Poesie und Gesellschaftskritik
Gun LoveIn ihrem aktuelle Roman „Gun Love“, beschäftigt sich die US-Amerikanische Autorin Jennifer Clement, die seit einigen Jahren in Mexiko-Stadt lebt, mit den zum Teil erschreckenden gesellschaftlichen Entwicklung ...
In ihrem aktuelle Roman „Gun Love“, beschäftigt sich die US-Amerikanische Autorin Jennifer Clement, die seit einigen Jahren in Mexiko-Stadt lebt, mit den zum Teil erschreckenden gesellschaftlichen Entwicklung Amerikas und dem oft sorglosen Umgang mit Schusswaffen.
Dabei beginnt die Geschichte zunächst eher beschaulich. Sie wird erzählt aus der Sicht der 14-jährigen Pearl, einem zarten Teenagermädchen, das mit ihrer Mutter Margot in Florida in einem Auto am Rande eines Trailerparks lebt. Margot war erst 16 Jahre alt, als sie von ihrem Lehrer schwanger wurde, heimlich und allein ihre Tochter zur Welt gebracht und mit dem Baby in ihrem Mercury zu eben diesem Trailerpark geflohen ist. Aus dem Provisorium wird schnell eine Dauerlösung, sie und Pearl haben es sich in dem Auto gemütlich eingerichtet. Der Mercury bildet eine Art Mikrokosmos als Gegensatz zu der oft bedrohlich wirkenden Umwelt.
Doch dann taucht ein neuer Bewohner im Trailerpark auf, Margot verfällt auf der Stelle Elis Charme, Pearl wird immer häufiger aus dem Mercury verdrängt und muss sich zunehmend mit den Härten der Realität auseinander setzen.
Die sehr poetische und bildhafte Sprache steht oft in krassem Gegensatz zu den Entwicklungen der Geschichte und unterstützt den Schein der Geborgenheit und Normalität, in der Mutter und Tochter anfangs leben. Es ist zum Teil verstörend, in einem Moment von Margots Sensibilität zu lesen und im nächsten von sinnfreien Schießereien auf die Alligatoren im Fluss, davon, wie Pearl unbedarft mit giftigem Quecksilber spielt, das sie auf der nahen Müllkippe gefunden hat, oder von dem allgegenwärtigen Geschmack von Insektenspray, das beide umgibt, und mit dem sie abends die Mücken aus dem Mercury vertreiben.
Das Thema Waffen findet nur schleichend Eingang in den Roman, je mehr Pearl sich aus der Behütung durch ihre Mutter lösen muss, umso präsenter und beherrschender werden sie.
Ich habe mich zunächst schwer getan mit dieser Mischung aus Poesie, die die Gefahr wie Watte zu umhüllen scheint und den Schilderungen der Trostlosigkeit und Chancenlosigkeit, die die Hauptcharaktere umgibt. Je genauer man beim Lesen hinsieht, umso mehr fällt auf, wieviele Details und Hinweise in kleinen Sätzen stecken, wieviel Ironie und Kritik am System.
„In seinem Innern sah meine Mutter elektrische Eisenbahnen, Spielzeugtrucks und Spielzeugwaffen,, und eine Luftpistole, mit der man Vögel töten konnte.“ „Man lernt schnell, dass Träume besser sind als das Leben, sagte meine Mutter.“ „Ich wusste, dass er nicht der starke Mann mit der weißen Fahne war, sondern mit Tesafilm, Heftklammern und Tesa zusammengeflickt.“
Das sind nur ein paar der bemerkenswerten Sätze, die ich mir gemerkt habe, und die den Charme dieses Buches ausmachen. Es gehört für mich zu den Büchern, die es verdient haben, mehr als einmal gelesen zu werden.