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Veröffentlicht am 08.03.2022

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Die Kinder sind Könige
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Mélanie ist mit dem Fernsehen und den darin gezeigten Reality-Shows aufgewachsen. Sie wollte schon immer selbst ein Teil davon sein, sie wollte berühmt sein, gesehen und v.a. geliebt werden. Der Erfolg ...

Mélanie ist mit dem Fernsehen und den darin gezeigten Reality-Shows aufgewachsen. Sie wollte schon immer selbst ein Teil davon sein, sie wollte berühmt sein, gesehen und v.a. geliebt werden. Der Erfolg blieb aus und so ist sie Jahre später Hausfrau, Ehefrau und Mutter zweier Kinder. Doch genau damit hat sie nun endlich den Durchbruch geschafft, sie ist mit ihrem Kinder-/Familienkanal die erfolgreichste Youtuberin in ihrer Sparte. Der Preis dafür ist das ständige Filmen und Zeigen ihrer beider Kinder. Doch diesen Preis zahlt sie gerne, denn alle haben ja so viel Spaß dabei. Als dann ihre kleine Tochter Kimmy beim Spielen spurlos verschwindet, kommt die ganze Tragweite der ständigen Beobachtung ans Licht.

Delphine de Vigan hat mit "Die Kinder sind Könige" ein hochaktuelles Thema aufgegriffen. Viele konsumieren den Content im Internet oder TV ohne zu hinterfragen, man lässt sich berieseln und nimmt mit großem Interesse und Sensationslust am Leben anderer Teil. Doch an die Menschen, die man dabei beobachtet, denkt man kaum. Mélanie ist getrieben von dem Drang nach Aufmerksamkeit, sie will ihrem tristen und für sie lieblosen zu Hause entkommen. Sie sehnt sich nach der Liebe von anderen und als da plötzlich Menschen sind, die ihre Videos sehen und kommentieren, sieht sie diese Liebe in greifbarer Nähe. Sie kann nicht begreifen, dass andere Menschen das nicht so sehen könnten und ist fest davon überzeugt, dass ihre Kinder das genau so sehr wollen wie sie. Schließlich ist sie eine gute Mutter die weiß was gut und richtig ist für ihre Familie.

Als Gegenstück zu ihr präsentiert de Vigan die Polizistin Clara. Sie ist weniger für die Ermittlungen zuständig als vielmehr dafür den Überblick zu behalten und die Berichte und Informationen in lückenlose und korrekte Form zu bringen. Sie sieht sich im Fall von Kimmys Verschwinden alle Posts und Videos der Familie an und kann nicht glauben, was sie sieht. Diese Welt der Zurschaustellung ist ihr unbegreiflich, sie sieht die Anzeichen bei den Kindern, die Mélanie nicht sehen will.

Ich hatte mich unglaublich auf den neuen Roman von Delphine de Vigan gefreut. Doch nun weiß ich nicht so recht, was ich davon halten soll. Sie kann ohne Frage sehr gut schreiben, doch der übliche Sog, den ihre Texte sonst ab der ersten Seite auf mich auswirken, blieb aus, das Interesse an der Handlung war lange Zeit sehr gering. Das liegt v. a. an den beiden Hauptfiguren, denn weder Mélanie als verzweifelte aber alles teilende Mutter noch Clara als zurückgezogen lebende Polizistin haben mir viel gegeben, ihre Charaktere haben für mich nur an der Oberfläche gekratzt. Lange Zeit liest sich dieses Buch fast wie ein Krimi, die psychologisch feinen Beobachtungen sind zwar da, doch mir fehlte die Intensität.

Diese kam erst im zweiten Teil des Buches auf, als de Vigan die beiden Kinder sprechen lässt. Es sind Jahre vergangen, die Kinder erwachsen, doch hier offenbart sich die Vergangenheit mit all ihren Folgen. Das hat mich berührt, das konnte ich erfassen, das hatte für mich das, was die Texte von Delphine de Vigan ausmacht. Nichtsdestotrotz ist "Die Kinder sind Könige" ein lesenswerter Roman, der den Blick auf ein viel zu wenig behandeltes Thema der heutigen Zeit wirft. Menschen die alles von sich teilen, die ihre Familie mit ins Rampenlicht ziehen um sich im Glanz der Aufmerksamkeit zu sonnen und dabei vielleicht das wesentliche aus den Augen verlieren. Auch, wenn mich diese Geschichte nicht so begeistern konnte, wie erhofft, zeigt de Vigan wie immer ein Gespür für die Sprache und Themen abseits des Altbekannten.

Veröffentlicht am 19.02.2022

Familiengeheimnisse

Dschinns
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Hüseyin kam vor 30 Jahren nach Deutschland, er hat immmer hart gearbeitet um seine Familie zu ernähren und ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen. Jetzt möchte er sich einen lang gehegten Traum erfüllen, ...

Hüseyin kam vor 30 Jahren nach Deutschland, er hat immmer hart gearbeitet um seine Familie zu ernähren und ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen. Jetzt möchte er sich einen lang gehegten Traum erfüllen, eine Wohnung in Istanbul, für die Zeit der Rente, für den Lebensabend wie man so schön sagt. Alles ist bereit, er steht kurz davor, seiner Familie endlich das neue zu Hause zu zeigen. Doch dann spürt er einen stechenden Schmerz ind er Brust, ein Herzinfarkt er stirbt. Zurück bleiben seine vier Kinder und seine Ehefrau, die jetzt nach Istanbul müssen um den geliebten Ehemann und Vater zu beerdigen. Doch das ist nicht so leicht, denn die Familie ist geprägt von Spannungen zwischen den Kindern und den Eltern.

Tja, was soll ich sagen. Ich hatte mir mehr erhofft. Fatma Aydemir schildert eine Familie, die geprägt ist vom Generationenkonflikt, vom Beharren auf Traditionen, die die Kinder so nicht leben wollen. Mit überaus dichter Präzision wirft sie den Blick auf die Familienmitglieder, auf ihre Gedanken, Wünsche und Ängste. Jedes der Familienmitglieder hat seine eigene Erzählperspektive, mit der es auf sich, die Familie und das Leben im Allgemeinen blickt Dabei entstehen durchaus sehr ergreifende Bilder, die mich berührten und bewegten. Von Ümit, der sich verliebt, aber dem alle sagen, dass es eine solche Liebe nicht gibt, nicht geben darf. Von Sevda, die alles erreicht zu haben scheint, doch die alleine dasteht mit ihrem Restaurant, ihren zwei Kindern und die um jeden Preis verhindern will, dass sie wird wie ihre Mutter. Einer Mutter, der sie vieles vorwirft, einer Mutter, mit der sie sich nicht mehr annähern kann. Peri, die wegging von der Familie, aber dabei eine Liebe verloren hat und die sich jetzt sehnt nach Hingabe und Zuneigung. Hakan, der immer wieder die falschen Deals macht, die falschen Freunde hat, der mitmachen will bei den großen Jungs und dessen Part doch am unerträglichsten zu lesen war. Und natürlich ist da noch Emine, die Ehefrau und Mutter, die nie nach Deutschland wollte, die nicht nur ihre Wurzeln in der Vergangenheit zurücklassen musste. Sie hat viel verloren, doch darüber sprechen kann sie nicht, sie vergräbt es tief in sich, die Kinder liebt sie und doch ist das Verhältnis schwierig, v.a. zu Sevda, mit der sie alles schlechte verbindet.

Diese Einzelperspektiven sind gut, sie sind toll, eindringlich geschrieben, man ist hautnah dabei. Doch dann kommt der Schnitt, die nächste Persektive, und man braucht seine ganze Aufmerksamkeit um sich auf die neue Person einzustellen. Das was vorher war, verblasst dabei erschreckend schnell und man hat rückblickend das Gefühl, eigentlich doch nichts von der Person zu wissen. Als Aneinanderreihung der Perspektiven bleibt mir dieses Konstrukt zu distanziert, es sind nur Momentaufnahmen, Bilder in einem Album, die sich nicht zu etwas Ganzem verbinden. Jede der Figuren scheint isoliert zu stehen, sowohl im Buch, als auch in der Familie, ein Gespräch ist schwierig, für mich als Leserin auch. Der titelgebende Dschinn, der böse Geist, der die Menschen befällt, lauert über allem, doch spielt er im Buch selbst eher eine Nebenrolle.

Alles in allem hatte ich nach zahlreichen begeisterten Rezensionen das Buch des Jahres erwartet, doch nach der Lektüre bleibe ich etwas ratlos zurück. Die Familiengeschichte hat für mich als kurzer Blick hinter die einzelnen Kulissen begeistert, doch als Roman funktioniert es für mich nicht. Hinzu kommt leider ein mMn ziemlich klischeehafter Schluss, dessen Twist ich nicht gebraucht hätte. "Dschinns" ist ein gutes Buch, solide geschrieben, dessen Lektüre sicher nicht schadet, das mir jedoch nicht lange im Gedächtnis bleiben wird.

Veröffentlicht am 14.02.2022

Zusammenkunft

Zusammenkunft
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Eine junge namenlose Frau, schon früh wird ihr eingetrichtert, der einzige Weg nach vorne ist der Weg nach oben. Sie studiert, erarbeitet sich eine Karriere in der Bank, eine eigene Wohnung. Endlich scheint ...

Eine junge namenlose Frau, schon früh wird ihr eingetrichtert, der einzige Weg nach vorne ist der Weg nach oben. Sie studiert, erarbeitet sich eine Karriere in der Bank, eine eigene Wohnung. Endlich scheint sie angekommen zu sein, in der Familie ihres reichen Freundes, in ihrem Job bekommt sie eine Beförderung, die sie sich hart erarbeitet hat. Und doch sieht man in ihr nur die Quoten-Frau, die Quoten-Schwarze, die kurze rebellische Phase des weißen reichen Jungen. Täglich ist sie konfrontiert mit offenem oder hinter Nettigkeiten verborgenem Rassismus, mit Sexismus und mit dem Unglauben der Gesellschaft, dass eine Schwarze dazugehören könnte, dass sie nicht zur Unterschicht gehört.

Natasha Brown hat mit Zusammenkunft einen beachtlichen Text geschaffen, der trotz der Kürze messerscharf und perfekt auf den Punkt ist. Anfangs hat mich die unbenannte Protagnostin und der Textaufbau noch etwas verwirrt, doch schnell blickt man hinter die Worte und das Bild, das nach außen projiziert wird. Hinter der (teilweisen) Nüchternheit des Textes steckt eine junge Frau, die stets das getan hat, was von ihr erwartet wurde, die sich einen Platz in der Gesellschaft erarbeitet hat, um das zu würdigen, wofür ihre Vorfahren gekämpft haben. Der einzige akzeptable Weg, war der nach oben, hin zu Geld und Erfolg. Doch man spürt auch ihre Zweifel, ihre Ungewissheit, verursacht durch tägliche Anfeindungen und die Angst mit der sie morgens schon aufsteht. Angst zu versagen, Angst vor dem was sie an ihrem Arbeitsplatz erwartet, ja vielleicht sogar Angst vor dem Leben.

Als ihr Körper sich gegen sie wendet, sieht die Protagonistin eine Chance auszubrechen, sie steht vor einer Entscheidung, die all das, was sie erreicht hat, in Frage zu stellen droht, eine Entscheidung, die sie nicht treffen kann, nicht treffen will, denn auch "Nichts" ist eine Entscheidung. Diese Ungewissheit spiegelt sich auch zunehmend im Text wieder. Die einzelnen Themen verschwimmen miteinander zu einem Ganzen, zu ihrem Leben, das sie mehr und mehr in Frage stellt. Wo steht sie als Individuum in all den Erwartungen, die andere an sie haben, die Schwarze Familie, die stolz auf sie ist, der weiße privilegierte Freund, der sorgenfrei durchs Leben geht. Der sprunghafte Aufbau in "Zusammenkunft" ist auf den ersten Blick ziellos, doch auf den zweiten beschreibt er den Zwiespalt und das gedankliche Chaos, mit dem die Protagonistin ringt.

"Zusammenkunft" ist ein fragmentarischer Text, der mich doch mit jedem Wort mehr mitreißt, mehr hinführt zu dieser jungen Frau, die zerissen wird, von dem Drang aufzusteigen, auch wenn sie selbst dabei der Preis ist, den es zu zahlen gilt. Das wurde auch grandios von Jackie Thomae ins Deutsche übertragen, die es schafft, den Ton genau zu treffen und das Experimentelle des Textes zu übermitteln und zugänglich zu machen. Für alle, die die oben genannten Themen interessieren und die auch mit bruchstückhaften aber präzisen Beobachtungen und Gedankengängen zurecht kommen, sei dieses Buch sehr empfohlen!

Veröffentlicht am 14.02.2022

Freundschaften

Die Gezeiten gehören uns
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Eulabee und ihre Freundin Maria Fabiola sind unzertrennlich. Jeden Morgen gehen sie gemeinsam zur Schule, mittags klettern sie über die Klippen und Strände. Eines Morgens spricht ein Mann sie an, fragt ...

Eulabee und ihre Freundin Maria Fabiola sind unzertrennlich. Jeden Morgen gehen sie gemeinsam zur Schule, mittags klettern sie über die Klippen und Strände. Eines Morgens spricht ein Mann sie an, fragt nach der Uhrzeit - doch war da noch mehr? Die Aussagen widersprechen sich, die Geschichte eskaliert.

Der Klappentext klang sehr vielvesprechend und auch die Leseprobe hat mich genug interessiert um mich für dieses Buch zu entscheiden. Und ich muss auch sagen, dass Vendela Vida die Dynamiken, wie sie in Kindheits- und Jugendfreundschaften auftreten, sehr gut dargestellt hat. Ein falsches Wort, eine falsche Tat und man wird plötzlich mit ganz anderen Augen gesehen. Das System der Ausgrenzung und wie sich die Ausgegrenzte, in diesem Fall Eulabee, damit fühlt, werden sehr authentisch geschildert. Es verändert sie und doch muss man auch sagen, betrachtet sie alles sehr nüchtern. Dennoch hofft sie immer wieder darauf, alles wäre wieder so wie früher, die Gruppe wieder intakt und sie nicht alleine. Das hat mich berührt.

Der ganze Rest der Geschichte bleibt jedoch ziemlich uninteressant, belanglos und teilweise unrealistisch. Leider trägt auch der Schreib- und Sprachstil nicht wirklich dazu bei, mich mehr für die Geschichte zu interessieren, da ich ihn als nichts besonderes empfand. Vendela Vida schafft es in keinster Form, mich für ihre Figuren zu begeistern und auch Eulabee ging mir irgendwann auf die Nerven. Die Einschübe der schwedischen Kultur waren ganz interessant, haben aber eigentlich nichts zur Geschichte beigetragen. Hinzu kommt ein wirklich banales und furchtbares Ende.

Das im Klappentext angekündigte Thema des Freundschaftsverlustes und 'Ausgestoßen-Werdens' wird auch hauptsächlich im Mittelteil abgehandelt, der Rest des Textes ist bestückt mit seltsamen Dialogen, detailreichen Beschreibungen, flachen Figuren und oberflächlichen Ansätzen der ersten Liebe, des Erwachsenwerdens und des Sich-Selbst-Findens. Alles in allem ist "Die Gezeiten gehören uns" damit für mich leider keine Empfehlung.

Veröffentlicht am 14.02.2022

Butter

Butter
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Der Fall von Manako Kajii war in allen Medien Tokios, die Serienmörderin hat (vornehmlich reiche, alte) Männer mit ihren Kochkünsten verführt und soll sie anschließend umgebracht haben. Mittlerweile ist ...

Der Fall von Manako Kajii war in allen Medien Tokios, die Serienmörderin hat (vornehmlich reiche, alte) Männer mit ihren Kochkünsten verführt und soll sie anschließend umgebracht haben. Mittlerweile ist das Interesse an dem Fall etwas abgeflaut, doch die 2. Verhandlung steht kurz bevor ud so beschließt die junge Journalistin Riko ein Exklusivinterview mit der Angeklagten zu ergattern. Sie besucht sie im Gefängnis und durch die Gespräche, die sich ausschließlich um Kajiis Kochkünste und Gerichte drehen, beginnt Riko sich zu verändern. Sie bekommt ein neues Gefühl für sich, ihren Körper und das Leben im Allgemeinen.

Ich muss gestehen, ich hatte nach dem Klappentext etwas anderes erwartet. Die erste Hälfte las sich, oberflächlich betrachtet, wie ein Kochbuch und eine Hommage an Butter und deren Geschmack. Die Figuren waren mir fremd und ich knnte keinen Zugang zu ihnen und ihren Handlungen finden. Dies führte dazu, dass ich die Lektüre als etwas langweilig empfand. Der Text wandelt sich jedoch mit jedem Schritt, den Riko zu sich selbst und ihrem neuen, echten, Ich geht. Sie beginnt über ihr Leben zu reflektieren und nimmt mehr und mehr Abstand von den Zwängen und Anforderungen, die die Gesellschaft den Frauen aufbürdet, dem Idealbild der schlanken, nachgiebigen Japanerin.

Vermutlich fehlt mir auch der Bezug und das Wissen über das japanische Leben und die Kultur um dieses Buch in seiner Gänze erfassen zu können. So war mir jedoch das Kochen und Essen zu sehr im Vordergrund und ich hätte mir mehr Auseinandersetzung mit den Gedanken der Figuren gewünscht. Riko wirkt oft seltsam passiv und distanziert, was es mir manchmal schwer gemacht hat. Dennoch war es eine interessante Lektüre, die Essen und Genuss im Allgemeinen als Weg zum eigenen Körperbewusstsein und damit einhergehendem Selbstbewusstsein und dem Befreien aus gesellschaftlichen Zwängen aufzeigt.