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Veröffentlicht am 15.11.2024

Tolles Thriller-Debüt

Nachtfahrt
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Als Katharina Holten die Nachricht vom Unfalltod ihres Vaters erhält, ist sie geschockt, weil sie nun nach Hause zurückkehren und sich um dessen Fahrschule kümmern muss. Jahre zuvor ist sie regelrecht ...

Als Katharina Holten die Nachricht vom Unfalltod ihres Vaters erhält, ist sie geschockt, weil sie nun nach Hause zurückkehren und sich um dessen Fahrschule kümmern muss. Jahre zuvor ist sie regelrecht geflüchtet, nachdem ihr etwas zugestoßen ist, das einen großen Einfluss auf ihr Leben genommen hat. Als ihre dreizehnjährige Nichte Ronja entführt wird, bekommt Katha ein Ultimatum gestellt: Sie muss ein Geheimnis aufdecken, das mit ihrer Familie zusammenhängt, sonst wird die Jugendliche getötet. Und dies scheint erst der Anfang zu sein.

Der Prolog versprach eine ungewöhnliche Geschichte und eine solche bekam ich auch. Katharina war ein glaubwürdiger Charakter, ich habe voller Ungeduld darauf hingefiebert, endlich zu erfahren, was vor Jahren passiert ist, aber natürlich ließ mich die Autorin lange im Unklaren darüber. Dafür konstruierte sie mehrere Erzählstränge, die sie nach und nach zusammenführte, was den Nervenkitzel erheblich gesteigert hat. Mehrere falsche Fährten später präsentierte sie ein explosives Finale, bei dem fast alle Fragen beantwortet wurden, die restlichen Unklarheiten beseitigten die folgenden Kapitel. Auch wenn ich einen kleinen Verdacht hatte, der sich letztendlich bestätigte, schmälerte dies meinen Lesegenuss nicht im geringsten. Bemängeln möchte ich hierbei lediglich, dass die Autorin insgesamt etwas zu dick aufgetragen hat. Da es sich aber um einen Thriller sowie eine fiktive Erzählung handelte, kann man darüber wohl hinwegsehen. Ein tolles Debüt, das Lust auf weitere Bücher von Annika Strauss macht.

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Veröffentlicht am 12.11.2024

Unten angekommen

Gorbach
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Hank Zerbolesch hat mit dem vorliegenden Buch eine Sammlung von ineinander greifenden Geschichten vorgelegt, die einen Querschnitt durch Menschenschicksale zieht. Hierbei konzentriert er sich auf die vom ...

Hank Zerbolesch hat mit dem vorliegenden Buch eine Sammlung von ineinander greifenden Geschichten vorgelegt, die einen Querschnitt durch Menschenschicksale zieht. Hierbei konzentriert er sich auf die vom Leben nicht begünstigten Personen, beispielsweise die Einsamen, die Süchtigen und andere aus der Gesellschaft Verstoßenen.

»Die Ecke hier war mal ein richtig schöner Ort gewesen. Laut, ja, auch, aber nicht laut im Sinne von Nachbarn, die um halb zwölf Uhr nachts mit der Stichsäge Laminat verlegen, sondern laut im Sinne von pulsierend. Atmend. Okay, röchelnd auch, das stimmt. Dieser Ort war schon immer anders gewesen. Ein bisschen schmutziger als der Rest. Aber angenehm schmutzig. Wie eine noch nicht ganz aufgeräumte Wohnung nach einem ausladenden Familienfest, diese Art Schmutz.« (Seite 163)

Die Erzählungen ergänzen sich, manche Namen tauchen erneut auf, andere verschwinden im Kosmos der Bedeutungslosigkeit. Verzweiflung wabert durch die Seiten, Gewalt löst Angst ab, Sucht führt zur Gier, mangelnde Perspektiven gehen Hand in Hand mit Armut, die überall aus den Ecken kriecht. Die Sprache passt zur Gosse, geflucht wird überall. Darüber liegt ein Nebel der Hoffnungslosigkeit, hängt über den Menschen und hüllt sie ein. Da hilft es auch nicht, dass der ein oder andere schöne Moment um die Ecke schaut und mangels Platz wieder verschwindet. Das Leben ist hässlich, das Leben ist schön. Gorbach ist trotzdem oder gerade deswegen eine (Lese-) Reise wert!

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Veröffentlicht am 11.11.2024

Frieden im Herzen

Und alle so still
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An einem schönen Sommertag im Juni geschieht etwas Ungewöhnliches: Frauen liegen auf den Straßen, vor Kindergärten, vor Krankenhäusern, vor anderen Gebäuden. Auf öffentlichen Plätzen verteilen sie sich ...

An einem schönen Sommertag im Juni geschieht etwas Ungewöhnliches: Frauen liegen auf den Straßen, vor Kindergärten, vor Krankenhäusern, vor anderen Gebäuden. Auf öffentlichen Plätzen verteilen sie sich und sind dabei ruhig, vereint in einem stillen Protest. Zu diesem Zeitpunkt kreuzen sich zum ersten Mal die Wege von Elin, Nuri und Ruth. Elin, eine erfolgreiche Influencerin, die ihren Körper präsentiert, ihr Gefühl dafür aber längst verloren hat. Nuri, der täglich ums Überleben kämpft, obwohl er weiß, dass er diesen Kampf alleine nicht gewinnen kann. Und Ruth, die sich seit Jahren aufopfert und merkt, dass es trotzdem nie genug sein wird. Werden sie das System ändern können oder besiegt das System sie?

»Wir haben doch alles versucht. Wir haben verlangt, dass Care-Arbeit aufgewertet wird, dass wir die gleiche Bezahlung erhalten für die gleiche Arbeit, wir haben gefordert, dass Täter zur Verantwortung gezogen werden, dass es besseren Schutz gibt vor Femiziden. Nichts hat sich verändert. Hinter allen Arten des Unrechts steckt dasselbe Problem, dass wir nicht gehört, nicht gesehen, nicht geachtet werden.« (Seite 173)

Der vorliegende dystopische Roman lässt mich wütend zurück. Auf den Punkt gebracht hat Mareike Fallwickl Probleme, die uns alle angehen, die aber von Jahr zu Jahr größer werden, ohne dass es eine Lösung gibt. Wer erinnert sich nicht an die Zeit, als Menschen in den Fenstern standen, um zu applaudieren und sich bei Menschen zu bedanken, deren Einsatz seit vielen Jahren nicht genügend gewürdigt wird. Damals dachte auch ich, dass sich in diesem Bereich etwas ändern würde. Wie falsch ich doch damit lag. Diese Zustände prangert der Roman an, bezieht aber viele andere Aspekte mit ein, wie zum Beispiel die schwierige Suche nach der eigenen Identität, sexuelle Belästigung, psychische und physische Gewalt in Beziehungen und viele andere Themen dazu. Im Vordergrund stehen die Frauen, die sich finden und einen Zusammenhalt zeigen, den keiner für möglich gehalten hätte.

»Es ist nicht so, dass ihnen diese Dinge geschehen sind und sie zufällig Frauen sind. Vielmehr sind diese Dinge geschehen, weil sie Frauen sind. Und wie soll eine aufrecht bleiben mit diesem Wissen?« (Seite 282)

Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn das angeblich schwächere Geschlecht sich herausnimmt, einfach alles liegen zu lassen, weggeht, sich plötzlich nicht mehr kümmert? Was passiert in den Wohnungen und Häusern, den Kindergärten und an den Supermarktkassen, wer putzt in den Geschäften, den Fabriken und Krankenhäusern, wer hilft und bemuttert, wer hegt und wer pflegt? Das Szenario im Buch war erschreckend, aber auch befreiend, ich fühlte förmlich mit und war hautnah dabei. Eine seltsame Euphorie erfasste mich, die einen Dämpfer bekam, dann noch einen, dann weitere zwei. Ich leckte meine Wunden, ich weinte und ich schrie, versorgte die Wunden, stand auf und dann war sie da, die Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass es anders geht und irgendwann auch anders wird. Großes Kino!

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Veröffentlicht am 08.11.2024

Wo der Schmerz ruht

Wir waren nur Kinder
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Am 16. und 17. Juli 1942 verhaftete die französische Polizei in Absprache mit der deutschen Besatzungsmacht mehr als dreizehntausend in Paris lebende Juden. Die Erwachsenen ohne Kinder wurden in ein Sammellager ...

Am 16. und 17. Juli 1942 verhaftete die französische Polizei in Absprache mit der deutschen Besatzungsmacht mehr als dreizehntausend in Paris lebende Juden. Die Erwachsenen ohne Kinder wurden in ein Sammellager nordöstlich von Paris gebracht, die restlichen Personen, unter ihnen über viertausend Kinder sowie fast dreitausend Frauen, erst fünf Tage lang in einer Halle gefangen gehalten, um danach in diverse Durchgangslager verlegt zu werden, von wo aus sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in die Vernichtungslager in den Osten deponiert wurden. Rachel Jedinak, geborene Rachel Psankiewicz, ist zusammen mit ihrer Mutter sowie der älteren Schwester Louise verhaftet worden. Sie überlebte die erste Massenverhaftung, die als sogenannte Razzia vom Vélodrome d‘Hiver in die Geschichte einging. In dem vorliegenden Buch berichtet sie als Zeitzeugin von dieser grausamen Zeit und davon, warum und wie ihr die Flucht gelungen ist.

So schmal wie das Büchlein ist, so erschütternd und schmerzhaft ist, was Rachel Jedinak beschreibt. Dabei bedient sie sich der Sprache der Kinder, wie sie selbst eines war, als das Grauen seinen Anfang nahm. Nicht immer war sie in der Lage, überhaupt zu begreifen, was damals geschah, was absolut verständlich ist, wenn man bedenkt, dass manch erwachsener Mensch kaum in der Lage ist, die damaligen Zustände nachzuvollziehen, geschweige denn zu verstehen. Umso wichtiger waren und bleiben solche Zeitberichte. Gegen das Vergessen.

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Veröffentlicht am 07.11.2024

Toller Mix aus Fakten und Fiktion

Berlin, Siegesallee
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Drei junge Männer lernen sich im Frühjahr des Jahres 1914 in Berlin kennen, gemeinsam eint sie die Hautfarbe und der Wille, die Verbrechen der Deutschen in den Kolonien zu rächen. Jeder von ihnen hat einen ...

Drei junge Männer lernen sich im Frühjahr des Jahres 1914 in Berlin kennen, gemeinsam eint sie die Hautfarbe und der Wille, die Verbrechen der Deutschen in den Kolonien zu rächen. Jeder von ihnen hat einen Grund für seinen Hass, gemeinsam schmieden sie Pläne. Florentine vom Baum wächst behütet auf, als zweites Kind eines reichen Fabrikanten fühlt sie sich als Frau nicht frei genug und begehrt auf. Als sie die drei Männer kennenlernt, bietet sie ihnen ihre Hilfe an. Das Quartett bringt nachts Soldaten um, aber als eine Reaktion ausbleibt, ändern sie ihren Plan: Der Kaiser ist es, der sterben muss!

«Führten sie denn nicht sehr unterschiedliche Leben? Er selbst, auf eine Laufbahn als Geistlicher wartend, die er nicht wirklich anstrebte, dann die junge Frau kurz vor der Verheiratung, der Diener des so kaiserbegeisterten Künstlers und schließlich Friedrich hier, der Bote von Herrenoberbekleidung. Ein einziges Mal nur hatten sie sich in dieser Zusammensetzung getroffen, damals im Botanischen Garten, als sie beschlossen hatten, den jungen Soldaten zu töten.« (Seite 74)

Der Völkermord der deutschen Kolonialherren vor über 110 Jahren in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, stellt den Rahmen für die vorliegende Geschichte. Ich muss zugeben, dass ich bis dato zwar nicht völlig ahnungslos, aber doch kaum unterrichtet darüber war, was damals geschehen ist. Wenn ich bisher an Kolonien dachte, dann waren es meistens englische, französische und spanische Kolonialmächte, die mir in den Sinn kamen. Die Ergebnisse meiner Recherchen jedoch zeigten mir ein Bild, das abscheulicher und menschenunwürdiger nicht sein könnte. Man braucht dieses Vorwissen aber nicht unbedingt, um den Roman von Max Annas verstehen und der Geschichte folgen zu können.

Das Geschehen im Buch spielt sich nur über wenige Monate, genauer gesagt von März 1914 bis Juni desselben Jahres, ab. Die Handlung aber überschneidet sich und wird zusätzlich durch Briefe eines der jungen Beteiligten unterbrochen, die aus späteren Zeiten stammten. Dies hat mich zu Beginn etwas irritiert, war aber überraschenderweise stimmig, passte vorzüglich zu dem beschriebenen Jahrhundert und befeuerte die Spannung ungemein. Je weiter die Geschichte voranschritt, desto aufgeregter wurde ich, weil ich so neugierig darauf war, worauf das Ganze hinsteuert. Das letzte Drittel war so spannend, dass aus einem Kriminalroman fast ein Thriller wurde. Hätte ich dem Buch nicht zugetraut, als ich den Klappentext gelesen hatte, aber der Mix aus historischen Fakten und der fiktiven Erzählung eines Mordkomplotts war, besonders wegen der authentischen und interessanten Charaktere, einfach großartig. Gerne spreche ich eine Leseempfehlung aus.

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