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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.02.2022

Zettelkasten

Die dritte Hälfte eines Lebens
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Es geht um das fiktive Dorf Krimmwing. Oder besser gesagt, es geht um die Bewohner von Krimmwing. Wie meist bei solchen Romanen, die sich in der abgeschlossenen Welt eines Dorfes abspielen, geht es vor ...

Es geht um das fiktive Dorf Krimmwing. Oder besser gesagt, es geht um die Bewohner von Krimmwing. Wie meist bei solchen Romanen, die sich in der abgeschlossenen Welt eines Dorfes abspielen, geht es vor allem darum, dass die sogenannte Dorfgemeinschaft alles, was nicht passend ist, ablehnt. So zum Beispiel in diesem Fall Seppi. Er ist dunkelhäutig, weil sein Vater nach Südafrika zurückgegangen ist und seine Mutter Rosa den Seppi allein erzieht, mehr oder weniger. Alles weiß man besser. Wenn allerdings etwas Schlimmes geschehen ist, hat man von nichts gewusst, sonst hätte man natürlich geholfen.

Der Roman lässt mich etwas hilflos und enttäuscht zurück. Ich hatte mir mehr davon versprochen. Rätselhafte Sprache gut und schön, aber man sollte es nicht übertreiben. Manchmal habe ich einen Abschnitt nochmal gelesen und mich danach immer noch gefragt, was will sie uns damit sagen? Anna Herzig hat sich kurz gefasst. das Buch ist sehr dünn, an einem Tag zu lesen. Die Kapitel und Abschnitte kurz gefasst in einer "markanten" Sprache. Die Reihenfolge ist recht verwirrend. Sie springt immer mal wieder in der Zeit hin und her. Ich hatte den Eindruck, dass Herzig beim Entstehen des Romans einen Zettelkasten geführt hat. Darin auf losen Zetteln die einzelnen Versatzstücke des Romans grob aufgeschrieben. Diese Zettel sind ihr offensichtlich mal sehr durcheinander geraten und nicht wieder richtig geordnet worden.

Es ist ein Erstling, wie ich gelesen habe. Meiner Ansicht nach merkt man ihm das sehr an. Vielleicht wird der nächste Roman ja besser.

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Veröffentlicht am 23.02.2022

Held wider Willen

Tell
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Eigentlich sind es nur wenige Tage, die Joachim B. Schmidt in seinem Buch erzählt, aber sozusagen nebenher wird über eine jahrelange Vorgeschichte berichtet und was in den Jahren danach passierte. Der ...

Eigentlich sind es nur wenige Tage, die Joachim B. Schmidt in seinem Buch erzählt, aber sozusagen nebenher wird über eine jahrelange Vorgeschichte berichtet und was in den Jahren danach passierte. Der Kern des Buches ist die eigentliche Tell-Geschichte, die wir während der Schulzeit aus einem Reclam-Heftchen kennengelernt haben. Auch bei Schmidt finden wir den Hut auf der Stange und den Apfelschuss. Aber die Charaktere sind anders, ich möchte sagen realistischer, gezeichnet. Gessler ist nicht der unbarmherzige Landvogt, als den ich ihn in Erinnerung hatte. Tell ist ein mürrischer und verschlossener aber jähzorniger Mann, der sich eigentlich nur um seinen Hof und seine Familie kümmern will. Die Situation eskaliert, als Tell zusammen mit seinen beiden Söhnen eine Kuh in der nächsten Stadt verkaufen will, um mit dem Erlös die Familie über den Winter zu bekommen.

Schmidt erzählt in seinem bekannten Stil mit knappen einfachen Sätzen, den wir schon von "Kalmann" kennen. Das heißt, eigentlich lässt Schmidt seine Figuren erzählen. Das ganze Buch ist in viele kurze Abschnitte aufgeteilt von zum Teil nur einer knappen Seite Länge. In jedem dieser Abschnitte erfahren wir den Fortgang aus der Sicht einer bestimmten Person, deren Name jeweils drüber vermerkt ist. Dabei wird manchmal dieselbe Situation von verschieden Seiten beleuchtet oder die Geschichte wird einfach aus anderer Sicht fortgesetzt.

Schmidt rüttelt an der schweizerischen Tell Sage. Bei ihm wird daraus ein Antiheld, ein Held wider Willen. Für mich war dies Buch ein ein-Tag-Buch. Ich habe es an einem Tag gelesen, weil es mich einfach gefesselt hat. Also von mir eine unbedingte Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 17.02.2022

Besser erst hinten lesen

Ein Präsident verschwindet
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Ein Krimi, der 1954 spielt. Ein realer geschichtlicher Hintergrund ist zugrunde gelegt. Verfassungsschutzpräsident Otto John verschwindet und taucht in der Ostzone wieder auf. Es ist unklar, ob er freiwillig ...

Ein Krimi, der 1954 spielt. Ein realer geschichtlicher Hintergrund ist zugrunde gelegt. Verfassungsschutzpräsident Otto John verschwindet und taucht in der Ostzone wieder auf. Es ist unklar, ob er freiwillig dorthin gegangen ist oder ob er verschleppt wurde. Philipp Gerber, der als Emigrant in den USA Mitglied des CIC war, ist wieder nach Deutschland zurückgekehrt und ist nun Kriminalhauptkommissar beim BKA. Er bekommt von höchster Stelle den Auftrag sich auf Johns Spur zu setzen. Er ist dafür prädestiniert, weil er mit Eva Herden liiert ist, die bei dem Vorgang eine undurchsichtige Rolle spielt.

"Besser erst hinten lesen", habe ich als Überschrift gewählt. Damit meine ich die Zeittafel hinten im Buch, die Auskunft über die geschichtlichen Vorgänge gibt. Noch besser ist es vielleicht, bei Wikipedia unter dem Stichwort Otto John nachzulesen. Man kann dann die Vorgänge im Buch besser einordnen.

Ralf Langroth hat einen leicht lesebaren Text verfasst. Nur manchmal wird das Ganze etwas verwirrend. Da findet man sich dann nicht mehr so ganz einfach unter den verschiedenen Geheimdienstabteilungen auf deutscher oder amerikanischer Seite zurecht. An einigen Stellen scheint bei Langroth die Fantasie mit ihm durchgegangen zu sein, als er die geschichtlichen Lücken mit fiktiven Personen und doch recht unwahrscheinlichen Abläufen ausgefüllt hat.

Ein Krimi (Thriller würde ich ihn nicht nennen), der einem nebenbei einen gewissen geschichtlichen Eindruck der damaligen Zeitverhältnisse vermittelt und der unterhaltsam zu lesen ist.

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Veröffentlicht am 04.02.2022

Dichte Atmosphäre

Im Schatten der Wende
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Tobias Falk ist der Hauptprotagonist dieser neuen Reihe, von der wir hier den ersten Band vorliegen haben. Die Handlung spielt zur Wendezeit in Dresden. Tobias Falk war ehemals Volkspolizist und ist nach ...

Tobias Falk ist der Hauptprotagonist dieser neuen Reihe, von der wir hier den ersten Band vorliegen haben. Die Handlung spielt zur Wendezeit in Dresden. Tobias Falk war ehemals Volkspolizist und ist nach der Wende beim Kriminal Dauer Dienst in Dresden beschäftigt. Eine Kriminalkommissarin aus den "alten Ländern" kommt nach Dresden, weil sie einen Killer sucht, der von Frankfurt a. M. nach Dresden gekommen sein soll. Außerdem geht es um mehrere andere Fälle in Dresden, die geklärt werden sollen.

Sehr gut schildert Frank Goldammer, wie sich Falk vom folgsamen Volkspolizisten zum engagierten Mitglied des KDD in Dresden wandelt, wie er seine Haltung ändert und dabei manchmal staunend und überrascht den inneren und äußeren Veränderungen gegenüber steht. Wir sind es gewohnt, dass die Wendezeit als eine Phase der Euphorie geschildert wird, wonach alles besser werden wird. Hier bekommen wir einen anderen Einblick. Wir erfahren, dass durchaus bei einigen Skepsis herrschte, dass sie sich mit den neuen Gegebenheiten nicht unbedingt wohlfühlten und ihre alten Identifikationen verschwinden sahen.

Diese Zusammenhänge sind sehr gut geschildert. Dabei kommt aber der eigentlich Krimiteil meines Erachtens etwas zu kurz. Außerdem ist die Situation durch die vielen Fälle, die zu lösen sind etwas verworren. Goldammer verzettelt sich da etwas. Die Spannung will nicht so recht zur Hochspannung werden, sondern bewegt sich kontinuierlich im Mittelfeld.

Wem es in einem Buch neben der eigentlichen Krimihandlung auch um geschichtliche Hintergründe geht, der ist mit diesem Buch sehr gut bedient.

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Veröffentlicht am 27.01.2022

Komprimiert auf das Wesentliche

Der Erinnerungsfälscher
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Ein Buch, das man an einem Tag lesen kann. Nicht weil es so dünn ist. Es hat zwar nur 125 Seiten, aber man kann es nicht aus der Hand legen, weil der Inhalt so intensiv und verdichtet ist, dass man einfach ...

Ein Buch, das man an einem Tag lesen kann. Nicht weil es so dünn ist. Es hat zwar nur 125 Seiten, aber man kann es nicht aus der Hand legen, weil der Inhalt so intensiv und verdichtet ist, dass man einfach weiter lesen muss.

Es geht um Said Al-Wahid, der vor einigen Jahren aus dem Irak geflohen ist und jetzt in Deutschland lebt mit Frau und Kind. Er hat inzwischen einen deutschen Pass. Said bekommt plötzlich eine Nachricht von seinem Bruder aus dem Irak, dass ihre Mutter im Irak im Sterben liegt. Unverzüglich macht sich Said auf den Weg nach Bagdad, um sie noch einmal zu sehen.

Das ist der Kern der Geschichte, aber nebenher erfahren wir wichtige Stationen aus der Vergangenheit, vom gefährlichen Leben im Irak, von den Stationen einer langen abenteuerlichen Flucht, von den ungewissen Zeiten in Deutschland als geduldeter Asylbewerber bis zur Erlangung des deutschen Passes. Es ist die fiktive Geschichte von Said Al-Wahid. Aber ich denke, dass einige autobiographische Züge von Abbas Khider darin zu finden sind.

Ergreifend realistisch und intensiv. Wie gesagt: Ein Buch, das man an einem Tag gelesen hat, das aber noch lange in Erinnerung bleibt.

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