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Veröffentlicht am 23.06.2022

Irrwitzige Zugfahrt

Bullet Train
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Lemon und Tangerin haben erfolgreich einen Auftrag erledigt, die Killer sollten den entführten Sohn eines Gangsterbosses befreien. Nun liegt nur noch die Zugfahrt vor ihnen, um Sohnemann mitsamt Lösegeldkoffer ...

Lemon und Tangerin haben erfolgreich einen Auftrag erledigt, die Killer sollten den entführten Sohn eines Gangsterbosses befreien. Nun liegt nur noch die Zugfahrt vor ihnen, um Sohnemann mitsamt Lösegeldkoffer wieder bei Papi abzuliefern. Blöd nur, dass mit dem Einsteigen in den Hochgeschwindigkeitszug irgendwie alles schief läuft, das schieflaufen kann und das nicht nur für die Beiden, sondern auch für die anderen, im Zug anwesenden Auftragskiller.

Den Anteil japanischer Autoren in meinem Bücherregal könnte man, streng genommen, als nicht vorhanden beschreiben. Entsprechend skeptisch war ich auch, als mir "Bullet Train" immer öfter in den sozialen Medien untergekommen ist. Ich fand die Beschreibung zwar schon interessant, aber es gab zu viel Anderes auf meiner Leseliste. Als ich dann zufällig, im Rahmen einer Leserunde auf das Buch gestoßen bin, dachte ich, warum eigentlich nicht und was soll ich sagen, es ärgert mich total, dass ich hier so lange gezögert habe.

Schon nach den ersten Seiten war ich voll in meinem Element, die verschiedenen Figuren, die Dynamik zwischen ihnen, die teils irrwitzigen, teils philosophischen Dialoge und natürlich auch die Lokation haben mich direkt mitgenommen. Der Erzählstil ist rasant, wechselt immer wieder zwischen den Figuren, deren Geschicke der Autor im Verlauf immer mehr miteinander verknüpft. Im Mittelteil gibt es vielleicht kurzzeitig ein paar klitzekleine Längen, aber da hat man ganz flott drüber gelesen.

Der Autor schafft hier wirklich individuelle Figuren, die nie langweilig werden und denen ich ihr skuriles Verhalten eins zu eins abkaufe. Natürlich muss man sich dazu allerdings auch auf diese Art der Geschichte einlassen. Ein typischer Thriller ist das Buch ganz und gar nicht, ich kann jetzt aber auch nicht sagen, in welche Kategorie ich das Buch verordnen würde. Ich weiß nur, es ist genau meine Art von rabenschwarzem Humor. Lemon, mit seiner Fixierung auf "Thomas die kleine Lokomotive" und der ernste, belesene Tangerin erinnern mich extrem an Hazel und Cha Cha, die beiden Killer aus "Umbrella Academy" , aber ich sehe auch durchaus Parallelen zur Serie "Fargo". Wer sich hier wohlfühlt, der sollte das Buch unbedingt lesen.

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Veröffentlicht am 30.05.2022

Eine lange Reise

Der Bär
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Die Menschheit hat es tatsächlich geschafft und sich vom Angesicht der Welt getilgt. Die beiden letzten Bewohner sind ein Mann und seine Tochter, die in einer Hütte an einem See im Einklang mit der Natur ...

Die Menschheit hat es tatsächlich geschafft und sich vom Angesicht der Welt getilgt. Die beiden letzten Bewohner sind ein Mann und seine Tochter, die in einer Hütte an einem See im Einklang mit der Natur leben. Um die Vorräte aufzufüllen machen sich die Beiden auf zu einer langen Reise ans Meer, einer Reise, nach der das Leben des Mädchens sich für immer verändert haben wird.

Der Leser begleitet die beiden einzigen Figuren des Buches, erlebt das Heranwachsen des Mädchens und erfährt in Rückblicken etwas über seine Geburt und die Zeit davor. Der Autor lässt hier den Vater mit leisen, ruhigen Worten erzählen und sein Wissen an das Mädchen weitergeben. Es entsteht ein unglaublich plastisches Bild vom Leben der Beiden, und von der sie umgebenden Natur. Der Leser merkt, dass die Geschichte zeitlich weit in der Zukunft spielt, ohne, dass darauf explizit hingewiesen wird. Es ergibt sich einfach aus den Beschreibungen. Im Laufe der Reise zum Meer gibt es dann konkrete Hinweise auf eine, nicht näher bezeichnete Katastrophe, die zum Aussterben der Menschen geführt hat.

Der Fokus der Geschichte liegt aber eindeutig auf der Rückreise des Mädchens und hier kommt dann auch der titelgebende Bär ins Spiel. Auch hier schafft es der Autor wunderschöne Bilder zu zeichnen, dabei aber auch Spannung aufzubauen und den Leser emotional in die Geschichte einzubinden.

Das Buch ist eine Fabel, der Bär übernimmt hier die Rolle eines Führers, eines Lehrers, der das Mädchen beschützt. Die Botschaft hinter der Geschichte lässt sich gut mit dem Untertitel des Buches beschreiben, denn nur im Einklang mit der Natur, ist ein Überleben möglich. Das Buch ist aber noch so viel mehr, eine Art Road Movie, eine Coming of Age Geschichte, in gewisser Hinsicht eine Dystopie, aber irgendwie auch ein Märchen. Der Autor vereint all diese Elemente auf knapp 170 Seiten, sprachlich hinrei und mit einer klaren Botschaft. Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 05.05.2022

Grandios

Die Botschaft der Riesenkalmare
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Fragt man Menschen nach ihrem Lieblingstier, kommt wahrscheinlich als Antwort Hund, Katze, Panda, eventuell Delfine. Fabio Genovesi antwortet dann aber Riesenkalmar und ich kann mir bildlich vorstellen, ...

Fragt man Menschen nach ihrem Lieblingstier, kommt wahrscheinlich als Antwort Hund, Katze, Panda, eventuell Delfine. Fabio Genovesi antwortet dann aber Riesenkalmar und ich kann mir bildlich vorstellen, wie dem Fragenden die Kinnlade herunterfällt.

Wie nun kann ein Tier, über das wir fast nichts wissen, das bis vor wenigen Jahrzehnten noch ins Reich der Mythen und des Seemannsgarns gehörte, für jemanden das Lieblingstier sein? Der Autor lässt uns teilhaben an seiner Liebe für dieses unerforschte Wesen der Tiefsee und er tut das mit einer solchen Euphorie, dass es ein wahres Fest ist.

Hätte das Buch tausend Seiten, ich hätte sie in kürzester Zeit weggelesen. Der Autor schreibt so mitreißend, bildhaft, humorvoll, voller Tiefe und Wärme, dass man das dünne Buch kaum aus der Hand legen kann. Seine Wortreise beginnt er mit Geschichten über Sichtungen im laufe der Seefahrtshistorie und der Reaktionen auf diese Berichte. Die Seeleute wurden meist belächelt, ihre Beobachtungen ins Reich der Mythen abgeschoben und der reichliche Rumkonsum, oder die lange Einsamkeit auf dem Meer zum Anlass genommen. Dabei gibt es in allen Zeiten schon schriftliche und bildliche Überlieferungen zu diesen imposanten Tieren. Selbst einige, heute in Vergessenheit geratene, Wissenschaftler haben entsprechende Beobachtungen niederges und letztlich nur Hohn und Häme geertet. Der Autor liefert die wenigen bekannten wissenschaftlichen Fakten verpackt in seine ganz eigene Sprachwelt. So einen Erzähler wünscht sich jeder Schüler, jeder Student, denn damit wird Lehrstoff zum Vergnügen.

Unterbochen werden die Ausführung zum Riesenkalmar von wunderbaren Anekdoten rund um Fabios Kindheit und Jugend, besonders zu seiner Großmutter, die er sehr geliebt hat und die ihn sehr prägte. Natürlich fehlt zum Ende auch nicht ein aufrüttelnder Appell zur Meeresverschmutzung durch Plastik, der jährlich unzählige Tiere zum Opfer fallen und die auch den Riesenkalmar in seinem unerforschten Lebensraum bedroht. Er hat es erfolgreich geschafft sich dem Einfluss des Menschen über Jahrhunderte zu entziehen, ohne Erfolg, denn nun dringen unsere Hinterlassenschaften bis in die dunkle Tiefsee vor.

Ich bin verliebt in dieses Buch und würde sogar eine Bedienungsanleitung für einen Staubsauger mit Begeisterung lesen, wenn sie nur von Fabio Genovesi geschrieben worden wäre. Grandios, bitte unbedingt lesen.

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Veröffentlicht am 19.04.2022

Mord im Untergrund

Das Mädchen und der Totengräber (Die Totengräber-Serie 2)
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Der schrullige Totengräber Augustin Rothmayer schreibt wieder ein neues Buch, diesesmal geht es um "Totenkulte der Völker". In einem Kapitel geht es darin zum Beispiel um die Mumifizierung von Leichen ...

Der schrullige Totengräber Augustin Rothmayer schreibt wieder ein neues Buch, diesesmal geht es um "Totenkulte der Völker". In einem Kapitel geht es darin zum Beispiel um die Mumifizierung von Leichen im alten Ägypten und wie der Zufall es will, bekommt es Inspektor Leopold von Herzfeldt in seinem neuen Fall mit einer solchen zu tun, ein berühmter Professor wird in einem Sarkophag in seinem eigenen Museum gefunden. Auch sonst geht es in Wien 1894 eher brutal zu, werden doch innerhalb kürzester Zeit die übel zugerichteten Leichen einiger junger Männer gefunden und im gerade eröffneten Zoo, wird ein Tierpfleger von einem Löwen zerfleischt. Mehr als genug zu tun für von Herzfeldt und seine Kollegen.

Zeitlich schließt der zweite Band der "Totengräber - Reihe" recht dicht an den Vorgänger an, Setting und Figuren sind wie schon aus dem ersten Buch bekannt. Besonders bei der Figur des kauzigen, aber liebenswerten Totengräbers fühlt man sich direkt zu Hause. Der Leser kann wieder Anteil nehmen an seiner literarischen Arbeit, sind doch einigen Kapiteln im Buch Auszüge aus seinem neuesten Werk vorangestellt.

Die Geschichte ist unglaublich vielschichtig aufgebaut und umfasst mehrere parallel verlaufende Handlungsstränge, die der Autor geschickt und spannend miteinander verbindet. Seine Figuren bekommen Substanz durch ihre Interaktion, so bekommt der Leser Einblicke in die Beziehung zwischen Leopold und Fräulein Wolf und wird Zeuge, wie sich der schrullige Rothmayer um die Waise Anna sorgt. Gerade durch Rothmayers Figur kommt ein gewisser Humor in das Buch, der einen guten Gegenpol liefert zu der ernsten, blutigen Seite.

Ich persönlich lese eher wenige historische Krimis, oft sind sie mir nicht stimmig genug. Bei Oliver Pötzsch hab ich dieses Gefühl aber gar nicht. Er schafft es gut, die geschichtliche Situation der jeweiligen Zeit abzubilden, ohne dabei etwas zu beschönigen. Sehr authentisch fängt er so zb die antisemitisch geprägte Stimmung in Wien ein, aber auch Homophobie wird thematisiert, ebenso wie das menschenunwürdige zur Schau stellen anderer Kulturen in sogenannte "Völkerschauen".

Zur Optik eines Buches sage ich relativ selten etwas, hier gefällt mir allerdings, dass das Cover an seinen Vorgänger angepasst ist und so gut als Reihe erkennbar wird. Innen auf dem Deckblatt befindet sich eine Karte, auf der man die Schauplätze der Handlung nachspüren kann, ebenso ein Grundriss vom Wiener Zentralfriedhof, eine Zusammenfassung der Figuren darf ebenso wenig fehlen, wie eine Übersetzung der verwendeten wienerischen Ausdrücke.

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Veröffentlicht am 19.04.2022

Nichts bleibt für immer verborgen

Das versunkene Dorf
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Als Polizist hat man einen äußerst gefährlichen Job, das muss leider auch Noemie Chastain erleben, als ein Einsatz gründlich schief läuft. Sie bleibt zwar im Dienst, wird aber in die tiefste französische ...

Als Polizist hat man einen äußerst gefährlichen Job, das muss leider auch Noemie Chastain erleben, als ein Einsatz gründlich schief läuft. Sie bleibt zwar im Dienst, wird aber in die tiefste französische Provinz abgeschoben. Die Polizeistation in ihrer neuen Heimat auf Zeit soll eigentlich geschlossen werden, viel zu selten passiert hier etwas und dann entdeckt ein Angler ein mysteriöses Fass im Stausee über einem, vor Jahren gefluteten, Dorf.

Um die Energieversorgung sicherzustellen wird oft sehr umfangreich in die Umwelt eingegriffen. Beim Tagebau verschwinden so ganze Ortschaften und auch beim Errichten von Staudämmen kommt es vor, das Orte geflutet werden und andernorts neu entstehen. Ein solches Szenario macht sich der Autor in seinem Krimi zu Nutzen und verknüpft es sehr geschickt mit einer Cold Case Ermittlung rund um die Entführung mehrerer Kinder.

Die Geschichte ist von der ersten Seite an spannend erzählt. Im Prolog legt der Autor ein unglaubliches Tempo vor und zieht den Leser in die Ereignisse hinein, die wie im Film vor dem inneren Auge ablaufen. Obwohl es dann im weiteren Verlauf ruhiger wird, ganz der idyllischen Atmosphäre der Provinz angepasst, bleibt die Grundstimmung immer etwas bedrohlich und geheimnisvoll.

Der Autor versammelt in seinem Buch einige interessante Figuren, allein Kommissarin Chastain ist so vielschichtig, durch ihre Erlebnisse traumatisiert, zerrissen, aber auch sensibel und zerbrechlich. Ihre Figur polarisiert, innerhalb und außerhalb des Buches. Ihr zur Seite gestellt ist der unglaublich witzige Psychologe Melchior, der ein tolles Gegengewicht bildet. Dazu die Bewohner des Dorfes Avalon, im Fokus natürlich die Eltern der verschwundenen Kinder, die so unterschiedlich mit dem Verlust umgehen.

Das Buch ist recht klassisch aufgebaut, das Szenario um einen traumatisierten Ermittler aus der Großstadt, der in die Provinz versetzt wird und dort Staub aufwirbelt nicht unbedingt neu, aber der Autor hat bei der Interpretation alles richtig gemacht und schafft es seine Leser von der ersten Seite an zu packen. Das Setting, die Figuren, die Geschichte sind stimmig, bei einem Teil der Auflösung hat der Autor dann allerdings die ein, oder andere Schleife eingebaut, die ich persönlich jetzt nicht unbedingt gebraucht hätte. Nichtsdestotrotz habe ich das Buch in einem Rutsch gelesen und könnte mir den Stoff auch gut als Verfilmung vorstellen. Bin gespannt, ob es mehr von Noemie Chastain geben wird.

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