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Veröffentlicht am 05.06.2024

Sehr atmosphärisch!

Unter Wasser Nacht
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In „Unter Wasser Nacht“ von Kristina Hauff begegnen wir zwei Paaren, die sich aus Studentenzeiten kennen und bereits vor langer Zeit den Traum eines gemeinsamen Grundstücks, eines eigenen kleinen Bullerbüs, ...

In „Unter Wasser Nacht“ von Kristina Hauff begegnen wir zwei Paaren, die sich aus Studentenzeiten kennen und bereits vor langer Zeit den Traum eines gemeinsamen Grundstücks, eines eigenen kleinen Bullerbüs, mitten im Wendland an der Elbe erfüllt haben. Doch während Inga und Bodo mit ihren zwei Teenagern das scheinbar perfekte Leben führen, sind Sophie und Thies tief in der Trauer um ihren vor einem Jahr unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen Sohn versunken; eine Trauer die noch schwerer wiegt, kämpfen beide Eltern zusätzlich auch mit schweren Schuldgefühlen. Zu oft haben sie mit dem schwierigen, unnahbaren Kind gehadert, sich zu oft schon gewünscht, er wäre nicht mehr da - und der Schatten des Misstrauens schwebt über ihrer Ehe. Was genau ist Aaron in jener Nacht zugestoßen? Als eine fremde Frau in den Ort kommt und sich mit den Paaren anfreundet beginnt sich etwas zu verändern. Die Bekanntschaft mit der interessanten, attraktiven Mara lässt Thies und Sophie zum ersten Mal seit dem Unglück aufatmen, so etwas wie Glück empfinden, Heilung erfahren; und auch die entfremdeten Freunde wieder etwas näher zusammenrücken. Doch bereits nach kurzer Zeit wird ihnen klar, dass Mara nicht zufällig an der Elbe gestrandet ist. Ein Geheimnis umgibt sie, das ihnen näher kommt als manch einem lieb ist und bis in die Vergangenheit reicht.

Sehr atmosphärisch und anschaulich erzählt die Autorin von einem großen Verlust und damit verbundenen Schuldgefühlen, dem langwierigen Prozess des Heilens und (sich) Verzeihens. Der Perspektivwechsel der einzelnen Kapitel verleiht den Protagonisten Tiefe und lässt ihr Handeln, ihre Schwächen und Fehlern menschlicher wirken. Besonders schön fand ich die zahlreichen Schilderungen der Natur; sie erwecken den Fluss, der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist, zum Leben und machen ihn zu einer eigenständigen Figur. Ein spannender Roman, den ich sehr gerne gelesen habe und rein äußerlich jetzt schon eins meiner Lieblingsbücher.

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Große Fabulierkunst!

Seeland Schneeland
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Wir schreiben das Jahr 1921 in Wales, der erste Weltkrieg ist vorbei, die spanische Grippe hat gewütet und wild um sich gegriffen. Der junge Merce Blackboro - für den Kriegsdienst untauglich und schon ...

Wir schreiben das Jahr 1921 in Wales, der erste Weltkrieg ist vorbei, die spanische Grippe hat gewütet und wild um sich gegriffen. Der junge Merce Blackboro - für den Kriegsdienst untauglich und schon lange wieder zurück aus dem ewigen Eis mit Shackleton und dessen Crew - fühlt sich unnütz und des Lebens überdrüssig. So viele junge Männer haben ihr Leben gelassen und was stellt er mit seinem an? Unfähig den Erwartungen der Familienchronik gerecht zu werden, nicht in der Lage eine sinnvolle Richtung zu erkennen und dann noch das Herz! Seines gehört Ennid schon so lange, seit sie als Teenager ein kurzes Intermezzo hatten und ebenso lange zeigt das kecke Fräulein Muldoon mit dem Humpelbein ihm bereits die kalte Schulter und ist jetzt auch noch sang und klanglos nach Amerika aufgebrochen, die Hoffnung auf ein neues Leben im Gepäck und nicht ohne unterwegs noch ein paar Herzen zu brechen - welch eine Schmach! Mit an Bord ist auch Diver Robey, ein steinreicher, amerikanischer Trinker, verwöhnt bis in die Haarspitzen und zu Tode gelangweilt von der High Society und dem schnöden Jetset Leben, dem der wahnwitzige Traum einer transatlantischen Flugstrecke zwischen Amerika und Europa und damit der Ruf eines Träumers anhängt. Als die „Orion“, ehemalige „Seeland“, zukünftige „Sealand“, in Not gerät zwingt dies die Protagonisten zum Handeln und Haltungzeigen, offenbaren sich überraschende Charakterzüge und geheime Sehnsüchte, nimmt das Schicksal manch eine unvorhersehbare Wendung.

Nach anfänglichem Stolpern in die unterschiedlichen Erzählstränge war es mir eine wahre Freude diesen bildgewaltigen Roman zu lesen. Bonné spielt mit der Sprache, den verschiedenen Protagonisten und deren Eigenheiten, lässt sie einem deutlich vor Augen stehen und Form annehmen. Mit feinem Humor und großer Fabulierkunst nimmt er seine Leser/innen mit auf eine abenteuerliche Reise in die Vergangenheit, ins eisige Schneeland.

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Ein vielschichtiges Familienportrait!

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
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„Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ von Elena Ferrante ist ein Roman über ein junges Mädchen, dessen geordnetes, gut situiertes Leben aus den Fugen gerät,
als es zufällig ein Gespräch seiner Eltern ...

„Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ von Elena Ferrante ist ein Roman über ein junges Mädchen, dessen geordnetes, gut situiertes Leben aus den Fugen gerät,
als es zufällig ein Gespräch seiner Eltern belauscht. Neugierig geworden begibt Giovanna sich daraufhin auf Spurensuche zu ihrer Geschichte im heruntergekommenen Teil Neapels und entdeckt schnell, dass nichts so ist, wie es scheint. Während die erste Hälfte des Buches sich der Entlarvung der lügenhaften Welt der Erwachsenen aus kindlicher Sicht und dem Verlust eben dieser kindlichen Unschuld widmet - Giovanna wird in tiefe Verzweiflung gestürzt, zweifelt an ihrer Identität und Herkunft - gelingt dem Mädchen in der zweiten Hälfte die Emanzipation von den Eltern, besonders von seinem Vater, die von einer großen Reife zeugt. Giovanna entwickelt einen scharfsinnigen, durchaus versöhnlichen Blick auf die Menschen in ihrer Umgebung.

Ein vielschichtiges Familienporträt im Neapel der 90er Jahre und ein psychologisch reizvoller Coming of Age-Roman, den ich sehr gerne gelesen habe.

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Empfehlung besonders für die, die den Autor neu entdecken möchten!

Chronik eines angekündigten Todes
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„Chronik eines angekündigten Todes“ von Gabriel García Márquez ist ein in Form einer sachlichen Berichterstattung verfasster Roman. Ein Bräutigam schickt seine Braut noch in der Hochzeitsnacht zurück ...

„Chronik eines angekündigten Todes“ von Gabriel García Márquez ist ein in Form einer sachlichen Berichterstattung verfasster Roman. Ein Bräutigam schickt seine Braut noch in der Hochzeitsnacht zurück in ihr Elternhaus weil sie keine Jungfrau mehr ist. Daraufhin nehmen deren beiden Brüder Rache an dem vermeintlich Schuldigen und bringen diesen um. Der Leser weiß sprichwörtlich vom ersten Satz an, dass der Mord geschehen wird, insofern hält sich die Spannung über den Ausgang der Geschichte in Grenzen (gut, der Titel verrät diesbezüglich auch schon ein bisschen was). Wir werden nun Zeuge der Rekonstruktion des Geschehnisses durch Gespräche des Erzählers mit den Dorfbewohnern, die mehr und mehr verdeutlichen, wie viele Menschen von dem geplanten Mord wussten (nämlich nahezu alle) und es versäumten das Opfer zu warnen (ebenfalls alle) - sei es aus persönlichen Motiven oder schlicht deshalb, weil jeder annahm, ein anderer habe dies bereits getan. In der Summe empfand ich diese „wem haben die Täter alles gesagt, dass sie das Opfer umbringen wollen“-Passagen als ein bisschen viel des Guten - da hätte man gut ein paar Seiten wegkürzen können.

Es geht um Moralvorstellungen und Traditionen - und darum wie selbstverständlich Selbstjustiz von Volk und Staat hingenommen, ja, sogar erwartet wird, im Angesicht der verlorenen Ehre einer jungen Frau. Sprachlich hat mir die Geschichte wieder gut gefallen, wenn auch der feine Humor, den ich in „Hundert Jahre Einsamkeit“ so wunderbar fand, mir hier etwas fehlte - das ist aber möglicherweise auch dem ernsten Thema und der Kürze des Romans geschuldet. Ich habe das Büchlein gerne gelesen und würde es besonders denen empfehlen, die noch nichts von Gabriel García Márquez kennen.

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Eine Skizze, ein Umriss...

Outline
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“Outline“ - auf deutsch Skizze, Umriss, Gliederung - liest sich wie genau das; Skizzen, Fragmente, Splitter verschiedener Lebensentwürfe, mit denen die Protagonistin auf ihrer Athenreise konfrontiert ...

“Outline“ - auf deutsch Skizze, Umriss, Gliederung - liest sich wie genau das; Skizzen, Fragmente, Splitter verschiedener Lebensentwürfe, mit denen die Protagonistin auf ihrer Athenreise konfrontiert wird. Sie hört zu, die Menschen erzählen. Sie selber bleibt
dabei seltsam blass, nicht wirklich greifbar, erscheint einem fast durchsichtig - wie ein leeres Gefäß, das erst durch die Geschichten anderer an Konturen gewinnt
und zum Leben erweckt wird. Dabei gelingt es Rachel Cusk mit wenigen Worten
(und noch weniger Aufhebens) wirklich kluge, komplexe Gedanken, ja, beinahe wie elementare Wahrheiten anmutende Sätze zu formulieren, über die ich sicher
noch eine Weile nachdenken werde.

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