Zwiegespalten
Feminismus – Die älteste Menschenrechtsbewegung der WeltZwiespalt. "Ja!! Aber..." charakterisiert meine Beziehung zu diesem Buch während und auch nach dem Lesen am besten; es bietet ausgesprochen viel Wissen und Diskussionsstoff zugleich.
Bereits von der ...
Zwiespalt. "Ja!! Aber..." charakterisiert meine Beziehung zu diesem Buch während und auch nach dem Lesen am besten; es bietet ausgesprochen viel Wissen und Diskussionsstoff zugleich.
Bereits von der ersten Seite an ist der Schreibstil persönlich, direkt und bisweilen humorvoll zynisch. Zudem wird deutlich, wie viel Wissen Agnes Imhof hat und wie gründlich die Recherche war - hier beginnt jedoch auch schon mein erster Kritikpunkt; die Autorin setzt ein umfangreiches Allgemein- und Spezialwissen voraus. Ich musste oft Nebenrecherchen starten, um aus hingeworfenen Informationen in Nebensätzen schlau zu werden oder den größeren Kontext bzw. ihre Anspielungen zu verstehen.
Insbesondere der historische Überblick zu Anfang und die Vorstellung vieler Frauen und ihrer Lebensläufe gefiel mir - ich habe ja schon viel zu Feminismus gelesen und dachte zunächst, hier wenig dazulernen zu können; Agnes Imhof nennt aber auch weniger bekannte Frauen und gerade für Menschen, die sich noch nicht so viel mit den Theorien, Entwicklungen und Ereignissen rund um Feminismus und Gleichberechtigungskämpfe beschäftigt haben, ist dieses Buch ein umfangreicher Einblick und Einstieg. Aber es ist eben auch anspruchsvoll - weniger auf Grund der Sprache, als auf Grund der inhaltlichen Dichte. Das Kapitel zu Poststrukturalismus etwa war ausgesprochen schwierig zu verstehen - bereits im Politikstudium hatte ich bei Foucault, Derrida und Butler viele Fragezeichen im Kopf und das änderte dieser Abschnitt auch nicht. Á propos Judith Butler - Agnes Imhof scheint hier eine merkwürdige persönliche Fehde zu führen; immer wieder kommt sie auf Butlers Texte zurück und zerreißt diese förmlich. Ja, sie sind unnötig kompliziert geschrieben und auch ich halte die feministischen Kämpfe für Handfestes für wichtiger als philosophische Auseinandersetzungen - aber letztere deshalb nicht für vollständig irrelevant oder schädlich. Zumal Imhof gleichzeitig eine eigentümliche Begeisterung für Alice Schwarzer an den Tag legt. Auch hier wieder: Kein Schwarzweiß-Denken; Schwarzer hat wichtige Pionierarbeit geleistet, (so) unkritisch sehe ich sie trotzdem nicht.
Zu Themen wie Prostitution und Leihmutterschaft positioniert sich Imhof, was ich begrüßenswert und wichtig finde - der Objektivitätsanspruch, der in der Wissenschaft gerne postuliert wird, ist irreführend und unerfüllbar. So konnte ich ihre Argumentation jedoch einordnen und mir meine eigenen Gedanken machen, ohne ein "so isses" vorgesetzt zu bekommen. Ich stimme ihr hier in ihrer Absolutheit nicht zu und bei den Themen Transidentität und binäres Geschlechtssystem hatte ich unangenehme Momente ob ihrer Formulierungen - möchte Imhof hier aber auch keine Worte in den Mund legen, die sie so nicht ausgesprochen hat. So wie sie Intersektionalismus jedoch darstellt (und kritisiert), sehe und lebe ich diesen jedoch nicht - für mich bedeutet das Konzept, anzuerkennen, dass es verschiedene, überlappende Formen der Diskriminierung gibt. Ohne dabei eine Hierarchisierung vorzunehmen. Mich gegen Diskriminierung aller Arten zu stellen - unabhängig, ob ich davon betroffen bin und gleichzeitig anzuerkennen, dass ich aus meiner privilegierten Position nicht für alle sprechen kann und darf.
Ähnlich ging es mir bei den Abschnitten zu kulturspezifischen Ansätzen des Feminismus - ich stimme mit Imhof vollkommen überein, dass Menschenrechte nicht verhandelbar oder abstufbar sind. Und glaube zugleich, dass es sehr wohl Schwarzen Feminismus und kulturspezifische Unterschiede bei Werten und Normen gibt; wir unsere westlichen Schwerpunkte so nicht exportieren können. Gerade weil Gesellschaften in verschiedenen Weltregionen unterschiedlich aufgebaut sind.
Stark fand ich dann wieder das Kapitel zu Sexualität und dem Madonna-Hure-Komplex sowie Widmung und Schlussworte - aus denen die Wut, die Leidenschaft und der Unwille, Ungerechtigkeiten weiter hinzunehmen, nur so sprühen. Denn der zentralen Botschaft dieses Buches schließe ich mich laut und bestimmt an - es wird Zeit, "die Frauenfrage" nicht mehr unterzuordnen, Gleichberechtigung als zentralen Marker von freien Gesellschaften zu betrachten und nicht darauf zu warten oder hoffen, dass in einer besseren zukünftigen Welt automatisch dann auch patriarchale Strukturen verschwinden. Wir müssen andersherum anfangen und zuerst das Patriarchat abschaffen. Genau darin sind dieses Sachbuch und seine Autorin unmissverständlich, empowernd und überzeugend.