Zu viel gewollt
Der Fischer und der SohnMustafa ist Fischer und lebt in einem kleinen Dorf an der Ägäis mit seiner Frau Mesude, doch ohne ihren Sohn Deniz, benannt nach dem Meer, den dasselbe ihnen mit nur 7 Jahren geraubt hatte. Freud und Leid, ...
Mustafa ist Fischer und lebt in einem kleinen Dorf an der Ägäis mit seiner Frau Mesude, doch ohne ihren Sohn Deniz, benannt nach dem Meer, den dasselbe ihnen mit nur 7 Jahren geraubt hatte. Freud und Leid, Leben und Tod liegen nah beieinander in dieser Welt, die von der Natur bestimmt wird. Die Trauer hat die noch jungen Eheleute gezeichnet, alle Freude ist aus ihren Körpern verschwunden, Liebe und Leidenschaft füreinander mit dem gemeinsamen Kind gestorben. Das in einem kleinen Schlauchboot auf dem Mittelmeer treibende Baby von Geflüchteten, ein Junge, ein neuer Sohn, erscheint Mustafa wie die Erhörung seiner Gebete, wie Allahs Wille, Schicksal, ‚kader‘. Entgegen ihrer Vernunft versteckt das Paar den Kleinen bei sich, füttert und liebt ihn, diesen zweiten Deniz, den das Meer ihnen so unverhofft geschenkt hat. Doch das Geheimnis bleibt nicht lange unbemerkt und ihre Liebe wird erneut einer schweren Zerreißprobe ausgesetzt.
Zülfü Livaneli zählt zu den wichtigsten Stimmen der Türkei, ist als Musiker, Filmregisseur und Literat ohne Frage ein großer Kulturschaffender seines Landes. Sein neuer Roman „Der Fischer und der Sohn“, in der deutschen Übersetzung von Johannes Neuner, hat mich sofort gereizt, geht es doch um Elternschaft und den Verlust eines Kindes, die Zerrissenheit zwischen Moral und Sehnsucht, kurz: um existenzielle Fragen der Menschlichkeit. Livaneli greift neben der Familiengeschichte aktuelle Themen wie die desaströse Flüchtlingspolitik sowie die Klimakrise (und beider Auswirkungen auf die Region) auf; für mich besonders interessant, weil ich die Gegend kenne, von der er erzählt. Für mein Gefühl bieten die knapp 200 Seiten aber einfach nicht genug Raum, um all diesen Themen wirklich gerecht zu werden, mir fehlte ein wirkliches Eintauchen in die Geschichte. Gerade Mesude, die für mich spannendste Figur, blieb blass und meinem Inneren fern. Zu gerne wäre ich tiefer in ihre Gedanken- und Gefühlswelt eingedrungen, hätte ihren Schmerz, ihre Motive stärker nachempfunden, mehr Szenen wie die letzte des Buches gelesen, die ich sehr stark fand. So bleibe ich etwas zwiegespalten zurück, mit einer Empfehlung für euch, die mein Herz aber leider nicht ganz erreichen konnte.