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Veröffentlicht am 16.02.2019

Elisabeth Norebäck – Das Schweigemädchen

Das Schweigemädchen
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Als eine neue Patientin zu der Psychotherapeutin Stella Widstrand kommt, traut sie ihren Augen nicht: Isabelle sieht aus wie ihre Tochter heute aussehen würde, genau so hätte sich Alice entwickelt, wenn ...

Als eine neue Patientin zu der Psychotherapeutin Stella Widstrand kommt, traut sie ihren Augen nicht: Isabelle sieht aus wie ihre Tochter heute aussehen würde, genau so hätte sich Alice entwickelt, wenn sie nicht vor zwanzig Jahren verschwunden wäre. Stellas Umfeld glaubt nicht daran, vor allem nachdem sie einige Jahre zuvor schon einmal nach der vermeintlichen Wiederentdeckung ihrer Tochter völlig aus der Bahn geworfen worden war. Ihre Familie macht sich Sorgen, Stella ist völlig durch den Wind, verwirrt und abwesend und offenbar ist ihr nicht klar, auf welchem Weg sie sich wieder befindet. Das weiß sie in der Tat nicht, denn jemand möchte unbedingt den Kontakt zwischen Isabelle und Stella verhindern.

Elisabeth Norebäcks Debütroman kann auf der ganzen Linie überzeugen und hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Es gelingt der Autorin, viele Spuren zu legen, so dass man lange Zeit verunsichert bleibt und nicht weiß, welchen Reim man sich auf die Vorgänge machen soll. Wird Stella tatsächlich bedroht, hat sie doch eine Psychose, die Wahnvorstellungen auslöst und die sie alles falsch deuten lässt? Am Ende folgt eine saubere und glaubwürdige Auflösung, die keine Frage unbeantwortet lässt.

Die Handlung folgt im Wesentlichen den Ereignissen um Stella. Durch das Fehlen der Perspektiven der Figuren um sie herum, ist man auch als Leser eingeschränkt in dem, was man weiß und kann nur Stellas Deutungen folgen. Mit dem Risiko, auch ihren Denkfehlern oder Fehleinordnungen zu folgen. Gelegentlich werden Abschnitte über Isabelle eingeschoben, die junge Studentin, die nach dem Tod des Vaters psychologische Unterstützung sucht. Es würde zu viel verraten hier ins Detail zu gehen, aber vom Ende her gesehen, sind diese Abschnitte ungemein clever gestaltet und tragen entscheidend zur Spannung bei.

Fazit: ein stimmiger Skandinavien-Krimi, der geschickt mit den Ängsten und Sorgen der Figuren und der Leser spielt.

Veröffentlicht am 13.02.2019

Reni Eddo-Lodge - Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche

Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche
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Europa zu Jahresbeginn 2019: die Briten versuchen krampfhaft am Brexit festzuhalten und sich gegenüber dem Rest der Welt abzuschotten. In Frankreich toben Gelbwesten gegen die herrschende Elite. In weiten ...

Europa zu Jahresbeginn 2019: die Briten versuchen krampfhaft am Brexit festzuhalten und sich gegenüber dem Rest der Welt abzuschotten. In Frankreich toben Gelbwesten gegen die herrschende Elite. In weiten Teilen des Rests des Kontinents erfreuen sich Parteien mit rechten, ausländerfeindlichen und rückwärtsgewandten Parolen großer Zustimmung. Liberale, multikulturelle Ideen der 1990er und des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends haben ausgedient. Die fragile weltpolitische und prekäre ökonomische Lage vieler befördern scheinbar alte Ressentiments und Rassismus. Aber war der Rassismus jemals wirklich überwunden?

Die britische Journalistin Reni Eddo-Lodge bezieht eine deutliche Position in ihrer Streitschrift. Nicht nur war der Rassismus nie überwunden, im Gegenteil, das sogenannte White Priviledge ist immanenter, struktureller Bestanteil der britischen Gesellschaft. Nach einem historischen Abriss und der Definition dessen, was sie unter White Priviledge versteht, widmet sie sich auch der Feminismusfrage und der sozialen Klasse unter diesem Gesichtspunkt. Ihr Fazit ist ernüchternd. Und bisweilen schwierig auszuhalten.

Differenziert legt sie ihre These dar, nachvollziehbar erläutert sie, wie sie und andere persons of colour im Alltag Rassismus und Benachteiligung erleben, auf welchen Grundlagen diese basieren und wieso manchmal gut gemeinte Absichten doch unterschwellig rassistisch sind. Es ist für beide Seiten ein schmaler Grat, weder will sie allen Weißen Rassismus unterstellen, noch negiert sie die Nachteile, die auch Weiße Frauen oder Arbeiter erleben. Aber sie unterstreicht doch, wie leicht Menschen mit weißer Hautfarbe über ihr Privileg hinwegsehen, es als gegeben hinnehmen, dass die Helden in Film und Literatur selbstverständlich weiß sind, dass ihnen die Vorstellungskraft fehlt, um das nachzuvollziehen, was BME (black and minority ethnic) erleben und dass die Rassenfrage oft auf die USA begrenzt ist und die europäische Dimension ausgeblendet wird.

Es ist nicht leicht, sich beim Lesen des Buchs nicht angegriffen und ungerecht behandelt zu fühlen. Man möchte der Autorin an vielen Stellen laut widersprechen, Einhalt gebieten und ihre Thesen verwerfen. Viele der Beispiele sind jedoch auch wiederum so eindeutig, dass man reflexartig zu Scham neigt und sich fragt, wie es so weit kommen konnte. Aber letztlich ist das Paradoxon des Titels und des Inhalts ein ganz wesentlicher Punkt: wir müssen darüber reden.

Veröffentlicht am 10.02.2019

John Lancaster – Die Mauer

Die Mauer
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Zwei Jahre Dienst hat er vor sich, zwei Mal 365 Tage Ödnis und Verzicht, die Joseph Kavanagh wie alle anderen auch hinter sich bringen muss. Es geht nicht anders, sie müssen die Mauer beschützen, dafür ...

Zwei Jahre Dienst hat er vor sich, zwei Mal 365 Tage Ödnis und Verzicht, die Joseph Kavanagh wie alle anderen auch hinter sich bringen muss. Es geht nicht anders, sie müssen die Mauer beschützen, dafür sorgen, dass die Anderen nicht hereinkommen und ihr Land überrennen. Das ist der Preis des großen Wandels. Der Anfang ist hart, doch bald schon gewöhnt er sich an den Dienst und die damit verbundenen verlässlichen Routinen. Ein steter Wechsel von Wachen und Ruhen, nur durch Übungseinheiten unterbrochen, die ihre Aufmerksamkeit stärken und ihre Kampfkraft für den Ernstfall erhalten sollen. Der Ernstfall, auf den man immer gefasst sein muss, der aber nie eintreten soll. Doch dann ist es plötzlich so weit.

Die Kurzbeschreibung zu John Lancasters Roman war vielversprechend. Sie erweckte für mich den Anschein als wenn der Autor die aktuellen Ereignisse um die vermeintlich unkontrollierte Zuwanderung oder auch das Abschotten der Briten gegenüber Migranten, aber auch gegenüber der EU, als Anlass für eine Dystopie genommen hätte. Leider bleibt das Buch jedoch hinter jeder politisch und auch gesellschaftlich relevanten Frage zurück, sondern beschränkt sich weitgehend auf die Figurenebene und die unmittelbaren Auswirkungen des sogenannten Wandels auf diese. Das große Ganze können sie nicht überblicken, weshalb auch der Roman für mich hinter seinen Möglichkeiten bleibt.

Ohne Frage gelingt es Lancaster, die Empfindungen vor allem Joseph Kavanaghs überzeugend darzustellen. Die Figur wirkt glaubwürdig und authentisch, auch wenn ihre Vergangenheit weitgehend ausgeblendet und Kavanagh auf die unmittelbare Gegenwart beschränkt wird. Das Leben in der neuen Zweckgemeinschaft, das Überleben nach dem Überfall – all dies wirkt in sich stimmig und nachvollziehbar. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kavanagh und seine Weggefährten letztlich kleine Figuren in dem Spiel sind, die unbedeutend, gar verzichtbar sind und weder einen Einfluss auf die Geschehnisse nehmen, noch erkennen, was um sie herum geschieht. So austauschbar sie in dem neuen System sind, so irrelevant bleibt letztlich der Roman, der aufgrund der Reduktion auf diese beschränkte Perspektive keine großen Fragen aufwirft, keine neuen Szenarien entwirft und vor allem keine Wege für die Zukunft aufweist.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Fatima Farheen Mirza – Worauf wir hoffen

Worauf wir hoffen
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Hadia wünscht sich zu ihrer Hochzeit nichts mehr als das ihr Bruder Amar ebenfalls kommt. Sie hat ihn schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen und dann ist er plötzlich da. Allerdings laufen die Dinge ...

Hadia wünscht sich zu ihrer Hochzeit nichts mehr als das ihr Bruder Amar ebenfalls kommt. Sie hat ihn schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen und dann ist er plötzlich da. Allerdings laufen die Dinge nicht so glatt wie erhofft, aber das sind sie ja noch nie. Die Erinnerungen an die Kindheit werden wach: Vater Rafiq, der sein Heimatland im Mittleren Osten bereits als Teenager verließ, um in den USA ein besseres Leben zu haben. Mutter Layla, die mit der Hochzeit ins Land kam und ihrem Mann drei Kinder schenkte: Hadia, Huda und den kleinsten, Amar. Drei Kinder in muslimischem Glauben zu erziehen, wenn dieser tagtäglich von außen bedroht wird, ist kein einfaches Unterfangen. Konflikte sind vorprogrammiert und so kommt es schließlich zum Bruch, der Amar forttreibt. Und es gibt noch Geheimnisse, die seit Jahren unter der Oberfläche brodeln und am Hochzeitstag auszubrechen drohen.

Das Buch löst beim Lesen völlig unterschiedliche Emotionen aus: Verwunderung, Anspannung, Wut, Verständnis. Ich bedauerte die Figuren, ich hasste sie, ich konnte sie verstehen und war dann wiederum verwundert über sie. Es gab vermutlich nur wenig im Emotionenspektrum, das nicht im Laufe der Handlung ausgelöst wurde. Viel mehr kann man kaum erwarten.

Inhaltlich bietet die Geschichte ebenfalls unheimlich viel, so dass man kaum weiß, wo man beginnen soll: die Familienbeziehungen, die in Frage gestellt werden; die Einwanderungsproblematik, wenn Eltern tradierte Werte weitergeben wollen und zugleich im neuen Land assimilieren müssen. Die Unterschiede, die zwischen Töchtern und Söhnen gemacht werden, Geschwisterrivalitäten und Eltern, die manchmal schlichtweg nicht wissen, wie sie agieren sollen.

Hadia war für mich interessanteste Figur. Auch wenn ihr Vater erklärt, dass er sie nur schützen möchte, letztlich beschränkt er die Freiheiten seiner Tochter massiv. Weder als Kind, noch als Jugendliche oder Erwachsene wird sie bei ihren Ideen und Wünschen unterstützt, da die Elternerwartungen so ganz andere sind als ihre eigenen Vorstellungen vom Leben. Dass sie als Mädchen geboren wurde, hat den Weg, den die Familie für die vorgesehen hat, gezeichnet und Abweichungen waren nicht geplant.

Rafiq kommt nie an den Punkt in seinen Töchtern gleichberechtigte Menschen zu sehen. Er kann nachvollziehen, welche Fehler er in der Erziehung Amars gemacht hat, aber letztlich kann er seine festgefahrenen Ansichten nicht loslassen. Seine Position und Sichtweise ist gleichzeitig bedauerns- und verabscheuenswert, aber leider auch sehr authentisch geschildert. Ganz sicher erlaubt seine Perspektive nachzuvollziehen, was hinter so mancher verschlossenen Tür vorgeht und womit Einwanderer in der neuen Freiheit kämpfen.

Veröffentlicht am 03.02.2019

Thomas Pierce - Die Leben danach

Die Leben danach
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Das Leben von Jim Byrd läuft einen regelmäßigen und gemächlichen Gang, bis eines Tages sein Herz stehen bleibt. Er wird wiederbelebt, bekommt eine zweite Chance. Auch wenn er dank moderner Medizin wieder ...

Das Leben von Jim Byrd läuft einen regelmäßigen und gemächlichen Gang, bis eines Tages sein Herz stehen bleibt. Er wird wiederbelebt, bekommt eine zweite Chance. Auch wenn er dank moderner Medizin wieder völlig auf der Höhe ist, beschäftigt Jim das Ereignis doch nachhaltig. Dank seines Handys kann er jetzt aber seinen Herzschlag überwachen und sehen, dass er noch am Leben ist. Das Wissen darum, wie schnell das Leben vorbei sein kann, bestimmt sein Denken zunehmend. Als er mit einem seltsamen Fall in einem Restaurant konfrontiert wird, wo es scheinbar spukt und ein Geist sein Unwesen treibt, wird er immer tiefer in die Welt zwischen dem Diesseits und dem Jenseits gezogen.

Selten ist es mir so schwer gefallen wie bei Thomas Pierce Buch zu einem finalen Urteil zu kommen. Die Geschichte ist toll erzählt, ich mochte sowohl den Schreibstil des Autors wie auch den Aufbau des Buchs, aber er driftet dann doch zu weit ins Übersinnliche und wenig Glaubwürdige als dass ich so richtig viel mit der Geschichte hätte anfangen können.

Was dem Autor auf jeden Fall gelungen ist, ist der Protagonist Jim mit seinen Sorgen nach dem Herzstillstand. Die Obsession, mit der er seinem eigenen Herzschlag zuhört, die immerwährende Angst, dass das Organ ein zweites Mal einfach aufhört zu schlagen und seinem Leben ein Ende bereitet, ist leicht nachzuvollziehen und wird durch sein Handeln und seine Gedanken überzeugend transportiert. Ebenso Annies Wunsch, mit ihrem vermissten und vermutlich toten Ehemann noch einmal in Kontakt zu treten, ist leicht vorzustellen.

Das inflationäre Auftauchen von Hologrammen, die echte Menschen ersetzen, hingegen, war mir dann doch ein wenig zu abgedreht. Auch die nicht erklärbaren Phänomene im Restaurant – Einbildung einiger hochsensibler Menschen? Ich mag Geister ja in der Literatur, aber in der Realität habe ich weitaus weniger Glaube an sie und der Roman kommt insgesamt eher realitätsnah daher.

Summa summarum: vieles, was mir gut gefallen hat, aber auch so manches Stirnrunzeln. Urteil: unentschieden.