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Veröffentlicht am 27.09.2023

Wie weit geht es nach unten?

Der berühmte Tiefpunkt
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Mariekes Leben ist, um es mal nett auszudrücken, gerade etwas suboptimal. Ihr absolut unsympathischer Freund Blok hat sie vor die Tür gesetzt und den Zugriff auf das gemeinsame Konto gesperrt. Sie wohnt ...

Mariekes Leben ist, um es mal nett auszudrücken, gerade etwas suboptimal. Ihr absolut unsympathischer Freund Blok hat sie vor die Tür gesetzt und den Zugriff auf das gemeinsame Konto gesperrt. Sie wohnt in einem Mietwagen, die Waschmaschine im Waschsalon gibt ihre Wäsche nicht frei und die zuständige Person ist gerade im Urlaub. Überdies ist gerade eine regelrechte Gluthitze ausgebrochen, was die Tatsache, dass Marieke gerade nur eine Jeans und ein Sweatshirt hat, noch schlimmer macht, denn so langsam fängt sie auch an zu riechen. Auf Hilfe aus der Familie kann sie nicht zählen. Obwohl sie als Kind mehr oder weniger als Rettungsanker für die Mutter herhalten musste, hält diese lieber zu Blok. Auch die Schwestern bilden eher für sich eine Einheit in der Marieke außen vor ist. Alles in allem könnte man sagen: Es ist ziemlich kompliziert.
Auf ihrer Arbeit läuft es auch nicht gerade rosig. Sie ist allein auf ihrer Station im Pflegeheim, alle anderen sind schon ins neue (klimatisierte) Gebäude umgezogen und scheinen sie vergessen zu haben. Es gibt jeden Tag Wurst mit Apfelmus (was ist das bitte für eine Zusammenstellung???) und auch das Wasser, sowohl zum Trinken, als auch zur Pflege, kommt in Flaschen, da leider die Leitung abgestellt wurde. Und so versucht sie ihr Bestes die Patienten am Leben zu erhalten.
Es geht nicht schlimmer? Ja doch, geht es: zu allem Überfluss tritt ihr Vater wieder in ihr Leben, eine Person die sie lange ausgeschlossen hat und sie sieht sich mit ihrer Vergangenheit/Kindheit konfrontiert und muss sich längst überfälligen Fragen stellen.
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Als allererstes, und das mache ich sonst super selten, möchte ich das Wahnsinns-Cover hervorheben. Es ist bunt, es ist chaotisch, es ist lebendig, es ist einfach sehr meins und extrem gut gelungen. Hätte ich genug Platz um einzelne Bücher mit der Vorderseite nach vorn ins Regal zu stellen, dies hier wäre eins davon.
Kommen wir nun zur Geschichte. De Gryse erschafft eine vielschichtige, tiefgreifende Erzählung auf gerade mal knapp 250 Seiten. Marieke als Protagonistin ist gut gelungen, auch wenn ich mich nur selten mit ihr identifizieren konnte.
Thematisch werden sehr viele Themen berührt: die Kindheit, die geprägt war von toxischen Verhältnissen, der Depression der Mutter, des Wegbleiben des Vaters und der damit einhergehenden, viel zu zeitigen Übernahme von Verantwortung auf Seiten von Marieke, was sich bis ins spätere Leben auswirkt. Auch jetzt ist Marieke eher ein Mensch der einsteckt, Dinge mit sich selbst ausmacht, sich herumschubsen lässt. Die Verhaltensweisen der Mutter halten bis heute an und sind geprägt von Vorwürfen und Schuldzuweisungen.
Es verwundert nicht, dass Marieke in einer Beziehung landet, die ebenfalls lieblos und auf Abhängigkeit ausgelegt ist. Sie wird nicht gesehen, nicht anerkannt und schaut man dann noch die mehr als übergriffige Mutter von Blok an, setzt dies dem Ganzen die Krone auf.
Überdies wird mit den Abschnitten die im Pflegeheim spielen sehr harte Kritik an dem System geübt. Völlig zurecht wie ich finde. Auch wenn es hier sicher überzogen ist, wird klar, dass der Pflegenotstand ein großes Problem ist, dem viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Auch gut fand ich die Einbindung von Essen als Lösung der Probleme. Nicht an sich die Tatsache, aber die Thematisierung. De Gryse beschreibt sehr bildlich, wie Marieke sich immer wieder in den „Genuss“ flüchtet und das dies schon seit frühester Kindheit ein Problem ist. Ich denke auch hier ist es wichtig, dass dies mal aufgefasst wird, denn auch wenn rein theoretisch klar ist, dass Essen keine Probleme löst, ist es doch für den/die ein oder andere*n eine Bewältigungsstrategie, die weitere Probleme nach sich zieht.
Apropos Essen: Fleischesser werden definitiv auf ihre Kosten kommen, denn die Beschreibung und Zubereitung von Mahlzeiten geht sehr ins Detail. Für mich war es nix, schon allein die Beschreibung wie es sich anfühlt bestimmte Fleischarten zu kneten, fand ich ein bisschen eklig, aber das ist ein sehr persönliches Empfinden und nach fast 20 Jahren Fleischverzicht denk ich nachvollziehbar.
Der Schreibstil hat mir sehr zugesagt, ist locker und leicht und manchmal weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Es ist eine gute Mischung aus Humor und Drama und durch die immer wieder stattfindenden Rückblicke bekommt man einen tollen Gesamteindruck von Mariekes Leben. Zudem ist man mit der Anfangsszene, in der die Protagonisten nackt in ihrem Mietwagen aufwacht, weil jemand ans Fenster klopft, sofort drin in der Geschichte und kann es dann kaum aus der Hand legen.
Es ist eine Geschichte von Freundschaft, Rückschlägen, Familie und am Ende auch von der Befreiung aus alten Strukturen. Es geht um Selbstfindung und Selbstbestimmung.
Kurz gesagt: es ist ein fantastisches Debüt, dass ich euch sehr ans Herz legen kann.

Veröffentlicht am 27.09.2023

Annäherung ohne Nähe

Die Wahrheiten meiner Mutter
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„𝘔𝘶𝘵𝘵𝘦𝘳, 𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘳𝘥𝘪𝘤𝘩𝘵𝘦 𝘥𝘪𝘤𝘩 𝘮𝘪𝘵 𝘞𝘰̈𝘳𝘵𝘦𝘳𝘯, 𝘶𝘮 𝘦𝘪𝘯 𝘉𝘪𝘭𝘥 𝘷𝘰𝘯 𝘥𝘪𝘳 𝘻𝘶 𝘩𝘢𝘣𝘦𝘯.“ (𝘚. 99)

Johanna verlässt Hals über Kopf ihren Mann und ihr Leben in Norwegen, um mit ihrer großen Liebe nach Amerika zu gehen. Damit ...

„𝘔𝘶𝘵𝘵𝘦𝘳, 𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘳𝘥𝘪𝘤𝘩𝘵𝘦 𝘥𝘪𝘤𝘩 𝘮𝘪𝘵 𝘞𝘰̈𝘳𝘵𝘦𝘳𝘯, 𝘶𝘮 𝘦𝘪𝘯 𝘉𝘪𝘭𝘥 𝘷𝘰𝘯 𝘥𝘪𝘳 𝘻𝘶 𝘩𝘢𝘣𝘦𝘯.“ (𝘚. 99)

Johanna verlässt Hals über Kopf ihren Mann und ihr Leben in Norwegen, um mit ihrer großen Liebe nach Amerika zu gehen. Damit stößt sie ihre Familie vor den Kopf und hat nur noch sporadisch Kontakt.
Sie heiratet, bekommt einen Sohn, ist Könstlerin und stellt ihre Werke (Mutter und Kind 1 und 2) auch in ihrer Heimatstadt aus. Die Mutter fühlt sich davon überaus angegriffen und als kurz darauf der Vater stirbt, bricht der Kontakt vollends ab.
Nach 30 Jahren, der Sohn längst erwachsen, ihr eigner Mann gerade verstorben, kehrt Johanna nach Norwegen, in die Stadt ihrer Kindheit, zurück und will sich mit der verbliebenen Familie bestehend aus Mutter und Schwester aussöhnen, welche jedoch jeglichen Kontakt verweigern.
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Wie gelingt Annäherung, wenn eine der Personen dies nicht will?
Man könnte fast meinen, dass es unmöglich ist und doch gelingt Vigdis Hjorth genau das.
Über die eigenen Gedanken und Erinnerungen nähert sich Johanna ihrer Mutter an, kommt ihr wahrscheinlich näher, als jemals zuvor. Sie nimmt die Vergangenheit auseinander, versucht Rückschlüsse zu ziehen und Fragen zu beantworten. Vieles ist ein Rätselraten, ein Vermuten, ein Schweben zwischen unendlichen Möglichkeiten. Um ihrer Mutter näher zu kommen, stellt Johanna auch sich selbst immer wieder in Frage, durchlebt verschiedenste Gefühle, von Wut, über Verzweiflung, bis hin zu Erleichterung. Sie taucht tief in ihre Kindheit ein, lässt uns daran teilhaben, wie verkorkst es damals schon war und schließt auch irgendwie damit ab, als sie erkennt, dass nicht sie das Problem ist oder war.
Ich fand es unglaublich hart zu lesen, wie Johanna immer wieder versucht den Kontakt zur Mutter aufzunehmen und diese sie immer wieder ignoriert. Ich konnte es nicht verstehen, wie die Mutter so derart verbohrt sein kann, immerhin ist es ihre Tochter… ich kann es bis jetzt nicht und doch zeigt es sehr schön, dass wir andere Menschen nicht ändern können, sondern nur uns selbst oder unsere Einstellung zu ihnen.
Ich hätte mir sehr einen anderen Ausgang der Geschichte gewünscht, aber es passt sehr gut ins Bild und ist auf eine Weise auch irgendwie schön.
Das Buch zu lesen, ist ein bisschen wie denken. Das Geschriebene ist manchmal wirr, ab und zu überschlägt es sich, es wird hin und her gesprungen, viele Emotionen spielen rein. Es fühlt sich an, wie direkt im Kopf der Erzählperson zu verweilen, was mir sehr gut gefallen hat.
Ein thematisch dichter Roman über eine schwierige Mutter-Tochter-„Beziehung“, der von Verlust, Enttäuschung, Ablehnung, Verletzung und Abnabelung erzählt und der Protagonsitin erlaubt ihre Kindheit aufzuarbeiten, auf eine Weise, wie ich es noch nicht gelesen habe.
Auf jeden Fall gibts eine Leseempfehlung von mir.

Veröffentlicht am 20.09.2023

Wut und Ohnmacht

Ich erkenne eure Autorität nicht länger an
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ein Mensch, der einen Künstler beschuldigt politisch zu sein,
hatte wohl
noch nie seine eigenen Menschenrechte zur Diskussion stehen
„ (S. 178)

Glenn Bech ist Psychologe, kommt aus der Provinz Dänemarks, ...


ein Mensch, der einen Künstler beschuldigt politisch zu sein,
hatte wohl
noch nie seine eigenen Menschenrechte zur Diskussion stehen
„ (S. 178)

Glenn Bech ist Psychologe, kommt aus der Provinz Dänemarks, stammt aus armen Verhältnissen, ist schwul und wurde in der Schule gemobbt.


ich denke nicht dass ihr böse seid
ich glaube die Bosheit ist größer als wir
deshalb wird meine Wut politisch
„ (S. 264)

Und von dieser Wut hat er eine ganze Menge… Nun kann ich mit Wut als Gefühl nicht allzu viel anfangen, wegen… nun ja… Sozialisierung und so, aber könnte ich es, würde ich sofort einsteigen.

„Ich erkenne eure Autorität nicht länger an“ liest sich wie ein Tagebuch aus mal längeren und mal kürzeren Sequenzen. Blech nimmt hierbei so ziemlich alles auseinander, von Klassengesellschaft, Homophobie, über Priviliegien und Gut-Menschen-Tum. Zu allem hat er eine Meinung und die wird vielen nicht gefallen.


nenn mich radikal
ich denke
die Wirklichkeit ist es bereits
„ (S. 122)

Schonungslos brüllt er förmlich heraus, was ihm nicht passt… und das ist eine ganze Menge. Er führt uns vor Augen, was in unserer Welt nicht stimmt, was schief läuft und das zu lesen ist nicht immer angenehm. Durch die sehr persönliche Ausarbeitung, gespickt mit eigenen Erlebnissen, macht es Bech mir als Leserin einfach, seine Ausführungen und seine Gefühle (sei es nun Wut, Genervtheit, Angst oder Resignation) nachzuvollziehen. Durch die persönliche Ansprache wird man aufgefordert auch sich selbst zu hinterfragen.
Viele Aussagen würde ich genauso unterschreiben, bei manchen allerdings bin ich nicht d‘accord. Manches ist mir zu generalisiert, zu oberflächlich betrachtet. Aber mit dem meisten hat er am Ende Recht.


Sichtbarkeit ist entscheidend
aber was hilft die ganze Sichtbarkeit wenn sie Schatten wirft
auf die Falschen?
„ (S. 162)

Der Autor spricht mit seinem Buch vor allem für diejenigen die sich ausgegrenzt und am Rande der Gesellschaft fühlen. Er verschafft jenen eine Stimme, die in irgendeiner Weise marginalisiert oder unpriviligiert sind und ich wünsche mir, dass es ganz viel Sichtbarkeit bekommt, bin mir aber sicher, dass es spalten wird und nicht für jeden geeignet ist.

Veröffentlicht am 19.09.2023

Weibliche Selbstbestimmung

Die liegende Frau
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Drei Freundinnen planen einen gemeinsamen Urlaub in Berlin. Kurz bevor es dazu kommt, fährt Nora zu ihrer Mutter ins Rheintal, verschwindet in ihrem alten Kinderzimmer, legt sich dort ins Bett und verfällt ...

Drei Freundinnen planen einen gemeinsamen Urlaub in Berlin. Kurz bevor es dazu kommt, fährt Nora zu ihrer Mutter ins Rheintal, verschwindet in ihrem alten Kinderzimmer, legt sich dort ins Bett und verfällt in Schweigen.
Kurzerhand entschließen sich Szibila und Romi ihr hinterher zu reisen und quartieren sich in einem Wellnesshotel ein. Während Romi, die selbst gerade in einer Selbstfindung und Neuerfindung ihrer Partnerschaft steckt, sehr verstört ist von Noras Verhalten, scheint Szibila, die den Männern abgeschworen hat und keine Beziehung eingehen möchte, da sie Abhängigkeit befürchtet, nicht weiter beunruhigt über Noras Zustand.
Es folgen fünf Tage, in denen Romi und Szibila sich selbst und auch einander näher kommen und letztendlich auch Nora wieder zu sich findet.
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Laura Vogt erschafft sehr nahbare und tiefgründige Charaktere mit Stärken und Schwächen, voll von Fragen und Widersprüchen, angereichert mit Wünschen und einer Vorstellung vom Leben, wie es sein könnte.
Da ist Nora, die mit ihrem Muttersein hadert und sich gern mal in sich zurückzieht, sonst aber ein sonniges Gemüt hat und ihrer Tochter eine bessere Sicht auf das Frau sein vermitteln will.
Da ist Romi, gerade schwanger mit ihrem zweiten Kind, die sich vor kurzem in Dennis verliebt hat, aber auch ihren Mann liebt und Polyamorie für sich entdeckt. Die Alles und Nichts will und Angst hat am Ende zu versagen.
Und da ist Szibila, deren Menstruationsbeschwerden sehr viel tiefer gehen und einen anderen Ursprung haben, die nichts von Abhängigkeit hält und diese in jeder Beziehung vermutet. Sie bleibt lieber allein als sich einem Mann zu unterwerfen und ist im Allgemeinen der Ansicht, dass es nicht gut ist, dass wir Menschen auf diesem Planeten sind.
Sie alle eint der Wunsch anders zu sein, ihr Leben abseits von Normen und Konventionen zu führen, selbst zu bestimmen.
Genau darum geht es auch. Es geht um große (feministische) Fragen, angefangen bei der, was eine Frau sich rausnehmen darf, inwieweit sie ihr Leben selbst bestimmen darf und was das für sie und ihre Umwelt bedeutet. Es geht darum Sozialisierungen zu hinterfragen und auch alte Muster zu durchbrechen. Wer sagt, das eine Frau unbedingt einen Mann an ihrer Seite braucht? Wer sagt, dass eine Mutter immer in erster Linie für die Kinder da ist, die Care-Arbeit übernimmt, die Wünsche aller anderen über die eigenen stellt? Und wer sagt, dass Mutterschaft immer etwas Schönes ist?
Vogt zeigt auf, dass es schwer ist, die gesellschaftliche Prägung abzulegen, dass es mit Selbstzweifel einhergeht und nicht selten in Selbstaufgabe endet, sie zeigt aber auch, dass es möglich ist für sich selbst einen anderen, passenderen Weg zu finden.
Anhand verschiedener Familiengeschichten wird außerdem klar, welche Last und Überzeugungen von der Kindheit ins Erwachsenenalter übergehen und wie diese das Denken und Fühlen beeinflussen können.
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Ein starker Roman der Individualismus über Erwartungen von außen stellt, der die Freiheit der*des Einzelnen beleuchtet und gute Denkanstöße gibt.
Bis auf das Ende, dass mir persönlich viel zu offen war, hat es mir sehr gut gefallen und ich kann es euch wärmstens empfehlen.

Veröffentlicht am 19.09.2023

Auf in neue Leben?

In allen Spiegeln ist sie Schwarz
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Drei Schwarze Frauen unterschiedlicher Herkunft. Drei Lebensgeschichten, die sich in Schweden kreuzen. Drei Schicksale, die von Rassismus, Priviliegien und dem Leben als Frau erzählen.
Muna flüchtet aus ...

Drei Schwarze Frauen unterschiedlicher Herkunft. Drei Lebensgeschichten, die sich in Schweden kreuzen. Drei Schicksale, die von Rassismus, Priviliegien und dem Leben als Frau erzählen.
Muna flüchtet aus Somalia und erhofft sich ein neues, sicheres Leben, muss aber schnell einsehen, dass es sehr viel schwerer ist in einem fremden Land Fuß zu fassen, als gedacht.
Brittany fühlt sich toll, als sie von Jonny angesprochen wird. Schnell will er, dass sie ihr Leben in den USA aufgibt und zu ihm nach Schweden zieht. Anfangs im siebten Himmel und mit dem Gefühl es endlich geschafft zu haben, fühlt sie sich mehr und mehr wie in einem goldenen Käfig und muss heraus finden, dass die Liebe ihres Mannes auf einem Fetisch beruht.
Kemi ist erfolgreich im Marketing, wird zwei mal hintereinander zur Marketingexpertin des Jahres gewählt und wird von Lundin Marketing abgeworben. Mit gemischten Gefühlen nimmt sie den Job an, hofft dort etwas zu bewegen, findet sich aber in der Position wieder, in der sie nur dafür da ist Diversität in der Firma zu repräsentieren und Fehler auszubügeln.
Sie alle sind nach Schweden gekommen, um ihrem alten Leben zu entfliehen, etwas zu erreichen, neu anzufangen und müssen doch am Ende feststellen, dass dies gar nicht so einfach ist.
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Die Autorin hat einen wunderbar fesselnden Schreibstil und erzählt die Geschichte jeweils abwechselnd aus den Perspektiven der Protagonistinnen.
Man bekommt einen sehr tiefen Einblick in ihre Leben, in ihr Denken und auch in die schwedische Gesellschaft. Letztere wird sehr zurückhaltend gegenüber Fremden und ein bisschen überheblich dargestellt. Ob dies wirklich so ist, kann ich schwer beurteilen, da ich das Land noch nicht bereist habe, gehe aber davon aus das Lolá Ákínmmádé Åkerström, die selbst in Schweden lebt, hier auch eigene Erfahrungen und Beobachtungen einfließen lässt und sich daher nah an der Realität bewegt.
Rassismus, Sexismus, Misogynie und Klassengesellschaft sind vordergründige Themen, aber auch die Flüchtlingspolitik wird kritisch betrachtet.
Am Beispiel der drei Frauen sieht man gut, wie unterschiedlich die Gesellschaft auf verschiedene angeborene oder erarbeitete Privilegien reagiert und sollte man es nicht ohnehin schon tun, wird man sich spätestens beim Lesen der Lektüre mit den eigenen auseinander setzen. Es wird mal wieder mehr als klar wie patriarchalisch unsere Welt noch immer ist, wie viel noch verändert werden muss, auch im Denken und Handeln der Frauen selbst.
Ein weiterer interessanter Aspekt war das Einflechten einer Autismus-Spektrum-Störung am Beispiel von Jonny. Durch die natürliche Erzählweise wird entabuisiert, allerdings fand ich, dass hier eine sehr starke Ausprägung ausdefiniert wurde, was mir persönlich nicht so gut gefallen hat, da es unter Umständen zu Vorurteilen führen könnte. Mitunter konnte es aber einfach auch daran liegen, dass Jonny‘s Familie dies nie erkannt hat oder erkennen wollte und ihm damit die Möglichkeit genommen hat, sich weiter zu entwickeln. Hier sollte sich gern jede*r selbst ein Bild machen.
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Ein wirklich toller Roman, mit sehr nahbaren Charakteren, der zum Nachdenken einlädt. Große Empfehlung meinerseits.