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Veröffentlicht am 25.09.2022

Die Verweigerung von Liebe

Ich verliebe mich so leicht
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Er ist beinahe 50 Jahre alt. Mit der Mutter seiner Kinder ist er nicht zusammen. Aber eine junge Frau hat es ihm angetan. Nach einem gemeinsamen sexuellen Abenteuer möchte sie nichts mehr von ihm. Trotzdem ...

Er ist beinahe 50 Jahre alt. Mit der Mutter seiner Kinder ist er nicht zusammen. Aber eine junge Frau hat es ihm angetan. Nach einem gemeinsamen sexuellen Abenteuer möchte sie nichts mehr von ihm. Trotzdem reist er ihr hinterher…

„Ich verliebe mich so leicht“ ist ein Kurzroman von Hervé Le Tellier.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwölf kurzen, teils sehr knappen Kapiteln mit stichwortartigen Zusammenfassungen zu Beginn. Sie werden von einer Art Prolog („Lange Vorrede“) eingeleitet. Die Handlung beschränkt sich auf kaum mehr als einen Tag. Erzählt wird im Präsens in chronologischer Reihenfolge.

Der Schreibstil mit seinen süffisanten Bemerkungen und launigen Beschreibungen liest sich amüsant. Der Text verzichtet auf Namen, zeugt aber von sprachlicher Gewandtheit.

Der Protagonist („unser Held“) ist eigentlich ein Antiheld. Mit einer gewissen Portion Schadenfreude habe ich sein Scheitern und seine Missgeschicke verfolgt. Allerdings ist sein Verhalten dazu geeignet, den Puls der Leserschaft in die Höhe zu treiben. Auch die Protagonistin ist keine Sympathieträgerin. Eine Entwicklung der Charaktere ist nicht erkennbar.

Inhaltlich finde ich den Roman leider recht problematisch. Ein 49-jähriger Mann stellt einer 20 Jahre jüngeren Frau, die noch dazu vergeben ist, hinterher. Das ist nicht nur „Verrücktheit“, wie der Erzähler auf verharmlosende Weise behauptet, sondern übergriffig und mindestens eine Form von Belästigung und grenzt fast an Stalking. Dass der Mann kein Nein und keine Zurückweisung akzeptiert, wird nicht genügend kritisiert. Eine bedenkliche Botschaft. Um romantische, echte Liebe geht es zudem im Grunde nicht, allenfalls um Besessenheit. Die Gefühle haben sich mir darüber hinaus nicht erschlossen.

Auf den nur wenig mehr als 100 luftig bedruckten Seiten kommt es zu mehreren Wiederholungen. Das macht einige Passagen langatmig.

Der französische Originaltitel („Je m‘attache très facilement“) ist etwas treffender als die deutsche Entsprechung. Das Cover passt inhaltlich sehr gut.

Mein Fazit:
Mit „Ich verliebe mich so leicht“ hat mich Hervé Le Tellier auf inhaltlicher Ebene enttäuscht. Ein kurzer literarischen Snack, der meinen Hunger nach einer gehaltvollen Lektüre nicht stillen konnte. Ein Buch, das ich bedauerlicherweise nicht guten Gewissens empfehlen kann.

Veröffentlicht am 30.06.2022

In den Köpfen der Leute

Mrs. Dalloway
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Es ist ein normaler Wochentag im Jahr 1923 und doch kein gewöhnlicher für Clarissa Dalloway. Die 52-Jährige möchte eine besondere Party geben…

„Mrs. Dalloway“ ist ein Klassiker der modernen Literatur ...

Es ist ein normaler Wochentag im Jahr 1923 und doch kein gewöhnlicher für Clarissa Dalloway. Die 52-Jährige möchte eine besondere Party geben…

„Mrs. Dalloway“ ist ein Klassiker der modernen Literatur von Virginia Woolf, erstmals veröffentlicht im Jahr 1925.

Meine Meinung:
Die Struktur des Romans ist durchdacht und durchaus raffiniert, zugleich aber etwas verwirrend und nicht leicht verständlich.

Die Art des Erzählens mag für die damalige Zeit experimentell und beeindruckend gewesen sein. Für mich hat der ausschweifende Stil mit vielen plötzlichen Perspektivwechseln und den vielen Details aber eine Herausforderung bedeutet. Zwar zeigt sich immer wieder, dass die Autorin mit Sprache sehr gut umgehen kann. Dennoch wurde ich mit dieser Erzählweise nicht warm.

Eine Stärke des Romans ist es, dass er ein umfangreiches und unterhaltsames Gesellschaftspanorama abliefert. Der Schwerpunkt liegt auf dem Innenleben unterschiedlicher Figuren. Das Personal ist entsprechend umfangreich. Die Protagonistin ist keine Sympathieträgerin. Hervorzuheben ist, dass die Ausgestaltung der Figuren ziemlich authentisch wirkt.

Die Handlung ist überschaubar. Inhaltlich ist der Roman in Hinsicht auf die Themen aber recht komplex. Gut gefallen haben mir vor allem die mehr oder weniger offene Gesellschaftskritik und die anklingenden feministischen Ansätze. Darüber hinaus konnte mich der Roman mit seinen mehr als 300 Seiten leider wenig fesseln. Etliche Passagen habe ich als langatmig empfunden.

Hilfreich sind die erhellenden Anmerkungen im Anhang zu Namen, Orten und anderen Begrifflichkeiten, die sehr zum Verständnis der Lektüre beitragen. Das Nachwort von Vea Kaiser kann ebenfalls zum Erkenntnisgewinn beitragen. Schöner wäre es gewesen, wenn sich vieles davon schon vorher erschlossen hätte.

Die vorliegende Ausgabe macht einen hochwertigen Eindruck und ist ein Schmuckstück im Regal. Der Originaltitel wurde auch bei dieser Edition wortgetreu übernommen.

Mein Fazit:
Die Faszination, die „Mrs. Dalloway“ von Virginia Woolf bei einigen auslöst, kann ich nach der Erstlektüre leider nicht ganz nachvollziehen. Trotzdem werde ich diesem Roman sicherlich noch einmal eine Chance geben.

Veröffentlicht am 28.05.2022

In der trüben Brühe rühren

Ein Leben lang
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Die Anfrage der Journalistin kommt unerwartet. 15 Jahre ist der aufsehenerregende Mord her, für den ihr gemeinsamer Freund verurteilt worden ist: lebenslänglich. Nun sollen die promovierte Astronomin Sabine, ...

Die Anfrage der Journalistin kommt unerwartet. 15 Jahre ist der aufsehenerregende Mord her, für den ihr gemeinsamer Freund verurteilt worden ist: lebenslänglich. Nun sollen die promovierte Astronomin Sabine, die Lehrerin Emilia, der Jurist Benjamin, der Musiker Till und der Pressesprecher Sebastian erzählen, woran sie sich von damals erinnern.

„Ein Leben lang“ ist ein Roman von Christoph Poschenrieder.

Meine Meinung:
Der Roman verfügt über eine sehr klare Struktur. Er gliedert sich in zwei Teile, wobei der erste aus zwei Hälften besteht. Darüber hinaus gibt es insgesamt rund 25 Kapitel.

Die Geschichte wird weder zeitlich noch räumlich genau verortet. Erzählt wird mit einem Abstand von 15 Jahren in chronologischer Reihenfolge über einen Kriminalfall.

In stilistischer Hinsicht ist der Roman sehr interessant. Es gibt einerseits die als „Memo“ bezeichneten Niederschriften einer nicht näher definierten Journalistin und andererseits die Antworten der fünf Freunde, des Anwalts und des „Gefangenen“. Ein ungewöhnliches und ansprechendes Konzept.

Sprachlich ist der Roman unauffällig und durch die vielen Redeanteile literarisch wenig herausragend. Etwas gestört hat mich, dass sich die verschiedenen Perspektiven in Bezug auf die Sprache kaum unterscheiden.

Die fünf Freunde stehen im Fokus des Romans. Man lernt sie jedoch nur im Gespräch mit der Journalistin kennen. Ihre Biografien bleiben recht blass. Die einzelnen Charakterzüge werden allerdings gut deutlich.

Der Roman basiert auf einem tatsächlichen Mordfall, der 2006 in München passiert ist. Das an sich ist für mich kein Minuspunkt. Geärgert hat mich aber, dass der Autor fast jedes Detail des echten Falls abgekupfert hat und sich lediglich die Mühe gemacht hat, zwei Fakten geringfügig abzuändern. Mit nur einer kurzen Internetrecherche lässt sich der Inhalt des Romans herausfinden. Das ist mir zu wenig Eigenleistung.

Am Ende hat sich bei mir Enttäuschung breitgemacht. Es bleiben viele Fragen offen. Das mag daran liegen, dass der echte Mord ebenfalls nicht komplett eindeutig ist. Man kann natürlich auch argumentieren, dass es dem Autor vorwiegend darum ging, die Freundschaft zu einem verurteilten Mörder zu beleuchten. Das zumindest schildert der Schriftsteller in einer angehängten Notiz. Aber in diesem Aspekt stellt mich der Roman ebenfalls nicht zufrieden. Zu diffus sind die beschriebene Freundschaft zum Verurteilten und die Dinge, die diese ausmachen. Mir war am Schluss immer noch nicht klar, warum die Freunde gegenüber dem Angeklagten so loyal waren. Sein eigentliches Ziel hat der Roman damit meiner Ansicht nach also verfehlt.

Positiv anzumerken ist, dass sich der Roman dennoch süffig liest und nur wenige Längen aufweist. Über weite Strecken bietet er keinen geringen Unterhaltungswert.

Mein Fazit:
„Ein Leben lang“ von Christoph Poschenrieder ist leider kein ungetrübtes Lesevergnügen. Der gelungene Aufbau und das vielversprechende Konzept gefallen mir gut. In der Umsetzung schwächelt die Geschichte jedoch an mehreren Stellen.

Veröffentlicht am 28.03.2022

Eine Entführung der etwas anderen Art

Henry
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Als die zwölfjährige Henriette Angermeier auf der Rückbank des Autos erwacht, erblickt sie am Steuer nicht mehr ihre Mutter Marion, sondern einen fremden Kerl. Der 26-jährige Sven wollte sich den teuren ...

Als die zwölfjährige Henriette Angermeier auf der Rückbank des Autos erwacht, erblickt sie am Steuer nicht mehr ihre Mutter Marion, sondern einen fremden Kerl. Der 26-jährige Sven wollte sich den teuren Mercedes in Berlin-Wilmersdorf nur für eine Spritztour schnappen. Mit einem Kind auf der Rückbank hatte er nicht gerechnet. Was nun? Henry möchte sich von ihm nicht aussetzen lassen. So muss Sven das Mädchen mit zu seiner Ex-Freundin Nadja nehmen, bei der er noch immer wohnt…

„Henry“ ist der Debütroman von Florian Gottschick.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 56 eher kurzen Kapiteln. Das eigentliche Geschehen, das nur wenige Tage umfasst, wird grundsätzlich chronologisch erzählt. Nicht so gerne mochte ich die eingestreuten Vorausdeutungen zu der erwachsenen Henry. Der Roman endet mit einem Epilog, der ebenfalls in einer nicht näher bestimmten Zukunft angesiedelt ist. Der Aufbau funktioniert gut.

Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive. Was die Sprache angeht, bin ich bei diesem Roman hin- und hergerissen. Einerseits mag ich die spritzigen Dialoge und die teils ungewöhnlichen Bilder. Auch die Einschübe zur Statistik finde ich erfrischend. Andererseits sind einige Vergleiche und Metaphern ein wenig schräg und zu sehr drüber. Zudem tritt die Sprache oft in den Hintergrund zugunsten filmreifer Beschreibungen. Die häufigen Fehler, die vom Korrektorat übersehen wurden, stören den Lesefluss.

Henry ist eine sehr sympathische und trotz ihres jungen Alters schon ziemlich altkluge Protagonistin, ein sehr interessanter Charakter mit viel Potenzial. Auch Henrys Familie ist mit psychologischen Details ausgestattet. Das Entführerpaar dagegen kommt recht eindimensional und oft skizzenhaft rüber.

Inhaltlich hat mich die Geschichte leider nicht nur erfreut, sondern auch enttäuscht. Sie hält weder das Versprechen eines Roadtrips noch das einer komplett spannenden Entführung, wobei die Grundidee durchaus reizvoll ist und die ersten Kapitel vielversprechend sind. Thematisch bietet das Buch jedoch ein abwechslungsreiches Spektrum. Gut gelungen sind insbesondere auch die Passagen, in denen es um die Polizeiarbeit und die Psychotherapie geht. Hier hat der Autor seine Hausaufgaben in Bezug auf die Recherche hervorragend erledigt. Dadurch konnte ich sogar Neues lernen. Stark sind außerdem die Bezüge zu Murakami und andere Anklänge. Das angehängte Spaghetti-Rezept ist ebenfalls ein schönes Extra.

An anderen Stellen hat mich der Roman hingegen nicht überzeugt. Der Zufall spielt eine große Rolle, sodass die Realitätsnahe stark strapaziert wird. Zudem hat mich gestört, dass etliche Klischees wie das der engstirnigen und langweiligen Dorfbewohner breitgetreten werden. Geärgert hat mich darüber hinaus, dass das Thema Sex allgegenwärtig ist, auch in Anwesenheit von Henry. Alles in allem ist die Geschichte auf etwas mehr als 300 Seiten zwar unterhaltsam, gleitet aber zu oft aus tiefgründigeren Gewässern wieder ins Seichte ab.

Das Cover hebt sich positiv von der Masse ab und ist sehr ansprechend. Der prägnante Titel ist ebenso eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Mit „Henry“ konnte mich Florian Gottschick - trotz vieler guter Ansätze - nur bedingt abholen. Wer sich auf eine kurzweilige und ereignisreiche Geschichte einlassen kann, ohne viel Wert auf Realitätsnähe und Tiefgang zu legen, dürfte mit diesem Roman jedoch glücklich werden.

Veröffentlicht am 22.02.2022

Empörende Umweltsünden

Unser kostbares Leben
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Mainheim, eine Kleinstadt an den Ausläufern des Taunus, im Jahr 1972: Die zehnjährige Caro Stern und ihre gleichaltrige Freundin Minka Schönwetter müssen miterleben, wie ihr Klassenkamerad Guy Meyfahrt ...

Mainheim, eine Kleinstadt an den Ausläufern des Taunus, im Jahr 1972: Die zehnjährige Caro Stern und ihre gleichaltrige Freundin Minka Schönwetter müssen miterleben, wie ihr Klassenkamerad Guy Meyfahrt vor ihren Augen verunglückt. Am selben Tag trifft die vietnamesische Vollwaise Claire, ebenfalls zehn Jahre alt, im Kinderheim ein. Das Netzwerk von Caros und Minkas Vätern, des Schokofabrikdirektors und des Bürgermeisters, beginnt zu arbeiten. Allmählich realisieren die beiden Freundinnen, dass in ihrer Stadt nichts mehr stimmt: Umweltverbrechen und andere Ungeheuerlichkeiten passieren….

„Unser kostbares Leben“ ist ein Roman von Katharina Fuchs.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Büchern, die sich aus insgesamt mehr als 80 Kapiteln zusammensetzen. Die Handlung spielt in den Jahren 1972 bis 1983. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven.

Der Schreibstil ist anschaulich, aber manchmal fast ermüdend ausschweifend und detailliert. Eingefügt sind Liedtexte, Briefe und andere Auszüge.

Das Personal ist sehr umfangreich und daher teilweise unübersichtlich. Zwar stehen Minka, Caro und später ebenfalls Claire überwiegend im Vordergrund der Geschichte. Der Fokus schwenkt jedoch immer wieder auch auf weitere Figuren. Darunter leidet die Stringenz ein wenig.

Auch darüber hinaus ist der Roman inhaltlich überfrachtet. Neben der Umweltproblematik, die mich am meisten gereizt hat, tauchen überraschend viele weitere Themen auf, die die Geschichte zwar abwechslungsreich machen, aber auch unnötig ausschmücken. So ergeben sich auf den mehr als 600 Seiten einige Längen - zumal Spannungsmomente nicht allzu zahlreich eingestreut sind.

Wie schon bei den anderen Romanen von Katharina Fuchs ist der Geschichte die fundierte Recherche anzumerken. Selbst diejenigen, die die 1970er- und 80er-Jahre (teilweise) noch in Erinnerung haben, können bei der Lektüre nebenbei einiges lernen.

Das Cover gefällt mir sehr gut, obwohl es keinen direkten inhaltlichen Bezug gibt. Der Titel ist wenig konkret, passt aber hervorragend zu den sonstigen Romanen der Autorin.

Mein Fazit:
Mit „Unser kostbares Leben“ hat Katharina Fuchs ihren bisher schwächsten Roman abgeliefert. Zwar kann die Geschichte durchaus unterhalten. Sie kommt aber leider nicht an die Vorgängerbücher heran.