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Veröffentlicht am 27.12.2023

So schade, wie sie sich hier verzettelt

Die Verletzlichen
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Da ich ein großer Fan von Sigrid Nunez bin und etliche ihrer Bücher mit Freude gelesen habe – u. a. „Der Freund“ (5 Sterne, überaus empfehlenswert) bin ich nun so bitter enttäuscht von „Die Verletzlichen“, ...

Da ich ein großer Fan von Sigrid Nunez bin und etliche ihrer Bücher mit Freude gelesen habe – u. a. „Der Freund“ (5 Sterne, überaus empfehlenswert) bin ich nun so bitter enttäuscht von „Die Verletzlichen“, dass ich dafür höchstens 2 Sterne vergeben kann.

Ein roter Faden fehlt absolut, hier wurde ein Leipziger Allerlei gekocht, so dass ein großes (nicht schmackhaftes) Durcheinander entstanden ist. Sozusagen aneinandergereihte Intermezzi. Es ist nun nicht so, dass ich die einzelnen Aussagen so schrecklich finde, aber ich wollte einen Roman lesen und keine Wortschnipsel, bzw. Puzzlestücke von hier, da und dort. Aus ihrer Jugend, aus dem Freundinnenkreis zu ganz anderer Zeit und ja – manchmal auch – tatsächlich doch aus Papageienhausen. So wie es eigentlich bei diesem Roman sein sollte.

Die wenigen Versatzstücke, wo es um die eigentliche Geschichte geht, die gefielen mir gut und das sollte auch so sein. Ein Papagei ist ein kluges Tier und Eureka (ein Männchen?) scheint besonders intelligent zu sein. Auch der junge Mann, der ursprünglich auf Eureka aufpassen sollte, ist ein besonderes Exemplar seiner Gattung. Davon hätte man gerne mehr gehabt. Hier wäre sicher eine Kurzgeschichte, die beim Thema blieb, bei Weitem gefälliger gewesen.

Zwischenzeitlich, als ich vom „Roman“ noch nicht so genervt war, hatte ich mir noch von SN „Sempre Susan“ bestellt, da ich ansonsten alle auf Deutsch erschienenen Romane von ihr kenne. Okay, „Sempre Susan“ werde ich noch lesen, aber ansonsten werde ich mich in Zukunft von dieser Autorin verabschieden. Vielleicht hat sie auch bereits einfach ihr Pulver verschossen?

„Seit Jahren entmutigte mich die zunehmende Verschandelung: die brutalen Wolkenkratzer, die Müllberge und der Höllenlärm, grelle Werbung, wohin man blickte.“ Seite 112. Die Rede ist hier von New York, meine Frage dazu: Warum wohnt sie dann da? (Im Klappentext steht, dass sie in New York City lebt.)

Noch ein paar Worte zum Cover: für mich das scheußlichste Cover meiner umfangreichen Leseliste 2023. An die Designer: Das könnt ihr doch besser, siehe „Der Freund“.

Fazit: Von Politik über Bratkartoffeln – oder aus jedem Dorf ein Hund – das muss man echt nicht haben. Zudem teile ich ihre politischen Ansichten so was von gar nicht. Politik hat auch in Belletristik m. E. nach nichts zu suchen. Dafür gibt es Sachbücher, Punkt.

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Veröffentlicht am 13.12.2023

Sri Lanka Roulette

Die sieben Monde des Maali Almeida
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Dieser gewaltige Roman kommt anfangs sehr befremdlich daher. Ist doch der normale Sterbliche nicht gewohnt, vom Jenseits zu lesen. Von langen Schlangen an Schaltern in der Anderswelt, von weiß bekittelten ...

Dieser gewaltige Roman kommt anfangs sehr befremdlich daher. Ist doch der normale Sterbliche nicht gewohnt, vom Jenseits zu lesen. Von langen Schlangen an Schaltern in der Anderswelt, von weiß bekittelten Helfern, von Dämonen, Hellsehern und Flüsterern. Von Bürokratie und Gehirnwäsche – auch drüben. Siehe dazu S. 26: „Sir, verschwinden wir von hier. Hier warten nur Gehirnwäsche und Bürokratie. So wie in jedem anderen Gebäude dieses Unterdrückerstaats.“

Es gibt Geister verschiedenster Kategorien: Ghouls, Selbstmörder und sogar tote Tiere, die sprechen können. Und, wie bei uns auch, gibt es Helfer und Steine-in-den-Weg-Leger und ganz viel dazwischen. S. 374: „Du fragst dich, wer Dr. Ranee ins Ohr flüstert und wer ihrem Flüsterer und wie viele unserer Gedanken eigentlich das Geflüster anderer Leute sind.“ (Dr. Ranee gehört zu den Helfern im Jenseits.) Und wieder einmal hat Dr. Ranee recht: „Es geht hier draußen nicht um Gut gegen Böse. Es geht um zahlreiche Abstufungen des Schlechten, um einen Wettstreit diverser Sündergrüppchen.“ S. 380.

„Für Atmende sind Geister so unsichtbar wie Schuld, Schwerkraft, Strom und Gedanken. Tausende verborgene Hände lenken ein jedes Leben.“ S. 476.

Der Erzähler hier in unserem preisgekrönten Roman ist Malinda Albert Kabalana, geboren 1955, ermordet 1990. Vom wem er ermordet wurde, das weiß er nicht. Aber er wüsste es gern. Außerdem möchte er posthum die zahlreichen Fotos, die er – der Profi-Fotograf – geschossen hat, veröffentlicht sehen. Am besten in der Galerie „The Lionel Wendt“ in Colombo, die vom wohlmeinenden Clarantha de Mel dirigiert wird. Vorhanden sind auch hier verschiedenste Kategorien von Fotos: von Leichen, von Folteropfern, von Massakern – aber auch schöne Lichtbilder seiner beiden Liebsten DD und Jaki. Und von außergewöhnlichen Tieren, z. B. vom Schuppentier.

Das Gefährliche an diesen Fotos ist, dass verschiedene „Bestien“ aus Politik und Militär das nun gar nicht mögen, zumal es ihre hoch kriminellen Machenschaften bloßstellen würde. So jagen sie mit vereinten Kräften den Fotos hinterher und natürlich auch den Negativen. Vor Mord, Totschlag und Folter scheuen sie nie zurück. Aber haben sie Maali Almeida auch umgebracht – oder umbringen lassen? Und wie kann Maali Almeida aus dem Jenseits verhindern, dass die Fotos in falsche Hände geraten? Jedenfalls die, die er nicht schon zu Lebzeiten an verschiedene Organisationen und Presseagenturen verkauft hat?

Über die Korruption im Land wird viel zitiert, z. B. auf Seite 334: „In einem Land, in dem die halbe Bevölkerung sich kein Telefon im Haus leisten kann, hat der Minister eins im Auto.“ Oder, wie der getötete Journalist auf Seite 443 erzählte: „Selbst, wenn das Land tief in den Schulden steckt, selbst wenn Kriege eskalieren, Fluten die Ernte ertränken und Dürren die Saat verdorren lassen, selbst wenn die Wirtschaft abschmiert und die Inflation davongaloppiert, bleibt im Haushalt immer noch Platz, um jeden Minister mit drei Luxuskarossen auszustatten.“

Viele Namen, viele Organisationen in Sri Lanka und in anderen Ländern lassen den Leser manchmal ratlos zurück und gelegentlich hilft auch das Register der Lebenden und der Toten, samt Stadtplan, am Schluss nicht weiter. Zu vielschichtig ist die Handlung und zu unübersichtlich. Aber gelegentlich auch witzig: „Ich habe mir gedacht, die Reinkarnation ist billiger als die Geschlechtsumwandlung.“ So spricht eine verhinderte Dragqueen zu unserem Erzähler auf Seite 396.

Sieben Monde hat er Zeit, der Erzähler und das ist nicht viel, denn die Monde wechseln täglich. Nicht so, wie bei uns. Dann, am Ende, kann er entscheiden, ob er ins Licht gehen möchte oder vielleicht dorthin, wohin er am meisten gehört.

Fazit: Den Booker Prize 2022 hat er redlich verdient, Respekt, Mr. Shehan Karunatilaka. Ausgezeichnete, sehr ungewöhnliche Literatur über das Jenseits und Diesseits. Und etliche Weisheiten daraus können wir uns dauerhaft auf unsere Fahne schreiben.

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Veröffentlicht am 31.10.2023

Die echte Pandemie – auch menschengemacht

Ein Fluss so rot und schwarz
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Die Ausgangssituation in diesem Roman fand ich sehr spannend: Sieben Menschen auf einem ferngesteuerten Militärboot, alle ohne Gedächtnis. Und ebenso ohne Möglichkeiten, selbstbestimmt einzugreifen. Drei ...

Die Ausgangssituation in diesem Roman fand ich sehr spannend: Sieben Menschen auf einem ferngesteuerten Militärboot, alle ohne Gedächtnis. Und ebenso ohne Möglichkeiten, selbstbestimmt einzugreifen. Drei Männer und drei Frauen bleiben übrig, als einer sich erschießt. Irgendwie war es mir schon klar, dass dies eine „Zehn-kleine-Negerlein-Geschichte“ werden würde. Und das wurde es auch. Mehr möchte ich aber an dieser Stelle nicht verraten.

Diese sechs übriggebliebenen Menschen misstrauen einander zutiefst und sie haben alle Narben auf dem Kopf von einer kürzlich erfolgten Operation, denn die Einschnitte sind zwar verheilt, aber relativ frisch. Jeder hat auch eine Namenstätowierung auf dem rechten Unterarm. Alle Namen sind Schriftstellernamen, drei weibliche: Dickinson, Plath & Rhys. Und drei männliche: Pynchon, Huxley & Golding. Huxley ist hier die Hauptfigur und anhand seiner Fähigkeiten muss er wohl Polizist o. Ä. gewesen sein. Des Selbstmörders Tätowierung war Conrad.

Sie alle sind auf einer Bootsreise, die in die Themse mündet. Und je näher sie an London kommen, je schwieriger wird die Lage und es gibt Verluste. Alles ist ständig in einen roten, undurchdringlichen Nebel gehüllt. Dazu ertönen grauenvolle Schreie aus der Ferne, kommen aber langsam näher. Eine Flucht ist unmöglich, denn das beigefügte Schlauchboot taugt dafür nicht und ist auch nicht schnell. Die Situation wird immer bedrohlicher. Stumpfe Befehle, emotionslos, ohne Erklärungen, kommen via Satellitentelefon und nach und nach erfahren die Reisenden zwar mehr über ihre erzwungene Mission, aber nie die ganze Wahrheit.

Kleines Nachdenken über die o. g. Schriftstellernamen zwischendurch: Ich muss gestehen, dass mir der Name Rhys gar nichts sagte, so habe ich mir jetzt von Jean Rhys ihr berühmtestes Buch bestellt: „Die weite Sargassosee“.

Viele Textstellen, die ich mir angemarkert habe, kann ich hier nicht wiedergeben, ohne zu viel zu verraten, aber drei sollen erwähnt werden: S. 182: „Sagen wir mal, du bist eine außerirdische Zivilisation und stößt auf einen hübschen blaugrünen Planeten, den du kolonisieren willst. Das Problem ist, dass er von ein paar Milliarden vernunftbegabter Affen bewohnt ist. Oder befallen, wie man’s nimmt. Nicht nur würden die ziemlich sauer reagieren, wenn du hier aufkreuzt, sondern die vergiften den Planeten auch mit allem möglichen chemischen Zeugs. Vielleicht war es für die Außerirdischen so, wie wir eine Zimmerpflanze mit Insektenspray einsprühen.“ (Huxley an Rhys.)

Seite 247: „Immerhin haben wir eine richtig abgefuckte Welt geschaffen, in der sie gedeihen können. (Mit „sie“ sind hier die Psychopathen, Soziopathen und die selbstsüchtigen Gestörten gemeint.) Eine Welt, in der wir uns von gierigen Lügnern regieren lassen, die sich ständig in die eigene Tasche wirtschaften.“ (Rhys an Huxley)

Seite 251: „Wir sind die Anomalie. Eine Spezies, die so erfolgreich ist, dass sie ihre Umwelt verschlingt und damit ihren eigenen Untergang sichert. Was jetzt geschieht, ist lediglich ein notwendiges Korrektiv.“ (Plath an Rhys und Huxley)

Wie so oft, wenn Menschen, die bunt zusammengewürfelt sind, an einem Ort quasi zusammengepfercht werden, gibt es Sympathien und Antipathien. Das kommt auch gut rüber, vor allem in den Dialogen. Bei der Beschreibung der äußeren Merkmale der „gesunden“ Menschen müssen wir allerdings Abstriche machen.

Fazit: Der Roman ist hochspannend und ein echter Pageturner. Wer Dystopien mit blutigem Gemetzel und fragwürdigem Ende gut ertragen kann, der wird hier kreativ bedient. 3,5 Sterne runde ich auf 4 Sterne auf.

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Veröffentlicht am 29.10.2023

Bedient das Narrativ

Die Privilegierten
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Da ich den Roman der Longlist 2023, der später in die Shortlist kam, „Muna“ gelesen hatte, wollte ich auch ganz bewusst einen Roman lesen, der in diesem Jahr nicht nominiert wurde. Und das war dann eben ...

Da ich den Roman der Longlist 2023, der später in die Shortlist kam, „Muna“ gelesen hatte, wollte ich auch ganz bewusst einen Roman lesen, der in diesem Jahr nicht nominiert wurde. Und das war dann eben Thomas von Steinaeckers „Die Privilegierten“ mit 623 Seiten.

Der Roman beginnt mit dem Schulalter des Protagonisten und Ich-Erzählers Bastian Klecka und endet weit in der Zukunft, etwa im Jahr 2039. Er umspannt also ungefähr sechzig Jahre. Die Geschichte hat herausragende Momente, besonders bei den Tiergeschichten: drei Mal Katze, einmal Wolf. Dazu kommt Bastians Verzweiflung im Alter, die so berührend und nachvollziehbar beschrieben ist, dass man nicht nur mitfühlt, sondern sogar Angst bekommt vor dem möglichen eigenen Erleben solcher Zustände. Respekt!

Eine lebenslange Freundschaft verbindet die drei Klassenkameraden: Bastian, Ilie Popescu und Madita. Sie gründen den „Klub der Katze“. Auch wenn die Berufe, Lebenswege und späteren Wohnorte dieser drei Freunde so unterschiedlich sind, wie sie nur sein können, halten sie immer Kontakt, mal mehr, mal weniger, aber immer.

Bastians Eltern sterben früh bei einem Unfall und der Großvater zieht ihn auf. Wir lesen von seiner Schul- und Studentenzeit, bis zur Heirat und Geburt des Sohnes Samy und weit darüber hinaus. Über Berufs- und Wohnortwechsel, alles sehr ausführlich und streckenweise auch recht langatmig.

Das Kennen- und Liebenlernen der späteren Ehefrau Brigitte bleibt für mich sehr blass. Die gegenseitigen Abmachungen und Vereinbarungen, z. B. wer aufs Kind aufpasst, wirken roboterhaft und unglaubwürdig. Schublade auf, Absprache raus, Schublade wieder zu. Sogar die Streitigkeiten der Eheleute wirken seltsam unecht. Die Stärken des Autors liegen eindeutig woanders. Siehe oben.

Kommen wir zur unerquicklichen Bedienung des gerade gängigen Narrativs, dafür gibt es hier unzählige Beispiele. Mit dem jetzigen Wissen: Ich hätte dies Buch nicht lesen mögen. Das können leider auch die oben erwähnten herausragenden Momente nicht wettmachen. S. 187: „Ich hielt immer zu den Demokraten, den Schwarzen, Homosexuellen und anderen benachteiligten Minderheiten. […] Ich war zwar weiß, deutsch, wohlhabend, männlich, mittelalt. Doch am Ende des Tages gehörte ich zu den Guten.“

Und ja, es geht noch weiter, S. 242: „Madita hatte sich zunächst geweigert, nach Ibiza mit dem Flugzeug zu reisen. Erst nach einer nächtlichen Konferenzschaltung, in deren Verlauf Ilie und ich ihr versprechen mussten, ein dreistelliges CO2-Zertifikat zu kaufen, hatte sie sich breitschlagen lassen.“

S. 245: „[…] wir diskutierten sehr angeregt-produktiv über Trump und die sehr offensichtlich unvermeidbare rechte Apokalypse.“ Es folgen die „Unwörter“, die man nicht mehr sagen darf, wie z. B. „Zigeuner“, S. 268.

S. 284: „Der Sender vertrat eine extrem liberale Gesinnung.“ Und dann, Achtung aufgepasst: „Wäre bekannt geworden, dass jemand aus den Redaktionen AfD wählt oder eine abweichende Gesinnung vertrat, wäre er früher oder später gegangen worden.“ Das ist nun wirklich extrem liberal. Satire aus.

Und nein, es hört noch nicht auf, S. 298: „Die Kirchensteuer konnte man ohnehin sinnvoller verwenden, für NGO-Projekte in Afrika oder CO2-Zertifikate zum Beispiel.“ Oder auf Seite 376: „was sie oder er sich für die Zukunft in Deutschland erhoffe, mehr Toleranz gegenüber Geflüchteten, mehr Diversity, mehr alternative Energien, mehr Kreativität, mehr Farbe, ja, als ein winziges Mädchen piepste, sie wünsche sich mehr Frauenpower in Führungspositionen, […] und mir war … auf einmal nicht mehr bange um die Zukunft.“

Selten gibt es auch Gegenstimmen, natürlich von jemandem, der abwegige Thesen verbreitet, so meint es Bastian, der so Empathie bewusste Erzähler. Also der abwegige Thesen-Verbreiter stellt auf Seite 471 die historische Einmaligkeit des Holocausts angesichts des Genozids im osmanischen Reich und in Ruanda in Frage. – Also ja, auch andere Völker als die Deutschen haben sich des Genozids schuldig gemacht, sogar viel neueren Datums. Quelle Spiegel, diverse Artikel: „In nur hundert Tagen töteten radikale Hutu 1994 in Ruanda rund 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu, die sich weigerten mitzumachen.“ Natürlich hat derlei normalerweise in einer Rezension nichts zu suchen, aber ich möchte den zahlreichen o. g. Zitaten etwas entgegensetzen. Und politisiert wird ja in diesem Roman reichlich.

Fazit: Wer auch nur ansatzweise mit der derzeitigen Politik im Lande nicht einverstanden ist, der sollte diesen Roman lieber nicht lesen. Denn zu viel Meinungsmache verdirbt das Lesevergnügen. **

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Veröffentlicht am 05.10.2023

Ein Irrer und eine Hörige

Muna oder Die Hälfte des Lebens -
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„Muna“ hatte ich schon lange auf meiner Wunschliste, bevor ich wusste, dass dieser Roman auf der Longlist (und später auf der Shortlist) des Deutschen Bücherpreises 2023 landen würde. Einfach, weil Terézia ...

„Muna“ hatte ich schon lange auf meiner Wunschliste, bevor ich wusste, dass dieser Roman auf der Longlist (und später auf der Shortlist) des Deutschen Bücherpreises 2023 landen würde. Einfach, weil Terézia Mora unvergleichlich ist und ich ihren Roman „Das Ungeheuer“ so umwerfend gut fand, dass ich gerne wieder etwas Neues von ihr lesen wollte. Dafür erhielt sie verdienterweise den Deutschen Buchpreis 2013.

Irgendwie sind ja gerade toxische Beziehungen (nicht nur) in der Literatur angesagt und dieses Thema ist immer wieder neu und auch immer wieder alt, bzw. unvergänglich.

Hier also bewegen wir uns im Germanisten-Milieu, was mich ohnehin schon reizt. Muna, die Protagonistin, und Ich-Erzählerin wächst in einer fiktiven DDR-Stadt auf, der Vater ist lange verschwunden und die Mutter ist Schauspielerin am Theater. Bei einem Volontariats-Job lernt Muna Magnus kennen, der ist Fotograf und Französischlehrer. Und ja, er sieht umwerfend gut aus, hat aber m. E. ansonsten so gut wie keine Qualitäten. Eher im Gegenteil. Muna und Magnus landen im Bett, danach verschwindet er spurlos. Er will sich halt nicht festlegen, dauerhaft nicht festlegen.

Alle anderen Männer sind nicht gut genug für Muna. Zwar gibt es Einige und Interesse haben viele, denn Muna ist blond und attraktiv, aber gegen das imaginäre Dauervorbild Magnus können die anderen Männer nicht anstinken. Keiner von ihnen.

Bis irgendwann, bei einem total bescheuerten Freilichttheater Magnus von Muna erblickt wird und mehr oder weniger widerstrebend lässt er sich auf eine Beziehung ein. Jedenfalls auf das, was er unter Beziehung versteht. Es findet sogar eine gemeinsame Reise statt, aber immer geht alle Initiative von Muna aus. Er behandelt sie schlecht, aber das hält sie nicht davon ab, ständig bei ihm und um ihn sein zu wollen. So schade um diese intelligente und schöne Frau, die so die Hälfte ihres Lebens buchstäblich verschwendet.

"Der Schlüssel ist, so zu tun, als wärst du eine von ihm unabhängige Frau mit einem eigenen Leben, einer eigenen Laufbahn. Unkompliziert sein und gut aussehen. Nicht zu viel Quatsch erzählen, nicht klagen und nicht zu viel fragen." (Seite 254)

Wie man sieht, betreibt Muna hier Selbstverleugnung ohne Grenzen, erreicht aber nie, was sie erreichen möchte: Dass sie für Magnus genauso wichtig ist, wie er für sie. TM seziert ihre Protagonisten so tiefgründig, als lägen sie bereits in der Pathologie.

Es gibt sehr, sehr viel Neues zu entdecken in diesem Buch, es wimmelt nur so vor Weisheiten, bekannten und unbekannten, und ist (trotzdem oder gerade deswegen) so spannend und so bravourös und ungewöhnlich geschrieben, dass man immer dranbleibt.

Zum Glück hält sich der Ausflug ins „Gendern plus Kultur“ extrem kurz und schmerzlos auf den Seiten 300 und 301. „Das Ziel, ebenso vielen Frauen wie Männern wie anderen Geschlechtern einen Platz in Spitzenpositionen der Wissenschaft und der Wissenschaftspolitik zu gewähren, …“ (S. 301) Ansonsten wäre es wirklich höchst bedauerlich gewesen, wenn dieser grandiose Roman dadurch zum woken Geschreibsel verkommen wäre.

Fazit: 441 Seiten, die man nicht verpassen sollte und auch, wenn ich die anderen Bücher der Shortlist 2023 nicht kenne, wünsche ich Terézia Mora den erneuten Gewinn des Deutschen Buchpreises von ganzem Herzen.

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