehen zunächst einmal Dorothea und Lydgate. Eine wichtige Rolle spielen neben Dorothea weitere Frauen, die sich in einer von Männern und dem Patriarchat dominierten Welt zurechtfinden müssen: zum Beispiel Rosamond Vichy, Mary Garth und Dorotheas Schwester Celia. Darüber hinaus verfügt der Roman über viele weitere Figuren, die ein authentisches und vielfältiges Bild der englischen Mittelschicht in der Provinz erschaffen. Allerdings wäre an der einen oder anderen Stelle eine Personenübersicht hilfreich gewesen.

Vor 200 Jahren wurde Mary Ann Evans, die unter dem männlichen Pseudonym George Eliot schrieb, geboren. Zum runden Geburtstag sind daher neue Ausgaben ihres Klassikers „Middlemarch“ erschienen. Mich freut, dass der Roman somit wieder Aufmerksamkeit erhält und nicht in Vergessenheit gerät, denn er ist auch für heutige Leser interessant. Die Autorin zeigt ein Panorama an gesellschaftlichen und politischen Themen der Zeit der Industrialisierung. Es geht unter anderem um die Reform des Wahlrechts, den Bau der Eisenbahn, die Arbeit der Mediziner in jener Zeit und einiges mehr. Der Roman ist ungeheuer umfassend und facettenreich. Bei mehr als 1000 Seiten bleibt es natürlich nicht aus, dass es die eine oder andere Länge gibt. Insgesamt konnte mich die Autorin jedoch bei der Stange halten, denn ihre treffliche Beobachtungsgabe und die teils humorvollen Anmerkungen sind dafür umso unterhaltsamer. Obwohl die Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt und damit schon zu Lebzeiten Eliots Historisches behandelt hat, lassen sich auch aktuelle Bezüge herstellen.

Neben dem Text des Romans bietet die dtv-Ausgabe Zusatzmaterial. Das Vorwort von Elisabeth Bronfen ist interessant, aber für Nichtkenner des Werkes an dieser Stelle völlig ungeeignet, denn es nimmt sehr viel Inhalt vorweg. Im Anhang ist das Nachwort von Rainer Zerbst zu finden, das die Entstehungsgeschichte des Romans erklärt, eine inhaltliche Analyse vornimmt und biografische Informationen zur Autorin liefert. Leider sind auch die Fußnoten zum Roman und zum Nachwort in den Anhang verlagert worden, was bei der Lektüre ein Hin- und Herblättern nötig macht.

Die dtv-Ausgabe verfügt nicht nur über einen schmucken Schutzumschlag, sondern auch über einen ebenso sehenswerten Einband.

Mein Fazit:
„Middlemarch“ von George Eliot verlangt dem Leser angesichts seines Umfangs und seiner stilistischen Herausforderungen zwar einen langen Atem ab. Wer sich auf diesen besonderen Roman, der zu recht ein Klassiker ist, einlässt, wird jedoch mit einer beeindruckenden Lektüre belohnt.

Veröffentlicht am 02.04.2020

Was im Leben wirklich wichtig ist

Dankbarkeiten
0

Lange Zeit hat Michèle Seld, genannt Michka, alleine gelebt. Sie ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Bisher hat sie ein unabhängiges Leben geführt. Nur ab und zu hat sich Marie Chapier, eine junge ...

Lange Zeit hat Michèle Seld, genannt Michka, alleine gelebt. Sie ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Bisher hat sie ein unabhängiges Leben geführt. Nur ab und zu hat sich Marie Chapier, eine junge Frau, um die alte Dame mit dem Habitus eines jungen Mädchens gekümmert. Doch nun, mit Mitte 80, braucht die Seniorin eine ständige Betreuung, denn sie wird immer wackeliger auf den Beinen. Zudem leidet sie an Aphasie und verliert immer mehr Wörter. In einem Altersheim macht sie die Bekanntschaft mit dem Logopäden Jérôme. Und sie fasst einen Plan: Sie will endlich das Ehepaar finden, dem sie ihr Leben zu verdanken hat…

„Dankbarkeiten“ ist ein Roman von Delphine de Vigan.

Meine Meinung:
Der Roman ist in etliche, meist kurze Abschnitte unterteilt. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive - abwechselnd aus der Sicht von Marie und aus der von Jérôme, was insgesamt recht gut funktioniert, aber nicht immer ideal ist.

Der Schreibstil ist besonders. Er wirkt nur auf den ersten Blick recht reduziert, ist aber sehr eindringlich, einfühlsam, intensiv und stellenweise sogar poetisch. Der Roman ist geprägt von vielen Dialogen und gelungenen Sprachbildern. Sehr gut gefallen haben mir die vielen kreativen Wortneuschöpfungen, die durch Michkas Gedächtnisverlust herrühren. Ungewöhnlich ist auch der Einstieg, in dem die Erzählerin den Leser direkt anspricht.

Mit Michka steht eine interessante Protagonistin im Vordergrund. Auch Marie und Jérôme waren mir gleich sympathisch. Die Figuren wirken realitätsnah, ihr Denken und ihr Fühlen sind nachvollziehbar.

Obwohl der Roman weniger als 170 Seiten umfasst, steckt inhaltlich eine Menge in der Geschichte. Es geht um Tod, Trauer, das Altern, Einsamkeit und Krankheit, aber auch einiges mehr, denn der Roman enthüllt die nicht immer schöne Vergangenheit der alten Dame. Neben diesen ernsten und traurigen Themen gibt die Geschichte Trost und Hoffnung, da Freundschaften, Menschlichkeit, Liebe und eben Dankbarkeit auch eine Rolle spielen. Durch die gelungene Mischung konnte mich der Roman emotional berühren und zum Nachdenken anregen.

Das moderne Cover passt stilistisch gut zum Roman. Positiv anzumerken ist außerdem, dass der treffende französische Originaltitel („Les gratitudes“) ziemlich wortgetreu ins Deutsche übernommen wurde.

Mein Fazit:
Zwar konnte mich Delphine de Vigan dieses Mal nicht so restlos begeistern wie mit „Loyalitäten“. Aber auch „Dankbarkeiten“ ist ein facettenreicher Roman, der mir aus sprachlicher und inhaltlicher Sicht wieder sehr gut gefallen hat und den ich daher ebenfalls wärmstens empfehlen kann.

Veröffentlicht am 31.03.2020

Eine Geschichte der Angst

Rote Kreuze
0

Minsk im Jahr 2001: Kaum ist der 30-jährige Alexander in die neue Wohnung eingezogen, da lernt er bereits seine Nachbarin kennen. Die 91-jährige Tatjana Alexejewna ist körperlich zwar ansonsten noch ganz ...

Minsk im Jahr 2001: Kaum ist der 30-jährige Alexander in die neue Wohnung eingezogen, da lernt er bereits seine Nachbarin kennen. Die 91-jährige Tatjana Alexejewna ist körperlich zwar ansonsten noch ganz fit, doch ihre Alzheimer-Krankheit raubt ihr mehr und mehr ihre Erinnerungen. Dabei hat sie viel zu erzählen, was nicht in Vergessenheit geraten soll. In der Vergangenheit hat die Seniorin ein Leben voller Schrecken geführt. Sie beschließt, ihre Geschichte ihrem Nachbarn anzuvertrauen, ohne zu wissen, dass der junge Fußballschiedsrichter selbst ein trauriges Schicksal zu verarbeiten hat…

„Rote Kreuze“ ist ein Roman von Sasha Filipenko.

Meine Meinung:
Der Roman ist lediglich in Abschnitte, nicht jedoch in Kapitel eingeteilt. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Alexander. Darüber hinaus gibt es aber immer wieder lange Monologe von Tatjana, wobei die Wechsel oft plötzlich kommen, was den Roman vor allem zu Beginn nicht so gut lesbar macht. Außerdem sind zwischendurch Gedichte, Briefe, Telegramme und sonstige Dokumente eingefügt. Diese wiederholen sich zum Teil inhaltlich und bremsen den Lesefluss, sodass ich es vorgezogen hätte, diese stärker komprimiert präsentiert zu bekommen oder sie in einem Anhang zu finden.

Der Schreibstil ist recht nüchtern und schnörkellos, aber dennoch eindringlich. Es gibt viel wörtliche Rede und wenige beschreibende Passagen. Wie Alexander selbst wird der Leser sehr direkt in die Erzählungen Tatjanas geworfen. Dennoch lässt sich die Geschichte gut nachverfolgen.

Mit Alexander und Tatjana stehen zwei gegensätzliche Protagonisten im Vordergrund, die zwar sehr reizvoll ausgestaltet sind, mir aber nicht gleich sympathisch waren. Mit der unhöflichen, abweisenden Art des jungen Mannes und dem penetrant aufdringlichen Verhalten der alten Frau hatte ich zu Beginn so meine Probleme. Später erfährt der Leser jedoch ihre Beweggründe und kann die Gedanken und Gefühle der beiden sehr gut nachvollziehen. Nur in einem Punkt erscheint mir das Denken Tatjanas ziemlich naiv und unlogisch.

Ein großes Plus des Romans ist seine wichtige Thematik. Mit der Geschichte Tatjanas lenkt der Autor die Aufmerksamkeit auf die unmenschlichen Schrecken und Grausamkeiten des Sowjetregimes zu der Zeit Stalins. Er betreibt damit Aufklärung und Aufarbeitung zugleich, indem er ein Kapitel der russischen Historie wieder in den Fokus rückt, das bei vielen seiner Landsleute bereits verdrängt worden ist. Ich selbst konnte durch die Lektüre vieles über die Vergangenheit der damaligen UdSSR lernen. Sie hat mich erschüttert und zum Nachdenken angeregt. Die sehr fundierte Recherche des Autors ist dem Roman an vielen Stellen anzumerken. Ebenfalls positiv aufgefallen ist mir, dass sich das Motiv des Kreuzes immer wieder in sprachlicher und inhaltlicher Sicht durch den Roman zieht.

Das für den Verlag typische Cover passt gut zum Roman. Den knappen Titel, der mehrdeutiger ist als zunächst gedacht, finde ich sehr gelungen.

Mein Fazit:
Mit „Rote Kreuze“ hat mich Sasha Filipenko zwar nicht in allen Aspekten gänzlich überzeugt. Dennoch wird sein Roman noch lange Zeit in mir nachhallen. Eine empfehlenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 31.03.2020

Die Geschichte von Blanche Peyron

Das Haus der Frauen
0

Nach dem Selbstmord eines Mandanten ist die erfolgreiche Anwältin Solène mit den Nerven am Ende. Die 40-Jährige erleidet einen Zusammenbruch, der sie ihr Leben infrage stellen lässt. Nach einem Aufenthalt ...

Nach dem Selbstmord eines Mandanten ist die erfolgreiche Anwältin Solène mit den Nerven am Ende. Die 40-Jährige erleidet einen Zusammenbruch, der sie ihr Leben infrage stellen lässt. Nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik kommt sie, noch immer nicht ganz von ihrer Depression geheilt, in Kontakt mit einem Pariser Wohnheim für Frauen. Ehrenamtlich soll sie die Bewohnerinnen bei deren Korrespondenzen unterstützen. Im Haus der Frauen erhält das Leben für Solène nicht nur einen neuen Sinn, sondern sie erfährt auch Zusammenhalt. Sie beschließt nachzuforschen, was die 58-jährige Begründerin Blanche Peyron vor 100 Jahren dazu bewog, das Frauenheim trotz aller Widerstände zu schaffen…

„Das Haus der Frauen“ ist der zweite Roman von Laetitia Colombani.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 28 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Es gibt zwei Stränge: Einerseits befinden wir uns mit Solène im Paris der Gegenwart und andererseits mit Blanche Peyron in den 1920er-Jahren, jeweils erzählt im Präsens. Dieser Aufbau funktioniert gut.

Bereits bei ihrem Debütroman hat mir der Schreibstil der Autorin gefallen. Auch dieses Mal ist die Sprache klar, aber schafft es, viele Bilder hervorzurufen. Obwohl im Roman auf direkte Rede verzichtet wird, ist der Erzählton erneut einfühlsam und warmherzig.

Wie schon in „Der Zopf“ stehen auch dieses Mal starke Frauen im Vordergrund. Sowohl Solène als auch Blanche wirken authentisch. Ihre Gedanken und Gefühlen sind gut nachvollziehbar, ihre Geschichten habe ich gerne verfolgt.

Toll finde ich, dass der Roman auf wahren Begebenheiten beruht. Fakten und Fiktionen werden so gekonnt miteinander verwoben. Das „Palais de la Femme“ in Paris existiert wirklich. Es ist interessant, die Geschichte der Begründerin Blanche Peyron zu erfahren. Schön, dass ihr Engagement nun literarisch bearbeitet wurde. Die fundierte Recherche ist dem Roman anzumerken.

Auf rund 250 Seiten werden mehrere bedrückende Frauenschicksale dargestellt, was den Roman zugleich abwechslungsreich und berührend macht. Langeweile kommt beim Lesen nicht auf, obwohl die schlüssige Handlung nur wenige Überraschungen bieten kann.

Das Cover, das stilistisch an den Vorgängerroman der Autorin erinnert, ist nicht nur thematisch passend, sondern auch wieder hübsch anzuschauen. Leider orientiert sich der deutsche Titel dieses Mal nicht so nah am französischsprachigen Original („Les Victorieuses“), was ich schade finde.

Mein Fazit:
Mit „Das Haus der Frauen“ legt Laetitia Colombani wieder einen empfehlenswerten Roman vor, der zwar nicht ganz an „Der Zopf“ heranreicht, aber mich ebenfalls überzeugt hat. Die Geschichte sorgt für schöne Lesestunden.

Veröffentlicht am 27.03.2020

Erinnerungen

Die Glasschwestern
0

Während die 39-jährige Dunja Lenzing mit ihren Kindern Jules und Augusta in der Großstadt lebt und dort Deutschkurse gibt, ist ihre Zwillingsschwester Saphie in einem Hotel in einem thüringischen Dorf ...

Während die 39-jährige Dunja Lenzing mit ihren Kindern Jules und Augusta in der Großstadt lebt und dort Deutschkurse gibt, ist ihre Zwillingsschwester Saphie in einem Hotel in einem thüringischen Dorf an der ehemals deutsch-deutschen Grenze heimisch. Dann schlägt der Zufall auf irrwitzige Weise zu: An ein und demselben Tag sterben ihre langjährigen Lebenspartner. Restaurator Winne, der Vater von Jules und Augusta, kommt bei einem Sturz ums Leben. Hotelchef Gilbhart stirbt durch einen Schlaganfall. Obwohl sich Dunja bereits von Winne getrennt hatte und der alkoholabhängige Gilbhart es Saphie zuletzt schwergemacht hat, leiden die beiden Schwestern unter dem Verlust und nähern sich einander wieder an. Dunja entscheidet sich, in Saphies Hotel zu ziehen und somit in die Heimat ihrer Kindheit zurückzukehren. Dort werden beide mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.

„Die Glasschwestern“ ist ein Roman von Franziska Hauser.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 40 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Jedes ist mit einem anderen Sprichwort überschrieben – eine sehr schöne Idee. Erzählt wird im Präsens zunächst nur aus der Sicht von Dunja, später auch aus der von Saphie. Der Roman ist chronologisch aufgebaut, aber es gibt immer wieder kurze Rückblenden in die Vergangenheit in Form von Erinnerungen. Der Aufbau ist sehr durchdacht und funktioniert gut.

Auch in sprachlicher Hinsicht hat mir der Roman sehr gut gefallen, denn sein Stil ist besonders. Ungewöhnliche Bilder und Vergleiche konnten mich begeistern. Dabei wirkt der Schreibstil eindringlich und stellenweise poetisch, aber nicht blumig oder gekünstelt. Der Roman ist unaufgeregt und atmosphärisch recht dicht.

Die zu Beginn ziemlich unterschiedlichen Zwillingsschwestern, die ich als interessante Charaktere empfunden habe, stehen im Vordergrund. Beide machen eine Entwicklung durch. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich. Allerdings habe ich mit den meisten Figuren zunächst gefremdelt, denn viele der Personen erscheinen etwas seltsam. Dazu passen die ausgefallenen Namen in der Geschichte, die nicht nur die Protagonisten, sondern auch einige der Nebenfiguren tragen.

Die Handlung braucht ein wenig, um Fahrt aufzunehmen. Dennoch konnte mich die Geschichte von Anfang an fesseln. Zwischendurch gibt es auf den mehr als 400 Seiten zwar einige kleinere Längen. Im Großen und Ganzen bleibt die Geschichte aber abwechslungsreich und unterhaltsam.

Inhaltlich ist der Roman sehr vielschichtig. Es geht um die Zeit vor der Wende und die Vergangenheit der Protagonisten, um Tod und Trauer, um wichtige Entscheidungen und die Suche nach einem neuen Sinn im Leben. Zugleich ist es aber auch eine Familiengeschichte und ein Generationen umfassender Roman, der Geheimnisse und Lügen beinhaltet. Eine Lektüre, die Fragen aufwirft und dazu einlädt, das Buch immer wieder zur Seite zu legen, um eigenen Gedanken nachzuhängen.

Toll finde ich auch das ansprechende Cover, denn es greift die melancholische Stimmung der Geschichte auf und symbolisiert durch die Spiegelung die Zwillingsschwestern. Auch der Titel, der sich schon nach wenigen Kapiteln erklärt, aber auch mehrdeutig interpretiert werden kann, passt sehr gut.

Mein Fazit:
Mit „Die Glasschwestern“ ist Franziska Hauser ein ungewöhnlicher, komplexer Roman gelungen, der mich sprachlich beeindrucken konnte. Das lesenswerte Buch ist nicht nur unterhaltsam, sondern bietet auch eine Menge Denkimpulse.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Charaktere
  • Geschichte
  • Erzählstil