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orfe1975

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.02.2018

Spannende Spurensuche mit viel Emotion und einer Prise Humor und leichtem Gruselfaktor

Der Duft von Nelken
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Cover:
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Das Cover passt hervorragend zum Inhalt. Es stimmt gleich auf die Landschaft ein und jagt dem Betrachter durch seine Farben angenehme Schauer über den Rücken. Zum einen durch den ...

Cover:
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Das Cover passt hervorragend zum Inhalt. Es stimmt gleich auf die Landschaft ein und jagt dem Betrachter durch seine Farben angenehme Schauer über den Rücken. Zum einen durch den Anblick der wunderschönen Landschaft von Cornwall, zum anderen ahnt man gleich, das es um ein düsteres Geheimnis gehen muss. Im Laden hätte mich das Bild durchaus angesprochen.

Inhalt:
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Sandra hat einen liebevollen Ehemann, zwei süße Kinder und hat vom Vater ein gut gehendes Unternehmen geerbt. Sie muss sich um nichts kümmern, alles scheint perfekt. Doch dann wird durch eine Tragödie ihre Familie zerstört.
Nachdem sie sich aus der Trauer erholt hat, passieren merkwürdige Dinge und sie wird erneut mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Sie merkt, dass durchaus gar nichts so perfekt war, wie sie dachte. Sie begibt sich auf Spurensuche nach Cornwall, wo ein Teil der Familie ihres verstorbenen Mannes wohnt. Dabei begegnet sie Timo, der bereit ist, ihr zu helfen. Doch kann sie ihm vertrauen? Wem kann sie überhaupt vertrauen und was ist letztendlich die Wahrheit? Wird Sandra es gelingen, Licht ins Dunkel zu bringen und ihr Leben in die richtige Bahn zu lenken?

Mein Eindruck:
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Ich war von Anfang an von der Geschichte gepackt. Die Protagonistin Sandra fand ich von Beginn an so authentisch geschildert, dass ich direkt mit ihr mitgefiebert habe. Zu Beginn ist sie die vertrauensselige, teils etwas naive Person, die ihrem Mann bedingungslos vertraut und sich zugunsten der Kindererziehung komplett aus dem Arbeitsleben zurück nimmt. Nach der Trauerzeit über den tragischen Unfall ihres Mannes und der Kinder, findet sie heraus, dass ihr Ehemann vor ihr Geheimnisse hatte. Zunächst bricht für sie eine Welt zusammen und sie ist jedem Menschen gegenüber misstrauisch. Doch nach und nach öffnet sie sich, auch dank Timo, und es ist eine Freude, dabei zuzusehen, wie sie aufblüht und sich zu einer starken, mutigen Person entwickelt.

Die Handlung selbst bietet auch kaum Verschnaufpausen, ich musste das Buch fast in einem Rutsch durchlesen, weil ich wissen wollte, wie es weitergeht. Immer wieder werden Spuren gestreut, es passieren auf den ersten Blick unerklärbare Dinge, die fast übernatürlich wirken und als Leser fragt man sich des Öfteren selbst, wem man hier vertrauen kann und wem nicht. Trotz der vielen Rätsel bleibt man am Ball und durch clevere Schachzüge wird bis zum Ende der Spannungsbogen in hohem Grade aufrecht gehalten. Obwohl man
als Leser auch unversehens auf Irr- oder gar Nebenpfade wandelt, schafft die Autorin am Ende eine geschickte Auflösung, die sich nicht künstlich konstruiert, sonder natürlich plausibel anfühlt. Dieses Kunstwerk gelingt nicht jedem!

Zudem sind die Landschaftsbeschreibungen, aber auch die bildhaften
Gefühlsbeschreibungen wahnsinnig gut gelungen. So kann man sich die Umgebung vorstellen, als sähe man sie mit eigenen Augen und die Gefühle versteht man sofort. Es werden Vergleiche verwendet, auf die ich selber nie kommen würde, bei denen ich aber sofort verstehe, was sie ausdrücken wollen, einfach genial!

Nachdem dann das Ende mein romantisches Herz erfreut hat, brachte der Epilog mich dann lauthals zum Lachen. Diese Gratwanderung, dass es romantisch, aber nie kitschig wird und immer mit einer Prise Humor, ist der Autorin hier ebenso gut gelungen, wie in ihrem ersten Roman ("Du, ich und die Farben des Lebens"). Das spiegelt sich auch in den unterhaltsamen und schlagfertigen Wortwechseln zwischen Sandra und Timo wieder.

Am Ende habe ich das Buch voller Befriedigung zugeschlagen. Dieses Buch ist für mich eins der genialsten Bücher, die ich 2016 lesen durfte. Wenn ich könnte, würde ich 6 Sterne vergeben!

Fazit:
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Geheimnisvoll, spannend, gruselig sowie romantisch und humorvoll zugleich mit einer genialen Auflösung am Ende - unbedingt lesen!

Veröffentlicht am 15.02.2018

Die Farben der Liebe und des Lebens

Du, ich und die Farben des Lebens
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Cover:
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Die Farben des Covers leuchten dem Betrachter bereits auf der Abbildung des Buches entgegen. Hält man das reale Buch in Händen,wirken sie noch intensiver. Passend zum Titel wird ...

Cover:
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Die Farben des Covers leuchten dem Betrachter bereits auf der Abbildung des Buches entgegen. Hält man das reale Buch in Händen,wirken sie noch intensiver. Passend zum Titel wird damit das Leben mit all seinen bunten Facetten ausgedrückt. Auffallend sind die hellen, fröhlich stimmenden Farben, keine dunklen Braun- oder Grautöne. Es wirkt sehr lebensbejahend und vermittelt mir die Botschaft, dass das Leben einem viel Positives geben kann (wenn man es lässt). Rundum gelungen!

Inhalt:
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Janica ist eine lebensbejahende Person, sie feiert und genießt jeden einzelnen Tag ihres Lebens mit allen Farben, die er zu bieten hat. Durch einen Zufall begegnet sie Steffen und bewahrt ihn vor einer Dummheit. Durch ihn lernt sie schließlich Thomas kennen, der verschlossen ist und das Gegenteil von ihr darstellt. Dennoch entwickelt sich nach und nach eine tiefe Liebe zwischen den beiden, die leider nach kurzer Zeit schon auf eine harte Probe gestellt wird.

Mein Eindruck:
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Dieser Roman ist der erste, den die Schriftstellerin Elisabeth Büchle unter dem Pseudonym Noa C. Walker veröffentlicht hat. Da ich bisher viel positives über die Autorin gehört, aber bis dato noch kein Buch von ihr gelesen hatte, war ich sehr gespannt und wurde nicht enttäuscht!

Bereits der Einstieg ist mir sehr leicht gefallen. Eigentlich bin ich jemand, der keine Liebesromane oder Romane mit viel Gefühl und viel Landschaftsbeschreibungen liest. Meistens sind mir diese zu langatmig oder laufen schnell Gefahr, kitschig zu werden.
Hier war es anders: Obwohl von der Handlung her anfangs relativ wenig passiert und in längeren Passagen die Landschaft und die Gefühle der Leute sehr ausführlich beschrieben werden, konnte ich hier nicht einfach querlesen, wie ich das sonst oft tue. Mir gefiel die Art der Beschreibung mit vielen bildhaften Vergleichen und Adjektiven sehr gut, die die Fantasie anregen und man sich alles sehr gut vorstellen kann. Die Farben spielen im ganzen Roman eine tragende Rolle, auch im übertragenen Sinne für Lebenseinstellungen und Gefühle der Personen. Die Gefühle der Personen und deren Entwicklung sind daher auch der entscheidende Teil, von dem der Roman lebt. Mich konnte schon lange kein Autor mit Beschreibungen so fesseln, wie es hier geschehen ist.

Positiv überrascht war ich auch von der Entwicklung der Liebesgeschichte. Sie ist schön und authentisch beschrieben, Thomas und Janica nähern sich langsam einander an. Es ist kein Verliebtsein Knall auf Fall und es ist auch nicht von Beginn an klar, dass die beiden zusammengehören. Die Liebe schleicht sich nach und nach in beider Leben und mit jedem Schritt öffnet sich Thomas, aber auch Janica ein bisschen mehr.

Der Roman ist sehr gefühlvoll und intensiv, ohne kitschig zu werden. Das ist die große Kunst, die die Autorin hier wunderbar gemeistert hat: die optimale Balance zwischen allen Gefühlen herzustellen und heitere Szenen mit schwereren zu vermischen. Man lacht, man weint, fühlt mit, denkt nach, hat Angst und freut sich wieder. Ich bin beim Lesen mehrfach in die Achterbahn der Gefühle eingestiegen und habe mit Janica und Thomas alle Farben (auch die dunklen) erleben dürfen. An einigen Stellen musste ich schwer schlucken. Wer eher nah am Wasser gebaut ist, sollte sich Taschentücher bereithalten.

Obwohl es hier um ein schweres Thema (Krebs) geht, kann ich das Buch auch als Mutmachbuch empfehlen. Es enthält viele kleine Botschaften, über die es sich nachzudenken lohnt und am Ende stand für mich ganz klar die Botschaft im Vordergrund, die Janica gelernt hat: Das Leben bietet Höhen und Tiefen, aber jede Phase hat ihren Sinn und es lohnt sich, das Leben jeden Tag so intensiv wie möglich zu genießen.

Fazit:
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Gefühlvoll und bewegend, ohne kitschig zu sein - Einfach toll, unbedingt lesen!

Veröffentlicht am 05.02.2018

Liebe, Verlust, Hoffnung

Gegen alle Regeln
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Cover und Gestaltung:
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Pink als Farbe des Titels auf orangem Hintergrund lässt das Buch eher wie ein Kitschroman aus den 70ern aussehen als nach einer seriösen Biographie. Im Laden hätte ...

Cover und Gestaltung:
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Pink als Farbe des Titels auf orangem Hintergrund lässt das Buch eher wie ein Kitschroman aus den 70ern aussehen als nach einer seriösen Biographie. Im Laden hätte ich das Buch wohl stehen lassen und damit leider einiges verpasst! Zwar passen diese Farben zum Geburtsjahr der Autorin und irgendwie passt diese verboten aussehende Farbkombination auch zu ihrem Leben, aber meinen Geschmack trifft das Ganze nicht. Immerhin ist das Buch ein Hardcover mit Schutzumschlag und macht so einen hochwertigen Eindruck.

Inhalt:
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Die Autorin Ariel Levy beschreibt ihr Leben, angefangen von ihrer Kindheit, ihrer (auch sexuellen) Selbstfindung sowie der Suche nach Liebe und Partnerschaft. Sie schreibt aber auch darüber, wie es sich anfühlt, die Liebe zu verlieren und wie es schaffte, die Trauer um ihren Sohn zu verarbeiten, der kurz nach seiner Geburt in ihren Armen starb.

Mein Eindruck:
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"Seit ich ein kleines Mädchen war, hat man mir gesagt, dass ich zu leidenschaftlich bin, zu energisch, zu viel. Ich hatte angenommen, dass ich meine unbändige Kraft, Gier und Liebe in ein Leben gepackt hatte, das dem standhalten konnte. Doch es ist explodiert." (S. 9)

Ich gestehe, dass ich aufgrund von Titel und Klappentext keine so genial verfasste Autobiographie erwartet hatte. Gleich mit dem ersten Satz bin ich eingetaucht in die gefühlvolle Welt der Autorin, konnte mich sofort in ihre Welt hinein begeben und mich stückweise auch mit ihr identifizieren. Ohne Verschnörkelung, ohne Selbstmitleid schreibt sie von ihrer Situation und nimmt den Leser mit an die Hand.
Ariel ist von vorneherein irgendwie "anders", zu viel und ihr Leben verläuft "gegen alle Regeln", wie der Titel schön beschreibt. Das äußert sich darin, dass sie schwer Freunde findet, sexuell zunächst nicht weiß, wie sie sich orientieren soll und auch beruflich ihre Bestimmung nicht einordnen kann. In ihrem Buch beschreibt sie sehr treffend und eindringlich, mal traurig mal komisch, von ihrer Suche nach dem richtigen Weg für sie. Man bekommt dabei sehr tiefe Eindrücke ihrer Gefühle und Gedanken, aber auch Einblicke in ihre Arbeit als Journalistin, was ich persönlich als besonders spannend empfand.
Beim Lesen habe ich jeden einzelnen Satz genossen, da die Autorin es meisterhaft versteht, Metaphern für die Ereignisse ihres Lebens zu finden, die alles viel verständlicher erscheinen lassen, so z. B.

"Beim Schreiben kann man das Ende stets ändern oder ein Kapitel löschen, das nicht funktioniert. Das Leben aber kommt dir nicht entgegen, es ist unparteiisch und unanfechtbar." (S. 235)

Die Geschichte ihrer Partnerschaft und vor allem deren Verlust sowie der Verlust ihres Sohnes haben mich oft schlucken lassen. Gleichermaßen war ich beeindruckt von ihrer Art, ihre Trauer zu verarbeiten.

"Eigentümlicherweise aber tröstet mich gerade die Wahrheit. Der Tod wird dich holen. Du kriegst zehn Minuten auf dieser Welt oder achtzig Jahre, niemand aber kommt lebend davon. Dieses Gesetz zu akzeptieren schenkt mir einen überraschenden Anflug von innere Frieden." (S. 227)

Insgesamt hat mich das Buch durch seine Schreibweise von Anfang bis Ende gefesselt und ich habe mir viele treffende Zitate markiert.

Fazit:
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Gefühlvolle Biographie in außergewöhnlicher Sprache formuliert: Die Suche nach Liebe und wie man ihren Verlust bewältigt

Veröffentlicht am 05.02.2018

Die Stärke von Englands Frauen im 2. Weltkrieg

Der Frauenchor von Chilbury
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Cover und Gestaltung
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Den Titel ziert das Foto eines typisch englischen Dorfes. Anhand des Oldtimers kann man sehen, dass es schon älter sein muss. Optisch erinnerte es mich ...

Cover und Gestaltung
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Den Titel ziert das Foto eines typisch englischen Dorfes. Anhand des Oldtimers kann man sehen, dass es schon älter sein muss. Optisch erinnerte es mich an die Reihe "Der Doktor und das liebe Vieh". Es passt zum Titel, dennoch hätte ich das englische Cover, auf dem die 5 Protagonistinnen abgebildet sind, passender gefunden.
Als Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen ist das Buch einfach ein tolles Schmuckstück im Regal.

Inhalt:
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Chilbury, ein englisches Dorf in Zeiten des 2. Weltkrieges. Die meisten Männer sind im Krieg und wegen Sängermangel will der Dorfpfarrer den Chor auflösen. Doch dann kommt Musikprofessorin Primrose Trent aus London in den Ort. Sie beschließt, den Chor ausschließlich mit Sängerinnen wieder zu eröffnen. Mit dieser Entscheidung verändert sie entscheidend das Leben der Frauen und letztendlich des ganzen Dorfes.

Mein Eindruck:
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Als erstes fiel mir der Sprachstil positiv auf: Man spürt sofort den gewissen, britischen Flair und obwohl die Geschichte in Kriegszeiten spielt, ist immer wieder der typisch britische Humor, manchmal auch Sarkasmus zu spüren. Die Handlung hat mich angenehm überrascht: ich hatte eine Geschichte erwartet, die sich ausschließlich um den Chor und die Musik dreht. Aber es wird viel über den Alltag der Frauen und ihre Gefühle berichtet. Die 5 weiblichen Hauptfiguren kommen mittels ihrer Briefe und Tagebücher abwechselnd zu Wort: Die dreizehnjährige Kitty Winthrop und ihre achtzehnjährige Schwester Venetia, das zehnjährige tschechische Flüchtlingsmädchen Silvie, sowie die verwitwete Mrs. Tilling und die leicht verbitterte Hebamme Mrs. Paltry. Diese persönlich formulierten Passagen wurden von der Autorin so geschickt eingeflochten, dass sich im Ganzen eine höchst spannende Handlung ergibt. Man erlebt tragische, komische, rätselhafte und aufregende Momente mit den 5 Frauen: Jeder im Dorf hat etwas zu verbergen, jeder tratscht über jeden und der Chor ist letztendlich der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Geschehens, der alle Frauen auf gewisse Art zusammen schweißt.

"Dinge, die man sich merken sollte, bevor die Menschen in den Krieg ziehen
- Die Form ihres Körpers - so sieht die Lücke aus, die Menschen reißen, wenn sie uns verlassen
- Die Art, wie sie sich bewegen, wie sie gehen, wie schnell sie sich umwenden
- Alle Gerüche und der persönliche Duft, der langsam vergeht
- Ihre Farbe, die alles überstrahlt, sogar ihren Tod." (Auszug aus Kittys Tagebuch, S.30)

Besonders Kittys Gedanken fand ich sehr beeindruckend, erscheinen sie für eine 13-Jährige sehr reif und sind gut und treffend formuliert. Aber auch insgesamt ist es interessant, die Entwicklung der Frauen zu beobachten. Viele entdecken durch den Chor, welche Stärken in ihnen schlummern und dass sie durch die Abwesenheit der Männer Talente entfalten können, die sich vorher unterdrückt hatten.
Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit: Die Autorin hat es auf Erzählungen ihrer Großmutter und deren Bekannten begründet, aber einen Teil auch dazu gedichtet. Ich war erstaunt, wie lebensnah diese Geschichte auf mich wirkte. Ich hatte den Eindruck, live dabei zu sein. Mir ging das Buch sehr nahe und ich hab bis zum Schluss mitgefiebert - ein echter Page­tur­ner! In den Tagebucheinträgen und Briefen finden sich viele schöne Gedanken, weswegen ich das Buch noch öfter zur Hand nehmen und darin blättern werde.

Fazit:
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Komisch, traurig, philosophisch und spannend bis zur letzten Seite: Ein phantastisches Beispiel für Stärke und Zusammenhalt von Frauen

Veröffentlicht am 31.01.2018

Die 68er als Spiegel unserer Gesellschaft

Hinterhofleben
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Cover und Gestaltung
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Das Cover wirkt schlicht, passt aber gut zum Titel: Der Hinterhof eines städtischen Hochhauses mit dem Blick von unten nach oben. Der Blick durch ...

Cover und Gestaltung
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Das Cover wirkt schlicht, passt aber gut zum Titel: Der Hinterhof eines städtischen Hochhauses mit dem Blick von unten nach oben. Der Blick durch die Fenster sowohl in den Hof als auch vom Hof auf die Fassade spielt im Roman eine immer wieder kehrende Rolle. Als Klappenbroschur gehört dieses Taschenbuch zu der stabileren, hochwertigen Sorte.

Inhalt
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Ort des Geschehens ist ein 8-Parteien-Hochhaus an einer Hauptstraße am Prenzlauer Berg mit der Hausnummer 68. Hier wohnen "Die 68er", die einen guten Querschnitt der etwas gehobenen Gesellschaft symbolisieren: die Helikoptereltern, das Rentnerehepaar mit Spitzelambitionen, der verkannte, knöternde Dichter, ein jüdischer Homosexueller, eine ausländische Familie, eine Ärztin, die dort praktiziert, 2 typische Studentinnen und das junge, sozial eingestellte Ehepaar Inga und Jan. Als Inga beschließt, einen syrischen Flüchtling illegal aufzunehmen, verändert dies die Hausgemeinschaft und ihr Leben für immer.

Mein Eindruck
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"Die Linde gilt vielen als deutscher Baum.[...] Doch wäre es ein Irrtum, sie deutsch zu nennen. Sie ist ein Weltbaum: Von China über Iran bis hin zu den Vereinigten Staaten ist sie in zahlreichen Ländern verbreitet.[...]Sie existiert nicht, die deutsche Linde. Trotzdem glauben viele fest daran, dass es sie gibt. Inmitten eines Berliner Hinterhofes grub eine Linde seit Jahrzehnten ihre Wurzeln tief ins Erdreich. Ein kaiserlicher Beamter hatte sie dort irrtümlich statt einer Buche einpflanzen lassen. Als der Fehler auffiel, saß der Baum bereits in der Erde und man beschloss, ihn dort seinem Schicksal zu überlassen [...]." (S. 7f.)
"Unbeeindruckt von all dem menschlichen Treiben harrte die Linde inmitten des Berliner Lebens aus, eine unerkannte Fremde, gezüchtet in einer Baumsiedlung nahe Bratislava als eine Kreuzung von Sommer- und Winterlinde. Sie wuchs als Bastard auf fremdem Boden, aber weil dies keiner der Bewohner des Hauses ahnte, störte sich auch niemand daran." (S. 9)"

Diese Linde spielt eine zentrale Rolle in dem Roman: sie erlebt das Leben im Hinterhof mit und ihre Veränderungen sind ein Spiegel der jeweils aktuellen Stimmung bei den 68ern. Die Linde als Symbol eines Einwanderers begleitet das Geschehen auf poetische Weise mit und ist ein Grund, warum ich den Roman als wahres Leseerlebnis bezeichnen würde.

Am Anfang des Buches ist eine Skizze des Hauses, in der man sehen kann, wer wo wohnt. Das ist am Anfang zur Orientierung und für die Einführung der vielen Personen hilfreich, später brauchte ich sie aber nicht mehr; ich hatte die 68er schnell verinnerlicht.

Der Stil des Autors ist einfach wunderbar. Er schafft es, auf treffende Weise – mal poetisch, mal sarkastisch - der Gesellschaft mit dieser Geschichte den Spiegel vorzuhalten. Anfangs sind alle enthusiastisch, wollen helfen, solange es ihr bürgerliches gutes Leben nicht beeinträchtigt. Doch langsam bröckeln die Fassaden, unterschwellige Konflikte kommen zutage, Lügen werden verbreitet, Vorurteile vertieft, Ängste geschürt und das alles auf Kosten des Flüchtlings Samih. Letztendlich wird er nur noch herumgeschubst und geht nicht um sein Wohl, sondern nur noch darum, wer am Ende von den Hausbewohnern besser dasteht und wer schuld an etwas ist oder nicht. Die Geschichte zu verfolgen ist mindestens so spannend wie ein Krimi. Die Charaktere sind Leute, die man aus dem wahren Leben kennt, weil es einfach bestimmte Typen darstellen, die in der Gesellschaft immer wieder vorkommen. Interessant ist, dass ein und dieselbe Handlung oft mehrfach beschrieben wird, jeweils aus der Perspektive eines anderen Bewohners. Durch die Darstellung der verschiedenen Sichtweisen kann man sich gut jede Person und ihre Haltung vorstellen. Manchmal fragt man sich, ob man nicht auch manchmal solche Gedankengänge hat und wie man selbst wohl gehandelt hätte. Diese Art von "Unterschwellige Geschichte" ist genau der Grund, warum mich das Buch so gepackt hat. Es deckt schonungslos und doch mit einer Prise Humor die Gedanken auf, die den unterschiedlichen Personen kommen, die aber Angst haben, sie auszusprechen. Hier werden sie einfach mal mit in in die Geschichte rein gepackt, so wie sie tatsächlich sein könnten.

"Ich rede davon, dass du jegliches Maß verloren hast. Und du bist nicht die Einzige. Die Menschen in Deutschland offenbaren gerade angesichts der Flüchtlinge, dass ihnen jeder vernünftige Gedanke abhanden gekommen ist. [...]Zwei Seiten bekriegen sich auf dem Rücken der Flüchtlinge und das Einzige, was in diesen Diskussionen zählt, ist, mit Beleidigungen die moralische Oberhand zu behalten. Kein Abwägen, keine neutrale Betrachtung der Situation. Schwarz und Weiß mehr gibt es nicht. Ein 'Aber', einst Ausdruck des denkenden Menschen, ist nicht mehr salonfähig. Wer 'aber' sagt, ist automatisch ein Nazi, egal welche Argumente er aufbringt. Niemand ist mehr fähig, rational über dieses Thema zu diskutieren." (Jan zu Inga auf S. 211f.)

Die Entwicklung der einzelnen Personen ist hier auch sehr spannend zu beobachten, einige zum negativen, andere wiederum überraschen mit positiven Veränderungen. Während sich die Handlung schließlich auf dramatische Weise zuspitzt und das Verhalten der Erwachsenen an kindische Streitereien erinnert, ist ausgerechnet ein Kind fast allein als wirklich vernünftig handelnde Person tätig: Er heißt Tumaini (Suaheli für "Hoffnung") und er ist der Einzige, der unvoreingenommen an Samih herantritt und dessen Bedürfnisse erkennt. Tumaini setzt den Rat des Schriftstellers um:

"Hör den Menschen zu. Den einen wirst du zustimmen, den anderen nicht. Anschließend kannst du selbst nachdenken und deine eigene Meinung formen. Aber vergiss nie zuzuhören." (S.229).

Wahre Worte, die wir alle öfter beherzigen sollten!

Neben dem Geschehen Haus lernt man nebenbei als Leser auch einige Fakten über die allgemeine Flüchtlingslage, die geschickt in die Ereignisse eingeflochten werden. Das gefiel mir sehr gut.

Am Ende war ich sehr erschüttert und musste alles erst mal sacken lassen. Das Buch wird sicher noch lange in mir nachhallen und ich werde es sicherlich noch mehrfach in die Hand nehmen und darin herum blättern. Es steht so viel zwischen den Zeilen, dass man es nicht alles beim ersten Mal verarbeiten kann. Und wenn man die Handlung kennt, kann man das Buch m. E. auch einfach mal in der Mitte aufschlagen und sich irgendeine Stelle genauer vornehmen, denn es gibt viele schöne und wahre Worte, die man sich als Zitate merken sollte, die an dieser Stelle aber den Rahmen sprengen würden.

Fazit
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Ein großartiges Buch über das aktuelle Thema Flüchtlinge und Integration, poetisch, sarkastisch und dramatisch zugleich – Absolute Leseempfehlung!