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Veröffentlicht am 25.06.2024

Spannender Roman nach wahren Begebenheiten

Wir waren nur Mädchen
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Hannie Schaft ist als „das Mädchen mit den roten Haaren“ in die Geschichte eingegangen.
Sie war Jurastudentin in Amsterdam, bis das Vorrücken der Nazionalsozialisten sie zur Flucht zwingt. Sie versteckt ...

Hannie Schaft ist als „das Mädchen mit den roten Haaren“ in die Geschichte eingegangen.
Sie war Jurastudentin in Amsterdam, bis das Vorrücken der Nazionalsozialisten sie zur Flucht zwingt. Sie versteckt ihre zwei jüdischen Freundinnen bei ihren Eltern in Haarlem und tritt dem Widerstand bei. Als eine der wenigen Frauen im bewaffneten Widerstand tötet sie hochrangige Nazis und Anhänger der Nationalsozialisten in den Niederlanden.
Nachdem ihr Freund und Mitkämpfer Jan Bonekamp im Todeskampf ihren Namen preisgibt und kurz darauf ihre Eltern verhaftet werden, ist sie gezwungen unterzutauchen. Ihre Wut und der Hungerwinter lassen sie unvorsichtig werden, was letztendlich zu ihrer Verhaftung führt.
Im Alter von 24 Jahren wird sie nach wochenlangen Verhören und Folter, in denen sie nichts preisgibt, kurz vor Ende der Belagerung, hingerichtet.
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Buzzy Jacksons Roman „Wir waren nur Mädchen“ basiert auf dem Leben der realen Hannie Schaft. Ihre Informationen zieht sie dabei aus Zeitzeugenberichten, Zeitungsartikeln und überlieferten Dokumenten und macht daraus eine spannende und bedrückende Erzählung.
Sehr eindrücklich fängt sie die Zeit des 2. Weltkrieges ein, erzählt von Tyrannei, Unterdrückung, Verfolgung, Deportation, von Hunger, Kälte und Mangel am Nötigsten. Sie erzählt von Resignation, dem Nicht-wahrhaben-wollen, der Überzeugung, dass alles gut wird und am Ende von der Fügung in die Einzelschiksale. Die Angst ist allgegenwärtig und spürbar.
Und dann ist da der Widerstand, eine Gruppe von Personen, die kämpfen, die sich widersetzen, die versuchen die Strukturen zu unterlaufen oder zumindest zu hemmen. Es sind Menschen, die aus tiefster Überzeugung handeln, die sich ihre Freiheit nicht nehmen lassen wollen, die versuchen dafür zu sorgen, dass sich alles zum besseren wendet. Die für Gerechtigkeit und Menschlichkeit einstehen, ungeachtet der persönlichen Konsequenzen. Sie tun viel Gutes und ich will nicht wissen, wie es geendet wäre, wenn es diese Menschen nicht gegeben hätte, aber sie töten auch… so sehr ich sonst mit dem Widerstand sympathisiere, ihren Mut und die Uneigennützigkeit bewundere, so sehr hinterfrage ich dieses Handeln. Immer wieder stellt sich mir die Frage: Wie weit darf man im Namen der Gerechtigkeit gehen und ist es menschlich und gerecht, Menschen zu töten (auch wenn sie die Bösen sind) um andere zu schützen? Inwieweit ist es gerechtfertigt auf Gewalt mit Gegengewalt zu reagieren? Es lässt mich zwiegespalten zurück…
Fakt ist, es obliegt mir nicht im Rahmen der Rezension darüber zu urteilen, ob dies hätte sein müssen in der Erzählung, den es gehört dazu, es ist eine Tatsache, dass es so war und sollte demnach auch erzählt werden.
Um zurück zum Buch zu kommen: Jackson schafft es mich zu fesseln, sie erzählt Hannies Geschichte auf mitfühlende, eindringliche Art, lässt mich als Lesende die Gefühle von Hannie zumindest ansatzweise durchleben. Lässt mich bis zum Schluss hoffen, obwohl ich weiß wie es ausgeht. Es ist die Geschichte einer wahnsinnig mutigen Frau, die ihre Freunde und Familie schützen und verteidigen will und sich ihre Weiblichkeit zu Nutze macht, um ganz nah an die Männer heran zu kommen, die sie ausschalten will. Bis zum Schluss steht sie hinter ihrer Entscheidung, wiederseht sich und nimmt für ihre Sache sogar den Tod in Kauf.
Es ist ein Buch, dass einmal mehr klar macht, dass es so nie wieder werden darf, dass die schleichenden Prozesse aufzeigt, bis zu dem Zeitpunkt, wo es zu spät ist. Das untermauert, wie wichtig Widerstand ist und das zur richtigen Zeit kommt um zu mahnen und daran zu erinnern, dass es nie der richtige Weg ist Missstände hinzunehmen und abzuwarten.
Große Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 25.06.2024

Intensive Leseerfahrung

Eine Frau
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Der Roman „Una Donna“ (dtsch. Eine Frau) der italienischen Schriftstellerin Sibilla Aleramo erschien erstmalig 1906 und wurde nun vom Eisele Verlag neu verlegt.
Es ist eine Biographie der jungen Jahre ...

Der Roman „Una Donna“ (dtsch. Eine Frau) der italienischen Schriftstellerin Sibilla Aleramo erschien erstmalig 1906 und wurde nun vom Eisele Verlag neu verlegt.
Es ist eine Biographie der jungen Jahre der Autorin, welche schockiert, aber auch Mut macht:
Sibilla Aleramo, damals noch Marta Felicina Faccio, wird in Italien geboren und wächst die ersten Jahre relativ frei in Mailand auf. Ihr Verhältnis zum Vater ist sehr gut, er fördert ihren Intellekt. Das Verhältnis zur Mutter ist zeitlebens ambivalent. Zum einen verachtet sie sie für ihre Hilflosig- und Abhängigkeit, zum anderen überfällt sie ein starkes Verantwortungsgefühl ihr gegenüber.
Als sie 12 Jahre alt ist, nimmt der Vater eine Stelle als Geschäftsführer einer Glasfabrik in einem kleinem Dorf an. Die ganze Familie muss umziehen, ihre Schulbildung ist damit beendet, die Verfassung der Mutter nimmt rapide ab, der Vater selbst wird immer unzufriedener und unberechenbarer. Sie arbeitet als Buchhalterin in der Firma, die ihr Vater leitet, lernt dort einen jungen Mann kennen, der sie später vergewaltigt und der noch später ihr Ehemann werden wird.
Ihre romantische Vorstellung von Liebe wirft sie schnell über den Haufen und fügt sich ihrem Schicksal (was bleibt ihr auch anderes übrig). Erst mit der Geburt ihres Sohnes, lernt sie was bedingungslose Liebe bedeutet.
Die Ehe ist geprägt von Erniedrigung, sexuellen Übergriffen und Gewalt. Ihr Mann ist krankhaft eifersüchtig und es gibt lange Phasen in denen sie nicht mal das Haus verlassen darf und eingeschlossen wird in einem Zimmer. Nicht selten erlebt sie starke depressive Episoden, unternimmt trotz der starken Liebe zu ihrem Sohn im Alter von 20 Jahren einen Suizidversuch.
Immer wieder versucht sie ihren Mann zur Trennung zu überreden und verlässt ihn und den gemeinsamen Sohn 8 Jahre darauf endgültig.
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Um zu verstehen wie viel Kraft und Mut in diesem Entschluss steckt, muss man sich die Stellung der Frau in der damaligen Zeit vor Augen führen. Ohne Mann war sie mittellos, hatte keinen Anspruch auf ihr Kind. Frauen hatten damals keinerlei Rechte und waren eigentlich gezwungen in solchen Ehen auszuharren. Vor allem die Entscheidung ihren Sohn zu verlassen, muss ihr wahnsinnig schwer gefallen sein und zeigt ihre Verzweiflung, aber auch ihre Erwartung an ein selbstbestimmtes Leben. Sie zählt nicht umsonst als eine der Wegbereiterinnen des Feminismus in Italien.
Aleramo erzählt ihre Geschichte, aber es ist nicht nur ihre. Sie erzählt sie stellvertretend für so viele junge Frauen, die sich in gleichen oder ähnlicher Situation befanden und klagt damit auch das ganze patriarchale System an.
Erschreckend ist, dass das Buch so zeitlos ist… Es wurde vor über 100 Jahren geschrieben und hat an Aktualität nicht verloren. Sicher ist gerade bei uns einiges passiert, wenn wir über die Rechte von Frauen sprechen, aber es gibt so wahnsinnig viele Frauen, die in genau solchen Konstrukten nach wie vor gefangen sind, sei es aus politischen Vorgaben oder gesellschaftlichen Anforderungen heraus, die kein selbstbestimmtes, sicheres, gewaltfreies Leben führen können oder dürfen. Und selbst viele derer, die ausbrechen könnten, tun es nicht, weil ihre Sozialisation und die inneren Mauern, die Generatioen davor aufgebaut wurden, es einfach nicht zulassen.
Sibilla Aleramo hat mit diesem Werk ein sehr intensives und persönliches Buch geschrieben, welches die Lebensrealität einer Frau sichtbar macht und aufzeigt, dass der Weg zu Gleichberechtigung noch lange nicht zu Ende ist.
Von mir gibts eine große Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 25.06.2024

Kurze Geschichte mit Tiefgang

Die Schönheit der Rosalind Bone
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Schönheit. Für Manche ist es ein Segen, für andere ein Fluch. So auch für Rosalind Bone. Schon als Kind zieht sie die Blicke und den Neid von anderen Dorfbewohnern und auch ihrer Schwester auf sich. Ihre ...

Schönheit. Für Manche ist es ein Segen, für andere ein Fluch. So auch für Rosalind Bone. Schon als Kind zieht sie die Blicke und den Neid von anderen Dorfbewohnern und auch ihrer Schwester auf sich. Ihre Schönheit wird ihr zum Verhängnis, als ein Nachbar auf sie aufmerksam wird und sie jahrelang sexuell missbraucht. Im Alter von 18 Jahren verschwindet sie spurlos.
Auch Jahre später hat Mary, Rosalinds Schwester, einen regelrechten Hass auf sie und vermeidet jedes Gespräch über damals, ihre Tochter jedoch gräbt immer tiefer… will Antworten.
Als nach einem verheerenden Brand, eine völlig verwahrloste Frau auftaucht, stellt diese die Bewohner des kleinen Ortes vor Rätsel.
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Auf gerade mal 162 Seiten erschafft Alex McCarthy einen dichten Roman über Familie, Gemeinschaft und Unabhängigkeit. Sie schreibt darüber gesehen zu werden und darüber weg zu sehen. Und darüber von der Bildfläche zu verschwinden.
Die Gemeinschaft, die sie zeichnet, wirkt komplex und an der ein oder anderen Stelle überspitzt. Da wäre die 80-Jährige, die Drogen verkauft, die Brüder, die, aufgewachsen in toxischen Familienverhältnissen, Brände legen um mit ihrer Wut umzugehen, der Pädophile, den scheinbar die ganze Nachbarschaft kennt, aber bei dem niemand so genau hin schauen will und eben die Familie Bone, die seit jeher eine Kultur des Schweigens zu leben scheint.
Zeitliche Sprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart erschließen sich nach und nach zu einem umfassenden Bild der Geschehnisse rund um das Verschwinden von Rosalind Bone. Verschiedene Perspektiven tragen zu einem differenzierten Wahrnehmen des Hergangs bei.
Sprachlich finde ich es wunderschön geschrieben und es herrscht eine dezente Spannung, die mich dazu gebracht hat, den Roman an einem Stück zu lesen.
Beeindruckt und zutiefst traurig hat mich die Erzählung der jungen Rosalind gemacht. Wie sie niemanden von den Übergriffen erzählt, weil sie sich schämt und ihre Schwester schützen will, damitvihr nicht das gleiche passiert. Wie die Schwester wiederum eifersüchtig reagiert, weil sie von diesem Mann nicht für ihre Schönheit gelobt wird. Auch die Ablehnung, die in Mary herrscht und die Ereignisse die sie als Kind völlig fehlinterpretiert hat, sind schmerzlich.
Hier passiert so viel offensichtlich, aber auch zwischen den Zeilen, dass es zeitweise ganz schön erdrückend ist.
Von mir gibt’s eine Empfehlung für dieses gelungene Debüt.

Veröffentlicht am 25.06.2024

Auf der Suche nach den wurzeln

Weiße Flecken
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Eine junge Frau fliegt in Vertretung für einen ausgefallenen Kollegen nach Togo um vor Ort die Menschen nach ihrer Geschichte zu befragen und zu Migration zu forschen.
Sie wird nicht nur mit der Geschichte ...

Eine junge Frau fliegt in Vertretung für einen ausgefallenen Kollegen nach Togo um vor Ort die Menschen nach ihrer Geschichte zu befragen und zu Migration zu forschen.
Sie wird nicht nur mit der Geschichte fremder Menschen konfrontiert, sondern stößt auch auf ihre eigenen Wurzeln und bleibt mit vielen Fragen zurück. Fragen die sich auch nach ihrer Rückkehr nicht gänzlich beantworten lassen, sodass viele weiße Flecken bestehen bleiben.

Lene Albrechts Roman lebt von diesen Leerstellen. Sie versucht die Rekonstruktion der Familiengeschichte, scheitert jedoch an dem generationsübergreifenden Schweigen.
Die Erzählung ist fragmentarisch, folgt keinem roten Faden und springt immer wieder in der Zeit. Während es im ersten Teil hauptsächlich um die Vergangenheit Togos geht, erfolgt übergangslos im zweiten Teil die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Anhand von Erzählungen und Recherchen versucht sich die Autorin ein Bild zu machen und den Lesenden zu vermitteln.
Das erzählte erscheint chaotisch, man wird immer wieder aus dem Lesefluss gerissen, um sich neu einzufinden und während dies einige Andere als störend empfunden haben, zeigt es mir, welch Unordnung dahingehend in der Protagonistin herrscht. Es wird behauptet, dass man sich nicht selbst verstehen kann, wenn man seine Geschichte nicht kennt und genau dies kommt hier wunderbar hervor.
Auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeit, kommen nach jeder beantworteten Frage zehn neue hinzu. Dies kann frustrierend sein, auch für die Lesenden, aber genau so ist das Leben.
Es ist eine Momentaufnahme, ein Versuch des Verstehens und wer sich von ein bisschen Durcheinander nicht aus der Ruhe bringen lässt, macht hiermit sicher nichts falsch.

Veröffentlicht am 25.06.2024

Prima Facie

Prima facie
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»𝘋𝘪𝘦 𝘙𝘦𝘤𝘩𝘵𝘴𝘱𝘳𝘦𝘤𝘩𝘶𝘯𝘨 𝘨𝘦𝘩𝘵 𝘪𝘯 𝘚𝘦𝘹𝘶𝘢𝘭𝘴𝘵𝘳𝘢𝘧𝘷𝘦𝘳𝘧𝘢𝘩𝘳𝘦𝘯 𝘷𝘰𝘯 𝘷𝘰̈𝘭𝘭𝘪𝘨 𝘧𝘢𝘭𝘴𝘤𝘩𝘦𝘯 𝘝𝘰𝘳𝘢𝘶𝘴𝘴𝘦𝘵𝘻𝘶𝘯𝘨𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘴. 𝘋𝘪𝘦 𝘌𝘳𝘧𝘢𝘩𝘳𝘶𝘯𝘨 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘳 𝘍𝘳𝘢𝘶 𝘮𝘪𝘵 𝘴𝘦𝘹𝘶𝘢𝘭𝘪𝘴𝘪𝘦𝘳𝘵𝘦𝘳 𝘎𝘦𝘸𝘢𝘭𝘵 𝘧𝘶̈𝘨𝘵 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘪𝘯 𝘥𝘢𝘴 𝘮𝘢̈𝘯𝘯𝘭𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘰𝘮𝘪𝘯𝘪𝘦𝘳𝘵𝘦 𝘚𝘺𝘴𝘵𝘦𝘮 𝘷𝘰𝘯 𝘞𝘢𝘩𝘳𝘩𝘦𝘪𝘵. ...

»𝘋𝘪𝘦 𝘙𝘦𝘤𝘩𝘵𝘴𝘱𝘳𝘦𝘤𝘩𝘶𝘯𝘨 𝘨𝘦𝘩𝘵 𝘪𝘯 𝘚𝘦𝘹𝘶𝘢𝘭𝘴𝘵𝘳𝘢𝘧𝘷𝘦𝘳𝘧𝘢𝘩𝘳𝘦𝘯 𝘷𝘰𝘯 𝘷𝘰̈𝘭𝘭𝘪𝘨 𝘧𝘢𝘭𝘴𝘤𝘩𝘦𝘯 𝘝𝘰𝘳𝘢𝘶𝘴𝘴𝘦𝘵𝘻𝘶𝘯𝘨𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘴. 𝘋𝘪𝘦 𝘌𝘳𝘧𝘢𝘩𝘳𝘶𝘯𝘨 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘳 𝘍𝘳𝘢𝘶 𝘮𝘪𝘵 𝘴𝘦𝘹𝘶𝘢𝘭𝘪𝘴𝘪𝘦𝘳𝘵𝘦𝘳 𝘎𝘦𝘸𝘢𝘭𝘵 𝘧𝘶̈𝘨𝘵 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘪𝘯 𝘥𝘢𝘴 𝘮𝘢̈𝘯𝘯𝘭𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘰𝘮𝘪𝘯𝘪𝘦𝘳𝘵𝘦 𝘚𝘺𝘴𝘵𝘦𝘮 𝘷𝘰𝘯 𝘞𝘢𝘩𝘳𝘩𝘦𝘪𝘵. 𝘚𝘪𝘦 𝘬𝘢𝘯𝘯 𝘥𝘪𝘦𝘴𝘦𝘳 𝘋𝘦𝘧𝘪𝘯𝘪𝘵𝘪𝘰𝘯 𝘷𝘰𝘯 𝘞𝘢𝘩𝘳𝘩𝘦𝘪𝘵 𝘯𝘪𝘦𝘮𝘢𝘭𝘴 𝘨𝘦𝘯𝘶̈𝘨𝘦𝘯, 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘦𝘴𝘩𝘢𝘭𝘣 𝘬𝘢𝘯𝘯 𝘦𝘴 𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘬𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘎𝘦𝘳𝘦𝘤𝘩𝘵𝘪𝘨𝘬𝘦𝘪𝘵 𝘨𝘦𝘣𝘦𝘯.« (𝘚.339)

Tessa ist eine erfolgreiche Strafverteidigerin. Sie hat ihr Jurastudium als Jahrgangsbeste abgeschlossen, führt das Leben, was sie sich immer erträumt hat, nur wenige wissen, dass der Weg dorthin hart und steinig war. Vor dem Gesetz sind für sie alle gleich. Es ist ihr egal, ob eine Mandantin schuldig ist… es zählt nur die juristische Wahrheit, also das was zweifelsfrei bewiesen werden kann.
Vor Gericht verhandelt sie recht häufig Sexualdelikte, hat bisher jeden Mandanten frei bekommen. Mit den Zeuginnen geht sie behutsam um, findet aber jeden noch so kleinen Widerspruch in deren Aussgen, die sie letztendlich gegen sie verwendet. Wirklich hinterfragen tut sie dies nicht, es ist nicht ihr Job ein Urteil zu sprechen.
Alles ändert sich schlagartig, als sie selbst Opfer eines sexuellem Übergriffes wird.

»𝘐𝘤𝘩 𝘸𝘦𝘪ß 𝘫𝘦𝘵𝘻𝘵, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘍𝘳𝘢𝘶 ›𝘕𝘦𝘪𝘯‹ 𝘴𝘢𝘨𝘵, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘪𝘩𝘳𝘦 𝘏𝘢𝘯𝘥𝘭𝘶𝘯𝘨𝘦𝘯 ›𝘕𝘦𝘪𝘯‹ 𝘴𝘢𝘨𝘦𝘯, 𝘥𝘢𝘯𝘯 𝘪𝘴𝘵 𝘥𝘢𝘳𝘢𝘯 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵𝘴 𝘴𝘶𝘣𝘵𝘪𝘭 𝘰𝘥𝘦𝘳 𝘮𝘪𝘴𝘴𝘷𝘦𝘳𝘴𝘵𝘢̈𝘯𝘥𝘭𝘪𝘤𝘩. 𝘜𝘯𝘥 𝘥𝘰𝘤𝘩 𝘩𝘢̈𝘵𝘵𝘦 𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘪𝘤𝘩, 𝘦𝘩𝘦 𝘮𝘪𝘳 𝘥𝘢𝘴 𝘱𝘢𝘴𝘴𝘪𝘦𝘳𝘵 𝘪𝘴𝘵, 𝘮𝘪𝘤𝘩 𝘷𝘰𝘳 𝘎𝘦𝘳𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘩𝘪𝘯𝘨𝘦𝘴𝘵𝘦𝘭𝘭𝘵 𝘶𝘯𝘥 𝘢𝘳𝘨𝘶𝘮𝘦𝘯𝘵𝘪𝘦𝘳𝘵, 𝘴𝘪𝘦 𝘩𝘢𝘣𝘦 𝘴𝘪𝘤𝘩 ›𝘨𝘦𝘪𝘳𝘳𝘵‹.« (𝘚.337)

Tessa muss fortan nicht nur mit den Folgen der Vergewaltigung leben („𝘐𝘳𝘨𝘦𝘯𝘥𝘸𝘰 𝘪𝘯 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘒𝘰̈𝘳𝘱𝘦𝘳 𝘴𝘪𝘵𝘻𝘵 𝘦𝘪𝘯 𝘦𝘬𝘦𝘭𝘩𝘢𝘧𝘵𝘦𝘳 𝘚𝘦𝘭𝘣𝘴𝘵𝘩𝘢𝘴𝘴. 𝘎𝘦𝘯𝘢𝘶 𝘷𝘦𝘳𝘰𝘳𝘵𝘦𝘯 𝘬𝘢𝘯𝘯 𝘪𝘤𝘩 𝘪𝘩𝘯 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵, 𝘢𝘣𝘦𝘳 𝘪𝘤𝘩 𝘴𝘱𝘶̈𝘳𝘦 𝘪𝘩𝘯.“ 𝘚.287), sondern sieht sich auch einem Rechtssystem gegenüber, das wenig bis gar nichts von Opferschutz hält. Ihr wird klar, warum so wenig Frauen überhaupt eine Sexualstraftat zur Anzeige bringen und warum noch weniger Täter verurteilt werden.
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Was für ein Buch!!!
Das erste Drittel plätschert so ein bisschen vor sich hin und konnte mich trotz des mitreißenden Schreibstils nicht so richtig erreichen… Ich fand es zwar ziemlich interessant, wie Tessa sich so vor Gericht behauptet und auch ihr Weg dahin war spannend, aber so richtig gepackt hat es mich nicht.
Doch mit dem Wendepunkt in der Erzählung, hat sich auch bei mir etwas verändert. Das Gelesene hat mich völlig vereinnahmt, hat mich betroffen gemacht und wütend… einfach so unendlich wütend… Wütend auf den Täter, der für so viele stellvertretend auftritt, wütend darauf, das er sich keiner Schuld bewusst ist, ganz im Gegenteil anscheinend denkt, dass ihm das zusteht und Tessa mit ihrer Anzeige sein(!) Leben zerstören will, wütend auch auf die Rechtsprechung, die Frauen dazu zwingt den kompletten Übergiff ins kleinste vor vielen fremden Menschen zu schildern und damit das Trauma erneut zu erleben und die am Ende nur nach Unstimmigkeiten in genau dieser Aussage sucht. Man könnte es durchaus als eine umfassende Wut auf das ganze patriarchale System sehen, in dem letztendlich nicht nur Männer eine Rolle spielen.

[2] Auch Frauen, hier durch die Jury, oder auch Kolleginen, vertreten, spielen dieses Spiel mit, fügen sich in das System, schenken Opfern keinen Glauben, aus Angst sich mit sich selbst auseinandersetzen zu müssen:

„𝘋𝘦𝘯𝘯 𝘸𝘢𝘴 𝘥𝘢𝘯𝘯? 𝘞𝘪𝘳 𝘸𝘢𝘳𝘦𝘯 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘵𝘢𝘱𝘧𝘦𝘳 𝘨𝘦𝘯𝘶𝘨, 𝘦𝘴 𝘢𝘯𝘻𝘶𝘱𝘳𝘢𝘯𝘨𝘦𝘳𝘯. 𝘞𝘪𝘳 𝘥𝘢𝘤𝘩𝘵𝘦𝘯, 𝘸𝘪𝘳 𝘸𝘢̈𝘳𝘦𝘯 𝘴𝘦𝘭𝘣𝘴𝘵 𝘥𝘢𝘳𝘢𝘯 𝘴𝘤𝘩𝘶𝘭𝘥! 𝘞𝘪𝘳 𝘩𝘢𝘣𝘦𝘯 𝘶𝘯𝘴 𝘧𝘶̈𝘳 𝘥𝘢𝘴, 𝘸𝘢𝘴 𝘱𝘢𝘴𝘴𝘪𝘦𝘳𝘵 𝘪𝘴𝘵, 𝘨𝘦𝘴𝘤𝘩𝘢̈𝘮𝘵, 𝘬𝘰̈𝘯𝘯𝘦𝘯 𝘦𝘴 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘦𝘳𝘵𝘳𝘢𝘨𝘦𝘯, 𝘢𝘭𝘴 𝘖𝘱𝘧𝘦𝘳 𝘥𝘢𝘻𝘶𝘴𝘵𝘦𝘩𝘦𝘯. 𝘝𝘪𝘦𝘭𝘭𝘦𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘪𝘴𝘵 𝘦𝘴 𝘥𝘢𝘯𝘯, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘮𝘢𝘯 𝘥𝘢 𝘷𝘰𝘳𝘯𝘦 𝘴𝘪𝘵𝘻𝘵, 𝘭𝘦𝘪𝘤𝘩𝘵𝘦𝘳, 𝘻𝘶 𝘴𝘢𝘨𝘦𝘯: »𝘋𝘢𝘴 𝘪𝘴𝘵 𝘥𝘰𝘤𝘩 𝘬𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘝𝘦𝘳𝘨𝘦𝘸𝘢𝘭𝘵𝘪𝘨𝘶𝘯𝘨« – 𝘥𝘦𝘯𝘯 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘥𝘰𝘤𝘩, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘥𝘪𝘦 𝘍𝘳𝘢𝘶 𝘥𝘪𝘦 𝘞𝘢𝘩𝘳𝘩𝘦𝘪𝘵 𝘴𝘢𝘨𝘵, 𝘮𝘶̈𝘴𝘴𝘵𝘦𝘯 𝘸𝘪𝘳 𝘶𝘯𝘴𝘦𝘳𝘦 𝘦𝘪𝘨𝘦𝘯𝘦𝘯 𝘝𝘦𝘳𝘨𝘢𝘯𝘨𝘦𝘯𝘩𝘦𝘪𝘵𝘦𝘯 𝘩𝘪𝘯𝘵𝘦𝘳𝘧𝘳𝘢𝘨𝘦𝘯, 𝘷𝘪𝘦𝘭𝘭𝘦𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘥𝘢𝘴 𝘝𝘦𝘳𝘩𝘢𝘭𝘵𝘦𝘯 𝘶𝘯𝘴𝘦𝘳𝘦𝘳 𝘚𝘰̈𝘩𝘯𝘦, 𝘶𝘯𝘴𝘦𝘳𝘦𝘳 𝘔𝘢̈𝘯𝘯𝘦𝘳 𝘶𝘯𝘥 𝘉𝘳𝘶̈𝘥𝘦𝘳.“ (𝘚.235)

Es geht um Klasse, Herkunft, Selbstbestimmung.
Es geht darum, dass nur eine Frau selbst zu entscheiden hat, was mit ihrem Körper passiert und was nicht, und darum endlich den Mund aufzumachen um etwas zu verändern.

„𝘋𝘰𝘤𝘩 𝘯𝘢𝘤𝘩 782 𝘛𝘢𝘨𝘦𝘯, 𝘯𝘢𝘤𝘩𝘥𝘦𝘮 𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘭𝘭𝘦𝘴 𝘳𝘪𝘤𝘩𝘵𝘪𝘨 𝘨𝘦𝘮𝘢𝘤𝘩𝘵 𝘩𝘢𝘣𝘦, 𝘯𝘢𝘤𝘩𝘥𝘦𝘮 𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘝𝘰𝘳𝘻𝘦𝘪𝘨𝘦𝘻𝘦𝘶𝘨𝘪𝘯 𝘸𝘢𝘳, 𝘥𝘪𝘦 𝘞𝘢𝘩𝘳𝘩𝘦𝘪𝘵 𝘨𝘦𝘴𝘢𝘨𝘵 𝘩𝘢𝘣𝘦 – 𝘴𝘱𝘶̈𝘳𝘦 𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘵𝘸𝘢𝘴. 𝘐𝘤𝘩 𝘴𝘱𝘶̈𝘳𝘦, 𝘸𝘪𝘦 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘪𝘯 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘒𝘰𝘱𝘧 𝘢𝘭𝘭𝘦𝘴 𝘧𝘶̈𝘨𝘵. 𝘐𝘤𝘩 𝘩𝘢𝘣𝘦 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘚𝘵𝘪𝘮𝘮𝘦 𝘨𝘦𝘧𝘶𝘯𝘥𝘦𝘯.“ (𝘚.334)

Suzie Miller trifft den Nagel auf den Kopf, prangert das Patriarchat an, fordert uns alle auf uns selbst zu hinterfragen.
Das ist beängstigend und schmerzhaft, aber ein wichtiger Schritt damit Frauen endlich zugehört wird, damit sich etwas verändert…
Es ist an der Zeit laut zu werden, denn:
„𝙅𝙚𝙙𝙚 𝘿𝙧𝙞𝙩𝙩𝙚 – 𝙙𝙖𝙨 𝙨𝙞𝙣𝙙 𝙚𝙞𝙣𝙚 𝙜𝙖𝙣𝙯𝙚 𝙈𝙚𝙣𝙜𝙚 𝙁𝙧𝙖𝙪𝙚𝙣, 𝙙𝙞𝙚 𝙚𝙩𝙬𝙖𝙨 𝙯𝙪 𝙨𝙖𝙜𝙚𝙣 𝙝𝙖𝙗𝙚𝙣.
𝙕𝙪 𝙫𝙞𝙚𝙡𝙚, 𝙪𝙢 𝙨𝙞𝙚 𝙯𝙪 𝙞𝙜𝙣𝙤𝙧𝙞𝙚𝙧𝙚𝙣.“ (𝙎.346)

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Als abschließendes Fazit bleibt mir nicht mehr viel zu sagen: Es war ein Highlight!!! Es war ein Buch, das mich auf eine emotionale Achterbahnfahrt geschickt hat, dass mich gezwungen hat weiterzulesen, obwohl ich hätte schlafen müssen, das mich gefordert und an meine Grenzen gebracht hat. Ein Buch das einfach so unglaublich wichtig ist.
Und es ist ein Buch, dass ich unbedingt noch als Printausgabe haben will, einfach weil ich es im Regal haben möchte…
Ich denke es ist überflüssig zu sagen, dass es ist eine wahnsinnig große Empfehlung ist… ich tu es trotzdem: Lest es unbedingt.