Tragische Geschichte um das Suchen nach Anerkennung und dem gleichzeitigen Wunsch nach Unabhängigkeit. Auch wenn es einem die Charaktere nicht leicht machen, ist die Geschichte emotional packend.
Das Haus der LibellenAls Sophie von ihrer ehemals besten Freundin Emilia einen Anruf erhält, dass ihre Eltern gestorben sind und ihr Bruder Noah seitdem verschwunden ist, kehrt Sophie nach fünf Jahren wieder an den Ort ihrer ...
Als Sophie von ihrer ehemals besten Freundin Emilia einen Anruf erhält, dass ihre Eltern gestorben sind und ihr Bruder Noah seitdem verschwunden ist, kehrt Sophie nach fünf Jahren wieder an den Ort ihrer Kindheit zurück, um Emilia beizustehen. Das Haus ihrer Nachbarn, der von Gutenbachs, war ein Zuhause für sie und ist nun ein trauriger Ort geworden. Emilia hat sich im Keller ihres Elternhauses ein Libellenbiotop eingerichtet und reagiert kaum auf die Ankunft von Sophie. Sie beantwortet keine Fragen und ist Sophie keine Hilfe bei der Suche nach Noah.
Sophie war seit ihrem siebten Lebensjahr in Noah verleibt und überglücklich, als sie später ein Paar wurden. Nach fünf Jahren Beziehung hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht, bevor er anschließend ohne ein Wort verschwunden ist. Sophie weiß bis heute nicht, warum er sich damals von ihr getrennt hat. Die Suche nach Noah unternimmt sie insofern nicht (nur) Emilia zuliebe, sondern um selbst eine Erklärung von Noah zu bekommen und mit der Vergangenheit abschließen zu können.
Sophie ist inzwischen 28 Jahre alt und studierte Kunsthistorikerin, aber durch die Rückkehr in die Villa der von Gutenbachs fällt sie wieder in alte Muster zurück. Sie ist abhängig von der Gunst der Geschwister, die seit jeher eine Faszination auf sie ausübten. Durch Rückblenden in die Vergangenheit, vom Kennenlernen bis zur Trennung, werden Details aus ihrer gemeinsamen Kindheit und Jugend bekannt. Emilia und Noah wirkten aus Sophies Erinnerungen wenig sympathisch. Sie vermittelten den Stereotyp reicher, verwöhnter Kinder, verhielten sich selbstgefällig, arrogant und gemein. Sie heischten um Aufmerksamkeit und insbesondere Emilia stand gerne im Mittelpunkt. Die Freundschaft mit Sophie schien nicht auf Augenhöhe zu sein und noch heute verhält sich Emilia extravagant und exzentrisch und mit ihrem Faible für tote Insekten etwas unheimlich.
Sophie war und ist sich diese Ungleichgewichts in der Beziehung zu den Geschwistern nicht wirklich bewusst und scheint vor Begehren nach Noah jede Selbstachtung verloren zu haben. Als Leser*in erhält man das Gefühl, dass in der Konstellation der drei einer zu viel war und dass die Beziehung von Sophie und Noah deshalb zum Scheitern verurteilt war.
Zu Beginn des Romans fällt es schwer, die Geschwister einschätzen zu können. Emilia ist Sophie keine Hilfe bei der Suche nach Noah und scheint sich in ihre eigene Welt der Libellen zurückgezogen zu haben. Sie wirkt undurchsichtig, nicht vertrauenswürdig und ein klein wenig verrückt. In Bezug auf Noah kann nur vermutet werden, was er mit seinem erneuten Verschwinden bezweckt und ob er lediglich ein Spiel mit Sophie spielt.
Durch Rückblenden in die Vergangenheit und die Geheimnisse, die sich Sophie in der Gegenwart offenbaren, wirken die Geschwister bald schon nicht mehr so anziehend und mystisch. Peu à peu entschlüsselt sich eine tragische Geschichte um das Suchen nach Anerkennung und dem gleichzeitigen Wunsch nach Unabhängigkeit. Der Roman wird von Anbeginn von einem Gefühl der Melancholie begleitet, das zu der Rätselhaftigkeit der Charaktere und ihren toxischen Beziehungen passt. Auch wenn es schwerfällt, sich mit den Figuren zu identifizieren, ist die Geschichte emotional packend und die Suche nach Noah und den Hintergründen für sein Verschwinden spannend geschildert.