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Veröffentlicht am 01.08.2020

Evolutionäre Umbrüche

Warum es normal ist, dass die Welt untergeht
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Ganz bequem, wie von einem „Kinosessel in der Stratosphäre“ aus, verfolgen wir „einen Film, der die gesamte Menschheitsgeschichte“ zeigt - so führt uns Robert Kelly, Professor für Anthropologie in Wyoming, ...

Ganz bequem, wie von einem „Kinosessel in der Stratosphäre“ aus, verfolgen wir „einen Film, der die gesamte Menschheitsgeschichte“ zeigt - so führt uns Robert Kelly, Professor für Anthropologie in Wyoming, an das Thema seines Buches heran: wie sahen die Übergänge aus, an denen sich das Leben der Menschen von Grund auf verändert hat? Und was erwartet uns bei einem neuerlichen Umbruch?
Kellys Blick richtet sich auf die „Totale“; sehr gut verständlich und durchaus nachvollziehbar gelingt es ihm, seine Leser die menschliche Entwicklung als allmählichen, unaufhaltsamen Wandel im Ganzen sehen und damit „Muster in Raum und Zeit“ erkennen zu lassen. Knapp, aber eindringlich gibt er uns einen Überblick über die Menschheitsgeschichte, der den Zeitpunkt vom Auftreten der ersten Homininen bis heute umfasst. Wichtig ist ihm dabei, die diversen „Umbrüche“ deutlich zu machen, die stets zu einer Weiterentwicklung geführt haben. Es sind vier bedeutende: die (immer rasanter fortschreitende) Technologie, die ursprünglich mit Steinwerkzeugen begann; die Kultur mit all ihren Facetten; die Landwirtschaft und das Sesshaftwerden der Menschen und schließlich die Staatenbildung mit all ihren Vor- und Nachteilen, bis Kelly schließlich in der Gegenwart ankommt und die Frage stellt: was erwartet uns mit all unseren (selbst verursachten) Problemen? Wie beeinflussen Bevölkerungszunahme, Globalisierung, Aufrüstung, Pandemien, Klimawandel unsere Zukunft? Seine Erklärungsversuche, wie ein fünfter Umbruch aussehen könnte, beschwören kein Weltuntergangsszenario, sondern zeigen seinen Optimismus und Vertrauen in Vernunft und Lösungsstrategien des Menschen. Die Gegenwart nicht isoliert sehen: ganz der Blick des Archäologen, dessen Zeithorizont keine Grenzen kennt. Mit Humor und Einfühlungsvermögen schafft er es spielend, dem Leser einmal eine andere, vielleicht ungewohnte Perspektive auf sein Leben zu geben.

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Veröffentlicht am 19.07.2020

Musik - ein Rettungsanker

Die Pianistin von Wien
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„Gerade in Zeiten wie diesen ist Musik besonders wichtig.“ Mit diesem Statement ihrer Mutter klammert sich Lisa an das Leben. Sie hat es nicht leicht: die begabte Klavierschülerin, bislang wohlbehütet ...

„Gerade in Zeiten wie diesen ist Musik besonders wichtig.“ Mit diesem Statement ihrer Mutter klammert sich Lisa an das Leben. Sie hat es nicht leicht: die begabte Klavierschülerin, bislang wohlbehütet in Wien aufgewachsen, erlebt die Unterdrückung der jüdischen Bevölkerung durch die NSDAP hautnah. Im Alter von dreizehn Jahren wird sie mit einem Kindertransport nach England geschickt, was sie aus ihrer liebevollen Familie reißt, aber vermutlich ihr Leben rettet. Fremd, voller Heimweh und Angst um das Schicksal ihrer Eltern und Schwestern wohnt sie nun in der Willesden Lane Nr. 243, in einem Heim für ausländische jüdische Kinder, und verdient ihren Unterhalt als Näherin in einer Fabrik. Die Überzeugung ihrer Mutter („Halte an deiner Musik fest. .. .Deine Musik wird dir helfen, es zu schaffen.“) und ihr fester Vorsatz, etwas aus ihrem Leben zu machen, helfen ihr über die schweren Zeiten hinweg. Aber auch die Leiterin des Heims, Mrs. Cohen, und neu gewonnene Freunde unterstützen Lisa nach Kräften.
Nach Erzählungen der Hauptfigur und überlebender Freunde und eigenen Recherchen hat Lisas Tochter Renée, die ebenfalls Pianistin geworden ist, das Buch geschrieben. Eine Hommage an ihre Mutter, die in beeindruckender Weise ihr Ziel erreicht hat: die Aufnahme in die Royal Academy of Music und schließlich ihr Examen im Kriegsjahr 1942.
Musik und Klavierspiel war stets ein Rettungsanker für Lisa, der ihr Mut und Kraft gab zum Weitermachen. Und so lautet auch Lisas Vermächtnis an ihre Töchter: „Halte an deiner Musik fest. Sie wird dein bester Freund fürs Leben sein“.

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Veröffentlicht am 19.07.2020

Intensiv

Die Bagage
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Kurz, aber intensiv: so zeigt sich für mich Monika Helfers Roman „Die Bagage“.
Auf den Spuren ihrer Großeltern Maria und Josef Moosbrugger versucht sie dem Geheimnis um die Geburt ihrer eigenen Mutter ...


Kurz, aber intensiv: so zeigt sich für mich Monika Helfers Roman „Die Bagage“.
Auf den Spuren ihrer Großeltern Maria und Josef Moosbrugger versucht sie dem Geheimnis um die Geburt ihrer eigenen Mutter Margarethe näher zu kommen, die während des Ersten Weltkrieges als fünftes Kind in dem ärmlichen Haus am Ende eines kleinen Bergdorfes zur Welt kam. Kann Josef, der zu jenerZeit als Soldat eingezogen aber einige Male auf Heimaturlaub war, tatsächlich der Vater sein? Im Dorf wird viel gemunkelt, aus Bosheit oder vielleicht Neid auf die „schöne Maria“ oder Josefs „Geschäftchen“, mit denen er die Familie über Wasser hält. Auch der Pfarrer mischt sich ein. Josef selbst ist verunsichert; er akzeptiert die kleine Grete nicht, so lange er lebt.
Aus Erzählungen der überlebenden Geschwister ihrer Mutter gestaltet Monika Helfer ein Bild der armen Großfamilie im Bergdorf, von den anderen Bewohnern abfällig „Bagage“ genannt, und schmückt es mit ihrer Vorstellung von Maria und ihrer Lebenssituation aus. Wie lebte es sich in einem Dorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts, unter den wachsamen Augen der Mitbewohner und den selbstgerechten Urteilen der Kirche? Die Autorin wertet nicht, doch zwischen den Zeilen steckt eine Menge Kritik. Gerade durch ihre schlichte, stark verkürzte Sprache erreicht sie Authentizität und eine hohe Intensität. Immer wieder nutzt sie Zeitsprünge in die Gegenwart und stellt damit die Verbindung zwischen ihr und ihren Großeltern her. Sie reflektiert über Familiengemeinsamkeiten und –zusammengehörigkeit; denn schließlich wirken (unverarbeitete) Erlebnisse weiter fort, oft über Generationen hinaus.
Mein Fazit: ein ruhiger, aber intensiv nachwirkender Roman.

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Veröffentlicht am 14.07.2020

Ein beeindruckendes Porträt

Ich freue mich, dass ich geboren bin
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Der siebente Geburtstag sollte eigentlich ein glücklicher und fröhlicher Tag im Leben eines Kindes sein. Für das kleine Mädchen jedoch, von dem die Autorin erzählt, endet er mit heftigen Prügel - aber ...

Der siebente Geburtstag sollte eigentlich ein glücklicher und fröhlicher Tag im Leben eines Kindes sein. Für das kleine Mädchen jedoch, von dem die Autorin erzählt, endet er mit heftigen Prügel - aber auch einer lebensrettenden Entdeckung.
Die Autorin schreibt ihren Roman aus der Sicht des Mädchens, kindlich naiv und dennoch erstaunlich hellsichtig. Es könnte tatsächlich Birgit heißen; denn Vanderbekes Biografie deckt sich im wesentlichen mit ihrer Erzählung. Zu Beginn der 60er Jahre flüchtet sie als Fünfjährige mit den Eltern in den Westen, das „Land der Verheißung“, wie sie es ironisch nennt. Zunächst findet ihr Leben dort in Übergangslagern statt, bis der Vater schließlich Arbeit in der „Rotfabrik“ annimmt und sie in eine Neubausiedlung ziehen. Die Ernüchterung über die Realität im goldenen Westen bewirkt bei den Eltern Unzufriedenheit und Frustration, die an das Kind als Lieblosigkeit und sogar Gewalttätigkeit weitergegeben werden. Es sehnt sich nach einem Menschen, mit dem es sprechen, dem es seine Probleme und Ängste anvertrauen kann - wenigstens ein Kätzchen zum Schmusen wünscht es sich.
Da empfindet es das Lied „Wir freuen uns, dass du geboren bist“ schlicht als Lüge, auch wenn die Mutter es gleich mehrmals singt. Bezeichnenderweise stimmt der Vater nicht in den Gesang ein, sondern betrachtet nur seine Hände, die zwar durch einen Unfall verunstaltet sind, die das Kind aber dennoch zu fürchten gelernt hat.
In schlichten Worten, dafür aber umso eindringlicher, schildert Vanderbeke die Nöte des Kindes. Seine Gedanken wirken auf den Leser traurig, oft deprimierend, aber das Mädchen hat einen erstaunlich starken Charakter. Mit Hilfe seiner Fantasie findet es einen Weg aus seiner Opferrolle; es beschließt, sich nicht aufzugeben und auf die Zukunft zu vertrauen, so dass es am Ende mit Überzeugung sagen kann: „Ich freue mich, dass ich geboren bin.“

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Veröffentlicht am 11.07.2020

Ein Gute-Laune-Buch

Storm und der große Fußballsturm
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Ihr wollt wissen, wer das Fußballspiel erfunden hat? Daran hat ein kleiner Junge namens Storm einen großen Anteil. Als Klosterschüler von der großen Insel England geflüchtet, ist er in Reydarfjordurthoft ...

Ihr wollt wissen, wer das Fußballspiel erfunden hat? Daran hat ein kleiner Junge namens Storm einen großen Anteil. Als Klosterschüler von der großen Insel England geflüchtet, ist er in Reydarfjordurthoft gelandet, wo er als Sklave bei den Wikingern arbeiten muss. Doch mit der Hilfe neuer Freunde und des Fußballspiels hat er seine Stellung erheblich verbessern und sogar die nordischen Götter Odin und Thor davon begeistern können. Auf göttliches Geheiß soll er nun dieses Spiel überall verbreiten. Doch sein Rivale Elmar verfolgt einen finsteren Plan, und Storm landet schneller auf der Insel Britannien, als er eigentlich vorhatte…
Wieder einmal werden wir Zeugen eines Abenteuers des ideenreichen jungen Storm, dessen liebenswertes und warmherziges Wesen jeden Leser für ihn einnimmt.
Spannend und temporeich liest sich Jan Bircks Geschichte, wobei immer wieder humorvolle Passagen zum Lachen reizen. In moderner kindgerechter Sprache schildert er, dass auch wilde kriegerische Wikinger sich von Gefühlen leiten lassen, wenn es auch meistens recht turbulent zugeht. Und wir lernen nicht nur, dass ein Wikingeransturm ohne Blutvergießen verlaufen und eine Auseinandersetzung schließlich „spielerisch“ mit einem Wettkampf geklärt werden kann, sondern auch, wie die Abseitsregel beim Fußball und das Pokalspiel entstanden sind.
Wie schon in den zuvor erschienenen Bänden um Storm und seine Abenteuer unterstreichen zahlreiche in den Text integrierte großzügige Illustrationen mit vielen witzigen Details Bircks Erzählung und sorgen für zusätzlichen Spaß.
Ob zum Vor- oder Selberlesen: „Storm“ ist ein Gute-Laune-Buch, das ich nur jedem wärmstens empfehlen kann.


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