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Veröffentlicht am 04.03.2018

Von Zuhause wird nichts erzählt

Von Zuhause wird nichts erzählt
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Eine Autobiografie zu schreiben, ist meist kein leichtes Unterfangen. Und so schrieb Laura Waco die Geschichte ihrer Kindheit „…mit einem ´Kloß im Hals´ und mit vielen Unterbrechungen…“
Strenge und Schläge ...

Eine Autobiografie zu schreiben, ist meist kein leichtes Unterfangen. Und so schrieb Laura Waco die Geschichte ihrer Kindheit „…mit einem ´Kloß im Hals´ und mit vielen Unterbrechungen…“
Strenge und Schläge als Erziehungsmittel waren zwar während der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts durchaus an der Tagesordnung und wurden sowohl im Elternhaus als auch in der Schule als normal angesehen, doch Lauras Vater scheint besonders schnell „Watschn“ verteilt zu haben. Seine Töchter erleben ihn oft strafend und voller Wut und sind erleichtert, wenn er eine Weile nicht zu Hause ist. Die Mutter kränkelt, ist aber auch nicht fähig, ihren Töchtern die Liebe und Nähe zu schenken, die sie nötig haben. Ein Erbe der schrecklichen Zeit, in der beide Eltern Insassen von Vernichtungslagern der Nazis waren? Es ist nicht einfach für Majer Steger und seine Frau Hela, sich nach ihrer Befreiung aus den Kzs Dachau und Bergen Belsen ein bürgerliches Leben zu erarbeiten. Als Überlebende des Holocaust widmen sie sich ihrem Glauben, für den sie interniert wurden. Doch das bleibt eher halbherzig; denn Majer nennt sich um in das deutscher klingende Max Stöger, und auch seine Töchter erhalten Namen, über die andere nicht stolpern. Noch schwieriger aber ist es für ihre älteste Tochter Laura (geb. 1947), sich zwischen den unterschiedlichen Welten ihres Elterhauses und ihrer schulischen Umgebung zurechtzufinden. Außerhalb der eigenen vier Wände ist das Thema Judenverfolgung und Naziverbrechen tabu, darüber herrscht Schweigen. So reichen die Folgen der Ereignisse im Dritten Reich weit, bis in die nächste Nachkriegsgeneration, ein Trauma. Wie kann so ein unbeschwertes Leben möglich sein?
„Das Buch war schon lange in mir drin. Ich wußte nur nicht wie ich das Thema anpacken sollte. Als ich durch meine eigenen Kinder einen so deutlichen Einblick in die Seele und das Wesen junger Menschen bekam, und als mir die Unschuld eines Kindes so sehr bewußt wurde, beschloß ich, mein Buch in der Stimme des Kindes zu schreiben. Dazu mußte ich mich in die Zeit und jede Stufe meiner eigenen Kindheit hineinversetzen und sozusagen darin leben“ berichtet Laura Waco in einem Interview.
Genauso liest sich ihr Buch, die Klarheit und Ehrlichkeit nimmt gefangen. Eine Schilderung ihrer Kindheit, sehr offen und ohne Schuldzuweisungen.

Veröffentlicht am 25.02.2018

Max Wolfes dritter Fall

Wer Furcht sät
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Gerechtigkeit oder Rache? Dieses Thema steht im Mittelpunkt des dritten Teils der Krimiserie um Detective Constable Max Wolfe. Der Leser begleitet den sympathischen Ermittler Max und sein Team auf der ...


Gerechtigkeit oder Rache? Dieses Thema steht im Mittelpunkt des dritten Teils der Krimiserie um Detective Constable Max Wolfe. Der Leser begleitet den sympathischen Ermittler Max und sein Team auf der Suche nach einer Gruppe von Männern, die ehemalige Straftäter tötet. Während er sich mit Hilfe von Sachverständigen bemüht, den Tatort aufzuspüren und dem Treiben der Unbekannten ein Ende zu bereiten, verfolgt ihn stets deren Slogan „#führtsiewiederein“ in den sozialen Kanälen des Internets. Und schnell genug gerät er persönlich in das Visier der Gesuchten und in Todesgefahr.
Tony Parsons´ Schreibstil liest sich ohne Mühe und angenehm flüssig. Seine Kriminalromane sind stets gut durchdacht und außerordentlich spannend geschrieben. Wer den Schriftsteller kennt, weiß, dass er sich nicht allein auf die Ermittlung in einem Kriminalfall beschränkt. Er versteht es großartig, aktuelle, soziale Themen in seine Romane einzuflechten. „Wer Furcht sät“ behandelt auf kontroverse Art den Ruf in der Öffentlichkeit nach härteren Strafen, gar der Wiedereinführung der Todesstrafe. Max erfährt selbst die Grenzen der Gesetze und ist nicht der einzige, der sich fragt, wie angemessen die jeweilige Strafe für Gewalttäter ist. Authentisch geschilderte Charaktere regen den Leser zum Nachdenken an: fordern harte Strafen Gerechtigkeit oder Rache?
Ebenso bildhaft schildert der Autor ein historisches, eigentlich unzugängliches London. Wer ist sich schon bewusst, wieviele Überbleibsel aus alten Zeiten unterhalb der Straßen und Gebäude der modernen Stadt liegen? Wolfe beeindruckt mit viel stadtgeschichtlicher Kenntnis und führt seine Leser an vergessene unterirdische Orte, verlassene U-Bahnstationen und Reste ehemaliger Strafzellen und Hinrichtungsstätten. Ebenso erhält das „Black Museum“, das die Polizeiarbeit dokumentiert, wieder seinen Platz in Wolfes Recherchearbeit.
Eine bemerkenswert geistreiche und anregende Lektüre: auch Parsons dritten Roman um DC Max Wolfe kann ich wärmstens empfehlen.

Veröffentlicht am 24.02.2018

Liebenswert und einfallsreich

Ziemlich beste Schwestern – Quatsch mit Soße (Ziemlich beste Schwestern 1)
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Ob sie Mäuse als Untermieter in ihr Puppenhaus einquartieren oder gar mit Cousin Mats einen Gartenteich für ein Babynilpferd ausbuddeln - Mimi und Flo stecken voller originelle oder gar verrückte Einfälle. ...

Ob sie Mäuse als Untermieter in ihr Puppenhaus einquartieren oder gar mit Cousin Mats einen Gartenteich für ein Babynilpferd ausbuddeln - Mimi und Flo stecken voller originelle oder gar verrückte Einfälle. Da brauchen die Eltern der beiden 7 und 5 Jahre alten Mädchen schon eine gehörige Portion Verständnis und Humor!
In kleinen abgeschlossenen Geschichten, die sich wegen ihrer Kürze gut zum Vorlesen vor dem Zubettgehen eignen, stellt Sarah Welk ihren jungen Lesern die einfallsreichen Schwestern Mimi und Florentine vor. Sie lässt die siebenjährige Mimi selbst zu Wort kommen und ihre Sicht der Dinge schildern, die sich in der Familie im Haus am Brückenweg zutragen. Natürlich geht es nicht immer friedlich zu bei den Geschwistern, doch wenn eine von ihnen eine spannende Idee hat, sind beide mit Eifer dabei, sie spontan in die Tat umzusetzen. Was dabei herauskommt, erzählt die Autorin in klaren, deutlichen Sätzen und altersgerechter Sprache, augenzwinkernd und mit viel Empathie für die Kinder.
Mimis und Flos „Abenteuer“ sind in einer großen klaren Schrift gedruckt, von der besonders Estleser profitieren.
Zahlreiche liebevolle, teils ganzseitige Bilder ergänzen den Text und vervollständigen das Buch auf farbig-fröhliche Weise. Die englische Kinderbuchillustratorin Sharon Harmer übernimmt dabei den liebevollen, humorigen Stil der Autorin in ihre Zeichnungen. Mein Fazit: ein lustiges, lesenswertes, nicht allzu braves Buch zum Vor- und Selberlesen ab 7 Jahren

Veröffentlicht am 20.02.2018

Das Ende?

Die Geschichte des verlorenen Kindes
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Von vielen sehnlichst erwartet, liegt nun der vierte und letzte Teil der „Neapel-Saga“ vor.
Aus den beiden kleinen Mädchen Lenù und Lila, die in dem neapolitanischen Arbeiterviertel Rione aufwuchsen, ...


Von vielen sehnlichst erwartet, liegt nun der vierte und letzte Teil der „Neapel-Saga“ vor.
Aus den beiden kleinen Mädchen Lenù und Lila, die in dem neapolitanischen Arbeiterviertel Rione aufwuchsen, sind nun selbstbewusste Frauen und Mütter geworden, die sich im Berufsleben durchsetzen und als recht erfolgreich erweisen. Elena Ferrante erzählt aus der Sicht ihres Alter Ego Lenù von wichtigen Ereignissen und dramatischen Situationen aus weiteren dreißig Lebensjahren der Freundinnen, deren Verhältnis zueinander sehr schwierig und widersprüchlich ist.
Damit bringt Elena zu einem Abschluss, was sie im ersten Teil ihrer Tetralogie bereits angekündigt hat: sie will die Geschichte ihrer komplizierten Freundschaft mit Raffaela, genannt Lila, für die Nachwelt festhalten. Lila, die angekündigt hatte, sie wolle „sich in Luft auflösen … nichts von ihr sollte mehr zu finden sein“, ist im Alter von 60 Jahren tatsächlich spurlos verschwunden - genauso, wie viele Jahre zuvor ihre kleine Tochter Tina. Was ist mit Tina passiert? Wird jetzt vielleicht das Geheimnis um Lilas Verschwinden gelüftet?
In ihrem bildhaften, leicht lesbaren Stil thematisiert Ferrante den Prozess des Sich-Lösens ihrer Protagonistinnen von einem traditionellen, aber überkommenen Frauenbild. Sehr realistisch und intensiv schildert sie ihre Emanzipationsbestrebungen und die damit verbundenen Probleme.
Während jedoch in den ersten Teilen der „Neapel-Saga“ die historischen Gegebenheiten und politischen Bedingungen einen hohen Anteil in Ferrantes Roman ausmachen, wird der geschichtliche Hintergrund in diesem letzten Band leider etwas vernachlässigt. Hier nimmt Lenùs persönliches Schicksal, verbunden mit dem ihrer Freundin Lila, den größten Raum ein. Auch die südlich-turbulente Atmosphäre Neapels wirkte meines Erachtens in den ersten Büchern der Serie viel lebendiger und unmittelbarer. Dennoch: mit der „Geschichte des verlorenen Kindes“ ist Ferrante wiederum ein sehr unterhaltsames und interessantes Buch gelungen.

Veröffentlicht am 19.02.2018

Die letzten Monate eines Dramatikers

Wiesenstein
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„Bewunderung, die man erfährt, macht klein, Geringschätzung groß.“
Der Dramatiker Gerhart Hauptmann war allerdings der Bewunderung durchaus nicht abgeneigt, auch wenn sein Zitat anderes vermuten lässt. ...

„Bewunderung, die man erfährt, macht klein, Geringschätzung groß.“
Der Dramatiker Gerhart Hauptmann war allerdings der Bewunderung durchaus nicht abgeneigt, auch wenn sein Zitat anderes vermuten lässt. Hans Pleschinski holt den umstrittenen Literaturnobelpreisträger (1912) von seinem „Dichtersockel“ und zeigt ihn mit all seinen menschlichen Vorzügen, aber auch Schwächen.
Sehr ausführlich schildert er Hauptmanns letztes Lebensjahr vor dem historischen Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und seinem Ende. Nach dem furchtbaren Bombenangriff auf Dresden im Februar 1945 kehrt Hauptmann schwer krank aus dem Sanatorium des Dr. Weidner in seine geliebte Villa Wiesenstein im schlesischen Riesengebirge zurück und verbringt hier, liebevoll umsorgt von seiner Frau Margarete und etlichen treuen Bediensteten, die ihm noch verbleibenden Monate.
In literarisch anspruchsvollem Schreibstil erzählt Pleschinski recht eindrücklich von den Bemühungen des alten Ehepaares, inmitten von Chaos und Zusammenbruch seinen gewohnten Lebensstil so gut wie möglich aufrecht zu erhalten, und zeigt gleichzeitig die schreckliche Realität von Vertreibung und Mord außerhalb des noch immer privilegierten Wiesenstein.
Aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet der Autor die Person Gerhart Hauptmanns, erwähnt Erinnerungen und flicht Tagebucheinträge Margarete Hauptmanns ebenso in seinen Roman ein wie Zitate von Biographen und Auszüge aus Werken des Dramatikers. Eine recht umfangreiche Recherchearbeit, die Pleschinski geleistet hat!
Ob und inwieweit Hauptmann eine Mitschuld am Regime trifft, mag der Leser selbst entscheiden. Hat er mit den Mächtigen des Dritten Reiches kollaboriert oder sich nur in eine sichere Nische geflüchtet und aller offenen Kritik enthalten?
Ein sehr anspruchsvoller, vielschichtiger Roman!