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Veröffentlicht am 18.05.2022

Ehrlich und berührend

Meine Schwester
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«Da waren sie wieder. Die schwarzen Raben. Meine ganze Kindheit und Jugend über waren sie da. Sie kündigen sich nicht an. Sie näherten sich langsam, aber unaufhaltsam. Und dann waren sie da, ließen sich ...

«Da waren sie wieder. Die schwarzen Raben. Meine ganze Kindheit und Jugend über waren sie da. Sie kündigen sich nicht an. Sie näherten sich langsam, aber unaufhaltsam. Und dann waren sie da, ließen sich draussen auf den Bäumen nieder. Sie warteten, bis es so weit war. Und mit einem Schlag waren sie im Haus. Sie setzten sich überallhin, in die Küche, an den Esstisch, auf das Sofa. Sie waren im Flur, auf der Treppe und im Badezimmer. Sie saßen da, und sie blieben. Wie lange sie bleiben würden, wusste man nie. Einen Monat. Drei Monate. Oder länger?»

Bettina Flitner verlor 2017 ihre ältere Schwester durch Suizid. Jahre zuvor hatte sie ihre Mutter auf die selbe Weise verloren. Nun teilt sie ihre Geschichte. Sie erzählt vom Aufwachsen in Köln, dem Jahr in New York City, den Beziehungsproblemen der Eltern, den Ängsten der Mutter und später der Schwester, den Aufenthalten in der Psychiatrie. Sie erzählt von den schwarzen Raben, die sie so gut kennt. Und obwohl sie die Raben schon so oft gesehen hat, weiss sie nicht, wie man sie verjagen kann.

Flitners Biographie hat mich sehr berührt. Ihr Schreibstil ist ehrlich, teils poetisch, und immer schonungslos. Obwohl sie nie Depressionen erlebt hat, schafft sie es mit den schwarzen Raben doch unglaublich treffend, diese zu beschreiben. Danke, Frau Flitner, dass Sie über dieses Thema sprechen. Dass Sie die Familiengeschichte öffentlich machen. Ich schätze das sehr, wie hoffentlich viele andere Leser auch. Ein sehr wichtiges, gutes, berührendes, trauriges Buch.

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Veröffentlicht am 21.04.2022

Wenige Berührungspunkte

Brüder
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Brüder ist die Geschichte zweier Halbbrüder, Mick und Gabriel, die beide denselben senegalesischen Vater haben. Beide kommen im gleichen Jahr zur Welt und wachsen in der DDR auf. Der Vater hat ihnen deine ...

Brüder ist die Geschichte zweier Halbbrüder, Mick und Gabriel, die beide denselben senegalesischen Vater haben. Beide kommen im gleichen Jahr zur Welt und wachsen in der DDR auf. Der Vater hat ihnen deine Hautfarbe vererbt, mehr wissen sie nicht von ihm, noch wissen sie voneinander. Die erste Hälfte des Buches erzählt Micks Geschichte: er wächst mit seiner Mutter auf, die wechselnde Partner hat. Als er ungefähr im Teenager Alter ist, heiratet sie in den Westen. Er ist ein mittelmässiger Schüler, hat keine grossen Ambitionen und verbringt einige Zeit in Clubs mit Alkohol und Drogen. Er lernt Delia kennen, mit der er lange Zeit zusammenlebt und sie regelmäßig betrügt, die ihn jedoch schließlich verlässt und (so wie er empfindet) ihn völlig alleine stehen lässt. Gabriel hingegen wächst mit seinen Großeltern auf, der Großvater ist die wichtigste Bezugsperson. Er studiert Architektur, geht nach London und lässt sich dort nieder, wo er Fleur kennenlernt. Als sie schwanger wird heiraten die beiden. Er ist erfolgreich, arbeitet hart, verdient gut, hat seine Familie... Alles scheint perfekt, bis er eines Tages auf der Straße ausrastet...

Die beiden Geschichten hängen kaum bis gar nicht zusammen. Micks Geschichte wird in der dritten Person erzählt. Nach etwas weniger als der Hälfte wird auf Gabriel gewechselt, fortan wird in der ersten Person erzählt, abwechselnd aus der Sicht von Gabriel und Fleur, seiner Frau. Ich habe das Buch gern gelesen, Thomae kann schreiben. Die beiden Teile sind für mich allerdings zu unterschiedlich, ich hätte mir mehr Berührungspunkte gewünscht. Ich bleibe etwas ratlos zurück und weiss nicht recht, wie ich das Buch einordnen soll.

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Veröffentlicht am 17.04.2022

Inspirierend

Manifesto. Warum ich niemals aufgebe. Ein inspirierendes Buch über den Lebensweg der ersten Schwarzen Booker-Prize-Gewinnerin und Bestseller-Autorin von »Mädchen, Frau etc.«
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"Die Rebellin im Außen ist zur Vermittlerin im Innen geworden und hat begriffen, dass wir mit an dem Tisch sitzen müssen, an dem die Entscheidungen getroffen werden, und dass es letztlich sehr viel wirkungsvoller ...

"Die Rebellin im Außen ist zur Vermittlerin im Innen geworden und hat begriffen, dass wir mit an dem Tisch sitzen müssen, an dem die Entscheidungen getroffen werden, und dass es letztlich sehr viel wirkungsvoller ist, die Leute in Gespräche zu verwickeln, als sie anzubrüllen (auch wenn dies mitunter sehr befriedigend sein kann)."

Bernardine Evaristo - eine BIPOC LGBTQ Frau, die im England der Sechziger Jahre als Kind einer Engländerin und eines nigerianischen Einwanderers aufwuchs. Sie erfuhr viel Rassismus und schaffte es doch, immer ihre Träume zu verfolgen. Mit sechzig gewann sie den Booker Prize und wurde international bekannt. In ihrer Autobiografie erzählt sie von ihrer Kindheit und Jugend, ihrer Familie, Rassismus Erfahrungen, Beziehungen, und wie sie schließlich zum Schreiben kam. Sie erzählt auch davon, wie lange Schreiben dauern kann. Alle ihre Bücher werden kurz vorgestellt. Sie endet schließlich mit generellen Tipps für das Leben und Schreiben und erzählt von ihrem Aktivismus.

Ich habe bisher noch kein Buch von Frau Evaristo gelesen, dies wird jedoch nicht das letzte sein. Der Schreibstil ihrer Autobiografie ist locker und humorvoll, wie auch kritisch und reflektiert. Die Themen sind gut gewählt und waren auch für mich als nicht schreibende Person überaus relevant. Ich habe gerne über diese interessante Frau gelesen und bleibe sehr inspiriert zurück. Eine tolle, starke, kluge Frau!

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Veröffentlicht am 16.04.2022

Ein interessantes Zeugnis einer starken Frau

Ich, die Kämpferin
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Sara Aduse ist in Äthiopien aufgewachsen. Dort wurde sie unter der Obhut ihrer Großmutter als Siebenjährige beschnitten. Female Genital Mutilation (FGM) ist in Afrika, Südostasien und im mittleren Osten ...

Sara Aduse ist in Äthiopien aufgewachsen. Dort wurde sie unter der Obhut ihrer Großmutter als Siebenjährige beschnitten. Female Genital Mutilation (FGM) ist in Afrika, Südostasien und im mittleren Osten nach wie vor weit verbreitet. Sara beschreibt im Buch, wie sehr sie dieser Eingriff in ihrem Leben beeinträchtigt hat. Auch nachdem sie mit der Mutter und ihren vier Geschwistern in die Schweiz flüchtet, spürt sie weiterhin die Auswirkungen dieses Ereignisses, insbesondere das Gefühl, dass ihre Mutter und Großmutter sie damals im Stich gelassen haben. Das Buch ist Saras Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte. Sie erzählt von ihrer Kindheit in Äthiopien, der Flucht in die Schweiz und dem Leben dort. Als sie beginnt, sich mit dem Thema FGM zu beschäftigen, gibt es in ihrem Leben eine Wende. Sie spricht sich fortan gegen FGM aus, nach einem Zeitungsartikel mit Video wird ein Film gedreht. Beim Film wird ihre Reise nach Äthiopien begleitet, und zeigt, wie sie dort der Frau, die sie beschnitten hat, gegenübertritt...



Ich fand das Buch sehr interessant. Die Sprache ist einfach gehalten, und das Buch lässt sich schnell lesen. Einige Dinge werden im Buch leider nicht erklärt (was macht der Vater?) oder nehmen zu wenig Platz ein, was ich schade fand. Auch gab es Passagen, die ich kritisch betrachte, zum Beispiel die Szene in ihrer ehemaligen Schule in Harar. Dabei erklärt Sara Mädchen, die zum Teil schon beschnitten sind, dass die Beschneidung sie ihrer Weiblichkeit berauben würde. Ich denke nicht, dass solche Aussagen den bereits beschnittenen Mädchen gut tun, auch wenn ich verstehe, dass sie mit ihrem Besuch hauptsächlich die noch nicht beschnittenen Mädchen animieren wollte, sich zu wehren. Insgesamt ein sehr interessantes Buch zu einem wichtigen Thema. Sara ist eine starke und inspirierende Frau und ich bin froh, dass sie sich mit ihrer Geschichte gegen FGM einsetzt.

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Veröffentlicht am 05.04.2022

Ein aufrüttelnder, feministischer Roman

Die Wut, die bleibt
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"Der Zorn in ihr ist nicht mehr der kleine, hämmernd heiße Ball. Er hat sich über ihr Inneres gestülpt und sie vollständig ausgekleidet. Es ist still, sie schlafen ein, sie haben einen gemeinsamen Frieden, ...

"Der Zorn in ihr ist nicht mehr der kleine, hämmernd heiße Ball. Er hat sich über ihr Inneres gestülpt und sie vollständig ausgekleidet. Es ist still, sie schlafen ein, sie haben einen gemeinsamen Frieden, oder vielleicht ist es die Ruhe vor dem Sturm. Denn da ist ein Ziehen und ein feines, glühendes Simmern. Das ist die Wut, die bleibt."

Mitten in der Pandemie steht Helene eines Tages während dem Abendessen mit der Familie auf und stürzt sich 12 Meter den Balkon hinunter. Dieser Akt verändert alles unwiederbringlich: er rüttelt den Leser wach, er verändert das Leben von Helenes Familie radikal, allen voran der fünfzehnjährigen Tochter Lola, und Helenes bester Freundin Sarah. Fortan erzählen Lola und Sarah kapitelweise diesen Roman, das Leben nach diesem abrupten Halt oder Riss. Helene hinterlässt einen leeren Platz, der nur schwierig zu füllen ist. Beide Frauen realisieren nach und nach, wie viel Helene auf sich genommen hat, dass sie sich nie beschwert hat, wie schwierig dieser Stempel Mutter ist, wieviele Positionen gleichzeitig zu besetzen sind. Und wie die Männer meist alles voraussetzen und nie erkennen, wieviel Arbeit dahinter steckt. Wie hilflos sie im Umgang mit ihren eigenen Kindern sein können. Wieviel Ungleichheit da immer noch ist, selbst in 2022. Und noch so vieles mehr.

"Aber gleichzeitig hat sie verstanden: dass es gar kein Gleichgewicht war. Sondern verinnerlichter Glaube, dass die männliche Energie mehr wiegt als die weibliche, dass Männer lauter sein und mehr Platz einnehmen dürfen, ihre Wut rauslassen und ihre Aggression."

Dieses Buch ist einzigartig, wütend, zornig, laut und rüttelt wach. Ein feministisches, aktuelles Buch, welches zeigt, wie ungleich alles immer noch verteilt ist. Ich konnte mich mit beiden Protagonistinnen identifizieren, habe Teile von mir in Sarah und Teile in Lola wiedererkannt. Mit vielen der Themen habe ich mich schon auseinandergesetzt, jedoch fand ich die Themen im Roman nochmals sehr anschaulich umgesetzt. Lola war mir allerdings oft etwas zu radikal, zu impulsiv und zu kritisch, Sarah etwas zu langsam in ihrer Entwicklung. Insgesamt ein sehr interessantes, gut geschriebenes Buch zu einem nach wie vor aktuellen Thema.

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